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Themen-Setzen von Politikern mit Medien entscheidet über Erfolg oder Misserfolg am Wahltag

Nicht Spitzenpolitiker*innen und Wahlprogramm sind nach Meinung des Pioneer entscheidend für den Wahlausgang, sondern welcher Partei es gelingt, die Wirklichkeit gemäß den eigenen Wünschen und Interessen dazustellen. Das gilt auch für diejenigen, die die globale Vielfachkrise und die Friedensgefährung zum Thema machen wollen und bei den Wählern für ihre Wahlentscheidung wichtig machen wollen: An alle Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis kandidieren.


Es gibt zwei Irrtümer bezüglich der Bundestagswahl, die auch dann Irrtümer bleiben, wenn sie sich großer Beliebtheit erfreuen.

Die Spitzenpolitiker glauben innigst, Wahlen werden von der Persönlichkeit des Spitzenkandidaten entschieden. Deshalb das erbitterte öffentliche Ringen zwischen Laschet und Söder. Deshalb die nicht minder harte, nur eben verdeckte Auseinandersetzung zwischen Habeck und Baerbock, deren Verwundung der Unterlegene anschließend thematisierte.

Irrtum Nummer zwei erfreut sich vor allem im Funktionsapparat der politischen Parteien großer Popularität. Dort glaubt man, es komme auf das Wahlprogramm an. Die Programmgläubigen aller Parteien führen Religionskriege um Überschriften und Spiegelstriche in der heiligen Hoffnung, davon würden die Wahlchancen ihrer Truppe abhängen.

Doch in Wahrheit ist es eine dritte Zutat, die über Erfolg oder Misserfolg am Wahltag entscheidet: das Agenda-Setting. Dabei geht es um die Kunst und manchmal auch um die Heimtücke, das Leib-und-Magen-Thema der eigenen Klientel zur unverrückbaren Priorität des Landes zu erheben. Erst die Thermik der Agenda befördert den Spitzenkandidaten in jene luftige Höhe, in der Wahlsiege errungen werden. Oder praktisch gesprochen:

  • Hält die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler den Klimawandel für die größte Gefahr der Menschheit, wirkt eine ökologisch orientierte Partei wie ein Heilsversprechen. Die Spitzenkandidatin ist plötzlich nicht mehr nur Spitzenkandidatin, sondern hat als Weltenretterin ihren großen Auftritt.

  • Gelingt es, die Frage der Zuwanderung und ihrer auch negativ erlebten Begleitumstände – von der Lohnkonkurrenz bis hin zur Furcht vor steigender Kriminalität – ins Zentrum der öffentlichen Debatte zu katapultieren, fliegt die Partei der Migrations-Gegner hoch. So wurde die AfD 2017 zur größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag.

  • In der Sekunde aber, wo der Wohlstand des Landes gefährdet scheint, wo plötzlich auffällt, wie verkrustet das Bildungssystem und wie schwach die Innovationskraft ist, ändert sich der Blick auf eine wirtschaftsliberale Vereinigung. Plötzlich wird die FDP nicht mehr als Appendix und Mehrheitsbeschaffer wahrgenommen, sondern als Antriebsaggregat für eine notwendige Zeitenwende. Wenn das gelingt, geht Christian Lindner mit zweistelligem Ergebnis nach Hause.

  • Erscheint hingegen die soziale Lage im Lande prekär und gelingt es im öffentlichen Diskurs, die Unterschiede zwischen oben und unten zu vergrößern und zu vergröbern, glucksen die traditionellen Arbeiterparteien vor Vergnügen. Rot ist dann plötzlich die Farbe der Saison, wonach es im Moment gerade nicht aussieht.

  • Die konservativen Parteien haben es am schwersten, denn ihnen geht es dann am besten, wenn möglichst viele wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Angela Merkel war daher 16 Jahre lang bemüht, das Tosen des Zeitgeistes zu überhören und die grelle Beleuchtung der Medien zu dimmen: Schon aus politisch-strategischen Gründen hasste sie das Theatralische und Apokalyptische des öffentlichen Diskurses. Der Konservative peitscht nicht auf, er beruhigt: Sie kennen mich.


Die Disziplin des Agenda-Settings – die der Politiker nur im Zusammenspiel mit den Medien erreicht – ist der Schlüssel zum Verstehen des Wahlkampfes. Die Strategen der US-Parteien sprechen in Erinnerung an den gleichnamigen Film von „Gaslighting“.

In diesem Streifen aus dem Jahr 1944 geht es darum, dass ein Mann seine Frau durch eine ständige Veränderung der Beleuchtung im Hause verwirrt; bis sie nicht mehr weiß, ob Tag oder Nacht ist und sie sich in ihrer Desorientierung ihm willfährig anvertraut. Beim Gaslighting geht es um nichts Geringeres als einen Anschlag auf unseren Realitätssinn.

Fazit: In den nächsten Monaten werden wir vielerlei Versuche erleben, die Wirklichkeit gemäß den eigenen Wünschen und Interessen zu kuratieren und zu illuminieren. Der Andersdenkende wird - je nach Drehbuch - als Rassist, Sozialist oder Illusionist porträtiert. „Was ist Politik?“, wurde der polnische Lyriker Stanisław Jerzy Lec gefragt. Seine Antwort:

Das Wettrennen trojanischer Pferde. “

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