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Energiequellen in Algerien: Claus Leggewie sieht eine Gelegenheit für werteorientierte Außenpolitik

In Algerien werden Oppositionelle eingesperrt. Deren Freilassung sollte Wirtschaftsminister Habeck zur Bedingung für einen Besuch machen. Von Claus Leggewie, Professor an Universität Gießen, Leiter des „Panel on Planetary Thinking“. aus dem Tagesspiegel, Auszüge, über den Link der ganze Artikel

Im Frühjahr dieses Jahres wird der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck auf der Suche nach nicht-russischen Erdgas- und zukunftsträchtigeren Energiequellen nach Nordafrika fahren. Seine parlamentarische Staatssekretärin war schon in Algier, diesem von der deutschen Außenpolitik notorisch vernachlässigten Ort, hat dort die Potenziale für eine nicht-fossile Energiekooperation ausgelotet und ist auf Interesse auch der algerischen Seite an einer nachhaltigen Klimapolitik gestoßen. Mit Algerien, das einen großen Teil der globalen Erdöl- und Erdgasreserven im Sahara-Boden lagern hat, ginge also etwas, zumal der dortigen Energiewirtschaft ebenfalls klar wird, dass die Zukunft in erneuerbaren Energien liegt.

Weitsichtige Kreise in Algerien sehen im Übergang vom superkarbonen Rentenstaat in eine moderne Ökonomie erneuerbarer Energien auch Chancen für eine Demokratisierung des seit 1962 unabhängigen und von Militär-Autokraten und Petro-Oligarchen regierten Landes. Denn zwischen fossiler Exportwirtschaft und autoritärer Herrschaft besteht im Bogen von Moskau über Riad und die Emirate bis nach Caracas und Algier ein enger Zusammenhang, von dem nur wenige Länder wie Norwegen und Schottland eine Ausnahme bilden. Das darf man in Algier freilich nicht laut äußern, wo das rentenbasierte alte Regime nach dem pandemiebedingten Einfrieren der Demokratiebewegung Hirak und den damit verbundenen Hoffnungen auf einen algerischen Frühling die Zügel anzieht. Gelegenheit macht Repression: Nachdem die Erdöl- und Erdgaspreise jahrelang im Keller waren und das Regime große Not hatte, die Bedürfnisse einer wachsenden und jungen Bevölkerung zu stillen, hat ihm Putins Krieg in die Hände gespielt und Algeriens Verhandlungsposition verbessert. In Algerien werden Oppositionelle serienweise eingesperrt Politische und mediale Freiheit hat es in Algerien noch nie gegeben. Doch nun werden Oppositionelle serienweise verhaftet und eingesperrt, die wenigen unabhängigen Medien drangsaliert, noch verbliebene Menschenrechtsorganisationen behindert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) steht Algerien auf Platz 134 von 180 Staaten, in Demokratierankings sieht es nicht viel besser aus. Schon dass er die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Amtszeit des aktuellen Präsidenten Abdelmadschid Tebboune, eine Marionette der Sicherheitsorgane, erörtert und das Wort Korruption in den Mund genommen hat, führte zur jüngsten Verhaftung des Journalisten Ihsan el-Kadi. Mit dem Vorwurf, jemand leiste der „Erneuerung der nationalen Tragödie“ Vorschub (gemeint ist der verheerende Bürgerkrieg in den Jahren 1992 bis 2002) kann jede Kritik diskreditiert werden.



Was der anstehende Besuch Robert Habecks und das Auswärtige Amt damit zu tun haben? Sehr viel. Jetzt wäre nämlich genau die Gelegenheit, eine werteorientierte, post-Putinsche Außenpolitik auszubuchstabieren und den nachvollziehbaren Pragmatismus der Suche nach Energieimporten zu konditionieren: Wir kommen mit unserer Wirtschaftsdelegation, wenn Ihsan el-Kadi und weitere politische Gefangene freigelassen werden.

Zudem tut sich die Möglichkeit auf, eine EU-weite Maghrebpolitik zu koordinieren, die verhindert, einzelne Staaten diesseits und jenseits des Mittelmeers, wie Marokko gegen Algerien und Deutschland und Frankreich, gegeneinander auszuspielen.


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