Der Mörder von Halle sei zweifellos Antisemit gewesen, gleichzeitig allerdings auch „ein Feind des Islam“. Erst spät erfährt die bundesrepublikanische Öffentlichkeit auch, was „NSU“ bedeutet, was der „nationalsozialistische Untergrund“ an Verbrechen begangen hat, und „dass so eine kleine Mörderbande Gehilfen, Unterstützer, Sympathisanten und hämisch grinsende Mitwisser“ hatte. Auf eine Spurensuche im rechtsextremen Milieu hatten staatliche Stellen Ende der 90er Jahren „keine Energie“ verwendet, kritisiert Benz. Die Täter hatten sich in ihrem Hass gegen Muslime vielmehr „im Einklang mit einem Teil der Gesellschaft“ gesehen. So sei der rechtsextreme Terror von „mangelnder Sensibilität gegenüber den Opfern“ begleitet worden. Prof. Wolfgang Benz geht auch auf die Lage der Sinti und Roma ein, der größten europäischen Minderheit, und auch auf "Nationalsozialismus & "Volksgemeinschaft".
Konstruierte Fremdheit
Stand:20.11.2020, 15:33 Uhr
Von: Matthias Arning
Hanau und Halle: Terrorattacken gegen Muslime und Juden, Gewalttaten, die später als Werk sogenannter Einzeltäter bezeichnet werden. Angehörige der Opfer verzweifeln, die Mehrheit aber spricht schon bald kein Wort mehr darüber, was in Hanau und auch in Halle passiert ist. Wolfgang Benz will das nicht hinnehmen. Er legt die Wurzeln der Gewalt frei und weist ideologische Stimmungsmacher aus: „Unerlässlich als Handlungsantrieb sind Überzeugungen, die sich aus Ressentiments speisen, die stimuliert sind durch den Hass und die Hetze von Vordenkern.“ Damit sei „der Weg vom Vorurteil zur Gewalt beschritten“, ein Weg, den der Historiker in seinem neuen Buch nachzeichnet.
Benz geht darin der Frage nach, wie Vorurteile genutzt werden, „um unsere Abneigung gegen Fremdes“ zu begründen. Vorurteile gehören zu den Triebkräften jeder Gesellschaft, erklärt Benz. Ressentiments gebe es in allen Kulturen. Stets seien sie „der Kitt nationalen, religiösen und zivilisatorischen Selbstbewusstseins“.
Eindringliche Belege für den Übergang vom Vorurteil zur Gewalt finden sich in der deutschen Geschichte. Benz hebt „die paradigmatische Funktion des Holocaust für die Erklärung des mörderischen Zusammenhangs von Vorurteilen mit Ideologie und Gewalt“ hervor. Schließlich habe der Mord an den europäischen Juden „ein singuläres Ausmaß“ gehabt. An diesem Beispiel versteht man nachdrücklich, warum Vorurteile und Ressentiments zu Hass und schließlich Gewalt führen können. Erst über die Auseinandersetzung mit Vorurteilen lässt sich begreifen, warum es Gewalt gibt.
Das Buch:
Wolfgang Benz: Vom Vorurteil zur Gewalt. Politische und soziale Feindbilder in Geschichte und Gegenwart. Herder 2020. 479 S., 26 Euro.
Wolfgang Benz arbeitet hartnäckig daran, Facetten von Ausgrenzung zu erschließen. Gewalt beginnt nicht erst beim Pogrom. Sie setzt dann ein, wenn sich das Ressentiment zum Feindbild steigert, um eigenes Selbstbewusstsein zu stärken. Damit delegiert die Mehrheit, das ist Benz’ These, „das Böse“ an eine vermeintlich feindliche Minderheit.
Die zwölf Kapitel des neuen Buches werden zusammengehalten über „die Konstruktion der Fremdheit“, also das Schaffen „des Eigenen“ wie „des Anderen“. Damit nimmt Benz akribisch unter die Lupe, wie sich das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit sozial, anthropologisch und psychologisch gestaltet.
Vorurteile gehören zum Alltag, privat wie öffentlich. Dann übernehmen sie „die Rolle von Katalysatoren“ von Ängsten und Aggressionen. Oft genug bemüht, werden sie zu Feindbildern, die sich Ideologen für ihre Ziele und Zwecke zunutze machen. Als Zeithistoriker wählt Benz das Beispiel vom Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs: 1941 gehörten die Feindbilder „zum geistigen Marschgepäck der Wehrmacht“. Gemeint sind Feindbilder von „Untermenschen“, denen deutsche Soldaten mit brutaler Gewalt in der Sowjetunion begegnen sollten. Ein Krieg, der sich auch gegen die Zivilbevölkerung richtete: Die jüdische Bevölkerung sollte ermordet, die nichtjüdische durch Hunger und Zwangsarbeit allmählich dezimiert werden. Es dauerte bis zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, bis die Debatte über Verbrechen der Wehrmacht während ihrer Feldzüge einen Platz in der öffentlichen Debatte fand.
Im November 1938 habe es „das Treiben vieler zum Pöbel mutierter Bürger“ gegeben. Sie ließen sich von Hass zu Gewalt leiten, „die auf Vorurteilen basiert und sich gegen Minderheiten richtet“.
So gesehen wirbt Benz in seiner lesenswerten Bilanz dafür, sich in der Gegenwart die Motive für Ausgrenzung und Gewalttaten genau anzusehen. Der Mörder von Halle sei zweifellos Antisemit gewesen, gleichzeitig allerdings auch „ein Feind des Islam“. Insofern darf man mit Benz darauf gespannt sein, was der Bundesinnenminister in einem Bericht zur „Bedrohungslage durch Rechtsextremisten“ über „Schnittmengen mit antisemitischen Haltungen“ zutage fördern wird. Konstruierte Fremdheit
Wolfgang Benz (* 9. Juni1941 in Ellwangen) ist ein deutscherHistoriker der Zeitgeschichte und international anerkannter Vertreter der Vorurteilsforschung, der Antisemitismusforschung und der Nationalsozialismus-Forschung. Er lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das zugehörige Zentrum für Antisemitismusforschung, dessen Jahrbuch er bis 2011 herausgab.
Vergleich von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Dezember 2008 leitete Benz eine eintägige Konferenz am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung zum Thema „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“.[12] Gegenüber Kritik am Tagungskonzept betonte er, als Vorurteilsforscher zum Antisemitismus müsse man lernen, „ob nicht mit demselben Mechanismus auch gegenüber anderen Minderheiten […] Unheil gestiftet werden kann“. Der Hass gegen das Judentum und den Islam ähnele sich vor allem in Verschwörungsfantasien und Behauptungen von religiösen Geboten: So wie man Juden Aussagen des Talmud vorhalte, halte man Muslimen Aussagen des Koran vor. Beide Religionen würden beschuldigt, bösartig und inhuman zu sein und unmoralisches Verhalten gegenüber Andersgläubigen zu verlangen. Die Vorwürfe, Juden betrachteten sich als auserwählt und müssten feindselig gegen Nichtjuden sein, gebe es auch gegen Muslime.[13]
Vor der Tagung wurde eine gefährliche Gleichsetzung von Antisemitismus mit Islamfeindlichkeit befürchtet.[14] Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel kritisierte, schon durch den Vergleich werde der Holocaust trivialisiert, die Gefährdung Israels durch das iranische Atomprogramm und der Judenhass von Islamisten verharmlost. Diese Kritik wies Benz in Medien als „völlig lachhaft“ zurück. Bei der Tagung blieb eine Diskussion mit Küntzel aus.[15]
Außerhalb Deutschlands wurde das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit seit 1988 wissenschaftlich diskutiert, verstärkt durch die Folgen der Terroranschläge am 11. September 2001. In Deutschland sehen Juliane Wetzel, Salomon Korn, Sabine Schiffer, Constantin Wagner und Micha Brumlik wie Benz strukturelle und konkrete Analogien zwischen dem Judenhass des 20. Jahrhunderts und heutigem Islamhass. Historische und qualitative Unterschiede betonen dagegen Matti Bunzl, Monika Schwarz-Friesel, Evyatar Friesel und andere. Julius H. Schoeps und Matthias Küntzel betonen vor allem, dass es im Islamhass keine zum Antisemitismus analoge Verschwörungstheorie vom Weltjudentum gebe.[16] Norbert Frei gab Benz hinsichtlich der sozialpsychologischen Vergleichbarkeit heutiger Islamfeindlichkeit mit der Judenfeindschaft seit etwa 1880 Recht.[17]
Benz vertiefte den Vergleich in seinem 2010 veröffentlichten Werk Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet. Gemeinsam sei antisemitischen wie islamophoben Vorurteilen „die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der Ausgrenzung“. Ein grundlegender Unterschied sei, dass es „heute nicht mehr um die Emanzipation der Juden, sondern um die Integration der Muslime“ gehe.[18] Benz betonte später, er habe nie Islamfeindlichkeit und Antisemitismus gleichgesetzt, sondern „die Methoden der Ausgrenzung verglichen“. So wie es eine Methode „irgendwelcher ‚Experten‘“ gewesen sei, Judenfeindschaft zunächst mit Inhalten des Talmud und später aus rassistischer Sicht durch „jüdische“ Gene zu begründen, die Juden „zum Bösen geführt“ hätten, gebe es heute Experten, die ähnlich argumentierten: „Was früher Talmud-Hetze war, ist jetzt Koran-Hetze. Man stigmatisiert eine Minderheit als gefährlich, weil es ihr angeblich die Religion befiehlt.“[19] So beurteilte Benz auch die Aussagen von Thilo Sarrazin zur genetischen Disposition von Juden und anderen Gruppen als rassistisch.[20] Auch den Verschwörungstheoretiker Udo Ulfkotte kritisierte Benz scharf. Ulfkotte beschwöre eine „muslimische Weltrevolution“ und einen „geheimen Plan zur Unterwanderung nichtmuslimischer Staaten“. Dies entspringe nur seiner Fantasie, genüge den Fremdenfeinden aber als Versicherung, so wie die Protokolle der Weisen von Zion Antisemiten genügten.[21] Wolfgang Benz – Wikipedia
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