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Kriegstüchtig2029: Deutschland als neue Nato-Drehscheibe. Wollen wir wirklich hinnehmen, Schlachtfeld für das Ringen um Vorherrschaft zu werden? Im 30jährigen Krieg hat das jedes zweite Lebengefordert

Mit dem Grünbuch "Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0" gibt jener Thinktank den politischen Entscheidern eine bemerkenswerte Handlungsmaxime für den Ernstfall gegen Russland an die Hand. Doch was verbirgt sich genau dahinter?



07. Juni 2025 Luca Schäfer

Telepolis Deutschland soll zur logistischen Basis der Nato werden. Ein neues Konzept plant die Umrüstung der zivilen Infrastruktur für den Kriegsfall. Was bedeutet das für die Bevölkerung?


Bayern ist – mal wieder – der rechtskonservative Vorreiter. Im Freistaat soll die Bundeswehr schneller hof- und gesellschaftsfähig gemacht werden als im Rest der Republik. Nicht nur tummeln sich in den Wochenendzügen der Deutschen Bahn Personen in Flecktarn, sondern der bayerische Landtag möchte mit einer Gesetzesnovelle auch in die Autonomie der bayerischen Hochschulen eingreifen.


Tenor des im Juli 2024 auf den Weg gebrachten Gesetzes ist die "Notwendigkeit für eine Vielzahl von Veränderungen auch in Bereichen staatlichen Handelns außerhalb der Bundeswehr". Konkret bedeutet dies: Erziehung zur Wehrpflicht in den Schulen, Wegfall der akademischen Zivilklauseln und eine Gedenkkultur am 15. Juni, dem neuen Veteranen-Tag der Republik.


Und letztlich geht es um die deutsche Vorbereitung auf einen kommenden Krieg – mit Russland. Im politischen Berlin versammelt sich um den als Verein konstituierten Thinktank Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e.V. eine namhafte Ansammlung von Bundesabgeordneten, Leitungspersonen aus dem zivil-staatlichen Leben (Feuerwehrverband, THW) sowie Vertretern privat-kapitalistischer Unternehmen (Catonka Investment GmbH, Deutor Cyber Security Solutions, genua GmbH) und politischen Berufsbeamten (Bundesministerium des Innern, Bundesdruckerei, Staatssekretäre).


Katastrophenmedizin

Die Gemeinde Landshut geht jedoch noch einen Schritt weiter. Im Landratsamt betont man, dass Wehrhaftigkeit und das Zusammenspiel der Bundeswehr mit den zivilen Kräften bereits "bei den Vorbereitungen im Frieden" beginnen.

Vom Katastrophenschutz über den Informationsaustausch bis hin zur Zusammenarbeit im Spannungs- oder Ernstfall soll die Bundeswehr als zentraler Akteur in die Gemeinden integriert werden.


Seit der proklamierten "Zeitenwende" kursieren dutzende politisch neue Vorschläge unter dem Label "Zivil-Militärische Zusammenarbeit" durch den Diskurs. Bereits im Jahr 2022 forderte der damalige Kanzler Olaf Scholz eine "Kriegstüchtigkeit" für das Gesundheitssystem.


Im Zuge des Ukraine-Krieges wurde deutlich, dass die Interessen zwischen zivilem Gesundheitsschutz und militärischer Katastrophenlage nur schwer in Einklang zu bringen sind. Alleine im Katastrophenschutz fehlen Milliarden.


Zwang zur Resilienz

In eben jenem Duktus ist das neueste Machwerk des ZOES gehalten. Es beginnt mit der folgenden Einleitung: "Die aktuelle geopolitische Lage zwingt Deutschland und seine Partner dazu, die Resilienz ihrer Gesellschaft und Infrastruktur gegen militärische, nicht-militärische und hybride Bedrohungen zu stärken. Dabei nimmt die Zusammenarbeit zwischen zivilen Akteuren und der Bundeswehr eine zentrale Rolle ein." gibt das Grünbuch die Marschrichtung vor.

Als Prämisse wird einer sicherheitspolitischen Komponente der wirtschaftlich-diplomatischen Verflechtung mit Russland eine Absage erteilt. Im Vorwort schreiben die Autoren, dass die enge wirtschaftliche Verflechtung mit Russland nach der "Krim-Annexion" und dem "russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine" ein "Fehler" gewesen sei. Im Klartext bedeutet dies: Statt Handel soll Russland mit entschlossenem Handeln unter die Knute des westlichen, nach den Verhandlungen mit US-Präsident Trump, EU-europäischen Diktats gezwungen werden.


Auf 68 Seiten werden aus dieser angenommenen Wirklichkeit Szenarien, Lösungen und Vorschläge skizziert.


Transitnation?

In dem betrachteten Szenario kommt es – spannenderweise nach einem temporären Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland – um das Jahr 2029 zu erneuten Spannungen mit Russland. Dieses verlegt Truppen gen Kaliningrad und seine Westflanke. Die Nato-Staaten – die Analysten gehen in dem Szenario von einem monolithischen Block aus den USA sowie weiteren Staaten aus – verlegen ihrerseits Truppen gen Osten.


Die USA verlegen 25.000 in Deutschland stationierte Soldaten nach Polen, England und Kanada jeweils rund 15.000 nach Estland und Lettland. Christian Seel, der ZMZ-Beauftragte des Saarlandes, gab in einem Interview mit preis, dass bei der Wahl des Szenarios das "Future Planning" der Bundeswehr eine Rolle gespielt habe. Er hält das Szenario für "faktenbasiert".


Auffällig ist, dass der Bundesrepublik neben einem vergleichsweise schmalen Bundeswehrkontingent die Rolle einer logistischen Drehscheibe zugedacht wird. Hierbei werden verschiedene Ebenen der zivil-militärischen Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen für die Gesamtverteidigung, den Katastrophenschutz, die Aufrechterhaltung der Regierungsfunktionen oder die Notversorgung der Bevölkerung deutlich.


Das Primat liegt jedoch klar auf der Unterstützung der Streitkräfte. Deutschland müsse sich auf bis zu 1000 Verletzte pro Tag vorbereiten. Zivilisten würden demnach nur "nachrangig" behandelt werden. Mit den sogenannten Convoy Support Centers (CSC) (siehe S. 30 ff.) zu einer militär- und rüstungstechnischen Verlade- wie Infrastrukturbasis im Gefechtsfall werden.

Dieses Szenario wirkt verharmlosend, denn Rückzugsschneisen und Infrastruktur können rasant zum Ziel militärischer Schläge werden.


Zwei Seiten einer Medaille

Jeder Landkreis kann praktisch einen CSC errichten und im Rahmen des Host Nation Supports muss eine hausärztliche bis hin zu einer intensivpflegerischen Versorgung für bis zu 60.000 Soldaten abgesichert werden (S. 34). Dazu wird es in den kommenden Jahren notwendig sein, das Gesundheitssystem auf den kommenden Krieg zu trimmen. Dazu soll die öffentliche Meinung kontrolliert und mit Informationen dosiert werden.


In den Rahmenrichtlinien werden der Verfassungsschutzbericht sowie eine Vielzahl von Kanälen zur politisch gewollten Verbreitung der angedachten Vorschläge erwähnt. Zur Erinnerung: Ausgerechnet der deutsche Inlandsgeheimdienst soll über die Informationsweitergabe an breite Teile der Bevölkerung mitentscheiden.


Der Verfassungsschutz hat eine lange Geschichte als demokratisch weder legitimiertes noch zu kontrollierendes Mysterium, das in den NSU-Skandal und Abhörgeschichten verstrickt ist und eine braune Kontinuitätsgeschichte aufweist.


Denn neben Wehrpflicht, toten Bundeswehrsoldaten und Milliarden-Ausgaben in die Rüstung besitzt der Kern der Planungen sozialpolitischen Sprengstoff. Im Abschnitt "Versorgungsniveau der Bevölkerung" (S. 37) wird es spannend: "Die Prüfung, ob und unter welchen Bedingungen das bestehende allgemeine Versorgungsniveau im Gesundheitswesen aufrechterhalten werden kann und welche zusätzlichen Kapazitäten ergänzt werden müssen, muss zeitnah erfolgen."


Zuvor wird jedoch seitenweise erläutert, dass die Kapazitäten für militärische Belange nicht ausreichen, und das deutsche Gesundheitssystem steckt in einer tiefen Versorgungs- und Daseinskrise.


Ein illustrer Kreis

Der Vorschlag ersetzt freie Meinungsdebatte durch dosierte Informationslenkung, setzt militärischen Erfolg a priori vor ziviles Leben und wurde durch eine kritikwürdige Vereinsstruktur erdacht. André Hahn, Sprecher für Katastrophenschutz der Fraktion Die Linke und selbst Mitherausgeber (!) des Grünbuchs, legt den Finger in die Wunde:

Eine erfolgreiche zivil-militärische Zusammenarbeit wird nur dann gelingen, wenn jede und jeder Einzelne aus der Bevölkerung aktiv daran mitwirkt. Hierzu ist das kollektive Bewusstsein zu schaffen und aufzubringen. Im Zuge dieses de facto Forderungskataloges an Bund, Länder, Kommunen und die Bevölkerung artikulieren die Akteure des Verteidigungsministeriums den Fahrplan zur Kriegstüchtigkeit, den Verteidigungsminister Boris Pistorius einfordert – organisatorisch wie ideologisch.

Bei einem Blick auf die beteiligten Personen kann diese Agenda kaum verwundern: es befinden sich unter den Befürwortern primär liberale Kräfte.

Im Kernteam zur Erstellung des Papiers befanden sich neben den fünf namentlich genannten Autoren, bestehend aus einer Allparteienkoalition aus CDU, SPD, Grüne, FDP und wie angesprochen Die Linke) zudem ein Team aus mehreren Militärs, drei Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter sowie vier Mitarbeiter der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC).

Die skizzierten Vorschläge stellen – fernab der geopolitischen Brutalitäten des Krieges – eine gefährliche Militarisierung des Inneren dar.



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