Von Genscher zu Baerbock: Europas fataler Abstieg in die Irrelevanz. Der Krieg könnte bald vorbei sein – nicht weil Europa es will, sondern weil Trump &Putin es beschließen. Rüstungsaktien unter Druck
- Wolfgang Lieberknecht

- 17. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Europa, das sich als Verteidiger westlicher Werte und ukrainischer Souveränität inszenierte, hat die Ukraine in einen Krieg getrieben, dessen Preis in Blut und Zerstörung gemessen wird. Während europäische Politiker von Solidarität und Durchhaltevermögen sprechen, verhandeln Trump und Putin über die Köpfe aller Beteiligten hinweg über ein Ende des Konflikts. Europa ist kein ernstzunehmender Akteur mehr, sondern bestenfalls ein Störfaktor, der die wirklichen Verhandlungen zwischen den Großmächten kompliziert. Das Handelsblatt berichtet über "Rüstungsaktien unter Druck" und fragt provokant: "Lohnt jetzt der Einstieg?" Die implizite Annahme: Der Krieg könnte bald vorbei sein – nicht weil Europa es will, sondern weil Trump und Putin es beschließen. Europa als Statist: Wie die EU ihre weltpolitische Bedeutung verspielte. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung muss sich Deutschland einer schonungslosen Bestandsaufnahme stellen. Was ist aus dem Land geworden, das einst als Brückenbauer zwischen Ost und West galt? Das durch kluge Diplomatie und wirtschaftliche Stärke seinen Platz in der Weltordnung sicherte? Die Antwort ist ernüchternd: Deutschland hat seine außenpolitische Kompetenz gegen moralische Selbstgewissheit eingetauscht. Statt Interessen zu definieren und durchzusetzen, gefällt man sich in der Rolle des moralischen Mahners. Statt Realpolitik zu betreiben, verliert man sich in ideologischen Grabenkämpfen. Das Ergebnis ist eine Außenpolitik, die weder Respekt noch Einfluss generiertDie Transformation von einer interessengeleiteten zu einer wertebasierten Außenpolitik mag innenpolitisch Applaus generieren, außenpolitisch führt sie in die Bedeutungslosigkeit. Während Deutschland über Menschenrechte und Demokratieexport philosophiert, teilen andere Mächte die Welt unter sich auf. Europa müsste anerkennen, dass Sicherheit nicht durch Konfrontation mit Atommächten, sondern durch kluge Diplomatie gewährleistet wird. Eine Wende ist theoretisch möglich, praktisch aber unwahrscheinlich.

Das Alaska-Debakel und der Preis moralischer Außenpolitik.
Ein Telepolis-Leitartikel. Auszüge:
Während Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska über die Zukunft Europas verhandeln, offenbart sich die ganze Tragweite europäischer Bedeutungslosigkeit in der Weltpolitik. Was sich in Alaska abspielt, ist mehr als eine diplomatische Niederlage – es ist der vorläufige Höhepunkt einer jahrzehntelangen Selbstmarginalisierung, die Europa zum Zuschauer seiner eigenen Schicksalsbestimmung degradiert hat.
Die Analyse deutscher und europäischer Leitmedien zum Gipfeltreffen liest sich wie ein Protokoll der Ohnmacht. Der Deutschlandfunk spricht von einem "absoluten Bankrott für Europa" und konstatiert, dass die Europäer "kein Akteur am Verhandlungstisch" sind und "von den USA sicherheitspolitisch abhängig" bleiben.
Die internationale Presse, so berichtet der Deutschlandfunk weiter, beschreibt den Gipfel als "viel Wirbel und ein großes Nichts" – wobei das "Nichts" vor allem für Europa gilt, das nicht einmal konsultiert wird.
Die Frankfurter Rundschau bringt es auf den Punkt: Europa hat "keinen Platz bei den Verhandlungen". Noch deutlicher wird die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO, die laut Deutschlandfunk Europas "Hilflosigkeit und Abhängigkeit von den USA und Russland" diagnostiziert und feststellt, dass Europa "in der internationalen Politik und im Ukraine-Konflikt keinen entscheidenden Einfluss" hat.
Europa als Bittsteller
Die Versuche der Europäer, doch noch Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen, wirken geradezu tragisch. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, setzen "die europäischen Regierungen darauf, mit gemeinsamem Kurs bei Trump Gehör zu finden". In einer hastig arrangierten Videokonferenz mit Trump und Selenskyj wurden laut SRF "fünf Grundvoraussetzungen für eine Friedenslösung vorgetragen: Waffenstillstand, keine Akzeptanz russischer Landgewinne, Sicherheitsgarantien für die Ukraine" und weitere Punkte.
Doch die Reaktion aus Moskau ist vernichtend. Der SWR berichtet: "In Russland haben die Medien den virtuellen Vor-Gipfel der Europäer mit Donald Trump herablassend kommentiert. Es sei sogar von 'Sabotage' die Rede gewesen: Die Merz-Initiative und die Einmischung der Europäer würden den Gipfel in Alaska gefährden."
Der Merkur zitiert europäische Warnungen vor "Alleingängen" und beschreibt, wie "das Gespräch Trumps Position beim Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten in Alaska beeinflussen" sollte. Doch die Realität zeigt: Europa ist reduziert auf die Rolle des Mahners ohne Macht, des Warners ohne Gewicht.
Die Arktis-Agenda: Der wahre Preis des Gipfels
Die Wahl Alaskas als Verhandlungsort ist dabei alles andere als symbolisch – sie ist programmatisch. Alaska gehörte bis 1867 zu Russland und wurde für 7,2 Millionen Dollar an die USA verkauft. "Dieses Geschäft wird von russischen Hardlinern immer wieder als strategischer Fehler des Zarenreichs betrauert", heißt es dort. Kreml-nahe Kreise, darunter Dmitri Medwedew, hätten in den vergangenen Jahren sogar "die Rückgabe Alaskas" ins Gespräch gebracht.
Das ZDF heute erklärt die strategische Dimension: "Durch die klimabedingte Eisschmelze werden neue Handelsrouten und enorme Rohstoffvorkommen, darunter seltene Erden, Erdöl und Erdgas, zugänglich." Die Publikation führt weiter aus, dass "Russland, USA, China und Kanada intensiv um die Kontrolle der neuen Seerouten und Energiereserven" konkurrieren. NATO-Experten warnen laut ZDF, dass das westliche Bündnis in der Arktis "vergleichsweise schwach aufgestellt" sei.
Die Frankfurter Rundschau berichtet über Putins Ambitionen einer "neuen Weltordnung", die er mit den USA entwerfen wolle, "bei der Russland als gleichberechtigter globaler Akteur anerkannt werden will". Das Handelsblatt analysiert die Auswirkungen auf die Märkte und spricht von einer möglichen "asymmetrischen Marktreaktion" am Ölmarkt. Die FAZ untersucht "welche Rolle das Trump-Putin-Treffen für den Ölpreis spielt" und dokumentiert bereits sinkende Rohölpreise sowie Marktbewegungen bei Heizöl, Benzin und Diesel.
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Die Generation der Genscheristen, jene Diplomaten, die durch geschickte Interessenpolitik und geduldige Verhandlungen den Kalten Krieg zu einem für den Westen günstigen Ende führten, sehen heute ihr Lebenswerk in Trümmern. Das Prinzip des Interessenausgleichs, das Hans-Dietrich Genscher meisterhaft beherrschte, wurde ersetzt durch eine Politik der moralischen Imperative, die zwar das eigene Gewissen beruhigt, aber keinerlei realpolitische Durchsetzungskraft besitzt.
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Diese Beobachtungen sind mehr als protokollarische Details – sie sind Symptome einer fundamentalen Machtverschiebung. Europa, einst stolzer Akteur auf der Weltbühne, ist zum stummen Beobachter geworden, der nicht einmal mehr die Kraft zum Widerspruch aufbringt.
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Die ökonomische Dimension
Die Finanzmärkte, oft sensibler Seismograph geopolitischer Verschiebungen, haben längst ihre Schlüsse gezogen. Das Handelsblatt berichtet über "Rüstungsaktien unter Druck" und fragt provokant: "Lohnt jetzt der Einstieg?" Die implizite Annahme: Der Krieg könnte bald vorbei sein – nicht weil Europa es will, sondern weil Trump und Putin es beschließen.
Die FAZ analysiert detailliert die Auswirkungen auf den Energiemarkt. Die "sinkenden Rohölpreise" und "Marktbewegungen bei Heizöl, Benzin und Diesel" sind nicht nur ökonomische Kennziffern – sie sind die finanzielle Quantifizierung europäischer Irrelevanz. Die Märkte preisen bereits ein, was Politiker noch nicht wahrhaben wollen: Europa spielt keine Rolle mehr.
Deutsche Außenpolitik nach 1989: Eine Bilanz des Scheiterns
35 Jahre nach der Wiedervereinigung muss sich Deutschland einer schonungslosen Bestandsaufnahme stellen. Was ist aus dem Land geworden, das einst als Brückenbauer zwischen Ost und West galt? Das durch kluge Diplomatie und wirtschaftliche Stärke seinen Platz in der Weltordnung sicherte?
Die Antwort ist ernüchternd: Deutschland hat seine außenpolitische Kompetenz gegen moralische Selbstgewissheit eingetauscht. Statt Interessen zu definieren und durchzusetzen, gefällt man sich in der Rolle des moralischen Mahners. Statt Realpolitik zu betreiben, verliert man sich in ideologischen Grabenkämpfen. Das Ergebnis ist eine Außenpolitik, die weder Respekt noch Einfluss generiert.
Die Transformation von einer interessengeleiteten zu einer wertebasierten Außenpolitik mag innenpolitisch Applaus generieren, außenpolitisch führt sie in die Bedeutungslosigkeit. Während Deutschland über Menschenrechte und Demokratieexport philosophiert, teilen andere Mächte die Welt unter sich auf.
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Die unbequeme Wahrheit: Europa erfüllt die Definition eines Vasallen
Was bleibt nach Alaska? Ein Europa, das die klassische Definition eines Vasallen erfüllt: abhängig, ohne eigene Handlungsmacht, auf die Gnade der wirklichen Machthaber angewiesen. Ein Europa, das zwar zahlt – in Form von Wirtschaftssanktionen, Militärhilfe, Flüchtlingsaufnahme – aber nicht mitentscheidet. Ein Europa, das die Konsequenzen fremder Entscheidungen trägt, ohne diese beeinflussen zu können.
Die russischen Medien, die laut SWR von "Sabotage" sprechen, wenn Europa versucht Einfluss zu nehmen, haben die Realität präziser erfasst als viele westliche Kommentatoren: Europa ist kein ernstzunehmender Akteur mehr, sondern bestenfalls ein Störfaktor, der die wirklichen Verhandlungen zwischen den Großmächten kompliziert.
Radikale Umkehr oder weitere Marginalisierung
Eine Wende ist theoretisch möglich, praktisch aber unwahrscheinlich. Sie würde eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik erfordern: weg von moralischer Selbstüberhöhung, hin zu nüchterner Interessenpolitik. Weg von ideologischen Kreuzzügen, hin zu pragmatischem Ausgleich. Weg von der Illusion moralischer Überlegenheit, hin zur Anerkennung realer Machtverhältnisse.
Europa müsste anerkennen, dass Sicherheit nicht durch Konfrontation mit Atommächten, sondern durch kluge Diplomatie gewährleistet wird. Es müsste verstehen, dass wirtschaftliche Stärke allein keine politische Macht generiert, wenn sie nicht mit strategischem Denken und entschlossenem Handeln verbunden ist.
Die Alternative ist die Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses: weitere Marginalisierung, weitere Bedeutungslosigkeit, weitere Abhängigkeit. Ein Europa, das zusieht, wie andere über seine Zukunft entscheiden. Ein Europa, das die Ukraine in einen aussichtslosen Krieg getrieben hat und nun hilflos zusehen muss, wie über deren Schicksal ohne europäische Beteiligung verhandelt wird.
Das Ende der Illusionen
Das Treffen in Alaska markiert das Ende europäischer Illusionen. Die Vorstellung, durch moralische Überlegenheit weltpolitischen Einfluss ausüben zu können, ist gescheitert. (..)
Das ist die bittere Realität des Jahres 2025: Europa, einst Zentrum der Weltpolitik, ist zum Zuschauer seiner eigenen Marginalisierung geworden. Die Verantwortung dafür trägt nicht Trump, nicht Putin, sondern eine europäische Politik, die Moral über Interessen, Ideologie über Pragmatismus und Wunschdenken über Realitätssinn gestellt hat. Das Ergebnis dieser Politik verhandeln nun andere – in Alaska, ohne Europa.

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