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Spaniens beliebteste Politikerin ist Kommunistin: Yolanda Díaz könnte bald Regierungschefin werden

Jacobin: Yolanda ist mit der Arbeiterbewegung aufgewachsen. Ihr Vater war eine führende Persönlichkeit in der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO). Daher war sie schon früh in sozialen und politischen Bewegungen aktiv, bevor sie als Anwältin für Arbeitsrecht tätig wurde. Mit diesem Hintergrund hat sie nicht nur ein ausgeprägtes Gespür für die Identität der Arbeiterklasse, sondern verfügt auch über umfangreiche berufliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und weiß, welche fundamentale Rolle diese in der Gesellschaft spielen können. Sumar eine ungewöhnliche linke Plattform zu sein, da sie aus der Regierung heraus aufgebaut wird. Bei Sumar als politischem Projekt geht es nicht darum, den politischen Diskurs zu mäßigen oder auf Prinzipien zu pfeifen. Es geht vielmehr darum, die Reichweite der Linken zu erweitern, um ein mehrheitsfähiges Projekt zu formen, das das politische Kräfteverhältnis in diesem Land wirklich verändern kann. Wir wollen nicht nur die Stimmen derjenigen gewinnen, die das derzeitige System explizit in Frage stellen, sondern auch die derjenigen, die von der neoliberalen Politik benachteiligt wurden oder jetzt erkennen, dass wir gut finanzierte öffentliche Dienstleistungen und einen starken Sozialstaat brauchen. Auf der Kundgebung zur Bekanntgabe von Díaz’ Kandidatur Anfang des Monats waren Vertreterinnen und Vertreter von fünfzehn Parteien sowie die Vorsitzenden der Partei der Europäischen Linken (PEL) und der Europäischen Grünen anwesend. Der Weg zur Einigung dieses breiten politischen Spektrums führt über das politische Programm der Plattform. Bei Sumar geht es im Wesentlichen darum, ein Projekt für ein neues Land zu formulieren. Dafür werden zahlreiche Vorschläge von Parteien, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen eingebracht. Und natürlich wird das Projekt auch unsere Erfahrungen im Regierungsamt widerspiegeln und darauf aufbauen.

Yolanda Díaz ist Kommunistin – und könnte Spaniens neue Regierungschefin werden Spaniens Arbeitsministerin Yolanda Díaz ist mit ihrem Einsatz für die Interessen der Beschäftigten zur beliebtesten Politikerin des Landes avanciert. Mit ihrer Wahlplattform Sumar will sie ihre Popularität nutzen, um die spanische Linke wiederzubeleben.


Interview mit Enrique Santiagogeführt von Eoghan Gilmartin Übersetzung von Tim Steins Ich will die erste weibliche Ministerpräsidentin dieses Landes werden«, erklärte Yolanda Díaz am 2. April, als sie ihre Kandidatur für das neue Linksbündnis Sumar bekanntgab. Seitdem sie im April 2021 das Amt als stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens von Podemos-Gründer Pablo Iglesias übernommen hat, ist Díaz in Umfragen immer wieder als beliebteste Politikerin des Landes genannt worden – und sie übertraf dabei regelmäßig Regierungschef Pedro Sánchez von der sozialdemokratischen PSOE.

Díaz ist Arbeitsrechtsanwältin aus Galizien und Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Bevor sie im Januar 2020 ihr Amt als Ministerin antrat, war sie auf nationaler Ebene nicht sonderlich bekannt, erlangte jedoch schnell eine gewisse Prominenz, als sie das COVID-Hilfsprogramm des spanischen Staates mitaushandelte, das die Löhne von 3,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern sicherte. Seitdem hat ihr Arbeitsministerium einige der wichtigsten Maßnahmen der Regierungskoalition aus PSOE und Unidas Podemos vorangetrieben, beispielsweise die progressive Reform des spanischen Arbeitsrechts im Jahr 2022.

Umfragen deuten nun darauf hin, dass eine neu organisierte und geeinte Linke unter ihrer Führung bei den Parlamentswahlen im Dezember dieses Jahres bedeutende Zugewinne verzeichnen könnte. Sumar wird aktuell ein Stimmenanteil zwischen 15 und 16,5 Prozent prognostiziert (im Vergleich zu den 13 Prozent des Bündnisses Unidas Podemos und den 2,3 Prozent des ehemaligen Verbündeten Màs País im letzten Wahljahr 2019). Damit würde das Bündnis 35 bis 45 Abgeordnete ins Parlament entsenden. Sollte die Linke nach ihrer vierjährigen Amtszeit als Juniorpartner der sozialdemokratischen PSOE tatsächlich gestärkt aus der Wahl hervorgehen, wäre dies eine beeindruckende Leistung – nicht zuletzt, weil sie nach dem Rücktritt von Iglesias im Jahr 2021 geschwächt wirkte. Ob es zu diesem Erfolg kommt, steht allerdings noch in den Sternen, denn es gibt interne Spannungen: die Beziehungen zwischen Díaz und der Podemos-Führung haben sich im vergangenen Jahr verschlechtert, da Díaz mehr Handlungsfreiheit gegenüber der Partei fordert. Bei der Bekanntgabe von Díaz’ Kandidatur waren dementsprechend keine Vertreter von Podemos anwesend. Die Parteivorsitzende Ione Belarra hatte zuvor betont, sie werde nur kommen, wenn es eine klare Vereinbarung zwischen Sumar und Podemos über linke Vorwahlen und die entsprechende innerlinke Verteilung der Finanzmittel gebe. Nach dieser öffentlich zur Schau gestellten Uneinigkeit sind beide Seiten in den Medien zum Angriff übergegangen; die Spannungen haben sich weiter verschärft. Im Gespräch mit JACOBIN betont der PCE-Vorsitzende und Abgeordnete der Izquierda Unida, Enrique Santiago, dass die Linke letztendlich »dazu verpflichtet und dazu verdammt« ist, zusammenzuarbeiten. Aus Sicht seiner Partei stelle Sumar eine Chance für eine breitere Reorganisation und Erneuerung der spanischen Linken im Vorfeld der Parlamentswahlen im Dezember dar. Santiago meint, die Linke könne das Kräfteverhältnis in der spanischen Politik unter der Führung von Díaz grundlegend verändern – wenn es ihr gelingt, die internen Differenzen beizulegen. In den vergangenen dreieinhalb Jahren hat es die erste linke Regierungskoalition seit dem Bürgerkrieg 1936–39 gegeben. An der Regierung sind zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei beteiligt, Yolanda Díaz und Verbraucherschutzminister Alberto Garzón. Was die positiven Aspekte angeht, so hat Unidas Podemos eine Reihe wichtiger Erfolge in Bezug auf Arbeitsrechte, die Erhöhung des Mindestlohns und der staatlichen Renten sowie die Umsetzung historischer feministischer Gesetzgebung erreicht. Gleichzeitig mussten die Kommunisten aber auch diverse reaktionäre Maßnahmen von wichtigen, von der PSOE kontrollierten Staatsministerien schlucken, beispielsweise in den Bereichen Immigration und Verteidigung sowie die Anerkennung des marokkanischen Besatzungsregimes in Spaniens ehemaliger Kolonie Westsahara. Wie bewertest Du die Bilanz der Linken in der Regierung? 2019 haben wir eine große Debatte darüber geführt, ob wir als Juniorpartner in die Regierungskoalition eintreten sollen. In allen Gruppen, die das Bündnis Unidas Podemos bilden, gab es unterschiedliche Positionen zu dieser Frage. Innerhalb von Podemos selbst gab es eine große, wenn auch nicht einstimmige Mehrheit dafür. In der Izqueirda Unida und der kommunistischen Linken gab es hingegen eine Mehrheit für die Zusammenarbeit mit der PSOE im Parlament, aber nicht für eine offizielle Regierungsbeteiligung. Und innerhalb von Catalunya en Comú waren genauso viele dafür wie dagegen. Inzwischen bereut aber selbst innerhalb der Kommunistischen Partei niemand mehr, in die Regierungskoalition eingetreten zu sein. Wir sind stolz auf unsere Leistung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir in Zeiten einer globalen Pandemie und später des Krieges in der Ukraine regieren mussten – ein permanenter Ausnahmezustand. Wir haben eine Reihe von Sozialmaßnahmen umgesetzt, die unsere Reaktion auf die aktuellen Krisen deutlich von der nach dem Finanzcrash 2008 unterscheiden. Damals wurden Milliarden von Euro an die Banken überwiesen. Im Gegensatz dazu hat die Regierungskoalition während der Pandemie die Löhne von 3,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern durch die Kurzarbeitsregelung gesichert und diverse neue Sozialprogramme sowie neue Rechte für Arbeiterinnen und Arbeiter und für Frauen eingeführt. Die aktuelle spanische Regierung hat außerdem dazu beigetragen, dass sich der Konsens innerhalb der Europäischen Union – wenn auch in bescheidenem Maße – von einer strikten Austeritätspolitik wegbewegt hat und ein gewisser Spielraum eröffnet wurde, in dem neoliberale Dogmen in Frage gestellt werden können. So wurde zum Beispiel die spanische Arbeitsrechtsreform 2022, die kurzfristige prekäre Arbeitsverträge unterbindet und neue gewerkschaftliche Schutzmaßnahmen vorsieht, von der EU nicht mit einem Veto belegt. Und nachdem die Europäische Kommission uns wiederholt mitgeteilt hatte, dass wir nicht in die Energiemärkte eingreifen dürfen, musste sie schließlich die sogenannte iberische Ausnahme akzeptieren [mit der Spanien und Portugal eine teilweise Deckelung der Stromkosten beschlossen haben]. Für uns sind das sozialdemokratische und keynesianische Politikmaßnahmen, von denen viele in erster Linie darauf abzielen, die Wirtschaft anzukurbeln. Sie sind teils recht weit entfernt von der Politik, für die wir ideologisch stehen. Wir streben eine Gesellschaft an, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind und die frei von Ausbeutung organisiert ist. Gleichzeitig sind wir uns des bestehenden Machtverhältnisses bewusst, in dem wir uns bewegen. So haben wir uns mit der begrenzten Macht, die wir haben, darauf konzentriert, die Einkommen der arbeitenden Menschen zu schützen und ihre Rechte zu stärken. Man muss im Hinterkopf behalten, dass wir 2019 nur 10 Prozent der Abgeordneten im Parlament stellten. Bei den Koalitionsverhandlungen mussten wir die roten Linien der PSOE akzeptieren und konnten keine Posten in den vier Ministerien für Außenpolitik, Verteidigung, Inneres und Finanzen beanspruchen. Die ersten drei dieser Bereiche sind allerdings unsere größten Kritikpunkte an der Regierungspolitik. In diesen Ministerien haben wir die geringsten Veränderungen erlebt. Darin spiegeln sich auch tiefgreifende Probleme mit dem demokratischen Charakter des Staates wider. Frei gewählte Regierungen sind aufgrund der festgezurrten staatlichen Strukturen nicht in der Lage, wirkliche politische Veränderungen umzusetzen. Spanien ist mit seiner fünfhundertjährigen Geschichte einer der ältesten Staaten in der EU und hat in den 1970er Jahren einen ganz besonderen Übergang zur Demokratie erlebt. Das hat dazu geführt, dass sich sehr mächtige institutionelle und administrative Apparate, die jenseits der demokratischen Kontrolle agieren, reproduzieren und absichern können. Es ist offensichtlich, dass die PSOE nicht den Mut hat, solchen undemokratischen Strukturen Paroli zu bieten oder sie ernsthaft anzugreifen. Das hat sich in den vergangenen drei Jahren immer wieder gezeigt. Unter den westeuropäischen Staaten ist Spanien wahrscheinlich der NATO-freundlichste. Unser Mangel an strategischer Autonomie im Verteidigungsbereich war auch ausschlaggebend für den unklugen Schritt der PSOE im Umgang mit der Westsahara. Diese Situation hindert Spanien außerdem daran, sich innerhalb der Europäischen Union für einen anderen Ansatz in Bezug auf den Krieg in der Ukraine stark zu machen. Wir müssen uns klar von dieser Politik distanzieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass die PSOE ihren Verpflichtungen in anderen Bereichen nachkommt, in denen wir besser in der Lage sind, das Koalitionsprogramm durchzusetzen. Die aktuellen Umfragen sagen ein knappes Rennen voraus, aber eine neue progressive Mehrheit nach den Wahlen im Dezember würde wahrscheinlich ein günstigeres Kräfteverhältnis für uns beinhalten – und wir wären in einer viel stärkeren Position, um zumindest gemeinsam besetzte Ministerteams in diesen vier wichtigen Ressorts auszuhandeln. Yolanda Díaz ist jahrelanges PCE-Mitglied, hat aber kein offizielles Amt innerhalb der Parteiführung inne. Wie war ihr politischer Werdegang? Yolanda ist mit der Arbeiterbewegung aufgewachsen. Ihr Vater war eine führende Persönlichkeit in der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO). Daher war sie schon früh in sozialen und politischen Bewegungen aktiv, bevor sie als Anwältin für Arbeitsrecht tätig wurde. Mit diesem Hintergrund hat sie nicht nur ein ausgeprägtes Gespür für die Identität der Arbeiterklasse, sondern verfügt auch über umfangreiche berufliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und weiß, welche fundamentale Rolle diese in der Gesellschaft spielen können. Ihr langes Engagement in Arbeitskämpfen bedeutet auch, dass sie ihre Fähigkeiten als Verhandlungsführerin geschärft hat und vor allem in der Lage ist, in der Politik das Wesentliche vom Nebensächlichen zu unterscheiden. In der Regierung hat sie ihre Bemühungen auf materielle Fragen konzentriert, die das alltägliche Leben der Menschen betreffen. Mit einer solchen Agenda kann ein neuer mehrheitsfähiger Konsens in der gegenwärtigen Situation geschaffen werden.

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