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Gurnah: "Natürlich waren die Deutschen mit ihrem kulturellen Überlegenheitsgefühl rassistisch"

Kaum einer in Deutschland weiss etwas mit Maji-Maji anzufangen. Der brutale Krieg des deutschen Kaiserreichs in "Deutsch-Ostafrika"wurde uns weitgehend verschwiegen. Damit auch die Chance aus der Geschichte zu lernen, etwa über die Notwendigkeit, sich den in Deutschland Herrschenden zu widersetzen, wenn sie anderen Völkern Unrecht und Verbrechen antun. Der Literautnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah gibt uns jetzt die Möglichkeit, diesen blinden Fleck über das Wirken deutscher Oberigkeit besser kennenzulernen. "Der Maji-Maji-Aufstand lag in den letzten Zügen, und seine grausame Niederschlagung hatte viele afrikanische Leben und Existenzen gekostet. [..] Als die deutschen Kommandanten erkannten, dass der Revolte mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen war, gingen sie dazu über, die Bevölkerung durch Hunger zu unterwerfen. In den Regionen, die sich erhoben hatten, erklärte die Schutztruppe die komplette Bevölkerung zum Feind. Sie brannte Dörfer nieder, zerstörte Äcker, plünderte Vorratslager und versengte und terrorisierte ganze Landstriche, und am Straßenrand hingen afrikanische Leichen von den Galgen. Khalifa und Asha lebten in einem anderen Teil des Landes und erfuhren von den Vorgängen nur durch Hörensagen."








"Nachleben" von Abdulrazak Gurnah Stand: 09.09.2022, 12:40 Uhr Der generationsübergreifende Roman spielt vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika. Auf subtile Weise beschreibt Abdulrazak Gurnah, im vergangenen Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, die traumatischen Auswirkungen. Eine Rezension von Gerhard Klas.

Leben im Krieg Abdulrazak Gurnah entfaltet in seinem Roman ein komplexes Geflecht von Beziehungen: Drei Waisenkinder, Hamza, Afiya, und ihr Bruder Ilyas. Khalifa und Asha, ein Paar in einer arrangierten Ehe. Der Krieg wirbelt ihr Leben durcheinander. "Khalifa und Asha heirateten Anfang 1907. Der Maji-Maji-Aufstand lag in den letzten Zügen, und seine grausame Niederschlagung hatte viele afrikanische Leben und Existenzen gekostet. [..] Als die deutschen Kommandanten erkannten, dass der Revolte mit militärischen Mitteln allein nicht beizukommen war, gingen sie dazu über, die Bevölkerung durch Hunger zu unterwerfen. In den Regionen, die sich erhoben hatten, erklärte die Schutztruppe die komplette Bevölkerung zum Feind. Sie brannte Dörfer nieder, zerstörte Äcker, plünderte Vorratslager und versengte und terrorisierte ganze Landstriche, und am Straßenrand hingen afrikanische Leichen von den Galgen. Khalifa und Asha lebten in einem anderen Teil des Landes und erfuhren von den Vorgängen nur durch Hörensagen."

Audio starten, abbrechen mit Escape "Nachleben" von Abdulrazak Gurnah Lesestoff – neue Bücher. 16.09.2022. 05:14 Min.. Verfügbar bis 16.09.2023. WDR Online. Von Gerhard Klas. Audio Download . Download mit WINDOWS: Rechte Maustaste und "Ziel speichern unter" oder "Link speichern unter".

Auswirkungen der kolonialen Gewalt Gurnah verzichtet weitgehend auf die detailgenaue Beschreibung dieses brutalen Wütens. Aber auch die Geschichte von Khalifa und Asha bleibt nicht unberührt von den Auswirkungen der kolonialen Gewalt. Es beginnt mit Ilyas, dem Bruder der Ziehtochter Afiya. Als ehemaliger Besucher einer Missionsschule spricht er fließend Deutsch, wird zum glühenden Anhänger der Deutschen und geht schließlich als Freiwilliger zur Schutztruppe, wie sich das deutsche Militär in Ostafrika nannte. Ilyas Spur verliert sich dann in den Wirren des Krieges. Dafür kommt Hamza in die Geschichte, der zum Kollegen Khalifas wird und später Afiya heiratet. Aus seiner Vergangenheit – der Gurnah einen großen Teil des Buches widmet – macht er zunächst ein Geheimnis. Denn auch Hamza hatte sich freiwillig zur Schutztruppe gemeldet. "'Ich bin hier, um der Schutztruppe und dem Kaiser zu dienen', sagte Hamza, stand stramm und starrte geradeaus. 'Ja, natürlich. Kann es eine noblere Pflicht geben?' spottete der Offizier und stellte sich vor Hamza. [..] 'Aus dem Grund bin ich hier – um in Besitz zu nehmen, was uns rechtmäßig zusteht, weil wir die Stärkeren sind. Wir haben es mit rückständigen Wilden zu tun, die wir nur beherrschen können, indem wir sie und ihre eitlen Lilitput-Sultane in Angst und Schrecken versetzen und mit Gewalt zum Gehorsam zwingen. Die Schutztruppe ist unser Instrument. Auch du! Ihr sollt diszipliniert und gehorsam sein, und grausamer als in unseren kühnsten Vorstellungen.'" Rückkehr in die Heimat Obwohl Hamza persönlicher Diener des Kommandierenden wird, bereut er bald seine Entscheidung. Nach einer schweren Verletzung, die ihm von einem sadistischen deutschen Feldwebel zugefügt wird, kehrt er verkrüppelt und traumatisiert an seinen Heimatort zurück. "Weil er nirgendwo anders hin konnte, verbrachte Hamza die Nacht vor der Tür des Lagerhauses. Er war eine Weile durch die Straßen gestreift. Er war dem Menschenstrom gefolgt und hatte sich nach einer Weile auf der Uferstraße wiedergefunden. Mit einem kleinen Schauder des Wiedererkennens ging er weiter, immer auf der Suche nach dem Haus, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, konnte es aber nicht mehr finden." Ein außergewöhnliches literarisches Erlebnis Im zweiten Teil des Buches beschreibt Abdulrazak Gurnah mit viel Feingefühl die mühsamen Versuche Hamzas, wieder im Alltagsleben anzukommen. Er schafft es schließlich, sich auf eine Beziehung mit der in ihrer Jugend schwer misshandelten Afiya einzulassen. "Hamza murmelte sein Beileid und beugte sich über die Reisschale. Am liebsten hätte er ihr erzählt, dass auch er seine Eltern verloren hatte, dass er ihnen weggenommen worden war und nicht wusste, wo sie jetzt lebten, und auch sie wussten nichts über ihn. Er wollte sie fragen, was dem Vater, den sie nicht gekannt hatte, zugestoßen war. War er so früh gestorben wie ihre Mutter, oder hatte er sie damals einfach ihrem Schicksal überlassen? Aber er stellte die Fragen nicht, weil er nicht aufdringlich sein wollte und außerdem nicht wusste, welche Narben er damit aufreißen würde." Der Roman endet in Deutschland und nimmt kein glückliches Ende. Gurnah entwickelt seine Charaktere mit viel Geduld und Sorgfalt. Ein außergewöhnliches literarisches Erlebnis, das die deutsche Kolonialzeit und ihre Auswirkungen über Generationen hinweg schmerzhaft deutlich macht.


Maji-Maji-Aufstand

Der Maji-Maji-Aufstand (auch Maji-Maji-Krieg) von 1905 bis 1907 war eine Erhebung der afrikanischen Bevölkerung im Süden Deutsch-Ostafrikas gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Zugleich gilt er als einer der größten Kolonialkriege in der Geschichte des afrikanischen Kontinents. Anders als der Widerstand, der sich nahezu überall in Afrika gegen die Eroberung durch europäische Mächte bildete, zeichnete sich der Maji-Maji-Krieg durch eine breite Allianz zwischen Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen und seine Ausbreitung über ein Gebiet von der Größe Deutschlands aus. Ursachen für den Aufstand waren die repressiven Zustände im kolonialen System und die Ausschaltung der einheimischen Wirtschaft. Eine wichtige Rolle für die Mobilisierung der afrikanischen Bevölkerung spielte der religiöse Kult des Maji-Maji, der die Aufständischen ermutigte, sich über ethnische Grenzen hinweg zu verbünden und sich gegen die militärisch weit überlegene Kolonialmacht zu wenden. Der Maji-Maji-Krieg endete für die afrikanische Bevölkerung mit einer verheerenden Niederlage.

Hungersnot und Entvölkerung

Die Mehrheit der Opfer des Aufstandes starb nicht durch Gewehrkugeln, sondern an Hunger, weil die deutsche Schutztruppe 1907 damit begonnen hatte, Dörfer, Felder und Busch niederzubrennen (Verbrannte Erde). Am Ende lagen ganze Gebiete brach und ausgestorben. Man schätzt die Zahl der Toten auf zwischen 75.000 und 300.000, davon 15 Europäer, 73 schwarze Askaris und 316 Angehörige der Hilfstruppen auf deutscher Seite.[4] Die Niederschlagung und die Hungersnot rafften nicht allein etwa ein Drittel der Bevölkerung dahin. Untersuchungen, die Ende der 1930er Jahre durchgeführt wurden, kamen zu dem Schluss, dass die Katastrophe auch die durchschnittliche Fruchtbarkeit der überlebenden Frauen in der Region auf etwa 25 Prozent reduzierte.[36]

Maji-Maji als historisches Ereignis

Der Maji-Maji-Krieg wird von Afrika-Historikern als einer der großen Kolonialkriege in der Phase der Eroberung Afrikas – lange als „Befriedung“ bezeichnet – eingeordnet. Fast überall auf dem Kontinent formierte sich Widerstand gegen die Eroberung und die Etablierung der kolonialen Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen; der britische Historiker Terence Ranger bezeichnete ihn als „primären“ Widerstand.[37] Jedoch waren, anders als der Maji-Maji-Krieg in seiner transethnischen Dimension, fast alle diese Bewegungen auf lokale Gruppen und überschaubare Regionen beschränkt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg formierten sich wieder große Befreiungsbewegungen.[38]

Maji-Maji als kolonialer Erinnerungsort

Verglichen mit dem fast gleichzeitigen Völkermord in Deutsch-Südwestafrika, hinterließ der Maji-Maji-Krieg im kollektiven Gedächtnis Deutschlands noch weniger Spuren. Seit den Erinnerungsfeiern zum hundertjährigen Gedenken der Aufstände wurde diese Tatsache im öffentlichen Bewusstsein präsenter. Daran knüpften sich auch weitere Veränderungen. So ist der Krieg inzwischen an vielen Schulen Gegenstand des Lehrplans sowie Inhalt des kritischen Journalismus.[39]

Forschungsgeschichte

Maji-Maji als Teil der kolonialen Vernichtungsfeldzüge, die die Extreme des 20. Jahrhunderts auf den kolonialen Schlachtfeldern vorausnahmen.[40] Im Laufe der Forschungsgeschichte hat sich auch im deutschen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Krieg“ immer mehr durchgesetzt. Diese Bezeichnung beruht auf der Tatsache, dass auch in Tansania von Maji-Maji als einem Krieg, Vita vya Ukombozi = Befreiungskrieg, gesprochen wird. Die grundsätzlich nicht falsche Bezeichnung Aufstand wird häufig abgelehnt, da seine Geschichte im Kontext von Maji-Maji von kolonialer Terminologie und kolonialer Wertung der Illegitimität der Erhebung bestimmt war.[40]

In Tansania wird der Maji-Maji-Aufstand als wichtiges Ereignis der nationalen Geschichte gesehen. Julius Nyerere, der erste Präsident des vereinigten Tansanias, nannte ihn einen Wegbereiter der nationalen Vereinigung, die 1964 in die Staatsgründung Tansanias mündete.

Im Jahr 1906 erhielt der Museumsdirektor Felix von Luschan die von der deutschen Schutztruppe erbeuteten Waffen, im Wesentlichen rund 12.000 Speere. Da von Luschan den Waffen kaum wissenschaftlichen Wert beimaß, wurde erwogen, sie als Anschauungsobjekte an deutsche Schulen zu verteilen. Dieser Plan scheiterte daran, dass ein Teil der Speerspitzen vergiftet war. Daraufhin ließ von Luschan die meisten Gegenstände verbrennen. Nur wenige Objekte blieben erhalten. Die Untersuchung ihres Verbleibs ist Inhalt eines deutsch-tansanischen Abkommens[41] und zweier Forschungsprojekte.[42]



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