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Wie machen wir die Welt zu einer Welt weltweit für uns alle? Freires Pädagogik der Unterdrückten


Paolo Freires Pädagogik ist eine Pädagogik der Kommunikation, denn durch die Kommunikation erfolgt eine Reflexion und damit Bewusstseinsbildung. Durch diese Bewusstseinsbildung ist es dem Menschen möglich, Autonomie zu erlangen. Dialog kann „nicht existieren, wo es an der tiefen Liebe für Welt und Menschen fehlt“; wo es nicht „einen intensiven Glauben an den Menschen, einen Glauben an seine Macht, zu schaffen und neu zu schaffen, zu machen und neu zu machen, Glauben an seine Berufung, voller Mensch zu sein" fehlt; "ohne dass sich die Dialogpartner auf kritisches Denken einlassen.“ Freire und die Befreiungspädagogik, in deren Zusammenhängen er agierte, stand an der Seite der Marginalisierten und Ausgebeuteten. Es entstand eine „befreiende und dialogische Praxis“, die in ausbeuterischen Herrschaftsstrukturen Benachteiligten eine Stimme geben wollte, um wieder Subjekt für sich zu werden und zu sein.

Freire-Pädagogik

Ronald Lutz veröffentlicht am 07.07.2020

Die auf Paulo Freire (1921–1997) zurückgehende Pädagogik wird auch als Pädagogik der Unterdrückten bezeichnet. Sie ist geprägt von einer dialogischen und befreienden Praxis, bei der nicht eine Defizitorientierung im Vordergrund steht, sondern der Mensch mit seinen Fähigkeiten.

Überblick

  1. 1 Zusammenfassung

  2. 2 Einführung

  3. 3 Warum Freire

  4. 4 Theoretische Impulse: Von den Menschen ausgehen

  5. 5 Praktische Impulse: Dialogischer Prozess

  6. 6 Methodische Prinzipien

  7. 7 Fazit

  8. 8 Quellenangaben

  9. 9 Literaturhinweise

1 Zusammenfassung

Paulo Freire hat mit seiner dialogischen und befreienden Pädagogik die Grundlage für eine Fülle von Diskursen gelegt, welche Aufgaben denn Soziale Arbeit habe. Eine der aktuell bedeutsamsten Aussagen dabei ist, dass er „Erziehung“ als politisch begriff. Eine Rezeption seiner Konzepte, verdichtet im Dialog als Praxis, ist vor allem auch deswegen wichtig, da Soziale Arbeit sich als Handlungspraxis immer mehr jenseits politischer Einmischung entworfen hat. Aber auch Freires Methode des problemformulierenden Lernens kann in einer hochkomplexen Gesellschaft der Diversität neue Impulse geben.

2 Einführung

Als Menschenrechtsprofession sieht sich Soziale Arbeit mit ihren Gründungsmythen der Gerechtigkeit, der Freiheit und einem „Guten Leben“ aller Menschen verpflichtet (Böhnisch und Schröer 2013; Staub-Bernasconi 2007; 2017). Dies fordert von ihr sowohl eine politische Einmischung als auch die durch dialogische Praxis zu bewerkstelligende Beendigung der von Freire sogenannten „Kultur des Schweigens“ Benachteiligter, die sich abschließen und in ihrer prekären Lage einfinden (Freire 1973). Es gilt diese mit ihnen zusammen zu verstehen und die Menschen darin zu unterstützen sich in neuerlichen „Wortmeldungen“ gesellschaftlich einzubringen. Dass dies notwendig ist, hat neben einer tiefen Spaltung der Gesellschaft (Butterwegge 2019) seine Gründe auch in der Praxis Sozialer Arbeit. Neoliberal gewendet ist diese inzwischen eher das, was Bourdieu mit der Metapher „Politik der Entpolitisierung“ meinte (Bourdieu 1998): Damit ist ein sich Arrangieren mit dem neoliberalen Kontext einer individualisierten und beschleunigten Gegenwart gemeint, die sich in der Akzeptanz von Bedingungen und Rahmungen zeigt, an denen man ohnehin nichts mehr zu ändern vermag. Darin werden Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik nur noch als Marktgeschehen gefasst; Soziale Arbeit ist eine kommodifizierte Profession, sie ist Sozialwirtschaft mit allen ökonomischen Konsequenzen (Lutz 2005b; 2008; 2017; Lessenich 2010).

(...)

7 Fazit

Durch den Einbezug von Menschen geht eine verstehende Praxis radikal von diesen aus. Nach Freire muss man „in der Tat“ den Menschen das Wort geben. In diesem Prozess dialogischen Verstehens werden Menschen als fähige Wesen bestätigt, die immer unvollendet sind, aber zugleich entwicklungsoffen, kulturschöpferisch und dialogfähig.

Das Wiederlesen von Paulo Freire kann zur Reformulierung einer politischen Sozialen Arbeit führen, die sich als befreiende Praxis darstellt. Sie gibt den Vergessenen ihre Stimme wieder und durchbricht die erzwungene Kultur des Schweigens. Wenn sich ihr Mandat an einer verstehenden und problemformulierenden Bildung orientiert, dann beginnt Soziale Arbeit bei den Menschen und wird ihr Instrument in ihrer Politik des Lebens, sie wird „Pädagogik für das Leben“. Soziale Probleme, die vielfach zu Diskriminierungen führen, werden zu Herausforderungen, die in Gestaltungs- und Entwicklungsoptionen übersetzt werden können.

Die Rezeption von Paulo Freire schwört Soziale Arbeit erneut darauf ein, sich für ihre Gründungsmythen zu engagieren und politisch einzumischen, um gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Missachtung zu kämpfen sowie an der Veränderung der Strukturen zu arbeiten, die Leid erst verursachen. Hierzu aber muss sie sich auch utopischen Ideen öffnen, die vielfältig in sozialen Bewegungen formuliert werden. An der Seite mit diesen könnte sie für eine gerechtere Gesellschaft streiten, nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch praktisch.

https://www.socialnet.de/lexikon/Freire-Paedagogik#:~:text=Die%20auf%20Paulo%20Freire%20(1921,der%20Mensch%20mit%20seinen%20F%C3%A4higkeiten.

Grundzüge der Pädagogik der Unterdrückten


das ganze Buch: Pädagogik der Unterdrückten




Paulo Freire Zentrum, Videos

Zitate von Paulo Freire


Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/paulo-freire/

Pädagogik der Unterdrückten

1970 erschien Paulo Freires befreiungspädagogisches Hauptwerk – Pädagogik der Unterdrückten. Dieses Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt. Zwar weist Paulo Freire nicht explizit darauf hin, dass dieses Buch auf den Erfahrungen aufbaut, die er in der Alphabetisierungskampagne gemacht hat, aber implizit findet man die Grundstruktur wieder.

Die Analyse des herrschenden Schulsystems – „Bankiers-Methode“

Die vorherrschende Unterrichtsmethode nennt Paulo Freire „Bankiers-Methode“. Er macht seine Kritik deutlich, indem er den Positivismus seiner Zeit kritisiert. So behauptet er, dass die Anhänger des Positivismus glauben, dass das „menschliche Bewusstsein etwas leeres und passives ist, in dem es nichts gibt, was bewusst gemacht werden sollte.“[8] So schreibt Paulo Freire: „Das Bankiers-Konzept beruht auf der Voraussetzung einer Spaltung zwischen Mensch und Welt: der Mensch ist nur in der Welt, aber nicht mit der Welt oder mit anderen. Der Mensch ist Zuschauer, nicht Neuschöpfer. In dieser Sicht ist der Mensch nicht ein bewusstes Wesen, vielmehr ist er Besitzer eines Bewusstseins: eines leeren Sinnes, der dem Empfang von Einlagen an Wirklichkeit aus der Außenwelt passiv offen steht.“[9]

In der Bankiers-Methode wird Erziehung zu einem Akt der Spareinlage. Der Lehrer macht Einlagen in die Köpfe der Schüler. Die Aufgabe des Lehrers ist es, die Köpfe der Schüler „mit den Inhalten seiner Übermittlung zu füllen“ – mit Inhalten, die von der Wirklichkeit losgelöst sind, ohne Verbindung zu einem größeren Ganzen, das sie ins Leben rief und ihnen Bedeutung verleihen könnte.[10] „Je vollständiger er die Behälter füllt, ein desto besserer Lehrer ist er. Je williger die Behälter es zulassen, dass sie gefüllt werden, um so bessere Schüler sind sie.“[10] Paulo Freire behauptet, dass diese Bankiers-Methode die Schüler passiv macht. Sie nehmen die ihnen präsentierte Welt hin und passen sich der scheinbaren Realität an. So entwickelt sich nach Paulo Freire kein kritisches Bewusstsein.

Die Alternative – „problemformulierende Bildung“

„In der problemformulierenden Bildung entwickeln die Menschen die Kraft, kritisch die Weise zu begreifen, in der sie in der Welt existieren, mit der und in der sie sich selbst vorfinden. Sie lernen die Welt nicht als statische Wirklichkeit, sondern als eine Wirklichkeit im Prozess sehen, in der Umwandlung.“[11]

Paulo Freires Konzept sieht vor, den Lehrer-Schüler-Widerspruch, wie er in der „Bankiers-Methode“ vorherrscht, aufzuheben. So bezeichnet er sie konsequenterweise als „Lehrer-Schüler“ bzw. als „Schüler-Lehrer“. Durch wahren Dialog der „Schüler-Lehrer“ und der „Lehrer-Schüler“ sollen beide die Wirklichkeit enthüllen. Dialog kann „nicht existieren, wo es an der tiefen Liebe für Welt und Menschen fehlt“;[12] wo es nicht „einen intensiven Glauben an den Menschen, einen Glauben an seine Macht, zu schaffen und neu zu schaffen, zu machen und neu zu machen, Glauben an seine Berufung, voller Mensch zu sein"[13] fehlt; "ohne dass sich die Dialogpartner auf kritisches Denken einlassen.“[13]

Nach Paulo Freire entdeckt man bei der Analyse des Dialogs, „was das Wesen des Dialogs ausmacht: das Wort“.[14] Das Wort ist mehr als ein Instrument, das den Dialog ermöglicht. In ihm entdeckt Paulo Freire zwei konstitutive Elemente: Reflexion und Aktion. Für ihn beruht Praxis auch auf Reflexion und Aktion.

Wenn im Unterricht nur theoretisch reflektiert wird, fehlt die Aktion. Dies bezeichnet Paulo Freire als „Verbalismus“. Wenn andererseits das Gewicht mehr auf Aktion gesetzt wird, fehlt die Reflexion. Dies bezeichnet er als „Aktionismus“. Ein guter Unterricht muss also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Reflexion und Aktion anstreben.

Kommunikation, Bewusstseinsbildung und Autonomie

Da nur ein Teil von Freires Gesamtwerk ins Deutsche übersetzt wurde, konzentriert sich die Rezeption in Deutschland auch stark auf diese Werke (v. a. Pädagogik der Unterdrückten). Dies führte u. a. dazu, dass Freire zunehmend in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Dabei wird leicht übersehen, wie umfassend sein Gesamtwerk ist. Insbesondere Werke wie die Pedagogia da autonomia (Pädagogik der Autonomie), Pedagogia da Esperanca (Pädagogik der Hoffnung), A educacao na cidade (Die Bildung in der Stadt) oder der Aufsatz Education and Community Involvement besitzen eine hohe Aktualität sowohl für Diskussionen um Bürgerpartizipation und Zivilgesellschaft, aber auch zum technologischen Wandel. Freires Pädagogik ist eine Pädagogik der Kommunikation, denn durch die Kommunikation erfolgt eine Reflexion und damit Bewusstseinsbildung. Durch diese Bewusstseinsbildung ist es dem Menschen möglich, Autonomie zu erlangen. Die Aktualität dieser Konzepte zeigt sich schon durch neue Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten, die den Menschen vor neue Herausforderungen stellen. So kann Freires Pädagogik wichtige Impulse liefern für die Medienpädagogik (Schwinger 2005).

Seit 2007 liegt auch ein Teil des Spätwerks auf Deutsch vor.






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