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Wie machen wir die Welt zu einer Welt weltweit für uns alle? C. Wright Mills analysiert Macht-Eliten

Macht-Eliten: Von der großen Illusion des pluralistischen Liberalismus


Soziologische Phantasie ist der methodologische Zustand, in den es sich mit Hilfe von Theorie und einfallsreicher Empirie zu versetzen gilt, um Gesellschaft nicht nur zu erleiden, sondern von unten zu verändern. Soziologie muss es möglich machen, Probleme der eigenen Biographie als Produkte historischen Wandels und als Gelegenheiten zu gesellschaftlicher Aktivität zu begreifen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist kein intellektueller Aufwand zu groß und die Strukturen historischen Wandels müssen erforscht, die eigenen und die Erfahrungen anderer ausgewertet, die Daten und Tatsachen des Gesellschaftsprozesses gesammelt und interpretiert werden.

Charles Wright Mills Die amerikanische Elite Gesellschaft und Macht in den Vereinigten Staaten



23. Juli 2016 Marcus Klöckner

Auch 60 Jahre nach seinem Erscheinen hat Charles Wright Mills' Buch "The Power Elite" nichts an Brisanz verloren

Sein Name: Charles Wright Mills. Sein Geburtsort: Austin, Texas. Sein Beruf: Soziologe. Seine Berufung: Seine Aufgabe als kritischer Gesellschaftswissenschaftler ernst zu nehmen.

Wer kennt heute noch den Namen dieses Mannes, der 1956 durch sein Buch "The Power Elite" die Machtelitentheorie begründete? Obwohl Mills längst ein Klassiker der Soziologie ist, scheint die Arbeit des unangepassten Professors von der Columbia Universität in Vergessenheit geraten zu sein. Das ist bedauerlich, denn: Mills hat nichts Geringeres getan, als den demokratischen Charakter der USA auf den Prüfstand zu stellen. Dabei erkannte Mills: Trotz formal vorhandener demokratischer Strukturen hat sich eine Machtelite formiert, der es gelingt, demokratische Prozesse auszuhebeln.

Die Theorie der Machtelite ist heute, 60 Jahre nach ihrer Veröffentlichung, aktueller denn je. In ihr finden sich die Schlüssel zum Verständnis einer aus guten Gründen gerade sehr aktuellen Diskussion über das Verhältnis zwischen Eliten und Bevölkerung.

"Das vorliegende Buch von C. Wright Mills ist vielleicht das aufschlußreichste, das nach dem Kriege über die Vereinigten Staaten von Amerika geschrieben wurde." Mit diesen Worten beginnt eine Vorbemerkung des Verlages zur deutschen Ausgabe von Mills' Werk über die Machtelite, das 1962 hierzulande auf dem Markt erschien. Die Aussage scheint hochgegriffen, doch wer das Buch des Professors, der eine Vorliebe für Motorräder hegte, liest, wird schnell feststellen: Hier hat jemand eine so grundlegende Arbeit geleistet, dass die Meinung des Verlages nicht einfach von der Hand zu weisen ist.

Mills hat es gewagt, sich der vorherrschenden Gelehrtenmeinung im Hinblick auf die Demokratie in seinem Land zu widersetzen. Er, der in dem Jahr, in dem sein Buch auf Deutsch erschienen ist, im Alter von 46 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, hat das getan, was eine kritische Soziologie eigentlich immer leisten sollte, was sie aber schon seit vielen Jahren kaum noch tut: Bestehende Herrschaftsverhältnisse zu hinterfragen, einen kritischen Blick auf die Weichensteller in den Gesellschaften zu werfen und die verborgenen Mechanismen der Macht freizulegen.

Mills durchbrach mit "The Power Elite" jene Mauer aus dominierenden ideologischen Grundüberzeugungen, die oft genug als große, unhinterfragte Illusion ihre Macht in der Gesellschaft entfalten und die Wirklichkeitsvorstellungen der Bürger prägen.

Wer das tut, wer es wagt, sich der Orthodoxie entgegenzustellen und grundlegende "Wahrheiten" zu überprüfen, kommt nicht umhin, "Schaden" anzurichten. Vorgefertigte Anschauungen und Glaubenssätze werden zerschlagen, Schulmeinungen und Theoriengebäude entzaubert. Charles Wright Mills, das lässt sich heute mit Gewissheit sagen, war einer, den man als Ketzer bezeichnen kann.

Ketzer sind jene Menschen, "die an der Peripherie, weitab vom ideologischen Zentrum stehend, neue Antworten auf alte Frage geben; neue Fragen stellen, die Antworten einfordern, die unangenehm, die beängstigend sind und nicht konform gehen mit der allgemeinen Selbstverständlichkeit".

Mit diesen Worten beschrieb der Jesuit und Unternehmensberater Rupert Lay einmal, was ein Ketzer ist. Und ja: In diesen Worten findet sich auch die Forschungsarbeit von Mills wieder. Lay merkte an, es sei naiv anzunehmen, die Ketzerei müsste doch im Grunde genommen eine "sozial anerkannte, weil doch enorm wichtige Sache sein". Wer dies annehme, vergesse, "dass das Bewahren von Sicherheiten zu allen Zeiten für Menschen ein sehr viel stärkerer Motivator war als das Erkennen von Wahrheiten".

"Ketzer", erklärt Lay, "trampeln nun einmal im Porzellanladen der Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten herum, in dem Menschen die Antworten auf existenzielle Fragen einzukaufen gewohnt sind. Und das ist unverzeihlich. Ketzern verzeiht man nicht."

Diese Ausführungen lassen erahnen, dass Mills, der 1935 ein Studium der Philosophie, Ökonomie und Soziologie aufgriff, keinen leichten Stand bei seiner wissenschaftlichen Karriere hatte. Angriffe, von seinen Kollegen gab es reichlich. Mills eckte mit seinem Blick auf die Dinge an. Mills war unbequem.

Der Texaner, der sich zunächst bei seiner wissenschaftlichen Karriere mit der Wissenssoziologie auseinandersetzte, also jenem Teil der Soziologie, der sich vor allem auch mit der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit beschäftigt, betrachtete das politische System nicht einfach nur aus dem Zentrum der großen etablierten Lehrmeinungen und Theorien. Hätte er das getan, wäre die Wahrscheinlichkeit groß gewesen, dass er mit in den Chor derjenigen eingestimmt hätte, die jener naiven demokratietheoretischen Sichtweise folgten, wonach, um es zuzuspitzen, Demokratie ganz einfach dann existiert, wenn ausgefeilte demokratische Strukturen bestehen, so wie es etwa in seinem Land der Fall ist.

Die wirkliche Macht geht von einem "politischen Direktorat" aus

Aber Mills gab sich mit dem Blick aus dem "ideologischen Zentrum" nicht zufrieden. Er widersetzte sich den Anziehungskräften aus dem Kerngebiet der orthodoxen politischen Anschauungen, wie sie im akademischen Feld vorhanden waren und sind, um "von außen" der Frage nachzugehen, wo in seinem Land die politische Macht liegt und von welcher Stelle diese ausgeht. Der Soziologe englisch-irischer Abstammung wollte wissen, welche Rolle die "einfachen" Menschen auf der Straße tatsächlich haben, wenn es um die Entfaltung der Demokratie geht.

Wenn es heißt, dass in einer Demokratie alle Macht vom Volk ausgeht, dann ist es nur recht, wenn kritische Gesellschaftswissenschaftler einmal genauer hinschauen und sich dem Phänomen "Macht", das auch in einer Demokratie durch das gesamte politische Gefüge wirkt, genauer anzuschauen.

Wer verfügt in einer Demokratie tatsächlich über Macht? Welche Macht besitzt der Mann oder die Frau "auf der Straße"? Welche Macht besitzen die (demokratischen) Institutionen? Über wie viel Macht verfügen die Eliten einer Gesellschaft? Mit Fragen und Gedanken wie diesen, die richtungsweisend für Mills' Forschung zur amerikanischen Machtelite sind, gelang es dem Sohn eines Versicherungsvertreters und einer Hausfrau die realen Machtverhältnisse freizulegen und die Nebelwand, die ein "romantischer Pluralismus", wie Mills es formuliert, erzeugt, zu durchdrängen. Das, was er dann sah, lies ihn zu einem für die Demokratie wichtigen, aber zugleich auch erschreckenden Befund kommen.

Mit klarem Verstand erkannte Mills, dass in seinem Land eine Machtelite existiert, die aus den gesellschaftlichen Teilbereichen Politik, Wirtschaft und Militär besteht und in der Lage ist, einen Einfluss auszuüben, demgegenüber die "Macht" der normalen Bürger geradezu lächerlich wirkt. In den USA, so Mills' Erkenntnis, hat sich ein "politisches Direktorat" gebildet, von dem die tatsächliche politische Macht im Land ausgeht.

Die Zentralisierung sämtlicher Macht- und Informationsmittel bringt es mit sich, daß einige wenige in unserer Gesellschaft bestimmte Positionen einnehmen, von denen aus sie auf die anderen herabsehen und die Alltagswelt der Durchschnittsmenschen mit ihren Entscheidungen beeinflussen können. Diese wenigen sind nicht Sklaven ihres Berufs oder Gefangene ihres Arbeitsplatzes. Sie können vielmehr Arbeitsplätze für tausend andere schaffen oder beseitigen. Sie werden auch nicht von ständigen Alltags- und Familienpflichten eingeengt, sondern können ihnen, wenn sie wollen, jederzeit entfliehen. Sie sind auch nicht an einen bestimmten Ort gebunden, sondern können wohnen, wo und wie es ihnen beliebt. Für sie heißt es nicht, sie hätten nur "zu tun, was Tag und Stunde fordern". Sie selber stellen nicht wenige dieser Forderungen auf und sorgen dann dafür, daß andere sie erfüllen. Charles Wright Mills

Diese Aussagen verdeutlichen: Mills war ein Freund klarer Worte, der die realen Verhältnisse auf den Punkt bringen konnte. Mills erkannte, dass dem normalen Bürger, wenn es um die Entfaltung von (gesellschaftlicher) Macht geht, enge Grenzen gesetzt sind. Selbst innerhalb jener Grenzen, die den "einfachen" Menschen gesetzt sind, sprich: die Grenzen seiner alltäglichen Umwelt ("Familien- und Freundeskreis, Berufsleben, Nachbarschaft"), "scheint der Durchschnittsmensch von mächtigen Kräften, die er weder begreifen noch meistern kann, getrieben zu sein".

Mills zerschlägt mit wenigen Worten die Illusion, die vor allem die Akteure aus dem ideologischen Zentrum erzeugen und mit Nachdruck aufrechterhalten.

"In Wahrheit liegt die Macht nur bei zahlenmäßig kleinen Kreisen"

Auch in einer Demokratie existieren nämlich enorme Machtungleichgewichte, die dazu führen, dass Menschen Begrenzungen ausgesetzt sind und Zwänge in ihrem Handeln erfahren, an denen sie kaum etwas ändern und die sie schon gar nicht überwinden können.

In aller Deutlichkeit geht Mills mit jenen ins Gericht, die behaupten, im Grunde genommen habe jeder Mensch die Macht, die Geschichte zu beeinflussen. "Wollte man das behaupten", so Mills, "...wäre das soziologisch Unsinn und politisch verantwortungslos." Behaupte man nämlich, dass "'wir' alle die Geschichte bestimmten", wäre das "deshalb verantwortungslos, weil dadurch jeder Versuch im Keim erstickt wird, die Verantwortung für die folgenschweren Entscheidungen jener festzustellen, die die Machtmittel wirklich in der Hand haben".

Da taucht sie also auf, die in akademischen und intellektuellen Kreise so verpönte Frage nach dem konkret handelnden Subjekt. Bereits damals, vor 60 Jahren, geriet man im wissenschaftlichen Feld schnell in den Verdacht, die Komplexität der realen Verhältnisse zu verkennen, wenn der Blick auf die Ebene der handelnden Subjekte gelenkt wurde - woran sich bis heute nichts geändert hat. Und dafür gibt es einen guten Grund: Wenn die ideologischen Verblendungen all derjenigen beiseitegeschoben sind, die selbst jener "großen Illusion" folgen, die der unkritische Glauben an einen pluralistischen Liberalismus erzeugt, wird plötzlich ersichtlich, dass die Stigmatisierung der "Subjektfrage" wie ein mächtiger Schutzschild um eben genau die Akteure herum wirkt, auf die Mills fokussiert - die Entscheider und Macher in der Gesellschaft.

Mills kommt bei seinen Analysen zu dem Ergebnis, dass zwar "rein formell", die Autorität beim Volk liege, "aber in Wahrheit liegt die Macht, die Initiative zu ergreifen, nur bei zahlenmäßig kleinen Kreisen". Der Soziologe sprach von einer landläufigen "Strategie der Manipulation", die den Eindruck hervorrufe, "daß das Volk, oder mindestens ein großer Teil des Volkes, 'tatsächlich die Entscheidungen trifft'".

Aussagen wie diese sind es, die wohl auch heute noch so manchem Demokratietheoretiker das Entsetzen ins Gesicht treiben dürften. Doch Mills war, um gleich Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, keiner, der sich leerer Phrasen bediente und Schreckensszenarien an die Wand malte. Mills gelang es, die Macht der Oberen präzise einzuordnen. Die Machtelite war für Mills weder allmächtig, noch war sie ohnmächtig. Die Machteliten sind bei Mills keine Götter, die die ganze Welt beherrschen.

Mills bezeichnet die Vorstellungen von einer omnipotenten oder impotenten Machtelite als "leere Abstraktionen, die man in der Öffentlichkeit gern als Entschuldigung vorbringt oder mit denen man sich brüstet. Aber wir müssen uns ihrer bedienen, um die großen Probleme zu klären, denen wir uns gegenübergestellt sehen".

Deutlich warnt Mills auch vor der großen Verschwörungsthese, wonach eine einzige herrschende Klasse existiere, "die die ganze amerikanische Gesellschaft lenkt... ."

Die andere Auffassung, daß alles auf die Verschwörung einiger unschwer feststellbarer Schurken oder auf die Taten großer Männer zurückzuführen sei, ist eine ebenso voreilige Interpretation des Tatbestandes, daß Veränderungen im Gesellschaftsgefüge bestimmten Eliten geschichtliche Chancen eröffnen, die sie wahrnehmen oder nicht wahrnehmen. Wer sich eine dieser beiden Vorstellungen zu eigen macht, indem er die Geschichte als Konspiration oder als schicksalhafte Kraft begreift, erschwert es sich, die tatsächlichen Machtverhältnisse und das Verhalten der Mächtigen zu verstehen. Charles Wright Mills

Mills gelang es, die Machtelite zu sezieren, indem er einen breiten Zugang zu seinem Forschungsgegenstand wählte. Er setzte sich nicht nur mit den Akteuren, also ihrem Eigenverständnis (wie begreifen sich Eliten selbst?), ihrem Handlungsspielraum und den psychologischen Beziehungen der Eliten untereinander auseinander, er beachtete auch die historischen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen, in die die Eliten eingebettet waren und die ihnen Chancen und Möglichkeiten boten, aber auch Herausforderungen mit sich brachten.

Die Elite ist in sich selbst verliebt

Mit eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Mills liefert, führt ins Zentrum dessen, was das Elitensein ausmacht. Der Soziologe stellte fest, dass die Eliten seiner Gesellschaft aus einem tiefen inneren Antrieb heraus handelten und der festen Überzeugung seien, völlig zu Recht zur Elite zu gehören.

Aus dieser Grundeinstellung erklärt sich die oft zu beobachtende Haltung von Angehörigen der Elite, die aufgrund ihrer gesellschaftlich herausgehobenen Position quasi automatisch das legitime Monopol zur Gestaltung der Welt in den Händen zu halten glauben.

Man muss nicht weit denken, um in der sehr aktuellen Diskussion um die Rolle "der Eliten" in unserer Zeit erkennen zu können, woher die Vorwürfe einer arroganten, überheblichen und abgehobenen Machtelite kommen.

Die Spitzen unserer Gesellschaft und die "normalen" Menschen, die das Volk bilden, sind auch in einem demokratischen System durch einen Graben, der kaum tiefer und breiter sein könnte, voneinander getrennt - das war zur Zeit Mills so, das ist heute so. Während ein kleiner Teil von Menschen über riesige Ressourcen aller zentralen Kapitalarten verfügt (ökonomisches, kulturelles, soziales, symbolisches Kapital), besitzt ein großer Teil der Bevölkerungen im Vergleich oft nur einen Bruchteil dieses Kapitals.

Während die einen durch ihre Kapitalvorteile, aber auch aufgrund ihrer Positionen an den Schalt- und Schnittstellen der Macht, Entscheidungen treffen, die für eine ganze Gesellschaft Auswirkungen haben, reicht "die Macht" des einfachen Menschen allenfalls von seinem Wohnzimmer bis zur Haustür.

Mills hebt aber hervor, dass nicht nur die Entscheidungen, die die Angehörigen der Machtelite treffen, weitreichende Konsequenzen haben. "Unterlassen sie es zu handeln", schlussfolgert Mills, "eine Entscheidung zu treffen, so hat dies oft schwerer wiegende Folgen als ihre tatsächlichen Entschlüsse ... ."

Was wir derzeit in Europa erleben, ist das Produkt einer entfesselten Machtelite

Wer in diesen Tagen, 60 Jahre nach "The Power Elite" die Nachrichten verfolgt und mitansehen muss, welche gesellschaftliche und politische Verwerfungen entstanden sind, kann nur zu dem Schluss kommen, dass ein kritischer Blick auf die heutigen Machteliten dringend notwendig ist. An dem Handeln der Machteliten, wie sie Mills vor sechs Dekaden kenntlich gemacht hat, hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Ihr Handeln ist geprägt von Machtgewinnung, Machtsicherung, Machtmaximierung und von Einflussnahmen aller Art, um diesem "Dreiklang der Macht" zur vollen Blüte zu verhelfen.

Im Idealfall stehen die Interessen der Machtelite mit denen der normalen Bürger in etwa auf einer Ebene - oft genug ist das nicht der Fall. Trotz vordergründig funktionierender demokratischer Prozesse gelingt es den Mächtigen dieser Welt immer wieder, ihre politische Ideen und Vorstellungen durchzudrücken und dabei einen Schaden anzurichten, der so groß ist, dass er kaum beziffert werden kann.

Was würde Mills sagen, wenn er beispielsweise mitansehen könnte, was Machteliten aus dem europäischen Einigungsprozess gemacht haben? Live und in Farbe ist mitanzusehen, was geschieht, wenn ein Elite-Projekt, wie die europäische Währung "Euro", das Eliten über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden und trotz fundierter Warnungen verwirklicht haben, schief geht.

Länder stehen vor dem wirtschaftlichen Kollaps, eine Jugendarbeitslosigkeit in Staaten wie Portugal, Italien, Spanien oder Griechenland, die zwischen 30 und 50 Prozent liegt, zerstört die Hoffnungen junger Menschen auf ein besseres Leben, milliardenschwere "Rettungsschirme", aufgespannt von Staaten, die noch vor wenigen Jahren ihren Bürgern gepredigt haben, der Sozialstaat sei zu teuer und müsse "verschlankt" werden, machen viele Bürger fassungslos.

Was wir derzeit in Europa erleben, ist das Produkt einer entfesselten Machtelite, die über Jahrzehnte auf der Basis einer neoliberalen Wirtschaftsordnung ihren Wohlstand und ihre Macht mehren konnte und dabei nach und nach Kräfte zur Entfaltung brachte, die gesellschaftszersetzend sind und der Demokratie einen schweren Schaden zugefügt haben.

Auch wenn Mills seine Machtelitentheorie anhand der US-amerikanischen Gesellschaft der 1950er Jahre durchdeklinierte, also einer Gesellschaft, die ihre speziellen Eigenheiten aufweist und nicht eins zu eins auf europäische Verhältnisse übertragen werden kann, auch wenn seine Theorie in manchem durch die historische Entwicklung überholt ist und der historische Kontext, in dem seine Machtelitentheorie entstand, nicht außer Acht gelassen werden darf: Die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen führen direkt ins Zentrum von Mills' Arbeit.

Frühzeitig warnte er vor den Schwachstellen im demokratischen Gefüge und vor der Naivität der Theorie vom "Gleichgewicht der Kräfte". Schon in den 1950er Jahren erkannte Mills, wie ausgeprägt der vorgelagert politische Formierungsprozess der Machtelite in seinem Land war. Er beobachtete, dass Eliten sich aus den demokratischen Strukturen ausdifferenzieren, dass sie sich vernetzen, in Zirkeln der Macht zusammenschließen und über unterschiedliche Einflussorganisationen Macht ausüben. Daran hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts geändert.

Ein journalistisches Interesse an den diskreten Machtstrukturen der Eliten ist kaum vorhanden

Doch die Soziologie scheint jenen Teil ihrer Disziplin, der in der Tradition von Mills steht und der es möglich machen würde, die Strukturen der Machtelite zu analysieren, fast vergessen zu haben. Aber auch die Medien, die zumindest in Ansätzen über die Zirkel der Mächtigen berichten könnten, ignorieren diese.

Die Tage etwa hatten Medien, unter anderem auch der Spiegel, über die Einweihung einer russischen Denkfabrik in Berlin berichtet. Offensichtlich war es aus journalistischer Sicht geboten, die Mediennutzer über diesen Schritt zu informieren.

Es gibt viele gute Gründe dafür, dass Medien ihre Aufmerksamkeit auf das Wirken von Stiftungen und Thinktanks lenken. Welche Ziele verfolgen diese? Wer sind ihre Mitglieder, wer ihre Hintermänner? Gibt es eine verborgene Agenda? Sind sie in der Lage, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen? Wenn ja: Wie sieht diese Einflussnahme aus? Wie gestaltet sie sich? Wer sind die konkreten Akteure, die Einfluss nehmen? Zentrale Fragen, deren Beantwortung für eine Demokratie von Bedeutung sind.

Doch, als beispielsweise im März 2013 die Trilaterale Kommission ihre Jahreshauptversammlung in Berlin abhielt, war das in deutschen Medien kein Thema. Trilaterale Kommission? Was ist das? Wie ist sie entstanden? Wozu existiert sie? Welcher Ideologie folgt sie?

Anders gesagt: Als es plötzlich um die Gründung einer russischen Denkfabrik ging, erkannten die großen Medien plötzlich, welche Bedeutung diesen Einrichtungen bei der Beeinflussung von Politik zukommen kann. Wenn es aber um den sich im Windschatten der demokratischen Institutionen vollziehenden Formationsprozess westlicher Machteliten geht (Machteliten: Sie wollen doch nur das Beste für den Planeten), lassen Medien die Öffentlichkeit immer wieder im Dunkeln.

Fast 60 Jahre hat es gedauert, bis deutsche Medien in der Breite erkannt haben, dass die Treffen der Bilderberg-Gruppe "ein Thema" sind. Kritische Berichte, wie etwa dieser Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1975 zur Rolle des Council On Foreing Relations, einer zentralen Denkfabrik der Liberalen in den USA, sind wie eine Perle: sehr schön, aber selten zu finden. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41389590.html

Über die Zusammenkunft der US-Machteliten am Bohemian Grove , wo sich auch mal ein Bundeskanzler dazu gesellte, finden sich im Spiegel-Archiv gerade einmal zwei Artikel - einer von 1979 und einer von 1982. Ein journalistisches Interesse an den diskreten Machtstrukturen der Eliten ist, das ist festzustellen, so gut wie nicht vorhanden.

Es verwundert nicht, dass Mills sich auch mit den Medien auseinandergesetzt hat und kritisch anmerkte, dass diese "eines der bedeutendsten Machtmittel [sind], die der Elite des Reichtums und der Macht zur Verfügung stehen".

Auf gleicher Ebene [wie die Medien] oder nur wenig darunter steht der Propagandist, der Werbefachmann, der die öffentliche Meinung schon im Entstehungsstadium kontrolliert und sie damit als eine willfährige Kraft mehr in die Berechnung des Spiels der Kräfte, der Steigerung des Prestiges, der Sicherung des Reichtums einbezieht. Charles Wright Mills'

Das klingt radikal, aber Mills lernte früh, zu welchen Gefahren Machtungleichgewichte in einem Staat führen konnten. Mills hatte eine enge Freundschaft mit dem deutschen Soziologen Hans Gerth, der vor der Diktatur der Nazis geflohen war. Seine Einblicke, die er durch Gerth über die Nazi-Herrschaft aus erster Hand erhalten konnte, führten ihn mit dazu, dass er sich der Machtstrukturforschung widmete. Aus der Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime gewann Mills für sich die Erkenntnis, die Sozialwissenschaften müssten sich viel stärker auf eine Forschung konzentrieren, die von Herrschaftskritik geprägt ist.

Der wohl einzige bekannte deutsche Machstrukturforscher Hans Jürgen Krysmanski , der im Juni dieses Jahres verstarb , schrieb einmal über Mills' Arbeit, er habe "das Rezept formuliert, wie man in einer modernen Industriegesellschaft westlichen Zuschnitts, in einer parlamentarischen Demokratie die Herrschaft der Wenigen sichern kann, ohne dass es den Massen sonderlich auffällt".

Alleine das sollte Mills' "Power Elite" zur Pflichtlektüre für jeden machen, dem Demokratie etwas bedeutet.


Charles Wright Mills

Charles Wright Mills (als Autor C. Wright Mills; * 28. August 1916 in Waco, Texas; † 20. März 1962 in Nyack, New York) war ein US-amerikanischer Soziologe. Er analysierte Machtstrukturen moderner Gesellschaften und die Rolle der Intellektuellen in der US-amerikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Mills Werke sind soziologische Klassiker der Herrschafts- und Elitesoziologie, insbesondere des Power Structure Research, die jedoch in Deutschland, der Schweiz und Österreich kaum rezipiert wurden. Seine bekanntesten Werke sind Die Machtelite, in der er das Zusammenwirken der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten analysiert; White Collar: The American Middle Classes untersucht die moderne Mittelklasse; The Sociological Imagination stellt den Zusammenhang dar, der zwischen der subjektiven Erfahrung des Einzelnen in seiner individuellen Biografie mit der Struktur der Gesellschaft und der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft besteht. Mills betont in seinem Werk die Verantwortung des Intellektuellen in der Gesellschaft der Nachkriegszeit. Sein Biograph Daniel Geary urteilt, Mills Schriften hätten einen bedeutenden Einfluss auf die gesellschaftliche Bewegung der Neuen Linken in den 1960er Jahren gehabt.[1] Mills soll den Ausdruck „New Left“ populär gemacht haben, als er 1960 seinen offenen Brief an die Neue Linke veröffentlichte.[2]

The Power Elite (1956)

Das Kernstück der Trilogie zu den Klassen der amerikanischen Gesellschaft analysiert die Beziehungen zwischen den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten, die ein gemeinsames Weltbild haben: Dass nämlich Macht in der Zentralisierung der Autorität innerhalb der gesellschaftlichen Eliten liegt und liegen soll.[14] Diese Autorität beruht auf einer militärisch definierten Wirklichkeit, einem überlegenen Klassenbewusstsein der Elite, der Austauschbarkeit und Kombinierbarkeit der elitären Strukturen (Unternehmer wird Politiker, General Wirtschaftsberater) und Rekrutierung angepasster Aufsteiger. Die Elite ist nach Mills Auffassung nur vom Eigeninteresse geleitet, wozu die Aufrechterhaltung einer beständigen Kriegsökonomie gehört, um das Auf und Ab der Wirtschaft auszugleichen und die Maskierung einer manipulativen politischen und gesellschaftlichen Ordnung durch die Medien.[15]

The Causes of World War Three (1958) und Listen, Yankee (1960)

Beide Abhandlungen sind Versuche, die Verantwortung der Elite für die Öffentlichkeit deutlich zu machen.[6][16] Listen, Yankee schilderte die kubanische Revolution aus der Sicht eines Revolutionärs.[6]

The Sociological Imagination (1959)

Das als einflussreichstes Buch Mills betrachtete Werk[17] beschreibt die soziologische Geisteshaltung oder den Ansatz der Forschung, die als soziologische Vorstellungskraft oder Einbildungskraft (sociological imagination) bezeichnet wird. Diese Vorstellungskraft besteht in der Fähigkeit, individuelle Erlebnisse aus der Perspektive einer Person in Bezug zu setzen zu den bedingenden Faktoren von Gesellschaft und Geschichte, die dem einzelnen meist verborgen bleiben.

Worum geht es bei den Sozialwissenschaften? Sie sollten sich mit dem Menschen und der Gesellschaft befassen, und bisweilen tun sie es auch. Sie sind um das Verständnis von Biographie und Geschichte sowie deren Verbindungen in einer Vielzahl von Gesellschaftsstrukturen bemüht.

Das Werk ist eine wegweisende Bilanz der soziologischen Disziplin in den Vereinigten Staaten der 1950er Jahre. Mills schlägt hier einen dritten Weg zwischen dem „geistlosem Empirismus“ der amerikanischen Sozialforscher und der „großen Theorie“ eines Talcott Parsons ein. Mills’ Ansicht nach bedarf es einer kritischen Soziologie, die sich weder oberflächlich instrumentalisieren lässt, noch abgehoben theoretisiert, sondern eine Verbindung zwischen aktuellen Lebensumständen und historischer Sozialstruktur bietet. Das, so Mills, sei die Aufgabe und die „Verheißung“ der Soziologie. The Sociological Imagination (TSI) ist damit auch heute noch eine der wichtigsten Selbstkritiken der Soziologie. Wichtigste Aufgabe des Soziologen ist es, „private Sorgen in öffentliche Angelegenheiten zu übersetzen“ (translate private troubles into public issues).[18] „Soziologische Imagination ist der methodologische Zustand, in den es sich mithilfe von Theorie und einfallsreicher Empirie zu versetzen gilt, um Gesellschaft nicht nur zu erleiden, sondern ‚von unten‘ zu verändern. Soziologie muss es möglich machen, Probleme der eigenen Biographie als Produkte historischen Wandels und als Gelegenheiten zu gesellschaftlicher Aktivität zu begreifen.“[19] Die eigene Arbeitslosigkeit wird beispielsweise in Bezug gesetzt zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung des Landes.[20]

Die deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1963 gilt aufgrund von vielen den Sinn verfälschenden Textwiedergaben als „komplette(r) Fehlschlag“.[21]


Kritische Konflikttheorie

Mills vertrat die These, man könne eine „gute Gesellschaft“ („good society“) auf der Basis von Wissen schaffen und die gebildeten Menschen, die geistige Elite, sei verantwortlich für deren Ausbleiben.

Die „soziologische Vorstellungskraft“ kann mit Analysen auf einem Mikro- sowie einem Makroniveau die Karriere der verschiedenen Individuen miteinander in Beziehung setzen, was ein Verständnis sowohl ihrer Bedeutung für das Innenleben als auch für das Leben nach außen hin ermöglicht. Der einzelne Mensch kann seine eigene Erfahrung nur in vollem Umfang verstehen, wenn er sich in seinem historischen Zusammenhang verortet.

Der Schlüsselfaktor ist die Verbindung privater Fragen mit den öffentlichen: Die Verbindung der Probleme, die im nahen Umfeld des Individuums und innerhalb dessen Beziehungen auftreten, mit Vorgängen, die in Zusammenhang stehen mit den Institutionen einer als Ganzes geschichtlich beeinflussten Gesellschaft.

In einer modernen Gesellschaft ist die Zentralisierung der Macht auf nationaler Ebene eng mit den Menschen verbunden, die den Regierungen, den großen Konzernen, dem Militär und den Gewerkschaften vorstehen. Die den zentralen Machthabern zur Verfügung stehenden Mittel der Macht haben stark zugenommen. Die amerikanische Machtelite besteht aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führern. Der militärisch-industrielle Komplex, vor dem Eisenhower die Nation warnte, vermittelt ein deutliches Bild von der Verflechtung dieser Entscheidungsträger.

Mills teilt mit marxistisch beeinflussten Soziologen und Elitetheoretikern die Sicht, dass die Gesellschaft scharf vertikal gespalten ist zwischen denen, die mächtig sind, und denen ohne Macht und Einfluss. Er teilt auch die Sorge vor einer Entfremdung als Effekt sozialer Strukturen auf die Persönlichkeit des Einzelnen und die Sorge vor einer Manipulation der Menschen durch Massenmedien. Trotzdem sieht Mills in Besitz und wirtschaftlicher Macht nicht die Hauptquelle des Konflikts in der Gesellschaft.

Die Machtelite

In seinem elitesoziologischen Werk The Power Elite (1956), deutsch Die amerikanische Elite (1962) und Die Machtelite (2019) analysiert der US-amerikanische Soziologe C. Wright Mills die miteinander verflochtenen Machtstrukturen der dominierenden Sektoren Militär, Großunternehmen und Politik in den USA der Nachkriegszeit. Im Ergebnis erscheint der Normalbürger als relativ machtloses Objekt der Manipulation dieses Elitendreiecks. Die liberale Demokratie, die Bildung und die Medien folgen den Vorgaben der Eliten und verlieren dadurch ihren ursprünglichen Charakter. Mills Analyse ist zugleich ein Aufruf, die Verhältnisse durch Schaffung einer "kritischen Öffentlichkeit" zu verändern. Mills Werk ist ein Meilenstein der kritischen Elitesoziologie und ein Klassiker der Politischen Soziologie, der jedoch in Deutschland akademisch kaum rezipiert wurde.

Mills Untersuchung basiert auf der Soziologie von Max Weber (Machtbegriff) und Karl Marx (Entfremdungsbegriff) und führt die Elitesoziologie Paretos, Michels' und Moscas weiter.[1]

Das Buch ist Endstück der "Trilogie der Machtstrukturen", zu der The New Men of Power (1948) und White Collar von 1951 gehören.[2] Im letzteren Werk hatte er die damals wachsende Rolle der mittleren Führungskräfte in der amerikanischen Gesellschaft untersucht.

Eine wesentliche Inspiration für das Werk Mills war Franz Leopold Neumanns Untersuchung Behemoth: The Structure and Practice of National Socialism von 1942.[3] Neumann erklärte, wie der Nationalsozialismus in einem demokratischen Staat wie Deutschland die Macht übernehmen konnte:

Die Macht liegt in Deutschland bei Monopolkapitalisten, besonders in der Schwerindustrie, in der Nazi-Partei, der Staatsbürokratie und der Wehrmacht...von diesen vier Seiten aus fließen Interessen zu dem zentralen Ziel zusammen: ständige Vorbereitung und Aufrechterhaltung des imperialistischen Kriegs. Diese Interessen sind verankert in der gesamten Gesellschaftsstruktur, aber besonders in Gewalt und Produktion. Dies klar zu durchschauen bedeutet, die Struktur dieses Regimes als ganze Sache zu sehen, die als Behemoth bezeichnet wird.[4]

Mills äußerte, Behemoth habe ihm die "Werkzeuge zum Erfassen und Analysieren der Gesamtstruktur" gegeben "als Warnung davor, was in einer modernen kapitalistischen Demokratie geschehen könnte, wobei er besonders in den USA im Blick hatte:[5]

Die Analyse des Behemoth klärt über den Kapitalismus in Demokratien auf. Neumann hat damit einen Beitrag zu der wichtigsten Aufgabe der politischen Analyse geleistet. Wenn man sein Werk aufmerksam liest, sieht man die scharfen Umrisse zukünftiger Möglichkeiten in seiner unmittelbaren Umgebung.[6]

Zusammenfassung

Die Joint Chiefs of Staff, 1949, stellen vier der sechs Herrschaftseliten dar, die Mills herausarbeitete.

Laut Mills sind "Machteliten" Gruppen von Menschen, die in dominierenden militärischen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen eines dominanten Landes die dominanten Positionen einnehmen. Ihre Entscheidungen (oder fehlende Entscheidungen) haben enorme Konsequenzen, nicht nur für die US-Bevölkerung, sondern auch für "die untergeordneten Bevölkerungen der Welt". Die Institutionen, denen sie vorstehen, so Mills, sind ein Triumvirat von Gruppen, die ihre schwächeren Vorgänger abgelöst haben:

(1) "zwei- oder dreihundert gewaltige Konzerne", die die traditionelle Agrar- und Handwerkswirtschaft abgelöst haben,

(2) eine starke föderale politische Ordnung, die die Macht von "einer dezentralisierten Gruppe von mehreren Dutzend Staaten" geerbt hat und "jetzt in jeden einzelnen Winkel der sozialen Struktur eindringt", und

(3) das militärische Establishment, früher ein Objekt des "Misstrauens, das von der staatlichen Miliz genährt wurde", jetzt aber ein Gebilde mit "all der düsteren und ungeschickten Effizienz eines sich ausbreitenden bürokratischen Bereichs".

"Im Gegensatz zu modernen amerikanischen Verschwörungstheorien erklärt Mills, dass sich die Elite selbst ihres Status als Elite möglicherweise nicht bewusst ist, und bemerkt, dass "sie ihrer Rolle oft unsicher sind" und "ohne bewusste Anstrengung das Bestreben auf sich nehmen, ... Der Unentschiedene zu sein".

Dennoch sieht er sie als eine quasi erbliche Kaste. Die Angehörigen der Machtelite, so Mills, nehmen oft durch Ausbildungen an Universitäten wie Harvard, Princeton und Yale Positionen von gesellschaftlicher Bedeutung ein. Aber, so Mills, "Harvard oder Yale oder Princeton sind nicht genug ... es geht nicht um Harvard, sondern um welches Harvard? Mills unterscheidet zwei Klassen von Ivy-League-Absolventen: diejenigen, die in eine hochrangige Burschenschaft oder einen Final Club wie den Porcellian und den Fly Club aufgenommen wurden, und diejenigen, die es nicht sind. Die so eingeweihten, so Mills, erhalten ihre Einladungen auf der Grundlage sozialer Verbindungen, die zunächst in privaten Elite-Vorbereitungsakademien aufgebaut wurden, wo sie als Teil der auf Vorkriegszeiten zurückgehenden Familientradition eingeschrieben sind. Auf diese Weise wird die Zugehörigkeit zur Elite in der Familie weitergegeben.

Historisch prominente Familien wie die Kennedy-Familie bilden die "Metropolitan 400". Hier sind Rose und Joseph Kennedy im Jahr 1940 abgebildet.

Die so entstehenden Eliten, die die drei dominanten Institutionen (Militär, Wirtschaft und politisches System) kontrollieren, können laut Mills im Allgemeinen einem von sechs Typen zugeordnet werden:

  • die "Metropolitan 400" – Mitglieder historisch bemerkenswerter lokaler Familien in den wichtigsten amerikanischen Städten, die im Allgemeinen im Sozialregister vertreten sind

  • "Prominente" – Entertainer und Medienpersönlichkeiten

  • die "Chief Executives" – Präsidenten und CEOs der wichtigsten Unternehmen in jedem Industriesektor

  • die "Unternehmerelite – Großgrundbesitzer und Unternehmensaktionäre

  • die "Warlords" – hochrangige Militäroffiziere, vor allem die Generalstabschefs

  • das "Politische Direktorium" – "rund fünfzig Männer der Exekutive" der US-Bundesregierung, einschließlich der Führungsspitze im Exekutivbüro des Präsidenten, die sich zuweilen aus gewählten Funktionären der Demokratischen und Republikanischen Parteien zusammensetzen, in der Regel aber aus professionellen Regierungsbeamten.

Mills formulierte eine sehr kurze Zusammenfassung seines Buches: "Wer regiert schliesslich Amerika? Niemand regiert es insgesamt, sondern, soweit es irgendeine Gruppe tut, die Machtelite".

Weitere Entwicklung der Theorie im Werk Mills'

C. Wright Mills arbeitete an der Erweiterung seiner Elitentheorie. In The Sociological Imagination stellte er fest, die Probleme der westlichen Länder seien fast unvermeidlich auch Probleme der Welt. Zum ersten Mal in der Geschichte und typisch für die Gegenwart seien die Wechselwirkungen der Gesellschaftsformen. In The Causes of World War III schrieb Mills, Imperialismus schließe die Wechselwirkung ökonomischer, politischer und militärischer Institutionen und Menschen ein...Das internationale System der heutigen Welt könne nicht ohne die veränderten Formen dieses Wechselspiels verstanden werden.

Rezeption und Wirkungsgeschichte

Der Ausdruck "Machtelite" geht hauptsächlich auf das Werk Mills' zurück.

Das Werk von Mills wurde von den Vertretern der Funktionstheorie der Eliten kritisiert, die mehrheitlich eine positive Funktion der Eliten für die Stabilität der Demokratie sehen und basisdemokratische Modelle ablehnen. Eine ähnliche kritische Theorie der Eliten entwickelte Pierre Bourdieu zum Teil unter Bezugnahme auf Mills mit seinen Theorien des sozialen Raums und des sozialen Feldes.[7]

Die Warnung des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede vom 17. Januar 1961vor den Verflechtungen und Einflüssen des "militärisch-industriellen Komplexes" in den USA geht dem Sinn nach auf Mills zurück.

Arthur M. Schlesinger, Jr. äußerte spöttisch, er freue sich auf die Zeit, in der Mills seinen Prophetenmantel ablege und wieder als Soziologe arbeite.[8]

Adolf Berle stellte fest das Buch enthalte "ein unangenehmens Maß an Wahrheit", aber Mills habe "einen aggressiven Comic, kein ernsthaftes Bild" präsentiert.[8] Dennis Wrong beschrieb The Power Elite as "eine unpassende Mischung von Journalismus, Soziologie und moralischer Entrüstung".[9]

Die Rezension im Louisiana Law Review beklagte, die Gefahr der pessimistischen Interpretation der gegenwärtigen Lage sei, dass der Leser sich auf die vorurteilsbehafteten Behauptungen konzentrieren würde, anstatt die Ergebnisse seiner wirklich eindrucksvollen Forschung zu bedenken.[10]

Dennoch ist die Beurteilung des Buches im Laufe der Zeit etwas günstiger geworden. Im Jahr 2006 schrieb G. William Domhoff: "Mills sieht noch besser aus als vor 50 Jahren". Mills' Biograf, John Summers, räumte ein, dass die Machtelite "anfällig für den Vorwurf der Verschwörungsstrategie" sei, erklärte aber, dass ihr historischer Wert "gesichert scheint".

In seiner Dissertation setzt Muhamad A. Asadi das Werk Mills fort, indem er die Machtelite in der globalisierten Welt analysiert – im Gegensatz zu Immanuel Wallersteins Weltsystem-Theorie. Ein militarisiertes globales System in der Dritten Welt, wie es Asadi annimmt, kann seiner Meinung nach nicht nur ökonomisch erklärt werden. Globale Institutionen wie WTO, OECD, IMF und Weltbank, UN und NATO seien entscheidende Machtfaktoren im Wechselspiel der internationalen Eliten der verschiedenen Länder. Dieses sei durch "Kommandostaaten" dominiert. Die Kriegswirtschaft der USA sei dabei entscheidend für eine keynesianischen Stabilisierung bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Akkumulation. Er bezeichnet Länder als "militarisierte Staaten", deren wirtschaftliches Wachstum das von den Kommandostaaten geführte Weltsystem stabilisiere (Im Unterschied zu Wallersteins Core-Theorem, das aber neben der Finanz- und Handelsdominanz auch militärische und politische Dominanz umfasst), so wie die Militärausgaben in den USA die US-Wirtschaft stabilisieren. Militarisierung und Kriege würden daher von den "Kommandostaaten" gefördert und von ihnen erleichtert, genau wie von Mills in The Causes of World War Three (1958) beschrieben. Die permanente gesteigerte Kriegsvorbereitung führe letztlich notwendig zu Kriegen.[11]

David Rothkopf knüpft an Mills' Werk an. Er schätzt die "globale Machtelite", die er in seinem gleichnamigen Buch "Super-Klasse" nennt, auf 6000 Menschen, für die er eine Liste entwickelt. Etwa 50 Jahre nach Mills erweitert er dessen Ansatz um die globale Dimension. Er warnt, dass die "Vordenker der Weltpolitik" zwar auch Gutes bewirkten, sie seien aber nicht dafür geeignet, "… über das weltweite öffentliche Interesse zu wachen. Das hieße den Bock zum Gärtner zu machen."[12]


C. Wright Mills: Sociological Imagination and the Power Elite


Soziologische Klassiker/ Mills, C. Wright


Theoriegeschichtlicher Kontext

- Bereits in seiner Studienzeit an der University of Texas lernt Mills Karl Marx, in Seminaren von Edward Everett Hale, kennen und wird von Marx auch in weiterer Folge beeinflusst und geprägt. Zu jener Zeit wurde der Marxismus von vielen amerikanischen Soziologen ignoriert oder vernachlässigt, jedoch Mills war einer der wenigen, die sich bemühten den Marxismus und seine soziologischen Theorien am Leben zu halten. Allerdings las Mills erst Mitte der 50ziger Jahre Karl Marx, denn er konnte kein Deutsch und war somit auf sehr wenige englische Übersetzungen angewiesen. Mills selbst war kein Marxist. Während der Arbeit an seinem letzten Buch „The Marxist“ schrieb er; …..“ich war niemals so richtig emotional in den Marxismus oder Kommunismus involviert, habe also niemals dazu gehört, dennoch kenne ich das Zeug ziemlich gut. Aber abgesehen davon finde ich, dass ich auf seltsame Weise aufgeregt werde, wenn ich an diesen Dingen arbeite".

- Eine andere prägende Person für Mills war Max Weber, der einen überaus großen Einfluss auf ihn hatte. Mills und Hans Gerth veröffentlichten 1946 das Buch "From Max Weber: Essay in sociology", wo sie Arbeiten von Max Weber übersetzten. In späterer Folge ist in fast allen Schriften von Mills, ein Einfluss von Max Weber zu erkennen. Diese Beiden, Karl Marx und Max Weber, bezeichnete Mills auch als Helden.

- Durch die Kollaboration mit Hans Gerth, in der Mills viel über die neuen Mittelschichten im Deutschland der Weimarer Zeit, über ihre Orientierungslosigkeit bis hin zur Anfälligkeit für den Nationalsozialismus erfuhr, wurde sein Interesse an der deutschen Soziologie geweckt. Hans Gerth war für den jungen und wissbegierigen Mills so etwas wie eine wandelnde Bibliothek. Die engere Zusammenarbeit mit Gerth begann 1940/41 mit einem großen Projekt und zwar mit der Übersetzung der wichtigsten Texte Max Webers ins Englische, verbunden mit einer Umfangreichen Einführung. Die Arbeitsteilung bei der Übersetzung war von vornherein klar; Gerth übersetzte aus dem Deutschen, während Mills die Rohübersetzung in ein geschliffenes amerikanisches Englisch brachte.

- Zu anderen Zeitgenössischen Soziologen, wie Talcott Parson, Paul F. Lazersfeld oder Robert K. Merton, die damals die amerikanische Soziologie dominierten, hatte Mills teilweise eine sehr kritische Haltung. Persönlich wie intellektuell blieb Mills immer ein Außenseiter und er war sich dieser Tatsache auch bewusst.

- Prägend für seine soziologische, wie politische Haltung waren sicher auch seine vielen und ausgedehnten Reisen durch Europa und Lateinamerika, wo er eine etwas differenziertere Haltung gegenüber der amerikanischen Gesellschaft annahm.

Werke

  • Gerth, Hans (translator), Mills, C. Wright (editor)

  • 1946 From Max Weber / Essays in Sociology

Mills, C. Wright

  • 1948 The New Men of Power / America´s Labor Leaders

Mills, C. Wright

  • 1951 White Collar / The American Middle Classes

Gerth, Hans & Mills, C. Wright

  • 1953 Character and Social Structure / The Psyhology of Social Institutions

Mills, C. Wright

  • 1956 The Power Elite

Mills, C. Wright

  • 1958 The Causes of World War Three

Mills, C. Wright

  • 1959 The Sociological Imagination

Mills, C. Wright

  • 1960 Listen Yankee / The Revolution in Cuba

Mills, C. Wright

  • 1962 The Marxists

POSTHUMMills, C. Wright

  • 1967 Power, Politics & People / The Collected Essay of C. Wright Mills

Kathryn & Pamela Mills (Töchter von Mills)

  • 2000 C. Wright Mills / Letters and Autobiographical Writings


Das Werk in Themen und Thesen

Mills soziologisches Credo lautete; der Sozialwissenschafter ist dazu da, private Sorgen in öffentliche Angelegenheiten zu übersetzen. Besonders Der Zweite Weltkrieg hat für Mills gezeigt, welches Ausmaß private Sorgen erreichen können. Neben den üblichen privaten Problemen eines jeden (in denen sich der Gegenstand der Soziologie versteckt), wären also auch jene besonderen privaten Probleme zu betrachten, welche den Sozialwissenschaftler befallen, wenn er die akademischen Grenzen verlässt und politisch wird. Mit dem Buch „The Power Elite“ hat Mills diese Grenze überschritten und zugleich einen Nerv des massenkulturellen Bewusstseins berührt. Mills orientiert sich in diesem Buch auch ein wenig an Thorstein Velben, einem anderen „Maverick“ der Soziologie, der Ende des 19. Jahrhunderts eine vita experimentalis führte und daraus Einsichten über die soziale Rolle der Reichen, über das soziologische Handwerk, über Macht und Herrschaft jenseits des Vorstellungsvermögens von Universitätsgelehrten, gewinnen konnte.

In „The Power Elite“ beschreibt Mills wie F. D. Roosevelts Reformen und Planungsanstrengungen des Zweiten Weltkriegs, das traditionelle Etablishment durcheinander gewirbelt hatten. Er zeigt, wie die Reichen und Superreichen es lernten, in dieser neuen Welt der Massenmedien, des Aktieneigentums, der Werbung, des Massenkonsums sowie eines wachsenden Selbstbewusstseins der Mittelschichten, ihren Einfluss zu bewahren und zu mehren. Aber der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Umbau der US-Gesellschaft brachte auch neue Formen der Macht und neue Privilegienstrukturen hervor, verkörpert durch eine noch weitgehend gesichtslose Konzern-Elite, die teilweise mit der traditionellen Geldelite zu einer neuen „upper class“ verschmolz. Der reorganisierte Reichtum, so Mills, erlaubte es, Einflussimpulse über das gesamte politische System in streng hierarchisch-autoritärer Manier zu verteilen und zudem die Exekutivmacht allmählich einem der Parteiendemokratie entrückten politischen Direktorat zuzuschanzen. Für Mills waren die drei Schlüsselpositionen dieser modernen Gesellschaft; Wirtschaft – Regierung – Militär, die ausschließlich von amerikanischen Eliten besetzt waren. Diese elitäre Führungsmacht wird von Generation zu Generation weiter gegeben und die Konzentration von Geldmacht hat, parallel zur Konzentration in der Wirtschaft, weiter zugenommen.

Ein weiteres wichtiges Werk von Mills war „The White Collar“, wo er die Formel für eine zentrale Sozialkategorie der Dienstleistungsgesellschaft in die Welt setzte. Eingangs beschäftigt sich Mills in dem Buch mit den alten Mittelschichten, denen die scheinbare Sicherheit ihrer Eigentumsverhältnisse und Überzeugungen mit dem Siegeszug der Shareholder Wirtschaft abhanden kommt. Die Welt der Unternehmen aber wandelt sich. Dadurch verändern sich auch die Arbeitsstrukturen und Berufsprofile und es entstehen neue Hierarchien, in denen Autorität gefiltert und als funktionale Macht im Top-Management verankert wird. Die herkömmlichen freien Berufe verfangen sich im Geflecht der Großorganisationen und der Bedarf an Experten für Organisation und Informationsverarbeitung sowie für Marketing und Verkauf wächst enorm. Die neue Machtpyramide beschert den Arbeiter und Angestellten auch neue Lebensstile und Lebensmilieus. In denselben Büros sieht man einerseits Aufsteiger, die in den oberen Etagen sitzen und andererseits fröhliche Roboter, die in den unteren Etagen sind. Mit der Automatisierung von Büros und der Arbeitsteilung werden Jobs zur reinen Routine, wobei intellektuelle Kapazitäten verloren gehen und nur mehr das leitende Personal das Attribut der Jobautonomie besitzt. Auch die Einkommensschere, von Managern und Angestellten geht immer weiter auseinander, was zu sozialen Konflikten führt.

Das Buch „The Sociological Imagination“ nimmt eine absolute Sonderstellung in der sozialwissenschaftlichen Fachliteratur ein und steht hinter Max Webers „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf Platz 2 einer Liste der einflussreichsten soziologischen Werke der "International Sociological Association". Damit liegt das Buch noch vor soziologischen Klassikern, wie etwa Robert K. Mertons „Social Theory and Social Structure“ oder Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns „The Social Construction of Reality“. C. Wright Mills prägte in diesem Buch den Ausdruck der „sozialen Phantasie“ und meinte damit, dass viele Aspekte unseres privaten Lebens, von Kräften beeinflusst werden, auf die wir keinen Einfluss haben. Dazu gehören auch die Verhältnisse bei unserer Geburt, wie alt unsere Eltern sind, wie viele Geschwister wir haben und mit wie vielen anderen Individuen des gleichen Alters wir in der Schule und dann am Arbeitsplatz konkurrieren werden, ja, ob wir überhaupt geboren werden. Gemeint ist damit, dass wir unsere Erfahrungen im Kontext unserer Ereignisse in unserer sozialen Umwelt erleben und wir strukturelle Zusammenhänge und Muster wahrnehmen, die sich unserer individuellen Erfahrung alleine nicht erschließen. Soziologische Imagination ist der methodologische Zustand, in den es sich mit Hilfe von Theorie und einfallsreicher Empirie zu versetzen gilt, um Gesellschaft nicht nur zu erleiden, sondern von unten zu verändern. Soziologie muss es möglich machen, Probleme der eigenen Biographie als Produkte historischen Wandels und als Gelegenheiten zu gesellschaftlicher Aktivität zu begreifen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist kein intellektueller Aufwand zu groß und die Strukturen historischen Wandels müssen erforscht, die eigenen und die Erfahrungen anderer ausgewertet, die Daten und Tatsachen des Gesellschaftsprozesses gesammelt und interpretiert werden. „The Sociological Imagination“ ist auch eine Demonstration des Umgangs mit den Möglichkeiten der Theorietraditionen der Soziologie, wenngleich hier der Gestus des Suchenden und des pragmatisch Experimentierenden dominiert, dem Mills bis hin zu seinem letzten Werk, "The Marxists", treu geblieben ist. TSI von Mills ist im deutschsprachigen Raum großteils vernachlässigt worden, da es den einen zu wenig wissenschaftlich, den anderen zuwenig marxistisch war. Auch war die deutsche Übersetzung nicht sonderlich gelückt.

In den Jahren 1948 bis 1960 brachte Mills einige soziologische Werke heraus, in denen er die US-amerikanische Gesellschaftsordnung kritisierte. Besonders hervorzuheben sind hier die Werke „The Power Elite“, „The Causes of World War Three“ und „Listen Yankee“. Mills wandte sich vor allem gegen die Monopolisierung und Technisierung der Gesellschaft, die immer weniger Raum für demokratische Mitbestimmung zu lassen schien. In seinen Untersuchungen darüber, wie eine funktionierende Demokratie aussehen soll, führte Mills das Begriffspaar „public“ und „mass“ ein. Als „public“ beschreibt er die Öffentlichkeit, die aus der Interaktion von Menschen entsteht, die in der Demokratie in der Funktion von Parlamenten gipfelt. Im Gegensatz dazu stellt der Begriff „mass“ eine Öffentlichkeit dar, die von wenigen dominiert wird, und zum Verlust der geistigen und politischen Unabhängigkeit der Mehrheit der Menschen führt. Mills sah die US-amerikanische Gesellschaft zunehmend als eine "Mass Society" an, in der es eine wirkliche Demokratie nicht geben kann.

Rezeption und Wirkung

C. Wright Mills hat in den 50er und 60er Jahren auch in Europa viele Soziologen prägend beeinflusst. Seit ein paar Jahren erleben seine Werke eine Renaissance. Weiteres Aufsehen erregten, im Jahr 2000, die von Mills Töchtern Kathryn und Pamela Mills herausgegebenen nachgelassenen Briefe und autobiographischen Aufzeichnungen, die sie in dem Buch „C. Wright Mills: Letters and Autobiographical Writings“ veröffentlichten. In vielen amerikanischen Zeitungen, von der „New York Times“ bis zu „New Left Review“ ist eine neue Welle der Mills–Rezeption und Diskussion zu beobachten.


The Sociological Imagination

The Sociological Imagination ist eine Monografie von C. Wright Mills, die 1959 in New York erschien und 1963 in deutscher Übersetzung als Kritik der soziologischen Denkweise herauskam. Die Neuübersetzung von 2016 trägt den Titel Soziologische Phantasie. Mills verbindet in seinem soziologischen Vermächtnis[1] die radikale Kritik an der amerikanischen Nachkriegssoziologie mit dem Entwurf einer kritischen und radikaldemokratischen Prägung des Faches. Es zählt zu den einflussreichsten Klassikern der Soziologie. Inhaltsverzeichnis Das Buch hat zehn Kapitel und den Anhang On Intellectual Craftmanship (deutsch: Zum intellektuellen Handwerk). Im ersten Kapitel plädiert Mills dafür, den soziologischen Blick zu schärfen und soziologische Phantasie zu entwickeln. Die ermögliche es, die eigene Biographie im Zusammenhang der gesellschaftlichen Bedingungen zu erkennen, Gesellschaft nicht nur zu erleiden, sondern sie von unten zu verändern. Die dann folgenden vier Kapitel enthalten eine radikale Kritik der amerikanischen Nachkriegssoziologie. Mills bemängelt die indifferente Haltung seiner Fachkollegen gegenüber gesellschaftspolitischen Problemen und kritisiert, dass sie sich im Rahmen von Arbeitsteilung und akademischer Spezialisierung mehrheitlich in Verwaltungsmenschen und Wissenschaftsbürokraten (cheerful robots) verwandelt hätten. Während „Große Theorie“ (Beispiel: Talcott Parsons) mit Begriffen operiere, die empirisch kaum zu verifizieren sind, verfalle die „geistlose Empirie“ (Beispiel: Paul Felix Lazarsfeld) in das andere Extrem, in den Glauben, Datenmaterial sammeln zu können, ohne theoretische Anstrengungen zu leisten. Auch Marxismus oder Liberalismus seien nicht mehr in der Lage, moderne gesellschaftliche Bedingungen auf den Begriff zu bringen. Zudem sei im Fach eine Verschiebung der Auftragsvergabe von öffentlichen Institutionen hin zu privaten Kunden (shift from public to client) erkennbar, was die demokratische Kontrolle schwieriger macht. In den nächsten fünf Kapiteln skizziert Mills die Grundzüge einer alternativen und radikaldemokratischen Soziologie und schließt damit an die klassischen Traditionen des Fachs an, denn bei den Klassikern hätten Theorie und Empirie in einem angemessen Verhältnis zueinander gestanden. Eine solche kritische Soziologie dürfe außerdem nicht auf die historische Dimension verzichten. Erst das Studium der Geschichte gemeinsam mit dem soziologischen Vergleich ermögliche die Erkenntnis, wie demokratische Entwicklungen möglich geworden sind. Im Anhang verweist Mills auf den Zusammenhang von kritischer Soziologie und Methode, betreibt aber in erster Linie Sprachkritik. Er empfiehlt, sich vom Theorie-Ballast und vom Soziologen-Jargon nicht blenden zu lassen und eine Sprache zu verwenden, die der eigenen soziologischen Vorstellungskraft und Phantasie angemessen ist. Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten] Bei einer weltweiten Mitgliederbefragung der International Sociological Association nach den einflussreichsten Fachpublikationen des Jahrhunderts kam The Sociological Imagination 1997 nach Max Webers Wirtschaft und Gesellschaft auf den zweiten Platz.[2] Obwohl das Buch damit eine absolute Sonderstellung einnahm, ist es laut Hans Jürgen Krysmanski im deutschsprachigen Raum sträflich vernachlässigt worden, was nicht nur mit der verunglückten (ersten) deutschen Übersetzung zu tun gehabt habe: Den einen sei es nicht wissenschaftlich genug erschienen, den anderen nicht marxistisch genug. Die Kritik an der großen systemtheoretischen Theorie Parsons sei zu einem Zeitpunkt in Deutschland publiziert worden, als mit den Arbeiten Niklas Luhmanns „der grosse systemtheoretische Schleier sich über die deutsche Soziologie legte.“[3][4] Stephan Lessenich schreibt in seinem Vorwort zur zweiten deutschen Übersetzung, Mills habe sich wie kein zweiter Soziologe des 20. Jahrhunderts um die zugleich kritische wie auch öffentliche Soziologie verdient gemacht; The Sociological Imagination sei ein beeindruckender Beweis dafür.[5] Für Andreas Hess haben vor allem die Sprachkritik und die Anwendung soziologischer Kritik auf das Fach selbst das Buch zu einem Klassiker werden lassen.[6]

by S Lessenich · Cited by 5 — Wie gesagt: Mills war ein großer, großartiger Soziologe. C. Wright Mills hat nicht wenige wichtige soziologische Werke verfasst.


Akademischer Aussenseiter und enfant terrible Charles Wright Mills: Porträt eines marxistisch orientierten Soziologen

Charles Wright Mills (1916-1962) war ein kritischer, marxistisch orientierter US-Soziologe aus Texas2.


In Gewerkschaftliche Monatshefte 2/1956 besprach ein kundiger Jungwissenschaftler (der als Erwin K. Scheuch [1928-2003] bald Karriere machen sollte) das Buch. Und begrüsste dessen "Soziologie der heutigen USA" als "beispielhafte Darstellung einer hochkapitalistischen Gesellschaft mit dem Konkurrenzkampf zwischen Grossunternehmen und Verbraucherschaft", bei dem sich der "kleine Unternehmer" in einem "hoffnungslosen Rückzugsgefecht gegen die Mammutgebilde der Industrie und des Handels" befinde und der "Verfall des alten Mittelstandes unaufhaltsam" werde.8


Menschen im Büro veranschauliche allgegenwärtige Nivellisierung und Schablonierung durch wirtschaftlich gefertigte Uniformen und Masken für Angestellte, etwa bei Warenhausverkäuferinnen. Auch Bürokräfte würden durch Bewegungsstudien rationalisiert: "Für jeden wird eine unauffällige Zwangsjacke geschneidert, und zugleich kommt noch dazu die immer wechselnde Zwangsjacke der Mode, um dem Motor der Wirtschaft stets neue Antriebe zu geben. Auch das geistige Leben wird bürokratisiert, die Intellektuellen werden zu Marionetten oder zum Sprachrohr wichtiger Auftraggeber. An die Stelle persönlicher Bindungen tritt das Unpersönliche, die Anonymität. Zur Selbstentfremdung gesellt sich die gegenseite Entfremdung, ´weil jeder heimlich versucht, den anderen als Werkzeug zu benutzen´." Und im Ausblick erwähnt E.Sch. auch CWMs Hinweis auf die jedem "totalitären Monopolkapitalismus" innewohnende Tendenz als Möglichkeit eines staatlichen Faschismus ohne Massenbewegung, der sich nicht auf "Gewalt, sondern auf die Passivität" und politische Apathie auch vieler white collars stütze.

Nazi Behemoth

CWMs Besprechung des 1942 ersterschienenen Buchs Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism9 des deutschen politischen Exulanten Franz Leopold Neumann (1900-1954) zur Tranformation eines alttestamenatarisch beschriebenen menschlichen Naturzustand in den seit 1933 von Willkür und Terror bestimmten totalitären Staat des faschistischen Nationalsozialismus erschien in der literarisch-politischen Zeitschrift Partisan Review.10 CWM erkennt und begrüsst diese erste politikwissenschaftliche Strukturanalyse des Dritten Reiches11, die über die deutsche Entwicklung des Nazi Behemoth in den 1930 Jahren hinaus auch allgemeine Grundzüge des seit Ende des 19. Jahrhunderts mit der imperialistischen Epoche entstandenen Monopolkapitalismus und seiner Machttriade Grossindustrie, Staatsbürokratie, bewaffnete Streitkräfte aufweist:


"The analysis of Behemoth casts light upon capitalism in democracies. To the most important task of political analysis Neumann has contributed: if you read his book thoroughly, you see the harsh outlines of possible futures close around you. With leftwing thought confused and split and dribbling trivialities, he locates the enemy with a 500 watt glare. And Nazi is only one of his names. Not only does acceptance or rejection of Neumann's analysis set the type of understanding we have of Germany, it sets our attitude toward given elements in other countries, sights the act of our allegiance, places limits upon our political aspirations: helps us locate the enemy all over the world. That is why Franz Neumann's book is not only the most important to appear about Germany; it is a live contribution to all leftwing thinking today. His book will move all of us into deper levels of analysis and stragegy. It had better. Behemoth is everywhere united."

Kulturapparat

"The first rule for understanding the human condition is that men live in second-hand worlds: they are aware of much more than they have personally experienced; and their own experience is always indirect. No man stands alone directly confronting a world of solid facts. No such world is available. The closest men come to it is when they are infants or when they become insane: then, in a terrifying scene of meaningless events and senseless confusion, they are often seized with the panic of near-total insecurity. But in their everyday lives the experience of men is itself selected by stereotyped meanings and shaped by ready-made interpretations. Their images of the world, and of themselves, are given to them by crowds of witnesses they have never met and never will meet."


Mit diesem methodisch grundlegendem Hinweis auf Zweite-Hand-Welten beginnt CWMs letzter grosser Essay The Cultural Apparatus. Der aspekthaft an Erfahrungen der (von Bert Brecht ironisch genannten) Frankfurtisten im US-amerikanischen Exil und dortiger Kulturindustrie erinnert.12 CWMs Leitthese von der vertikalen Polarisierung der Kulturarbeiterszene in wenige Stars oben und viele Tagelöhner unten verweist auf das den entwickelten Kulturapparat steuernde Monopolkapital:


"There is increasing bureaucracy but also there is the frenzy for new fashions; and in this situation, the cultural workman tends to become either a commercial hack or a commercial star. By The Star, I refer to a person whose productions are so much in demand that, to some extent at least, he is able to use distributors as his adjuncts. This role has its own conditions and its own perils: The Star tends to be culturally trapped by his own success [...] As a leader of fashions he is himself subject to fashion. Moreover, his success as a star depends upon his “playing the market”: he is not in any educative interplay with publics that support him as he develops and which he in turn cultivates. By virtue of his success, The Star too becomes a marketeer. Some cultural workmen do remain independent. Perhaps three to four men actually earn a living in the fabulously wealthy United States merely by composing serious music; perhaps twenty-five or so, if we relax our standards a little, merely by writing serious novels. But generally the star system tends to kill off the chance of the cultural workman to be a worthy and independent craftsman. One is a smash-hit or one is among the hacks and the failures; one is either absolutely tops or one is just nothing at all."13

Über intellektuelles Können14

Es wäre vermessen, eine abschliessende Würdigung dieses method(olog)isch ausgreifenden Textes zu versuchen. Hier nur vier Hinweise: 1991 wurde an CWM wie selbstverständlich produktiv angeschlossen. 2005 an CWM fachlich kontextual erinnert. Und 2016 machten sowohl der damalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit der Parole Soziologie als ´Kampfsport´ plakativ Reklame für seine CWM-Herausgabe als auch ein kundiger emeritierter Soziologe in seinen Memoiren auf C. Wright Mills treffend aufmerksam:


"I shall try to give an idea of and will argue for a prospective sociology of the future. I shall also present arguments for new sociological thinking – a sort of widened ´sociological imagination´ (C. W. Mills) which might enable social figures like sociologists and social scientists in general to work out a new paradigm: the Utopian one. The Utopian Paradigm has, in fact, to do with the future foreshadowing the present. Whether the new paradigm [...] will recapture the obvious loss of societal relevancy of professional sociology or not will, of course, be not only a scholarly question but above all an eminently practical problem."15


"Die Millssche Methodologie für Ausflüge in das Milieu der Machteliten lässt sich im berühmten Anhang zu The Sociological Imagination unter dem Titel On Intellectual Craftsmanship nachlesen. Unter anderem geht es dort darum, dass der Sozialforscher in den Allegorien, in den versteckten Bedeutungen der Massenkultur, über welche sich ökonomische und politische Macht gesamtgesellschaftlich realisiert, die Materialien, Informationen und Spuren seiner Objekte und Subjekte aus den höheren Regionen findet. Deshalb, so Mills, gehören die Yellow Press, [...] Pulp Fiction, Skandalberichte und Klatsch zu den Quellen der Erkenntnis."16


"Mills sass zwischen allen Stühlen - oder setzte sich genussvoll genau dorthin: Er kritisierte die reinen Theoretiker nicht minder scharf als die blossen Empiriker seiner Profession, die "Meisterdenker" ebenso wie die "Erbsenzähler" - und macht sich damit die einen wie die anderen zu Feinden [...] Man mag auch sagen, dass diese Kritik arrogant war. Sicher war sie in Teilen überzogen oder wenigstens zugespitzt. Aber sie traf doch auch einen richtigen Punkt: Dass Theorie häufig ohne empirische Bodenhaftung betrieben wurde und Empirie ebenso häufig ohne theoretischen Anspruch."17


"Ich muss gestehen, dass ich die wissenschaftliche Seite des C. Wright Mills sehr schätzte, nicht nur seine empirischen Studien über White Collar und The Power Elite, sondern auch und vor allem The Sociological Imagination. In dieser (Selbst-) Kritik der soziologischen Denkweise ging es ihm um den Stil des soziologischen Forschens jenseits von geistlosem Empirismus und abstrakter Theorie, in dem die aktuelle Lebenssituation immer eine Verbindung mit der historisch geprägten Sozialstruktur eingehen müsse, die für ihn wiederum von Macht und Elitenbildung geprägt war. Für Mills stand fest, worum es den Sozialwissenschaften gehen müsse: ´Sie sind Versuche, um Biografie und Geschichte und die Verbindungen zwischen den beiden in der Gestalt von verschiedenen sozialen Strukturen zu verstehen.´“18



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