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Mit dem Bruch seines Versprechens an Russland stürzt der Westen uns in die Gefahr eines Weltkrieges

Aktualisiert: 24. Dez. 2021

Der Westen hatte Russland immer wieder versprochen, seine Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen und nicht mit seinem Militär an die russische Grenze vorzurücken. Auch in den USA warnten Gegner der Ausdehnung der NATO und der Platzierung von Raketen an Russlands Grenze vor der tödlichen Gefahr, die dieses aggressive Vorgehen gegenüber Russland heraufbeschwören wird. Macht es nicht Sinn, jetzt die Einhaltung dieses Versprechens einzufordern, um eine weitere Eskalation zu verhindern? Putin: Was würde die USA tun, wenn wir - wie sie - Raketen an ihrer Grenze stationieren würden? Als die Sowjetunion 1962 Raketen auf Kuba stationieren wollten, das die US-Regierung darin einen Grund, einen Weltkrieg zu beginnen. Nur mit Glück und am Ende der Einsicht von John F. Kennedy und Nikita Sergejewitsch Chruschtschow entkam die Menschheit damals dem atomaren Untergang. Die UdSSR wollten damals nur der Bedrohung der USA kontern, die damals aus der Türkei das Land mit Atomraketen bedrohten. Den Konflikt legten sie bei durch den Abzug der Raketen aus der Türkei und von Kuba. Heute aber ist das Aufstellen der US-Raketen ein einseitiger Akt der Bedrohung Russlands durch die USA . Putin schlägt Gespräche zur Minderung der Spannungen vor; die USA erklären Bereitschaft dazu.




Die NATO, Russland und das andere gebrochene Versprechen (Artikel aus den USA)

von Ted Snider Veröffentlicht am23. Dezember 2021

Unter dem Druck der immer weiter voranschreitenden NATO-Erweiterung in Richtung seiner Grenzen und der zunehmenden tödlichen Waffenverkäufe an und Flirts mit der Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin den USA einen Vorschlag über gegenseitige Sicherheitsgarantien und eine dringende Aufforderung zu sofortigen Verhandlungen übermittelt.


Der Sicherheitsvorschlag enthält viele Klauseln, aber zwei der wichtigsten Vorschläge lauten:


"Die Vereinigten Staaten von Amerika werden Maßnahmen ergreifen, um eine weitere Osterweiterung der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) zu verhindern und den Beitritt der ehemaligen UdSSR-Republiken zum Bündnis zu verweigern.

Die Vereinigten Staaten akzeptieren die "Verpflichtung, keine Militärstützpunkte in ehemaligen Sowjetstaaten zu errichten, die keine NATO-Mitglieder sind, ihre Infrastruktur nicht für militärische Aktivitäten zu nutzen und keine bilaterale militärische Zusammenarbeit mit ihnen zu entwickeln".

Mehrere westliche Analysten haben Putins Forderungen als "kühn" bezeichnet. Sie sind jedoch nur in dem Sinne kühn, dass der Iran kühn ist, wenn er von den USA verlangt, dass sie ihr Versprechen halten, wenn sie ein Abkommen unterzeichnen. Putin ist nur so kühn, dass er Zusicherungen in Frage stellt, die die USA schon vor langer Zeit gegeben haben. Amerika scheint ein Problem damit zu haben, seine Versprechen zu halten.


Kürzlich freigegebene Dokumente machen deutlich, dass die USA nicht nur Gorbatschow zugesichert haben, dass sich die NATO, wenn sie Deutschland bekäme, nicht auch nur "einen Zoll" weiter nach Osten ausdehnen würde, sondern dass alle westlichen Mächte, einschließlich des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und Deutschlands, wiederholt das gleiche Versprechen gegeben haben.


Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 wurde ein Versuch der USA, die NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine zu beschleunigen, nur deshalb gestoppt, weil er von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel blockiert wurde. Stattdessen wurde den beiden Ländern eine spätere Mitgliedschaft zugesichert: "Die NATO begrüßt die euro-atlantischen Bestrebungen der Ukraine und Georgiens nach einer Mitgliedschaft in der NATO. Wir sind uns heute einig, dass diese Länder Mitglieder der NATO werden."


Weder die USA noch die NATO haben dieses Versprechen jemals zurückgenommen. Und sowohl Verteidigungsminister Lloyd Austin als auch Außenminister Antony Blinken haben die Unterstützung der USA für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bekräftigt.


Putin ist nicht dreist, wenn er die USA an ihr früheres Versprechen erinnert und sie erneut auffordert, es einzuhalten.


Aber es gibt noch ein zweites, noch weniger diskutiertes Versprechen, das die USA Russland gegeben ... und gebrochen haben.


Als Präsident Clinton im Mai 1997 Amerikas Versprechen brach und die NATO um mehr als einen Zentimeter nach Osten erweiterte, unterzeichnete er zumindest die NATO-Russland-Grundakte über die gegenseitigen Beziehungen, in der allgemein versprochen wurde, dass man sich in einem "friedlichen und ungeteilten Europa" "nicht als Gegner betrachten" werde, und in der ausdrücklich versprochen wurde, dass es im Zuge der NATO-Osterweiterung keine "dauerhafte Stationierung von wesentlichen Kampftruppen" geben würde. Und selbst das war laut Gorbatschows Memoiren, die von Jack F. Matlock Jr. bestätigt wurden, der damals amerikanischer Botschafter in Russland war und dem Treffen beiwohnte, eine Wiederholung des Versprechens vom Februar 1990, nicht nur, dass die NATO-Mitgliedschaft nicht nach Osten ausgedehnt würde, sondern auch, dass die NATO-Truppen nicht nach Osten ausgedehnt würden. Die USA haben dieses Versprechen zunichte gemacht.


Seit diesem zweiten Versprechen hat die NATO laut Stephen Cohen, dem Direktor des Programms für Russische Studien an der Universität Princeton, ihre "ständige Land-, See- und Luftmacht in der Nähe des russischen Territoriums zusammen mit Raketenabwehranlagen" ausgebaut. Waffen und Truppen der USA und der NATO stießen direkt an Russlands Grenzen, während Raketenabwehranlagen das Land umgaben, was in Russland zu einem Gefühl des Verrats und der Angst vor einer Aggression führte. Im Jahr 2015 wurde in der nationalen Sicherheitsstrategie Russlands festgestellt, dass die "fortgesetzte Expansion der NATO und die Annäherung ihrer militärischen Infrastruktur an die Grenzen Russlands eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen."


Im Jahr 2007 kündigten die USA einen Plan zur Errichtung einer Basis für ballistische Raketen in Polen und eines Radarkontrollzentrums in der Tschechischen Republik an. Laut Richard Sakwa, Professor für russische und europäische Politik an der Universität von Kent, verabschiedete die NATO 2014 einen "Bereitschaftsaktionsplan" zur Einrichtung von "Speerspitzen"-Militärstützpunkten in osteuropäischen Staaten und einer schnellen Eingreiftruppe in Polen. Die Militärstützpunkte wurden in Polen und den baltischen Republiken eingerichtet. Da die Stützpunkte zwar "fest", aber nicht "dauerhaft" waren, so Sakwa, entsprachen sie zwar dem Buchstaben der NATO-Russland-Grundakte, verstießen aber gegen deren Geist.


Zu den ersten Schritten der Trump-Regierung gehörte die Verlegung von NATO-Truppen nach Litauen, Rumänien und Bulgarien. Der Oberste Alliierte Befehlshaber der NATO in Europa, General Tod Wolters, hat kürzlich vorgeschlagen, dass die NATO Truppen nach Bulgarien und Rumänien entsenden sollte. Der Vorschlag würde die NATO-Mission "Enhanced Forward Presence" (Verstärkte Vorwärtspräsenz) ausweiten, die bereits Truppen in Polen und den baltischen Ländern stationiert hat. Laut dem Spiegel will Wolters eine "Verstärkung der Truppen an der Ostgrenze" der NATO, die "die NATO-Präsenz [auf Rumänien und Bulgarien] ausweiten" würde.

Obwohl die Osterweiterung der NATO und nicht die Stationierung von Stützpunkten, Truppen und Waffen die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist es eigentlich das zweite Versprechen, das Putin mehr Sorgen bereitet. Sakwa sagt, dass vor Jahrzehnten "die NATO-Erweiterung der ständige Streitpunkt war, aber es war BMD [Ballistic Missile Defense], das Russland als die größte strategische Bedrohung ansah". In ähnlicher Weise hat mir der ehemalige Leiter der CIA-Abteilung für sowjetische Außenpolitik, Ray McGovern, in einem persönlichen Briefwechsel mitgeteilt, dass Putin noch mehr als die von der NATO vorangetriebene Expansion in die Ukraine der Plan der NATO beunruhigt, antiballistische Raketen in Reichweite Europas aufzustellen.


Was macht es schließlich für einen Unterschied, wenn die Ukraine daran gehindert wird, Mitglied der NATO zu werden, wenn ihr Territorium weiterhin als Basis für US-Truppen und als Abschussbasis für NATO-Raketen genutzt wird?


Obwohl der Westen Putins Sicherheitsvorschlag schnell als wahnwitzig kühn abtut, macht die Geschichte deutlich, dass er kaum mehr ist als eine vernünftige Forderung, dass Amerika seine Versprechen einhält.


Ted Snider hat einen Hochschulabschluss in Philosophie und schreibt über die Analyse von Mustern in der amerikanischen Außenpolitik und Geschichte.



Kritik an der Osterweiterung

Ablehnung durch Politiker der USA


Die erste NATO-Osterweiterung vom 12. März 1999


Die zweite NATO-Osterweiterung vom 29. März 2004

Die dritte NATO-Osterweiterung vom 1. April 2009

Die vierte NATO-Osterweiterung vom 5. Juni 2017

Die fünfte NATO-Osterweiterung vom 27. März 2020

In einem offenen Brief an den damaligen Präsidenten der USA Bill Clinton vom 26. Juni 1997 äußerten mehr als 40 ehemalige Senatoren, Regierungsmitglieder, Botschafter, Abrüstungs- und Militärexperten ihre Bedenken gegenüber der von ihm geplanten Osterweiterung der NATO und forderten ihre Aussetzung. Zu den Unterzeichnern gehörten der Verteidigungsexperte des Senats Sam Nunn, Gary Hart, Bennett Johnston, Mark Hatfield, Gordon J. Humphrey, sowie die Botschafter in Moskau Jack Matlock und Arthur Hartman, außerdem Paul Nitze, Reagans Abrüstungsunterhändler, Robert McNamara, Verteidigungsminister a. D., Admiral James D. Watkins, ehemals Direktor des CIA, Admiral Stansfield Turner, Philip Merrill und die Wissenschaftler Richard Pipes und Marshall D. Shulman. Der Brief bezeichnet die Beitrittsangebote der NATO 1997 als „politischen Irrtum von historischen Ausmaßen“.

Die Unterzeichner befürchteten, dass die Sicherheit und Stabilität Europas in Gefahr sei, und begründeten dies mit vier Argumenten:

  1. In Russland werde die NATO-Osterweiterung, die von allen politischen Kräften abgelehnt wird, die undemokratische Opposition stärken und die Reformkräfte schwächen. Russland werde dazu gebracht, die Vereinbarungen nach dem Ende des Kalten Krieges infrage zu stellen und Widerstand gegen die Abrüstungsverträge zu mobilisieren.

  2. Es werde eine neue Grenze zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern gezogen. Dies verstärke die Instabilität und führt zu einem geschwächten Sicherheitsempfinden bei den Nicht-Mitgliedern.

  3. Die Osterweiterung vermindere das Potential der NATO, indem sie Garantien an Länder mit ernsthaften Grenz- und Minderheitsproblemen sowie uneinheitlich entwickelten demokratischen Systemen gebe.

  4. In den USA werde eine Kostendebatte ausgelöst, die das Engagement der USA für die NATO infrage stellen werde.

Als Alternative zur Osterweiterung forderten die Unterzeichner eine ökonomische Öffnung im Sinne einer Osterweiterung der EU, eine Verstärkung des Partnerschaft-für-den-Frieden-Programms, eine engere Kooperation zwischen Russland und NATO und eine Fortsetzung der Abrüstungsbemühungen.

Weitere US-amerikanische Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entscheidung der Regierung Clinton, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, wurde von dem Historiker und Diplomaten George F. Kennan 1997 als „verhängnisvollster Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg“ beurteilt, weil „diese Entscheidung erwarten lasse, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“[18]

Der ehemalige Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Robert Gates veröffentlichte in seinen Memoiren eine ähnliche Ansicht.[19][20]




"Warum der Westen schuld ist an der Ukraine-Krise"

Volle siebzehn Jahre vor der Eskalation in der Ukraine, im Mai 1997, gab Egon Bahr der "Zeit" ein Interview, in dem er vor einer weiteren NATO-Osterweiterung als einer Bedrohung für den Frieden in Europa warnte:

Es gibt keine Stabilität in und für Europa ohne die Beteiligung Russlands. Entweder sind wir stabil und sicher mit Russland, oder wir müssen in überschaubarer Zeit Sicherheit vor Russland neu organisieren. … Weitere Runden von NATO-Osterweiterung bedeuten, dass wir mindestens für die nächsten zehn Jahre eine Gegnerschaft zu Russland aufbauen. … Ich halte das wirklich für einen riesigen Fehler. Egon Bahr

Eine noch prominentere Persönlichkeit, nämlich John F. Kennedys früherer Verteidigungsminister Robert McNamara, schrieb im selben Jahr einen Brief an US-Präsident Bill Clinton, den mehr als 40 hochrangige Persönlichkeiten unterzeichneten. In diesem Appell nannte er eine mögliche weitere Ausdehnung der NATO einen "Fehler von historischem Ausmaß":

Wir, die Unterzeichner, glauben, dass eine weitere NATO-Osterweiterung die Sicherheit unserer Alliierten gefährden und die Stabilität in Europa erschüttern könnte. Es besteht für die europäischen Nachbarn keine Bedrohung durch Russland. Robert McNamara

Ebenfalls 1997 äußerte sich der amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan in der New York Times:

Es wäre der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik in der Zeit nach dem Kalten Krieg, die NATO bis zu den Grenzen Russlands auszuweiten. Diese Entscheidung lässt befürchten, dass nationalistische, antiwestliche und militaristische Tendenzen in Russland entfacht werden könnten. Sie könnte einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, wieder zu einer Atmosphäre wie im Kalten Krieges führen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken, die uns sehr missfallen wird. George F. Kennan

Gibt es also einen Zusammenhang zwischen der NATO-Osterweiterung (die danach erst so richtig in Fahrt kam) und der Eskalation auf der Krim?

Zu dieser Frage veröffentlichte ausgerechnet die Zeitschrift des konservativen Council On Foreign Relations im September 2014 einen Artikel des amerikanischen Politikwissenschaftlers John Mearsheimer. Dieser trug die Überschrift : . Er schrieb: "Die Wurzel des Problems liegt in der Ausdehnung der NATO. Man hat versucht, die Ukraine dem Einflussbereich Russlands zu entreißen und in den Westen zu integrieren." Gleichermaßen kritisierte Mearsheimer in seinem Artikel auch die Ausdehnung der EU.

Jack Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau (und einer der Unterzeichner des Briefes von Robert McNamara aus dem Jahr 1997), äußerte sich in einem Interview mit der TAZ vom 9. September 2014 in denkwürdiger Klarheit:

Wir wussten, wenn man ein Instrument des Kalten Krieges - die NATO - in dem Moment vor bewegt, wo die Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. … Es war ein Fehler, die Nato in den Osten auszudehnen. … 2008 entschied die Nato, die Ukraine auf eine Spur zur Mitgliedschaft zu setzen. Ein in seinem Inneren tief gespaltenes Land, direkt vor Russlands Türe. Das alles waren sehr dumme Schachzüge des Westens. Heute haben wir die Reaktion darauf. Jack Matlock

Matlock spekulierte außerdem darüber, was wohl unter umgekehrten Vorzeichen passieren würde: "Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. … Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes Land, das die Macht dazu hat, würde das tun. … Ich entschuldige nicht, was er [Putin] tut. Und ich billige es auch nicht. Aber ich sage, es war komplett vorhersehbar."

Anbetracht der Prophezeiungen und Analysen all dieser untadeligen Persönlichkeiten ist es schwer zu begreifen, dass von den Volksvertretern und den Leitmedien bis heute ein Zusammenhang zwischen westlicher Expansion und Annexion der Krim weitgehend negiert wird.

Selbstbestimmung vs. Diplomatie

Doch gemach, wenden die Vertreter des politischen Mainstreams an dieser Stelle stets ein, haben die ehemaligen Ostblock-Länder etwa kein Recht auf Selbstbestimmung? Aber ja! Hieße auf Russlands Widerstand gegen die NATO-Osterweiterung Rücksicht zu nehmen dann nicht, diesen Ländern Putins Willen aufzuzwingen? Aber Nein! Denn falls die NATO eine solche Mitgliedschaft für sinnlos, ja, kontraindiziert hielte (nämlich aus den oben genannten Gründen), hätte sie dann nicht ihrerseits das Recht, einen solchen Bewerber abzulehnen? Bedeutet das Interesse an einer Aufnahme in die NATO etwa eine Verpflichtung, diesem Ansinnen in jedem Falle nachzukommen?

Dazu Egon Bahr im Zeit-Interview von 1997: "Entscheidend ist ja nicht der Wunsch der einzelnen Länder, Mitglied zu werden, sondern die Frage, ob die Parlamente aller NATO-Mitglieder der Erweiterung zustimmen. Wenn eines davon nein sagt, heißt das bekanntlich nein. Darin liegt die Grenze des Selbstbestimmungsrechtes der anderen, die sich um Aufnahme bemühen."

Nun hat die NATO aber bereits zwölfmal "Ja" gesagt. Und seit dem NATO-Gipfel von 2008 sind auch Georgien und die Ukraine für eine zukünftige Mitgliedschaft vorgesehen. Aus diesen Tatsachen erwachsen ein paar Fragen, die für die Aufarbeitung des Themas von elementarer Bedeutung sind: Welche Strategie haben die Vertreter der NATO eigentlich mit dem Expansionskurs verfolgt? Glaubten die Befürworter der grenzenlosen Erweiterung, dass ein militärisch (und wirtschaftlich) weitgehend vereintes Europa - unter Ausschluss Russlands - eine Konzeption sei, die Frieden und Sicherheit in Europa befördert? Hat man die Warnungen vor den möglichen Folgen dieser Strategie einfach nur überhört? Oder wollte man sie vielleicht sogar überhören?

Bruch eines Versprechens?

Doch zunächst zu einem weiteren Zankapfel der Geschichte, der in diesem Kontext bedeutend ist: Gab es eine Vereinbarung mit Gorbatschow, dass sich die NATO nach der deutschen Einheit nicht gen Osten ausweiten würde? Beklagen die Russen zurecht, dass man mit der NATO-Osterweiterung ein Versprechen gebrochen habe?

Am 2. Februar 1990 trat Hans Dietrich Genscher nach einem Treffen mit James Baker, dem damaligen Außenminister der USA, vor die TV-Kameras und verkündete: "Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell."

Der "Spiegel", in der Ukraine-Frage später eher hetzerisch unterwegs ("Stoppt Putin jetzt!", 31, 2014), schrieb zu diesem heiklen Thema 2009: Es könne "keinen Zweifel geben, dass der Westen alles getan hat, den Sowjets den Eindruck zu vermitteln, eine NATO-Mitgliedschaft von Ländern wie Polen, Ungarn oder der CSSR sei ausgeschlossen".

Zitiert wird aus einem bis dahin geheimen Vermerk über ein Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse vom 10. Februar 1990: "Uns sei bewusst, dass die Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands zur NATO komplizierte Fragen aufwerfe. Für uns stehe aber fest: Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen." Und schließlich erwähnt der "Spiegel" noch einen Auftritt von Baker im Kreml vom 9. Februar, bei dem er verkündete, dass sich die NATO "nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen" würde ().

Man muss diese Aussagen nicht zwingend als ewiges Versprechen deuten, völlig abwegig wäre diese Interpretation jedoch gewiss nicht.

War die Erweiterung der NATO eine bewusste Provokation?

Die Frage danach, welchen sicherheitspolitischen Nutzen eine grenzenlose Ausdehnung der NATO hat, blieb bisher unbeantwortet, was, Anbetracht der Warnungen, die es vor einer möglichen Konfrontation mit Russland gab, umso schwerer zu begreifen ist. Könnte es also vielleicht sein, dass eine solche Eskalation von manchem Akteur sogar erwünscht war?

Für viele ganz gewiss nur eine weitere unsinnige Verschwörungstheorie. Allerdings eine vergleichsweise plausible: Die Weltmacht USA stützt sich einerseits auf ihr aberwitziges Waffenarsenal, andererseits auf die Treue ihrer Verbündeten. Und auf die Europäer konnte sich Washington Jahrzehnte lang tatsächlich verlassen: Die folgsamen Regierungen gaben sich in beinahe jedem Land die Klinke in die Hand.

Bis zum Jahr 2003, als die Franzosen und sogar die Deutschen überraschend aufmüpfig wurden: Das Erstaunen, ja, Entsetzen war groß, als sich Schröder und Chirac in Sachen Irak-Krieg einfach verweigerten. Das musste doch bei den Vertretern des "Project For A New American Century" (sprich, einigen Mitgliedern der damaligen US-Regierung) Panik auslösen: Was bleibt von einer Weltmacht übrig, wenn keiner mehr folgen will? Eine Frage, die dementsprechend ganz gewiss in manchem neokonservativen Thinktank erörtert wurde, lautete: Was ist nötig, um die Abtrünnigen wieder um Onkel Sam zu scharen? Am besten wäre gewiss ein neuer gemeinsamer Feind! Und was lag da näher, als den früheren Feind auch zum zukünftigen zu machen?

Wer das für blanken Unfug hält, sollte den Auftritt von Stratfor-Gründer George Friedman kennen, als dieser 2015 beim Chicago Council on global affairs gastierte:

Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts … waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die Macht sind, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse bestand darin, sicher zu stellen, dass dieser Fall nicht eintritt. … Der Punkt ist, dass die USA einen 'Cordon Sanitaire', einen Sicherheitsgürtel um Russland herum aufbauen. … Deutsches Kapital und Technologien und die russischen Rohstoff-Ressourcen könnten sich zu einer einzigartigen Kombination verbinden, was die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern versuchen.;;George Friedma

Im bereits erwähnten Interview des Deutschlandfunks mit Wolfgang Kubicki meinte dieser jüngst, er sehe "mit großer Besorgnis, dass die NATO wieder einen Feind braucht, damit sie erstens ihre eigene Existenz rechtfertigt und zweitens dass Herr Stoltenberg seine Idee von 2 % des Bruttoinlandsprodukts in Rüstung zu stecken, auch umsetzen kann. Hätten wir keinen Feind, keinen Außenfeind, dann hätten wir dieses Problem ja an der Backe zu erklären, warum das so sein muss."

Wenn man solche Äußerungen vernimmt, drängt sich der Verdacht auf, dass nicht etwa Russland einen Keil zwischen Europa und den USA treiben wollte, sondern die USA einen Keil zwischen Europa und Russland. Aber, wie gesagt, alles nur eine weitere Verschwörungstheorie.

Haltung zu Russland scheint auch eine Frage der Generationen zu sein

Das bemerkenswerteste Phänomen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise ist jedoch der Riss, der zwischen den Politiker-Generationen verläuft. Während inzwischen selbst die Grünen versuchen, sich mit Dämonisierungs-Rhetorik und Nibelungentreue gegenüber den NATO-Partnern zu profilieren, hört man aus den Reihen der Politrentner sämtlicher Parteien vollkommen andere Töne.

Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher beispielsweise sagte im November 2014, dass "die mangelnde Sensibilität für die Interessen der Russen ein Fehler gewesen sei". Der "Stern" berichtete, dass Michail Gorbatschow, Henry Kissinger und Genscher eindringlich davor warnten, "die alten Gräben wieder aufzureißen." An anderer Stelle schrieb Kissinger:

Um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine Niemandes Vorposten sein. Vielmehr sollte sie eine Brücke zwischen beiden Seiten darstellen. … Dabei sollten wir uns um Versöhnung bemühen, und nicht um eine Dominanz einer der Fraktionen. … Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik. Henry Kissinger

Der zweite das Überleben der Menschheit bedrohende Konflikt ist der zwischen den USA und China; Noam Chomsky beschreibt die Gefahr:


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