"Politiker und Journalisten stecken unter einer Decke." Wer vom System profitiert, verteidigt es eher. Alexander Teske, 6 Jahre „Tagesschau“-Planungsredakteur über "Was hinter den Kulissen passiert".
- Wolfgang Lieberknecht

- 26. Jan.
- 8 Min. Lesezeit
Bei Leuten wie meinem Vater führt es dazu, dass er sagt: Das und das berichtet ihr nie, Politiker und Journalisten stecken alle unter einer Decke. Er sagt, wenn man von einem System profitiert hat wie ich, ist man eher bereit, es zu verteidigen. Da hat er recht: Wenn es mir bei der „Tagesschau“ gut geht, ich einen sicheren, hochbezahlten Job habe, ist die Hürde viel höher, das System infrage zu stellen.
Die 7 wichtigsten Thesen aus „Inside Tagesschau“
1. Ihrer Aufgabe, eine kritische Distanz zu den Herrschenden zu halten, wird die „Tagesschau“ nicht gerecht.
2. Werden auf Demonstrationen im Osten Stimmen aus dem Volk, sogenannte Vox Pops, eingesammelt, werden die kürzesten, plakativsten und dümmsten Aussagen ausgesucht.
3. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk einer Partei wie der AfD dauerhaft verweigert, auf ausgewogene und sachliche Berichterstattung hoffen zu dürfen, muss er sich nicht wundern, wenn diese als Replik auf seine Abschaffung hinarbeitet.
4. Aus lauter Unsicherheit, etwas „falsch“ zu machen, beobachten sich die Redaktionen gegenseitig und schreiben voneinander ab.
5. Wie wird man eigentlich Chef vom Dienst bei der „Tagesschau“? Das weiß niemand so genau, es ist ein undurchsichtiges Verfahren, da die Posten nicht öffentlich ausgeschrieben werden.
6. Nachrichten, die nicht in ihr Weltbild passen, werden von den Chefs vom Dienst kleingeredet und schaffen es nicht in die Sendung.
7. Westdeutsch sind die Chefs, westdeutsch ist der Blick auf die Welt – sprechen möchte man aber für Gesamtdeutschland.
Zwischen Nachrichten und Meinungsmache: Alexander Teske hat 6 Jahre in der Herzkammer des deutschen Nachrichten-Flaggschiffs gearbeitet und rechnet jetzt schonungslos mit der Anstalt ab! Über die Zustände in der Tagesschau-Redaktion hat Teske ein Buch geschrieben. Link zu seinem Buch: Inside Tagesschau https://amzn.to/4hhKqeb
Berliner Zeitung (Auszüge):
Tagesschau“-Planer packt aus: „Die Berichterstattung passt zum Weltbild der Redakteure“
Seine ARD-Kollegen werden sein Buch nicht mögen, sagt Alexander Teske. Er war sechs Jahre Planungsredakteur bei der „Tagesschau“. Und erzählt, was hinter den Kulissen passiert. Ein Interview.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe gemerkt, alle meckern über die Öffentlich-Rechtlichen, aber es gibt großes Unwissen darüber, wie Entscheidungen entstehen.
Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen nicht gleich aufgefallen sind?
Dass wir überwiegend westdeutsche Chefs hatten beim MDR, vom Bayerischen Rundfunk vor allem.
Wie suchen Sie die Themen aus, welche schaffen es in die Sendung, welche nicht?
Das hängt sehr vom Einfluss der einzelnen ARD-Studios ab. Washington zum Beispiel hat enormen Einfluss, vier Redakteure können viel Druck ausüben. Wenn man als Einzelkämpfer ganz Südamerika abdecken muss, ist das schwieriger. Die Dominanz der USA und der westlichen Welt ist sehr stark, der Osten dagegen sehr schwach vertreten. Die Ukraine wurde bis zum Einmarsch der russischen Armee vom Studio Moskau aus mit betreut. Dann wurden schnell Reporter hingeschickt, die weder die Sprache konnten noch über Kontakte verfügten. Das Studio in Schwerin hat so wenig Leute, dass sie Probleme haben, ihr eigenes Regionalprogramm zu bestücken. Ich glaube, ich habe in den sechs Jahren, die ich dort gearbeitet habe, nie erlebt, dass sie angerufen und eine Geschichte angeboten haben.
Das heißt, die Proteste gegen das LNG-Terminal auf Rügen kamen in der „Tagesschau“ nicht vor?
Darüber haben wir, wenn überhaupt, kaum berichtet. Natürlich habe ich versucht, ostdeutsche Themen unterzubekommen, aber wenn ich keinen Dienst hatte, war das schwer. Der MDR ist der Einzige, der anruft und sagt, ihr müsst da mal was machen. Aber auf den Hutbürger waren sie auch nicht so scharf.
Der Hutbürger war der Mann auf einer Pegida-Demo in Dresden, der diesen schwarz-rot-goldenen Anglerhut getragen hat, richtig?Genau, der Hut hat dann auch zum Spiegel-Titel geführt: „So isser, der Ossi“. Der Mann hatte ein ZDF-Team bei einer Pegida-Demo aufgefordert, ihn nicht zu filmen, und die Dresdner Polizei hat die Personalien der Journalisten aufgenommen, sie eine halbe Stunde an der Arbeit gehindert. Das hat meine Kollegen empört, vor allem, als sich herausgestellt hat, dass der Hutbürger für das Landeskriminalamt Sachsen gearbeitet hat.
Das Spiegel-Cover über den Hutbürger wurde ja von einer Ostdeutschen entworfen.
Das kann ich mir gut vorstellen. Es beeinflusst einen eben, im Westen zu leben und mit Menschen zusammen zu sein, die anders denken. Man bedient das, von dem man denkt, es kommt gut an.
Ich fand auch die Auswahl der Ostthemen bei der „Tagesschau“ skurril. Die dachten, wenn sie einen verstorbenen Ostschauspieler vermelden, stärken sie die Ostkompetenz der ARD. Wichtiger wäre es gewesen, zu transportieren, dass über große Themen mehrheitlich anders gedacht wird: Corona, Ukraine, Migrationspolitik. Erst wenn es Demos mit Ausschreitungen gab, wurde das wahrgenommen.
Eine ostdeutsche Kollegin, die einen Kommentar gegen Waffenlieferungen gesprochen hat, wurde nie wieder auf Sendung genommen. Wie war das genau?
Das war Rommy Arndt, eine freie Journalistin. Nach ihrem MDR-Kommentar gab es irren Gegenwind in der Redaktion, obwohl viele in diesem Land so denken. Und obwohl es eigentlich die Vorgabe gibt, Kommentare nicht zu besprechen. Offiziell herrscht Meinungsfreiheit bei der „Tagesschau“. Das heißt, man darf eine Meinung nicht gut finden und nicht kritisieren. Deshalb hat es mich so geärgert, wie mit Rommy Arndt umgegangen wurde. Sie hat Strack-Zimmermann vorgeworfen, Kontakte in die Waffenlobby zu haben. Und es hieß dann, das stimme nicht. Aber ja, es stimmt. Die Berichterstattung der „Tagesschau“ passt zum Weltbild der Redakteure.
Welches Weltbild ist das?
Alle sind eingenommen von ihrer Bedeutung. Es ist eine Ehre, für die „Tagesschau“ zu arbeiten, dabei ist es ein Job wie jeder andere auch. Es wird ihnen auch eingeredet, wie wichtig sie sind, wie sie die Meinungsbildung beeinflussen. Sie haben Geld und ideale Arbeitsbedingungen, sind unkündbar, abgesehen von den Redakteuren mit den Kettenverträgen, wie ich einen hatte. Trotzdem schimpfen alle. Es gibt Leute, die am Tag zwei Meldungen schreiben und trotzdem unzufrieden sind.
Wie funktioniert die Wahrnehmung der Realität in Krisenzeiten wie diesen?
Beim MDR gehen viele regelmäßig raus aus der Redaktion und wissen, wie die Leute ticken. Bei der „Tagesschau“ fährt man mit dem Auto auf den Parkplatz, geht in die Redaktion, fährt wieder nach Hause. Alles, was draußen passiert, erfährt man über die Medien. Die Wahrscheinlichkeit, mit jemandem befreundet zu sein, dem es schlecht geht, ist relativ gering. Das ist natürlich ein generelles Journalistenphänomen. Vor allem in Hamburg.
Correctiv-Berichterstattung: „Bis heute kein Korrekturhinweis“
Vor wenigen Tagen wurde im RBB ein Beitrag über Proteste gegen die AfD gesendet. Anlass war der erste Jahrestag des Geheimtreffens der AfD in Potsdam vor einem Jahr und die Correctiv-Berichte darüber. Dass sich Correctiv korrigieren musste, wurde nicht erwähnt. Ist so etwas Absicht oder Versehen?Den Beitrag habe ich nicht gesehen, aber es überrascht mich nicht: Gegen die „Tagesschau“-Berichte zum Treffen in Potsdam wurde geklagt. Die „Tagesschau“ hat verloren. Einen Korrekturhinweis gibt es bis heute nicht. Die Beiträge stehen weiter auf der Homepage. So etwas gibt es auch bei anderen Themen, der Corona-Aufarbeitung zum Beispiel. Bei Leuten wie meinem Vater führt es dazu, dass er sagt: Das und das berichtet ihr nie, Politiker und Journalisten stecken alle unter einer Decke.
Was ärgert Sie am meisten an dem System?
Dass die Chefs vom Dienst, CvDs, die in der Öffentlichkeit nie eine Rolle spielen, sehr großen Einfluss haben. Sie treffen alle Entscheidungen, müssen sich aber nie verantworten. Keiner weiß, wer sie ernennt, wie sie ausgewählt werden. Die Stelle wird nicht ausgeschrieben. Man fängt als Redakteur an, dient sich langsam nach oben, und irgendwann heißt es, du bist gut genug, du kannst auf Probe anfangen. Wenn du dich bewährst, bekommst du den Posten.
Was müsste sich verändern bei der „Tagesschau“, damit Leute wie Ihr Vater sie wieder sehen?
Das ist sehr schwierig zu sagen, weil die Strukturen so fest angelegt sind, weil man als Einzelner nicht einfach mal was verändern kann. Und ich glaube, es wird wahnsinnig schwer, Leute wie meinen Vater wieder zurückzuholen. Menschen mit unterschiedlicher Herkunft dort arbeiten zu lassen, wäre wichtig, nicht nur Akademiker und Westdeutsche. Und nicht nur Kommentatoren oder Interviews mit Experten zu senden, die die Meinung der Redakteure vertreten. Jetzt, da Mark Zuckerberg sagt, er lasse keine Fakten mehr prüfen, sagt die ARD, wir bauen unseren Faktenfinder aus. Aber dieser Faktenfinder geht gar nicht bei der „Tagesschau“. Ehemalige Kollegen dort sehen es nicht als ihre Aufgabe an, herauszufinden, was wahr ist oder nicht, sondern zu sagen, was sie davon halten.
Wie geht es Ihnen jetzt, kurz vor der Veröffentlichung Ihres Buches?
Ich habe ein paar Nächte nicht gut geschlafen, auch weil die „Tagesschau“ so großen Druck gemacht hat. Der Chefredakteur hat mir geschrieben, als ob ich noch sein Untergebener bin. „Lieber Alexander“, und dass sie gerne mit mir in die Diskussion gehen wollen, nachdem sie das Manuskript gelesen haben. Ich glaube, dass meine Beschreibungen ausgewogen und kein Rachefeldzug sind, ich habe die Fakten dreimal überprüft und versucht, jegliche Emotionen rauszunehmen, nicht wütend zu klingen. Aber ich fürchte, sie werden es nicht mögen.
Zur Person
Alexander Teske, ist freier Journalist. Er wurde 1971 in Leipzig geboren, studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften, schrieb in den 90ern für Stern, Focus oder Dresdner Morgenpost. Von 1998 bis 2017 arbeitete er als Redakteur beim MDR und von 2018 bis 2024 als Planungsredakteur bei „ARD-aktuell“ in Hamburg. Er hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Freundin und deren Kindern in Hamburg.
Paul Sethe, Gründungsherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,„Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“
Paul Sethe, stellte dies 1965 fest. Er ergänzte seine Aussage so: „Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher.“ Seit 1965 hat sich die Lage verschärft, unter anderem durch die weitere Konzentration der Medien und die Kommerzialisierung der elektronischen Medien, also von Fernsehen und Hörfunk. Nicht 200 reiche Leute, viel weniger bestimmen heute die große Linie der Meinungsbildung. Sie gehören zusammen mit einigen Köpfen aus Finanzwirtschaft und Industrie und unseren sogenannten Verbündeten zu den politisch einflussreichen Personen und Gruppen. Von einer demokratischen Willensbildung kann schon lange keine Rede mehr sein. Aber das Bewusstsein um diese Misere ist offensichtlich seit Paul Sethes Erkenntnis nicht gewachsen. Zum Beispiel konnte man mit Erstaunen lesen, dass auch die Macher des vom Vorwurf des Landesverrats gepeinigten Mediums netzpolitik.org an die Freiheit der Medien im Westen glauben und diese gegen die in anderen Ländern, namentlich in Russland, herrschende Unfreiheit absetzen. Albrecht Müller.
weiter „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“
Staatsnähe von Journalisten: „Der ÖRR schaufelt sich damit sein eigenes Grab“
Ex-Tagesschau-Planer Alexander Teske wirft ARD und ZDF mangelnde Distanz zur Politik vor. Hier dokumentieren wir einen Auszug aus seinem Buch „Inside Tagesschau“.
„Hast du schon gehört? Michael Stempfle wird neuer Sprecher von Pistorius!“, werde ich begrüßt.„Ach, das ist ja eine Überraschung. Aber auch nicht ungewöhnlich. Was wird jetzt aus Thiels?“
Schon der bisherige Sprecher im Bundesverteidigungsministerium kam aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Christian Thiels war Chef vom Dienst bei den Tagesthemen und berichtete wie Stempfle für den SWR aus Berlin für das Erste. Sein Spezialgebiet war die Verteidigung. Dann diente er erst Annegret Kramp-Karrenbauer und dann Christine Lamprecht als Sprecher.
Auch in der Konferenz um 10.30 Uhr ist die Personalie Stempfle Thema. Vor allem seine „Analyse“ erscheint in einem neuen Licht. Die Reaktionen außerhalb des Hauses sind entsprechend. So schreibt der Medienkritiker Stefan Niggemeier auf Twitter: „In der vergangenen Woche hatte er bei der ‚Tagesschau‘ schon eine Liebeserklärung an den neuen Verteidigungsminister veröffentlicht. Wie schafft es so ein Text bei der Tagesschau durch die Qualitätskontrolle?“
Ich denke: „Qualitätskontrolle? Welche Qualitätskontrolle?“Der Medienjournalist Marvin Schade verweist auf die „Analyse“ mit dem Kommentar: „Sowas lässt solche Wechsel noch bitterer aussehen, als sie ohnehin sind.“

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