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Wie machen wir die Welt zu einer Welt weltweit für uns alle? Mit Antonio Gramsci Werkzeugen arbeiten

Aktualisiert: 2. Juni 2021

Alle Menschen sind Intellektuelle, aber nicht alle Menschen haben in der Gesellschaft die Funktion von Intellektuellen. Wie jeder Mensch Philosoph ist, so ist jeder Mensch Wissenschaftler usw.. Sich selbst zu kennen, will heißen, sein eigenes Sein zu leben, will heißen Herr seiner Selbst zu sein, sich von den anderen abzuheben, aus dem Chaos auszubrechen, ein Element der Ordnung zu sein, aber der eigenen Ordnung und der eigenen, einem Ideal verpflichteten Disziplin. Kultur ist Disziplinierung des eigenen inneren Ichs, Inbesitznahme der eigenen Persönlichkeit und die Erlangung eines höheren Bewusstseins, mit dem man dazu kommt, den eigenen historischen Wert zu verstehen, die eigene Funktion im Leben, die eigenen Rechte und Pflichten. Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.



Wir halten Gramsci für einen humanistischen Revolutionär, der uns sehr viel zu sagen hat, wie wir die Welt zu einer Welt für uns alle machen können und nicht mehr nur zu einer Welt, die für die Privilegierten funktioniert. Wir werden noch mehrfach über ihn schreiben und weisen hier auf das Buch "Mit Gramsci arbeiten" hin, dessen erste Seiten hier heruntergeladen werden können.


Antonio Gramsci [anˈtɔːni̯o ˈgramʃiAntonio Gramsci?/i] (* 22. Januar1891 in Ales auf Sardinien; † 27. April1937 in Rom) war ein italienischerSchriftsteller, Journalist, Politiker und marxistischer Philosoph. Er gehört zu den Begründern der Kommunistischen Partei Italiens (Partito Comunista Italiano), deren Generalsekretär (Vorsitzender) er von 1924 bis 1927 war. Vom 6. April 1924 bis zu seiner Verhaftung durch Faschisten am 8. November 1926 war er Abgeordneter im italienischen Parlament. Während seiner Zeit im Gefängnis verfasste Gramsci Texte mit philosophischen, soziologischen und politischen Überlegungen, die 32 Hefte füllen. Sie sind als Gefängnishefte bekannt geworden und bilden ein bedeutendes Werk marxistischen Denkens; Gramscis Analysen werden bis heute in der Politischen Theorie rezipiert.


"Warum sollte eine heutige Lektüre von Antonio Gramsci gewinnbringend sein? Gramsci (1891–1937) begegnete den gesellschaftlichen Umbrüchen und Krisen seiner Zeit nicht mit fertigen Antworten und Gewissheiten. Statt die Begriffe dogmatisch zu schließen, praktiziert er ein Denken, das bestehende Einsichten und Kategorien der marxistischen Theoriebildung differenziert, erneuert und in politisch-praktischer Absicht zuspitzt. Dabei von historischen Studien wie von politischen Kämpfen seiner Gegenwart ausgehend, gelingt es Gramsci, einen Politik- und Denkansatz zu entfalten, dessen tragende Begriffe (wie z. . Hegemonie, Zivilgesellschaft, integraler Staat, passive Revolution, Fordismus oder Alltagsverstand) anhaltend produktive Anregungen für Herrschaftskritik und emanzipatorisches Handeln bereitstellen."

Hegemonie und Gegen-Hegemonie als pädagogisches Verhältnis Antonio Gramscis politische Pädagogik


Philosophie

Hegemonie

Gramsci formulierte sein Konzept von Hegemonie zunächst anhand von Entwicklungen in der italienischen Geschichte, insbesondere des Risorgimento. Demnach hätte das Risorgimento einen revolutionären Charakter annehmen können, wenn es ihm gelungen wäre, die Unterstützung der breiten Massen (insbesondere der Bauern, die damals die Mehrheit der Bevölkerung bildeten) zu gewinnen. Die Grenzen der bürgerlichen Revolution lagen darin, dass sie nicht von einer radikalen Partei angeführt wurde, dies im Unterschied zu Frankreich, wo die Landbevölkerung, die die Revolution unterstützte, entscheidend war für die Niederlage der aristokratischen Kräfte.

Die fortschrittlichste italienische Partei war damals die Partito Sardo d’Azione, die Partei von Mazzini und Garibaldi. Diese hatte jedoch nicht die Fähigkeit, die fortschrittlichen bürgerlichen Kräfte mit den Bauern zu verbünden. Garibaldi verteilte in Sizilien Ländereien an die Bauern, aber die Aufstandsbewegungen der Bauern wurden erbarmungslos unterdrückt und es wurde die Guardia nazionale anticontadina gegründet.

Auch wenn die Partito d’Azione ein fortschrittliches Element im Risorgimento war, repräsentierte sie nicht die führende Kraft, denn diese Position nahmen die moderaten Kräfte ein. Dadurch war es den Cavouranern möglich, sich an die Spitze der bürgerlichen Revolution zu setzen und die radikalen Kräfte zu absorbieren. Dies gelang, weil die moderaten Cavouraner eine organische Beziehung zu ihren Intellektuellen hatten, die wie auch die Politiker Landbesitzer und Industriemagnaten waren. Der größte Teil der Bevölkerung blieb somit passiv und es kam zum Kompromiss zwischen den Kapitalisten Norditaliens und den Großgrundbesitzern Süditaliens.

„Die Vorherrschaft einer sozialen Gruppe zeigt sich auf zwei Arten, als Beherrschung und als intellektuelle sowie moralische Führung. Eine soziale Gruppe ist dominant, wenn sie die gegnerischen Gruppen unterwirft und die verbündeten Gruppen anführt. Eine soziale Gruppe kann, ja muss sogar vor der Machtübernahme die Führung übernommen haben; wenn sie dann an der Macht ist […] wird sie dominant, aber sie muss weiterhin führend bleiben.“

Die Aufgabe des Königreichs Sardinien-Piemont lag im Risorgimento darin, die führende Klasse zu stellen. Es gab in Italien zwar Gruppen, deren Kerne eine Einheit anstrebten, diese Gruppen wollten aber niemanden führen, beziehungsweise waren sie nicht dazu bereit, ihre Interessen auf die Interessen anderer Gruppen abzustimmen. Sie wollten herrschen, aber nicht führen; sie wollten, dass ihre Interessen vorherrschen, sie wollten, dass eine neue unabhängige Kraft die Herrschaft über Italien erlangt. Diese Kraft wurde das Königreich Sardinien-Piemont, die somit eine Funktion übernahm, wie sie in ähnlicher Form von einer Partei übernommen wird.

Aus der Sicht von Gramsci muss jede Gruppe, die nach der Herrschaft in einer modernen Gesellschaft strebt, bereit sein, Abstriche bei ihren ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen zu machen, mit einer Vielzahl von politischen Kräften den Kompromiss zu suchen und mit diesen Allianzen zu bilden. Gramsci nennt diese Allianzen Historischer Block, ein Terminus, der von Georges Sorel geprägt worden ist. Dieser Block bildet die Basis für eine gesellschaftliche Ordnung, durch welche die Hegemonie der dominanten Klasse mit Hilfe einer Verknüpfung von Institutionen, sozialen Beziehungen und Ideen gebildet und sichergestellt wird. In Italien wurde dieser Historische Block von den Industriellen, den Landbesitzern, der Mittelklasse und Teilen des Kleinbürgertums gebildet.

Gramsci bemerkte, dass im Westen die kulturellen Werte der Bourgeoisie mit dem Christentum verknüpft sind. Deshalb richtet sich ein Teil seiner Kritik an der vorherrschenden Kultur auch gegen religiöse Normen und Werte. Er war beeindruckt von der Macht, die die Katholische Kirche über die Gläubigen hat, und er sah, mit welcher Sorgfalt die Kirche verhinderte, dass die Religion der Intellektuellen sich zu stark von der Religion der Ungebildeten entfernen konnte. Gramsci glaubte, dass es die Aufgabe des Marxismus sei, die in der Renaissance durch den Humanismus geübte Kritik an der Religion mit den wichtigsten Elementen der Reformation zu vereinen. Nach Gramsci kann der Marxismus erst dann die Religion ablösen, wenn er die spirituellen Bedürfnisse der Menschen befriedigen kann, und damit dies der Fall ist, müssen sie ihn als einen Ausdruck ihrer eigenen Erfahrungen wahrnehmen.

Intellektuelle und Bildung

Gramsci dachte oft über die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft nach. Berühmt ist seine Überzeugung, dass alle Menschen Intellektuelle seien, daher intellektuelle und rationelle Talente besitzen, aber nur wenige in der Gesellschaft auch die Funktion von Intellektuellen einnehmen und diese Talente auch entwickeln und ausüben können. Für Gramsci stellen die Intellektuellen nicht nur Redner oder reine Wissenschaftler dar, sondern auch Leiter und Organisatoren der gesellschaftlichen Prozesse, die Einfluss auf die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse üben, daher eine bestimmte gesellschaftliche Hegemonie produzieren und sichern, über staatliche und ideologische Apparate wie die Bildung, die Medien, die Parteien, Interessensvereinigungen usw.

Gramsci unterschied zwischen traditionellen Intellektuellen, zu denen der Schriftsteller, der Philosoph und der Künstler gehören. Sie sehen sich selber (fälschlicherweise) als eine Klasse außerhalb der Gesellschaft. Andererseits gibt es organische Intellektuelle, die jede Klasse aus ihren eigenen Reihen hervorbringt. Eine soziale Gruppe, die die Hegemonie anstrebt, setzt alles daran, die traditionellen Intellektuellen zu assimilieren und für ihre Ideologien einzunehmen. Dies geht schneller und effizienter, wenn die Gruppe zugleich ihre eigenen organischen Intellektuellen herausbildet.

Diese organischen Intellektuellen beschreiben das gesellschaftliche Leben nicht nur mit wissenschaftlichen Regeln, vielmehr artikulieren sie durch die Sprache der Kultur die Gefühle und Erfahrungen, die die breite Masse nicht selber vermitteln kann. Gramsci sah es als ein Bedürfnis, eine Kultur der Arbeiterklasse zu schaffen. In den revolutionären proletarischen Bewegungen und in einer sozialen Gesellschaft solle entgegen den bisherigen Gesellschaften jeder zunehmend die Funktion eines Intellektuellen einnehmen. Hierzu bräuchte es ein Bildungssystem, in dem sich Intellektuelle der Arbeiterklasse entwickeln können. Dieses Bildungssystem könne nicht einfach eine Wissenschaft und Praxis proletarischen Klassencharakters in alten hierarchisch-autoritären Bildungsapparaten bürgerlichen Typs produzieren und vermitteln, es brauche vielmehr eine neue soziale Organisationsform der Bildung, die dem Prinzip einer zukünftigen sozialen Gesellschaft und den Einsichten der marxistischen Theorie folgt. Die bereits bestehenden intellektuellen Tätigkeiten der Massen sollen durch diese neue Organisation der intellektuellen Tätigkeit der Arbeiterklasse kritisch hinterfragt und erneuert werden. In den Bildungseinrichtungen sollte das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler dahingehend umgestaltet werden, dass jeder die Funktion des Lehrers und des Schülers ausüben soll, ähnlich wie auch Marx in den Thesen über Feuerbach formulierte, dass der Erzieher selbst erzogen werden muss.

Staat und bürgerliche Gesellschaft

Gramscis Theorie der Hegemonie ist an seine Vorstellung des kapitalistischen Staates gebunden, der seiner Meinung nach durch Zwang und Konsens regiert wird. Der Staat ist nicht im engeren Sinne als Regierung zu verstehen; Gramsci unterscheidet zwischen der politischen Gesellschaft, in deren Bereich die politischen und rechtlichen Institutionen gehören, und der bürgerlichen Gesellschaft, die gemeinhin auch als privater oder nicht staatlicher Lebensbereich bezeichnet wird und zu der auch die Wirtschaft gehört. Ersteren beschreibt er als den Bereich des Zwanges und Letzteren als den Bereich des Konsenses. Gramsci betont, dass die Trennung rein konzeptionell sei und dass sich die zwei Bereiche in der Realität häufig überschneiden.

Staat = politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft; das heißt Hegemonie gepanzert mit Zwang. Laut Gramsci ist die Trennung von Staat und Zivilgesellschaft nicht möglich, da der Staat selbst die Trennung zwischen privater und öffentlicher Sphäre, politischer und ziviler Gesellschaft fest- und durchsetzt, garantiert oder verändert.

Gramsci behauptete, dass die Bourgeoisie im modernen Kapitalismus ihre wirtschaftliche Kontrolle aufrechterhalten kann, indem sie bestimmte Forderungen der Gewerkschaften und politischen Parteien aufnimmt. Dadurch fördert die Bourgeoisie eine passive Revolution, indem sie unter ihre wirtschaftlichen Interessen geht und erlaubt, dass sich die Formen ihrer Hegemonie ändern. Gramsci postulierte, dass Bewegungen wie der Reformismus, der Faschismus, der Taylorismus und der Fordismus Beispiele hierfür sind.

In der Tradition von Niccolò Machiavelli argumentierte er, dass die Revolutionäre Partei Der Moderne Fürst sei, der es der Arbeiterklasse erlauben wird, organische Intellektuelle und eine alternative Hegemonie innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu bilden.

Folglich stellte sich für Gramsci als politische Hauptaufgabe der Gewinn der „kulturellen Hegemonie“ durch die Partei als „kollektiven Intellektuellen“, die „Übersetzung“ der (marxistischen) Philosophie in Alltagsbewusstsein und ihre Bestätigung als „Philosophie der Praxis“.

Zitate

„Eine neue Kultur zu schaffen bedeutet nicht nur, individuell ›originelle‹ Entdeckungen zu machen, es bedeutet auch und besonders, bereits entdeckte Wahrheiten kritisch zu verbreiten, sie sozusagen zu ›vergesellschaften‹ und sie dadurch Basis vitaler Handlungen, Element der Koordination und der intellektuellen und moralischen Ordnung werden zu lassen. Dass eine Masse von Menschen dahin gebracht wird, die reale Gegenwart kohärent und auf einheitliche Weise zu denken, ist eine ›philosophische‹ Tatsache, die viel wichtiger und ›origineller‹ ist, als wenn ein philosophisches ›Genie‹ eine neue Wahrheit entdeckt, die Erbhof kleiner Intellektuellengruppen bleibt.“ – Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von Klaus Bochmann, Wolfgang Fritz Haug, Peter Jehle, Band 1–10, Argument Verlag, Hamburg 1991ff., Band 6, Heft 1, § 12

„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ – Gefängnishefte, H. 28, § 11, 2232

„Alle Menschen sind Intellektuelle, […] aber nicht alle Menschen haben in der Gesellschaft die Funktion von Intellektuellen.“ – Gefängnishefte, H. 12, § 1, 1500

„Wir müssen uns abgewöhnen und aufhören, die Kultur als enzyklopädisches Wissen zu verstehen, wobei der Mensch nur als ein Gefäß gesehen wird, das mit empirischen Daten angefüllt und vollgepfropft werden muss, mit nackten und zusammenhanglosen Fakten, die er dann in seinem Gehirn wie in den Abschnitten eines Wörterbuchs rubrizieren muss […]. Wirkliche Kultur ist etwas völlig anderes. Kultur ist Disziplinierung des eigenen inneren Ichs, Inbesitznahme der eigenen Persönlichkeit und die Erlangung eines höheren Bewusstseins, mit dem man dazu kommt, den eigenen historischen Wert zu verstehen, die eigene Funktion im Leben, die eigenen Rechte und Pflichten.“ – Grido del popolo vom 29. Januar 1916

„Sich selbst zu kennen, will heißen, sein eigenes Sein zu leben, will heißen Herr seiner Selbst zu sein, sich von den anderen abzuheben, aus dem Chaos auszubrechen, ein Element der Ordnung zu sein, aber der eigenen Ordnung und der eigenen, einem Ideal verpflichteten Disziplin. Und das kann man nicht erreichen, wenn man nicht auch die anderen kennt, ihre Geschichte, die Anstrengungen, die sie unternommen haben, um das zu werden, was sie sind, die Gesellschaftsformation zu schaffen, die sie begründet haben, und die wir durch die unsere ersetzen wollen.“ – Grido del popolo vom 29. Januar 1916

„Die zeitgenössische Geschichte bietet ein Modell dafür, die italienische Vergangenheit zu begreifen: es gibt heute ein europäisches Kulturbewusstsein, und es gibt eine Reihe von Äußerungen von Intellektuellen und Politikern, welche die Notwendigkeit einer europäischen Union behaupten: man kann auch sagen, dass der historische Prozess zu dieser Union hinstrebt und es viele materielle Kräfte gibt, die sich nur in dieser Union werden entfalten können: wenn es in x Jahren diese Union geben wird, wird das Wort ‚Nationalismus‘ die gleiche archäologische Bedeutung haben wie das Wort ‚Munizipalismus‘.[13] – Gefängnishefte, Heft 6, § 78, 1930

„Vorläufig lassen sich zwei große superstrukturelle »Ebenen« festlegen - diejenige, die man die Ebene der »Zivilgesellschaft« nennen kann, d. h. des Ensembles der gemeinhin »privat« genannten Organismen, und diejenige der »politischen Gesellschaft oder des Staates« -, die der Funktion der »Hegemonie«, welche die herrschende Gruppe in der gesamten Gesellschaft ausübt, und der Funktion der »direkten Herrschaft« oder des Kommandos, die sich im Staat und in der »formellen« Regierung ausdrückt, entsprechen.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, H. 12, §1, 1502

„Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, H. 3, §34, 354f.

„Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft war in ihren Anfängen und gallertenhaft; im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, und beim Wanken des Staates gewahrte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand…“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, H. 7, §16, 874

„Staat = politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, H. 4, § 88, 783

„Dass eine Masse von Menschen dahin gebracht wird, die reale Gegenwart kohärent und auf einheitliche Weise zu denken, ist eine ›philosophische‹ Tatsache, die viel wichtiger und ›origineller‹ ist, als wenn ein philosophisches ›Genie‹ eine neue Wahrheit entdeckt, die Erbhof kleiner Intellektuellengruppen bleibt.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, Heft 11, §12, 1377

„Eine neue Kultur zu schaffen bedeutet nicht nur, individuell ›originelle‹ Entdeckungen zu machen, es bedeutet auch und besonders, bereits entdeckte Wahrheiten kritisch zu verbreiten, sie sozusagen zu ›vergesellschaften‹ und sie dadurch Basis vitaler Handlungen, Element der Koordination und der intellektuellen und moralischen Ordnung werden zu lassen.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, Heft 11, §12, 1377

„Wie jeder Mensch Philosoph ist, so ist jeder Mensch Wissenschaftler usw.“ — Antonio Gramsci, Gefängnishefte Gefängnishefte, H. 10/II, §54, 1349

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/antonio-gramsci/

Neue Rechte

Theoretiker der politischen Rechten haben ebenfalls seine Konzepte für sich entdeckt; beispielsweise werden seine Ideen zur Hegemonie häufig aufgegriffen. Auf Gramscis Vorstellungen zur Erringung von Diskurshegemonie berufen sich im Gefolge des rechten Intellektuellen Alain de Benoist zudem die französische Nouvelle Droite und die bundesdeutsche Neue Rechte.[15]

Werke

Gramscis Arbeiten aus der Zeit vor seiner Verhaftung im November 1926 umfassen hauptsächlich Zeitungsartikel, einige Reden und Berichte sowie eine unvollendete Arbeit über den Süden Italiens.[16]

Gefängnishefte

Hauptartikel: Gefängnishefte

Die insgesamt 32 Gefängnishefte, die aus insgesamt 2.848 Seiten bestehen, waren von Gramsci nicht zur Veröffentlichung gedacht. Sie enthalten Gedanken und Notizen, die Gramsci während seiner Haft niederschrieb. Mit der Zeit wuchs das Ganze zu einem der bedeutendsten Werke der marxistischen Philosophie, die von Gramsci als Philosophie der Praxis bezeichnet wird. Die Gefängnishefte wurden von Tatiana Schucht und Piero Sraffa vor dem Aufsichtspersonal gerettet und anschließend dem Bankier Raffaele Mattioli übergeben; dieser hatte zuvor die Klinikaufenthalte für Gramsci bezahlt. Mattioli reiste daraufhin nach Moskau und vertraute die Schriften Palmiro Togliatti und den anderen italienischen Kommunisten an. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Hefte zusammen mit den Lettere dal carcere vom Verlagshaus Einaudi herausgegeben. Insgesamt erschienen hierbei sechs Bände, die nach Themen geordnet sind und folgende Titel tragen: https://www.rosalux.de/publikation/id/1004/mit-gramsci-arbeiten?cHash=e5df369ec1391e8fc5245069eb1e62c0




Die Beiträge greifen Gramscis Begriffe und Analysen auf, sie rekonstruieren seine Vorgehensweise und überprüfen ihre Anwendbarkeit auf gegenwärtige gesellschaftliche Transformationsprozesse. Entlang verschiedener wissenschaftlicher Bereiche und politischer Anwendungsfelder (politische Ökonomie, Geschlechterverhältnisse, Gewerkschaften, Politikwissenschaft, Cultural Studies, Sozialpolitik, Parteien, politische Pädagogik, Diskurstheorie, Philosophie) präsentieren die Autoren und die Autorin, wie sie ›mit Gramsci arbeiten‹. Mit Beiträgen von: Armin Bernhard, Mario Candeias, Christian Gaedt, Wolfgang Fritz Haug, Frigga Haug, Mikiya Heise, Uwe Hirschfeld, Michael Jäger, Ingo Lauggas, Oliver Marchart, Andreas Merkens, Bernd Röttger, Christoph Scherrer, Daniel von Fromberg


Antonio Gramsci, Texte

Einführung in den ersten Kurs der internen Parteischule [1] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/gramsci/1925/04/parteischule.html



Gegen-Hegemonie Der Begriff der Gegen-Hegemonie soll dazu beitragen, dass emanzipatorische Bewegungen strategische Perspektiven entwickeln. Herrschaft wird dabei nicht nur auf ihre Zwangselemente hin betrachtet, sondern die mehr oder weniger konsensuale Einbindung der Beherrschten in gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigt. Antonio Gramsci nannte diesen Herrschaftstypus Hegemonie. Diese – als Zusammenhang politischer, ökonomischer und sozio-kultureller Verhältnisse – entsteht durch die Strategien und Projekte der herrschenden Kräfte, die wiederum untereinander ➞ Bündnisse schließen und Ausgleich schaffen müssen. Hegemonie wird zudem über selektive Kompromisse mit den Beherrschten und ihren vielfältigen Organisationen entlang unterschiedlicher Konfliktlinien geschaffen (was mitunter massive Ausgrenzungen nicht ausschließt). Kompromisse und Kräfteverhältnisse werden unter Umständen auf Dauer gestellt. Der Staat – auch über lokale und internationale Staatsapparate – ist ein wichtiges Terrain dieser herrschaftsförmigen Absicherung. Dennoch gibt es keinen privilegierten Ansatzpunkt – etwa den Staat – für emanzipatorisches Handeln. Mit dem Begriff der Gegen-Hegemonie sollen strategische Elemente der pluralen emanzipatorischen AkteurInnen – ➞ emanzipatorische Bewegungen und Verbände, linke Parteien, linke Strömungen in Gewerkschaften, ➞ kritische WissenschaftlerInnen und PublizistInnen – stärker berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich nicht nur um die »großen« Entscheidungen wie etwa neue Arbeitsmarktgesetze oder Kriege auf der einen Seite oder sichtbare Protestmobilisierungen auf der anderen Seite, sondern auch um die vielen alltäglichen, oft nicht sichtbaren Machtkonstellationen. Damit können Ansatzpunkte in den aktuellen kritischen Analysen und emanzipatorischen Bewegungen benannt werden. Erstens impliziert eine gegen-hegemoniale Perspektive, sorgfältig die herrschaftlichen Strategien zu analysieren. Das Sichtbarmachen von Macht und Herrschaft ist häufig ein erster Ansatzpunkt zu ihrer Veränderung. Zweitens tendiert die Kritik der herrschenden Globalisierung zu einem problematischen »Oben-Unten«- Schema, demzufolge neoliberal-imperiale Herrschaft von mächtigen PolitikerInnen, BürokratInnen oder ManagerInnen vorangetrieben wird. Dass die kritisierten und zu verändernden Verhältnisse von vielen Menschen zumindest passiv hingenommen werden, wird häufig übergangen. Drittens sind theoretisch angeleitete Diagnosen aktueller Entwicklungen und historischer Erfahrungen wichtig für die Erarbeitung praktischer Alternativen. Wissen um die gesellschaftlichen Verhältnisse entsteht nicht nur theoretisch, sondern auch in konkreten Konflikten und gepaart mit spezifischen Erfahrungen. Gleichwohl ist es wichtig, diese Erfahrungen in übergreifende Konstellationen einordnen zu können. Gesellschaft verändernde AkteurInnen müssen sich der (In-)Stabilität herrschender – auch subjektiver und diskursiver – Strukturen, Kräftekonstellationen und Prozessen immer wieder vergewissern, um eigene Strategien zu entwickeln. Gegen-hegemoniale Perspektiven und Praktiken erachten viertens emanzipatorische, wenig institutionalisierte soziale Bewegungen und Bündnisse als zentral. Sie berücksichtigen aber durchaus institutionelle Strukturen und Praxen etwa in Betrieben und öffentlicher Verwaltung, Schulen und Hochschulen, die teilweise »von innen heraus« verändert werden müssen. Deren Veränderung ist nicht nur Ergebnis ➞ sozialer Bewegungen, sondern beispielsweise von Dissens innerhalb der Institutionen oder von versuchten Antworten auf Probleme. Die strategische Dimension von Auseinandersetzungen wieder stärker zu machen, könnte verhindern, dass emanzipatorische Bewegungen sich zuvorderst an den Agenden der herrschenden Kräfte orientieren, z.B. bei einem G8-Gipfel im eigenen Land oder einem zu verhindernden Gesetz. Die se konkreten Anlässe sind wichtig, sollten aber aus einer gegen-hegemonialen Perspektive um eigene – diskutierte und reflektierte – Agenden ergänzt werden. Eine dringende Aufgabe besteht darin, gegen-hegemoniale Perspektiven und Praxen zu internationalisieren. Das bedeutet nicht nur die Stärkung internationaler Bündnisse und Kampagnen. Die imperiale Lebensweise basiert auf einer für viele – herrschende, aber auch beherrschte – Menschen in den Gesellschaften des Globalen Nordens materiell und kulturell vorteilhaften Einbindung in die internationale Arbeitsteilung. Diese Tatsache wird aktuell von linken Parteien, Gewerkschaften und auch von großen Teilen der Bewegungen kaum thematisiert. Wie dies in Bildungs-, Lern- und Organisierungsprozessen, mit pointierten Forderungen und internationalen Bündnissen, durch harte Konflikte und tief greifende institutionelle Veränderungen hindurch erreicht wird, ist noch offen. Ulrich Brand







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