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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

Progressiver Wahlsieger: Bruch mit Jahrzehnten der Diktatur und korrupter Regierungen in Guatemala

Die USA hatten 1954 die demokratische Regierung des Landes mit Hilfe des US-Geheimdienstes, CIA, gestürzt. Ein Beitrag erinnert daran, der Link ist unten auf der Seite: Das Trauma von 1954

Nach Wahlsieg des progressiven Kandidaten feiert die Bevölkerung auf den Straßen. Glückwünsche aus lateinamerikanischen Ländern, EU und USA

Von Thorben Austen, Quetzaltenango amerika21

guatemala_wahlsieg_semilla.jpg Zehntausende feiern den Wahlsieg der aus den großen Antikorruptionsprotesten hervorgegangenen Partei "Movimiento Semilla" QUELLE:PRENSACOMUNITARIA Guatemala-Stadt. Bernardo Arévalo ist neuer Präsident von Guatemala. Der Kandidat der progressiven Partei "Movimiento Semilla" gewann die Stichwahl am Sonntag mit knapp 59 Prozent der Stimmen. Sandra Torres von der Partei "Einheit der Nationalen Hoffnung" (UNE) kam auf 37,2 Prozent, rund fünf Prozent der Wähler gaben ungültige Stimmzettel ab. Arévalo soll sein Amt am 14. Januar 2024 antreten. Arévalo konnte 2,44 Millionen Stimmen auf sich vereinen, die zweitmeisten Stimmen bei einer Präsidentenwahl in der Geschichte Guatemalas. Torres kam auf 1,56 Millionen Stimmen. Arévalo erlangte in 17 der 22 Departamentos die Mehrheit, Torres in fünf. Zehntausende Menschen feierten noch am Sonntagabend auf den Straßen. Die größte Feier fand in der Hauptstadt statt, wo Tausende zusammenkamen und auch der Wahlsieger sprach. Neben der Freude prägte auch die Wachsamkeit über mögliche Angriffe des sogenannten Paktes der Korrupten die Stimmung. Unmittelbar nach dem Wahlerfolg von Arévalo in der ersten Runde, als er mit knapp zwölf Prozent der Stimmen überraschend die Stichwahl erreichte, hatten mehrere Parteien versucht, die Anerkennung des Ergebnisses zu verhindern und eine Neuauszählung beantragt. Mitte Juli kündigte die siebte Strafkammer in Guatemala-Stadt an, die gemäßigt linke Partei Semilla, die aus den großen Antikorruptionsprotesten hervorgegangenen ist, zu suspendieren. Als Grund gab das Gericht angeblich gefälschte Mitgliederlisten an, die diese bei ihrer Einschreibung als politische Partei vorgelegt hatte. Zwar hob das Verfassungsgericht das Urteil wenige Tage später auf, aber nur für die Dauer des Wahlprozesses. Eine Klage von Semilla wies das Verfassungsgericht vergangene Woche ab, sodass der Prozess der Suspendierung weiterhin offen ist (amerika 21 berichtete). Baúl Herrera, Abgeordneter von Semilla für die kommende Legislaturperiode, erklärte am Sonntag gegenüber amerika 21: "Heute ist nach Jahrzehnten der Diktatur und Regierungen der Korruption und Selbstbereicherung die Demokratie zurückgekehrt". Er erwarte von der Staatsanwaltschaft die Einstellung der Ermittlungen gegen Semilla, dies müsse "auf der Straße und vor Gericht erkämpft werden". Estuardo, der sich in Quetzaltango für Semilla engagiert, setzt auf das klare Votum vom Wahltag: "Fast eine Million Stimmen Vorsprung ist eine klare Aussage", auch angesichts der drohenden Suspendierung von Semilla. "Das Volk ist nicht Willens, noch mehr Korruption hinzunehmen." Die unterlegene Partei UNE hat bisher die Niederlage nicht anerkannt, Torres hüllt sich in Schweigen. Am Sonntag hatte sie noch vor Schließung der Wahllokale gegenüber Journalisten eine Pressekonferenz am Abend angekündigt, diese dann aber abgesagt. guatemala_bernardo_arevalo.jpeg Bernardo Arévalo, gewählter Präsident von Guatemala QUELLE:@BAREVALODELEON Arévalo sagte am Montag gegenüber CNN, er könne "über die Gründe des Schweigens nur spekulieren, das Volk habe aber klar gesprochen". Der amtierende rechte Präsident Alejandro Giammattei gratulierte seinem Amtsnachfolger dagegen noch am Wahlabend telefonisch. Unterdessen trafen zahlreiche Glückwünsche aus dem Ausland in Guatemala ein. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gratulierte Arévalo und begrüßte die Anerkennung des Wahlergebnisses durch Giammattei, der auch auf die Notwendigkeit eines geordneten Übergangs hingewiesen habe. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle staatlichen Institutionen und alle Bereiche der Gesellschaft diese Bemühungen im Interesse des Landes unterstützen und sich ihnen anschließen", so Borrell. US-Präsident Joe Boden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris schrieben, sie erwarteten, mit der Regierung Arévalo "zusammenzuarbeiten, um Korruption zu bekämpfen, die Ursachen der Migration zu bekämpfen und die wirtschaftlichen Chancen für die Menschen in Guatemala zu verbessern". Lateinamerikanische Persönlichkeiten nahmen in ihren Glückwunschschreiben auch Bezug auf die angespannte Lage und den Vater des Wahlsiegers, Juan José Arévalo. Er war nach der Revolution von 1944 der erste demokratisch gewählte Präsident Guatemalas. "Vor 83 Jahren wurde Juan José Arévalo gewählt, dessen Regierung Ziel mehrerer Putschversuche war. Heute erhält sein Sohn das Mandat des Volkes, im Schatten destabilisierender Kräfte zu regieren. Lasst eure Wachsamkeit nicht sinken!", schrieb Laura Chinchilla, Ex-Präsidentin von Costa Rica. Xiomara Castro, Präsidentin Honduras, schrieb auf Twitter: "Juan José Arévalo wollte Zentralamerika in eine progressive Nation transformieren ... in Erinnerung an ihn werden wir die Völker Zentralamerikas einen". Auch die Regierungen von Venezuela, Bolivien, Argentinien und Panama sowie Kubas Staatspräsident Miguel Diaz-Canal und Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador gratulierten. López Obrador sagte auf einer Presskonferenz, die Wahl Arévalos "freue ihn sehr", dieser werde "für Alle regieren, aber speziell den Armen Aufmerksamkeit zukommen lassen". Das Regieren wird für Semilla nicht einfach. Neben den Angriffen auf den Parteistatus hat das Bündnis nur 23 Abgeordnete im 160-köpfigen Parlament, das progressive Lager kommt insgesamt auf 29 Abgeordnete. Dagegen stehen 39 Abgeordnete der noch-Regierungspartei Vamos, 28 der UNE und zwölf der ultrarechten Parteienallianz Unionista-Valor.

Das Trauma von 1954

Liane von Billerbeck: 1944, da begann für das mittelamerikanische Guatemala eine kurze Zeit demokratischer Blüte. Doch als der mit großer Mehrheit gewählte Präsident Jacobo Arbenz brachliegendes Land umverteilen wollte an landarme Bauern, da war es mit der Demokratie bald vorbei, und zwar für sehr lange Zeit. Am 18. Juni 1954, vor 60 Jahren also, putschte eine kleine Exilarmee mithilfe der CIA die Regierung weg. Das war ziemlich leicht, denn Guatemala war im wahrsten Sinne des Wortes eine Bananenrepublik: Große Teile des Landes der Infrastruktur gehörten der United Fruit Company, ein Unternehmen, das man wegen seiner Macht „el pulpo“, „der Krake“ nannte.

Aus Guatemala wurde ein Land, in dem sich eine Diktatur mit der nächsten blutigen Diktatur abwechselte. Anika Oettler ist Professorin an der Philipps-Universität Marburg. Die Soziologin hat zur Geschichte Mittelamerikas publiziert und war zu Feldforschungen in El Salvador, Nicaragua, Peru und Guatemala und sie ist außerdem Mitglied im Forschungsnetzwerk „Rekonfigurationen – Geschichte, Erinnerungen und Transformationsprozesse im Mittleren Osten und Nordafrika“. Mit ihr habe ich vor unserer Sendung gesprochen, grüße Sie, Frau Oettler!L

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