Für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands: Nachtrag zum Friedenskongress
- Wolfgang Lieberknecht
- 24. Mai 2022
- 2 Min. Lesezeit

Abschlussplenum des Kongresses
Frieden statt Todeskreislauf
Anti-NATO-Kongress in Berlin. Veranstalter ziehen positive Bilanz. Plädoyers für gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands
»Ohne NATO leben – Ideen zum Frieden«. So lautete das Motto des am Sonnabend in der Humboldt-Universität in Berlin veranstalteten Kongresses, den nach Angaben der Veranstalter insgesamt 1.000 Zuhörer vor Ort und per Livestream verfolgten. Im Mittelpunkt standen der Ukraine-Krieg, die Rolle von Medien und Politik sowie Visionen für eine friedlichere Welt. Diskutiert wurde auch über Möglichkeiten, jene Mehrheit der Bevölkerung zu mobilisieren, die Waffenlieferungen und Hochrüstung der Bundeswehr ablehnt.
Besonders beeindruckend war die emotionale »Rede gegen den Krieg« des 81jährigen Theologen und Schriftstellers Eugen Drewermann. Im Zentrum standen die »wichtigste Frage unserer Zeit« – wie Frieden zurückgewonnen und bewahrt werden kann – sowie eine explizite Kapitalismus- und Imperialismuskritik. Die »Entseelung des Körpers zu einer bloßen Marionette« machte Drewermann als elementaren Bestandteil von Krieg aus. Der »Todeskreislauf« von Angst und Hochrüstung könne nur durchbrochen werden, »indem wir keine Angst mehr haben«. »Wir hätten den Frieden haben können, wenn wir ihn hätten wollen dürfen«, sagte Drewermann bezugnehmend auf Vorschläge Russlands für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur. Es seien die USA, die aus eigenen geopolitischen Interessen Europa den Konflikt mit Russland aufgezwungen hätten. Die einzige Lösung sei, die NATO zu verlassen. »Mit ihr ist kein Frieden möglich, weil er nicht sein soll.«
Ähnlich hatte zuvor auch Oskar Lafontaine argumentiert. Der Mitbegründer und frühere Kovorsitzende der Partei Die Linke war per Video zum Kongress zugeschaltet. Eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands sei unabdinglich, sagte Lafontaine, der 13 Jahre lang Ministerpräsident im Saarland und dort von 2009 bis 2022 Linke-Fraktionschef war. »Oligarchensysteme«, worunter der ehemalige Linke-Politiker neben Russland und der Ukraine auch die USA fasste, seien zum Frieden nicht fähig. Es brauche eine andere Weltwirtschaftsordnung. Man dürfe sich nicht weiter vor den USA hertreiben lassen. Für Europa sei Lafontaine zufolge ein langfristiger Frieden anzustreben, der eine Autonomie des Donbass beinhalten müsse. »Die Russen lieben ihre Kinder auch«, zitierte er ein Lied des Sängers Sting und ergänzte: »genau wie die Deutschen und die Ukrainer.«
Zu Lafontaine übergeleitet hatte Moderatorin und Publizistin Christiane Reymann nach eröffnenden Worten der emeritierten Professorin Karin Kulow und einem Grußwort von Gabriele Krone-Schmalz, ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD. Auf dem Kongress nahm der freie Journalist sowie ehemalige Mitarbeiter des WDR, Ekkehard Sieker, ebenso wie der langjährige Bundestagsabgeordnete, Liedermacher und Musikproduzent Diether Dehm (Die Linke) die Rolle von Medien und Kulturschaffenden ins Visier. »Kriege [würden] auch um Köpfe geführt«, sagte Sieker. Journalisten würden zu Soldaten, statt gemäß ihrer Wächterfunktion die Mächtigen in Politik, Kultur und Wirtschaft »unter Legitimationsdruck« zu stellen. Er beschrieb, wie NGOs und philanthropische Stiftungen seit den 1980er Jahren zunehmend Geheimdienstaufgaben übernahmen und warnte vor einer »langsamen Faschisierung des bürgerlich-demokratischen Staates«.
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