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„Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ‚Nein, das tun wir nicht!‘" Strafantrag gegen Klaus Bednarz, Zuchthaus für Rosa Luxemburg

Boris Vian: Doch wollt Ihr Blut vergießen, dann lasst das Eure fließen, Verehrter Präsident. Muhamed Ali (Cassius Clay): Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger“. „Nein, ich werde nicht 10.000 Meilen von zu Hause entfernt helfen, eine andere arme Nation zu ermorden und niederzubrennen, nur um die Vorherrschaft weißer Sklavenherren über die dunkleren Völker der Welt sichern zu helfen.“ Reinhard Mey Nein meine Soehne geb ich nicht.

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Im Juli 1989 leitete die Kölner Staatsanwaltschaft ein Strafermittlungsverfahren gegen den Leiter des WDR-Fernsehmagazins Monitor, Klaus Bednarz, ein. Der Grund: Verdacht der „Aufforderung zu einer Straftat“. Zuvor hatte der CSU-Bundestagsabgeordnete Lorenz Nigel Anzeige gegen den Monitor-Chef erstattet, weil er in seiner Abmoderation eine „Aufforderung zur Fahnenflucht“ geäussert haben soll, die nach Auffassung des CSU-Politikers „schließlich auch in einer parlamentarischen Demokratie strafbar ist“. Bednarz hatte einen Monitor-Beitrag über Deserteure im Dritten Reich mit den Worten beendet: „Ich persönlich kann nur hoffen, dass - sollte jemals wieder in Europa ein Krieg ausbrechen - möglichst viele Soldaten desertieren. Möglichst am ersten Tag, in der ersten Stunde“.


„Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit“

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1912 reiste Rosa Luxemburg als Vertreterin der SPD zu europäischen Sozialistenkongressen, darunter dem in Paris, wo sie und Jean Jaurès die europäischen Arbeiterparteien zu einer feierlichen Verpflichtung brachten, beim Kriegsausbruch zum Generalstreik aufzurufen. Als der Balkankrieg 1913 fast schon einen Weltkrieg auslöste, organisierte sie Demonstrationen gegen den Krieg. In zwei Reden in Frankfurt-Bockenheim am 25. September und in Fechenheim bei Frankfurt am Main am 26. September 1913 rief sie eine Menge von Hunderttausenden zu Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung auf: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ‚Nein, das tun wir nicht!‘“[41] Daher wurde sie der „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit“ angeklagt und im Februar 1914 zu insgesamt 14 Monaten Gefängnis verurteilt.[42] Ihre Rede vor der Frankfurter Strafkammer wurde später unter dem Titel Militarismus, Krieg und Arbeiterklasse veröffentlicht. Vor dem Haftantritt konnte sie Ende Juli noch an einer Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros teilnehmen. Dort erkannte sie ernüchtert: Auch in den europäischen Arbeiterparteien, vor allem den deutschen und französischen, war der Nationalismus stärker als das internationale Klassenbewusstsein.



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  1. Zu le desterteur

Verehrter PräsidentIch sende Euch ein SchreibenLest oder laßt es bleibenWenn Euch die Zeit sehr brennt.

Man schickt mir da, gebt achtDie MilitärpapiereDaß ich in den Krieg marschiereUnd das vor Mittwoch nacht.

Verehrter PräsidentDas werde ich nicht machenDas wäre ja zum LachenIch hab kein Kriegstalent.

Sei´s Euch auch zum VerdrußIhr könnt mir´s nicht befehlenIch will´s Euch nicht verhehlenDaß ich desertieren muß.

Seit ich auf Erden binSah ich den Vater sterbenSah meine Brüder sterbenUnd weinen nur mein Kind.

Sah Mutters große NotNun liegt sie schon im GrabeVerlacht den BombenhagelUnd treibt mit Würmern Spott.

Als ich Gefangner warGing meine Frau verdienenIch sah nur noch RuinenNichts blieb, was mir mal war.

Früh wenn die Hähne krähenDann schließ ich meine TürenUnd will die Toten spürenUnd auf die Straße gehen.

Ich nehm den Bettelstab

Auf meiner Tour de France

Durch Bretagne und Province

Und sag den Menschen dies:

Verweigert Krieg, Gewehr

Verweigert Waffentragen

Ihr müßt schon etwas wagen

Verweigert´s Militär.

Ihr predigt, Kompliment

Doch wollt Ihr Blut vergießen

Dann laßt das Eure fließen

Verehrter Präsident.

Sagt Eurer PolizeiSie würde mich schon schaffen

Denn ich bin ohne Waffen

Zu schießen steht ihr frei.

(Variante zur Schlußstrophe, nur in Notfällen zu singen)

Sagt Eurer Polizei

Sie würde mich nicht schaffen

Denn ich besitze Waffen

Und schieße nicht vorbei.

(Aus Boris Vian, „Der Deserteur – Chansons, Satiren und Erzählungen“, Wagenbach Verlag, 1992)






Nein, meine Söhne geb ich nicht Songtext

Ich denk′, ich schreib' euch besser schon beizeiten


Und sag′ euch heute schon endgültig ab –


Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten


Um zu sehen, dass ich auch zwei Söhne hab'!


Ich lieb' die beiden, das will ich euch sagen


Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht


Und die, die werden keine Waffen tragen!


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht –


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht!



Ich habe sie die Achtung vor dem Leben


Vor jeder Kreatur als höchsten Wert –


Ich habe sie Erbarmen und Vergeben


Und wo immer es ging, lieben gelehrt!


Nun werdet ihr sie nicht mit Hass verderben


Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht


Sind's wert, dafür zu töten und zu sterben –


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht –


Nein, meine Söhne geb' ich nicht!



Cardio-Training

00:00

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01:23


Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter


Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht –


Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter


Nicht für euch hab′ ich manche Fiebernacht


Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden


Und kühlt' ein kleines glühendes Gesicht


Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht –


Nein, meine Söhne geb' ich nicht!



Sie werden nicht in Reih' und Glied marschieren


Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt


Auf einem gottverlass′nen Feld erfrieren


Während ihr euch in weiche Kissen setzt!


Die Kinder schützen vor allen Gefahren


Ist doch meine verdammte Vaterpflicht


Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht –


Nein, meine Söhne geb' ich nicht!



Ich werde sie den Ungehorsam lehren


Den Widerstand und die Unbeugsamkeit –


Gegen jeden Befehl aufzubegehren


Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit!


Ich werd′ sie lehr'n, den eig′nen Weg zu gehen


Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht


Vor keinem als sich selber g'radzustehen!


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht –


Nein, meine Söhne geb' ich nicht!




Und eher werde ich mit ihnen fliehen


Als dass ihr sie zu euren Knechten macht –


Eher mit ihnen in die Fremde ziehen


In Armut und wie Diebe in der Nacht!


Wir haben nur dies eine kurze Leben –


Ich schwör's und sag′s euch g′rade ins Gesicht:


Sie werden es für euren Wahn nicht geben!


Nein, meine Söhne geb' ich nicht –


Nein, meine Söhne geb′ ich nicht!

Lokale Aufarbeitung

Ulmern Deserteuren gedenken

vonRalf Buchterkirchen

Erst 2002 hat es der Deutsche Bundestag – insbesondere gegen den Widerstand der Konservativen – vermocht, die Deserteure des Zweiten Weltkrieges zu rehabilitieren. Bis zur Anerkennung auch der „Kriegsverräter“ sollte es bis 2009 dauern. Vorausgegangen war ein erbitterter Streit mit Schlagworten wie Sicherstellung der „Ehre des deutschen Soldaten“, „Vaterlandsverrat“ und „Feigheit vor dem Feind“.

Was bisher noch immer fast vollkommen fehlt, sind wissenschaftliche Detailstudien, die auf lokaler Ebene die Orte des Verbrechens benennen und individuelle Biographien rekonstruieren. Erst wenige Arbeiten sind hierzu entstanden, so bspw. die von Jürgen Kammler zu Kasseler Deserteuren oder diejenige von Günter Fahle zu Desertion im Ems-Jade-Gebiet.

Solche lokalen Arbeiten stießen und stoßen teilweise noch immer auf massive Widerstände vor Ort, weil sie einfordern, Verantwortung zu übernehmen und nicht weiter Soldatentum zu heroisieren. Wie schwierig der Umgang mit der eigenen Geschichte ist, zeigt das Beispiel der Garnisonsstadt Ulm. Massenhaft prägen Kriegsdenkmäler bis in das Ulmer Münster hinein das Stadtbild. Gedacht wird dener, die mitmachten – nicht jener, die sich dem Morden verweigerten. Symptomatisch dafür ist der Streit um das Ulmer Deserteursdenkmal, welches, in der Stadt von Friedensinitiativen errichtet, abgebaut werden musste und erst Jahre später am Rande der Stadt, in der Nähe des Erschießungsplatzes der Wehrmacht im ‚Lehrer Tal‘, wieder aufgestellt werden konnte. Ein würdiges Gedenken an die Deserteure in der Stadt dazu fehlt bis heute.

Dem Autor Oliver Thron und dem Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg kommt das Verdienst zu, sich diesem Stück Stadtgeschichte angenommen zu haben. Auf 80 gut lesbaren Seiten präsentiert der Autor ein Stück Ulmer Stadtgeschichte, das bisher in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht vorkam. In der Monographie „Deserteure und ‚Wehrkraftzersetzer‘ –  ein Gedenkbuch für die Opfer der Militärjustiz in Ulm“ beschäftigt sich der Autor mit jenen Gehorsamsverweigerern, die in Ulm hingerichtet wurden. Thron nennt Opfer, Täter und Orte der Verbrechen beim Namen. Für sechs Soldaten gelang dabei erstmals der Nachweis, dass das Militär in Ulm Hinrichtungen durchführte. Mit ausführlichen Biographien werden aus namenlosen Opfern Menschen mit Gesicht und Geschichte. Da ist beispielsweise Jakob Eckstein. Eckstein, Jahrgang 1920 – geboren im schwäbischen Nehresheim –, wird 1941 zur Wehrmacht ins thüringische Altenburg eingezogen. Im Juli 1943 wird er in der Nähe Stalingrads durch einen Kopfschuss schwer verwundet und ist 48 Stunden verschüttet. Nach medizinischer Behandlung bleiben als Nebenfolge schwere epileptische Anfälle. Ende Januar 1944 soll er in Stuttgart auf eine Entlassung als Schwerversehrter überprüft werden. Von dort kommt er nicht mehr zurück, sondern versteckt sich bei  seiner Freundin Erna in Altenburg. Beim Versuch, sie zu heiraten, wird er von der Feldgendarmerie – den berüchtigten „Kettenhunden“ – verhaftet und nach Ulm ins Militärgefängnis gebracht. Im ‚Lehrer Tal‘ wird er am 17. März 1945 hingerichtet.

Erschießungen fanden im ‚Lehrer Tal‘ am Rande des Ortes statt. Zudem stand im Innenhof des Untersuchungsgefängnisses eine Guillotine. Die Täter – beispielsweise Oberfeldrichter Hermann Bames – werden im vorliegenden Werk ebenfalls benannt. Bames, der nach dem Krieg Landesgerichtsdirektor in Ulm und Vorsitzender der Spruchkammer über die Belastung ehemaliger NS-Täter war, war während des Krieges an mindestens vier Todesurteilen beteiligt und stufte nach dem Krieg Mitglieder der SS als „unbelastet“ ein. In einem Nachruf der Schwäbischen Donauzeitung heißt es, trotz des Wissens um seine Beteiligung an den Verurteilungen über ihn: „… erwarb sich Direktor Bames besondere Verdienste um den Wiederaufbau der Zivilgerichtsbarkeit […][Er] wurde breit geschätzt und verehrt.“

Wichtiger Bestandteil des Buches ist nicht nur die Auseinandersetzung mit der Militärgeschichte – vielmehr zeigt es auch die fortwährende Militärgläubigkeit der Stadt auf. „Deserteure und ‚Wehrkraftzersetzer‘ - ein Gedenkbuch für die Opfer der Militärjustiz“ schließt eine wichtige Lücke in der Ulmer Regionalgeschichte. Es kann und wird dazu beitragen, dass die Debatte über Gedenken und über die Geschichtskultur in Ulm anders geführt werden muss.

Oliver Thron: Deserteure und ‚Wehrkraftzersetzer‘ - ein Gedenkbuch für die Opfer der Militärjustiz in Ulm, Klemm + Oelschläger, Ulm 2011, ISBN: 978-3-86281-024-6



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Jörg Kammler


Jörg Kammler (* 11. Februar 1940 in Berlin; † 27. August 2018 in Osnabrück) war ein deutscher Politikwissenschaftler.

Leben

Jörg Kammler war von 1965 bis 1967 als wissenschaftlicher Assistent bei Wolfgang Abendroth am Institut für Wissenschaftliche Politik der Universität Marburg tätig. Nach der Promotion in Marburg 1972 im Fach Politikwissenschaft über die frühen politischen Schriften von Georg Lukács forschte er von 1974 bis 1995 an der Gesamthochschule Kassel als Professor vor allem zur Politik des Nationalsozialismus und zu dessen Auswirkungen in Kassel und Nordhessen. Gemeinsam mit Frank Benseler edierte Jörg Kammler eine Ausgabe von Lukács politischen Schriften.[1]

Jörg Kammler war ein Sohn von Hans Kammler, dessen schuldhaft exponierte Funktion in der Zeit des Nationalsozialismus für ihn „ein lebenslang zwingendes Motiv für die kritische Befassung mit der deutschen Zeitgeschichte und mit dem Denken und Handeln ihrer Akteure war“.[2] Er gehörte zu den Mitbegründern des Studienkreises Deutscher Widerstand.[3]

Einzelnachweise

  1.  Elisabeth Abendroth: Ein Leben für historische Aufklärung und soziale Demokratie - Jörg Kammler, in Zeitschrift Sozialismus 10/2018, S. 62–63

  2.  Hans-Manfred Bock: Jörg Kammler (†), ein Kasseler Politikwissenschaftler der ersten Stunde, uni-kassel.de, 4. September 2018, abgerufen am 9. Februar 2021.

  3. Jörg Kammler – Wikipedia

    Zu le desterteur

Verehrter PräsidentIch sende Euch ein SchreibenLest oder laßt es bleibenWenn Euch die Zeit sehr brennt.

Man schickt mir da, gebt achtDie MilitärpapiereDaß ich in den Krieg marschiereUnd das vor Mittwoch nacht.

Verehrter PräsidentDas werde ich nicht machenDas wäre ja zum LachenIch hab kein Kriegstalent.

Sei´s Euch auch zum VerdrußIhr könnt mir´s nicht befehlenIch will´s Euch nicht verhehlenDaß ich desertieren muß.

Seit ich auf Erden binSah ich den Vater sterbenSah meine Brüder sterbenUnd weinen nur mein Kind.

Sah Mutters große NotNun liegt sie schon im GrabeVerlacht den BombenhagelUnd treibt mit Würmern Spott.

Als ich Gefangner warGing meine Frau verdienenIch sah nur noch RuinenNichts blieb, was mir mal war.

Früh wenn die Hähne krähenDann schließ ich meine TürenUnd will die Toten spürenUnd auf die Straße gehen.

Ich nehm den Bettelstab

Auf meiner Tour de France

Durch Bretagne und Province

Und sag den Menschen dies:

Verweigert Krieg, Gewehr

Verweigert Waffentragen

Ihr müßt schon etwas wagen

Verweigert´s Militär.

Ihr predigt, Kompliment

Doch wollt Ihr Blut vergießen

Dann laßt das Eure fließen

Verehrter Präsident.

Sagt Eurer PolizeiSie würde mich schon schaffen

Denn ich bin ohne Waffen

Zu schießen steht ihr frei.

(Variante zur Schlußstrophe, nur in Notfällen zu singen)

Sagt Eurer Polizei

Sie würde mich nicht schaffen

Denn ich besitze Waffen

Und schieße nicht vorbei.

(Aus Boris Vian, „Der Deserteur – Chansons, Satiren und Erzählungen“, Wagenbach Verlag, 1992)

„Abend für Abend tritt Vian nun an den Bühnenrand, mit Magenkrämpfen vor lauter Angst. Er kommt sehr früh ins Theater, obgleich sein Auftritt erst spät angesetzt ist, um sich an den Ort zu gewöhnen und sein Herzklopfen abklingen zu lassen. Nach und nach, mehr oder weniger freiwillig, versucht er dann, seine Bühnenpräsenz bewußt als Mittel einzusetzen. Wenn er so steif ist, dann kann er auch so tun, als verzichte er willentlich auf Gestik, um seine Chansons für sich selbst sprechen zu lassen“ (Philippe Boggio). Als Boris Vian 1955 in Paris auf diese Weise sein Lied „Der Deserteur“ vortrug, hatte der französische Staat gerade seine Kolonialarmee aus Indochina zurückgeholt, um sie anschließend gegen die Befreiungsbewegung in Algerien einzusetzen. Trotz des politischen Sprengstoffes, den das Chanson enthielt, war das Interesse an Vians Text ein Jahr zuvor sehr gering, so daß Jacques Canetti dem Schriftsteller riet: „Singen Sie ihre Lieder selbst.“ Zunächst sang der bekanntere Chansonnier Marcel Mouloudji bei seinen Auftritten „Le Déserteur“ mit einigem Erfolg, so daß Boris den Mut findet, selbst aufzutreten und seine anderen Texte zu singen. Bei der anschließenden Kabarett-Tournee mit anderen Künstlern hatte er einen 20-Minuten-Auftritt. Boris wirkte nach der Auffassung von Beobachtern „eher linkisch“, aber „seine knappen, sarkastischen Kommentare bewirkten bald ein engagiertes Mitgehen des Publikums“ (Klaus Völker). Philippe Boggio schreibt: „Er singt nicht, er psalmodiert. (…) Der Saal übernimmt sein Unwohlsein und spiegelt es.“

Die Rechte störte seine Auftritte

Wendepunkt der Tournee war Vians Auftritt in Nantes, als eine Gruppe von älteren Männern seinen Vortrag mit Rufen „Nach Rußland! Nach Rußland!“ – auf seinen Vornamen anspielend – unterbrach. Es handelte sich um Kriegsveteranen, denen „Der Deserteur“ nicht passte. Ein patriotischer Bürgermeister organisierte die Proteste, die von nun an Vians Auftritte begleiteten: „Bleicher als je zuvor, steht Vian da, den Blick fest in die Mitte des Saales gerichtet, und versucht halsstarrig zu singen, doch ihre Schreie übertönen seine Stimme. Da steht der Bürgermeister auf, tritt vor, hievt seine ganze Würde auf die Bühne und fordert unter allgemeinem Applaus diesen Russen, diesen Anarchisten, der reif dafür ist, an die Mauer gestellt zu werden, diesen antifranzösischen Deserteur auf, endlich abzutreten“ (Boggio). Die sich hier lautstark gebärdende nationalistische Bewegung korrespondierte stark mit dem 1953 aufkommenden „Poujadismus“, benannt nach Pierre Poujade. Es handelt sich hierbei um rückwärtsgewandte Mittelständler und Steuerrebellen, die sogar Finanzämter überfielen. 1956 zog übrigens als jüngster Abgeordneter Le Pen mit 51 anderen Mitgliedern dieser „Union zur Verteidigung der Kaufleute und Handwerker“ in das französische Parlament ein: Ein Vorläufer des Front National (FN). Und auch der spätere Le Pen-Freund Mitterand war in eben jener Zeit 1954 bis 1955 sozialistischer Innenminister Frankreichs und verfolgte eine äußerst repressive Politik gegenüber der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Boris Vian widmete das Chanson „Das kleine Geschäft“ Poujade und gab dessen kleingeistige, aber gefährliche Krämerseele der Lächerlichkeit preis: „Ich habe Seife verkauft. Die ist nicht gegangen.“ Und blieb bei dem Thema, das er bei „Der Deserteur“ angesprochen hatte: „Ich verkaufte Kanonen in den Straßen der Welt. Und mein Geschäft ist verdammt gut gegangen. Von allen Friedhofslieferanten bekam ich viel Geld.“

Missachtung und spätere Zensur

Obwohl „Der Deserteur“ in der Presse zu verschiedenen Diskussionen führte und es am 27. 8. 1955 zu einer Life-Aufnahme im belgischen Fernsehen kam, wurden nur ein paar hundert Schallplatten mit seinen Chansons hergestellt. Der Skandal um dieses Lied betraf zu dieser Zeit doch eher die Provinz. Erst später, als der Algerienkrieg ausbrach, wurde das Lied zensiert. Vian, der „einfach logisch und entschlossen destruktiv argumentierte, wie ein trotziges Kind, dem Begriffe wie Bürgerpflicht, Patriotismus keinen Eindruck machen können (…), trug das Chanson auch wie ein Kinderlied vor“ (Klaus Völker).

Das passte zu ihm. Bis in das junge Erwachsenenalter war er eher mit jenen „pennälerhaften Rebellen“ seiner Generation zu vergleichen, die sich den Idealvorstellungen der herrschenden Gesellschaft verweigerten. 1920 geboren und im wohlhabenden Elternhaus in einem Villenvorort von Paris aufgewachsen, beendete Boris 1942 sein Studium an der Technischen Hochschule zu einer Zeit, als Frankreich von faschistischen deutschen Truppen besetzt war. Damals wurden Jazz und Swing in bestimmten französischen Jugendcliquen populär. Boris Vian, der Trompete spielte, trat mit seiner Band auf und war begeisterter Anhänger der aus Amerika kommenden Musik. Während die Deutschen dieser unkonventionellen Bewegung wenig Beachtung schenkten und sich mehr dem Kriegsgeschehen widmeten, war der französischen Kollaborationsregierung diese „jüdisch-negroid-amerikanische“ Musik suspekt. Als 1944 Frankreich größtenteils vom Faschismus befreit war, verlangten die Veranstalter verschiedener Vergnügungsbars, in der Vians Band auftrat, von ihr das Anstimmen der alliierten Nationalhymnen. Wegen dieser Zumutung verhunzten sie in ihrer Interpretation unter Anderem die amerikanische Hymne – rund 25 Jahre vor Hendrix. Es kam zum Skandal, bei dem ihm mangelnder Patriotismus vorgeworfen wurde. Boris Vian leidete seit seiner Jugend an einer Herzmuskelschwäche. Mit seinem Ausspruch „Jeder Puster in meine Trompete verkürzt mein Leben“ kokettierte er schon früh mit dem Tod. Als Autor provozierender Romane („Ich werde auf eure Gräber spucken“) stand Boris Vian zusammen mit Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus mitten im pulsierenden intellektuellen Leben Frankreichs und debattierte oft mit ihnen. Obwohl Boris Vian einen intensiveren persönlichen Kontakt zu Sartre hatte, verhielt sich dieser nach seiner Wahrnehmung viel zu sehr wie ein Politiker, der auffallend oft seine Meinung wechselte. Dagegen beeinflussten die Thesen von Camus in „Der Mensch in der Revolte“ Boris Vian sehr. Er betätigte sich nicht nur als Musiker und Schauspieler, sondern auch als Technik-Tüftler war er ein vielfältig begabter Wissensabenteurer. In einer Zeit, in der kollektive Identitäten von allen Seiten benutzt und hochgehalten wurden, pochte Boris Vian auf die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für sein Tun. In seinem Chanson „Der kleine Mann ist der wahre Schuldige“ singt er: „Ist ein General ohne Soldaten gefährlich?“ Und antwortete: „Hitler ist tot, die kleinen Leute leben weiter und geben sich Mühe, einen harmlosen Eindruck zu machen – wie alle kleinen Leute dieser Welt.“

1959 starb Boris Vian während der Uraufführung der Verfilmung seines Romans „Ich werde auf eure Gräber spucken“ an Herzversagen. Seine Chansons wurden in den folgenden Jahrzehnten von Vielen gesungen. Unter anderem von Hildegard Knef und Wolf Biermann. Die „Kampagne gegen die Wehrpflicht“ setzte das Lied noch 1990 bei ihren Aktionen ein. Auch heute – anlässlich des zweiten Jahrestages des Jugoslawienkrieges und der Verfolgung von Aufrufen, zu desertieren – hat es nichts an Aktualität eingebüßt.

Literatur

Philippe Boggio: "Boris Vian. Biographie", Rohwolt 1997

Boris Vian: "Der Deserteur" Mit



Titelverlust wegen Wehrdienstverweigerung

Muhammad Ali (* 17. Januar 1942 in Louisville, Kentucky, Geburtsname Cassius Marcellus Clay Jr.;3. Juni 2016 in Scottsdale, Arizona[1]) war ein US-amerikanischer Boxer und der Einzige, der den Titel des unumstrittenen Weltmeisters dreimal in seiner Karriere gewinnen konnte. Bekannt wurde er zunächst unter seinem Namen Cassius Clay (bis 1964).[2]Außerhalb des Boxrings sorgte Ali als Prominenter ebenfalls, insbesondere in den USA, immer wieder für politische Schlagzeilen. So lehnte er öffentlich den Vietnamkrieg ab, verweigerte den Wehrdienst, unterstützte die Emanzipationsbewegung der Afroamerikaner und trat der Organisation Nation of Islam bei.


Im April 1967 wurde Ali der Titel aberkannt, nachdem er sich geweigert hatte, den Wehrdienst anzutreten. Als ausschlaggebend für seine Entscheidung nannte er zum einen seinen Glauben, sprach aber zum anderen auch die Frage der fehlenden Gleichberechtigung der Afroamerikaner an („Nein, ich werde nicht 10.000 Meilen von zu Hause entfernt helfen, eine andere arme Nation zu ermorden und niederzubrennen, nur um die Vorherrschaft weißer Sklavenherren über die dunkleren Völker der Welt sichern zu helfen.“).[13] Mit dem bekannten Zitat „Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger“ nahm er eine Redewendung des Studentenführers und Bürgerrechtlers Stokely Carmichael auf.[14] Ali wurde wegen Wehrdienstverweigerung zu fünf Jahren Gefängnis und 10.000 US-Dollar Strafe verurteilt, blieb aber gegen Kaution auf freiem Fuß. 1970 wurde die Sperre aufgehoben, bis dahin erhielt er keine Boxlizenz. Sein Reisepass wurde eingezogen und er musste drei Jahre inaktiv bleiben. In dieser Zeit trat er viel im Fernsehen auf und äußerte sich dort zu gesellschaftspolitischen Fragen. Finanzielle Probleme konnte er dank der Gagen für Fernsehauftritte und Reden in Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen überbrücken, zudem unterstützte ihn sein späterer Gegner Joe Frazier.



 
 
 

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