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von Dohnanyi: Wenn man die Russen nicht versteht, kann man keinen Frieden machen! Ich stehe nicht auf Putins Seite, sondern für Frieden. Brandt war der beste Bundeskanzler mit nachhaltiger Wirkung.

Und eine harte Linie gegen Russland liege im Interesse der USA, nicht jedoch Europas. Ich finde es ungeheuerlich, Putin als Schlächter oder Kriegsverbrecher zu bezeichnen. Warum hat man US-Präsidenten nicht so bezeichnet, die viel mehr Menschen getötet haben? Wir müssen mit Russland so umgehen, dass Russland weiter ein Partner bleibt und wir mit Russland einen Frieden schließen können. Ich bin deshalb nicht für die ständige Lieferung von Waffen, die möglicherweise dazu führen, dass Russland auf eigenem Territorium von ukrainischen Waffen getroffen wird. Das halte ich für eine große Gefahr für uns, für Europa. Keine Gefahr für die USA. Die Behauptung, dass Russland in den letzten Jahren und Jahrzehnten imperialistisch war, halte ich für höchst gewagt. Wer hat die Kriege in dieser Zeit geführt, da waren doch die USA immer an der Spitze. Die USA als nicht-imperialistisches Land zu bezeichnen, würde mir sehr schwer fallen. Alles, was man auch China vorwirft, machen die USA seit Jahrzehnten überall in der Welt. Wir müssen prüfen, ob die Interessen, die die USA verfolgen, auch deutsche oder europäischen Interessen sind.



Klaus von Dohnanyi, Ex-Minister und Regierender Bürgermeister von Hamburg, hat ein unbequemes Buch über Deutschlands „nationale Interessen“ geschrieben. Darin stellt er alte Bündnisse infrage, etwa zu den USA: „Es gibt im Establishment in Washington Leute, die seit Jahrzehnten nichts anders im Kopf haben, als Russland weiter zurückzudrängen. Das mag in deren geopolitischem Interesse sein, in Europas Interesse ist es nicht. Und das müssten wir in Washington einmal deutlicher machen.“

Dies ist nur eine von mehreren überraschenden Aussagen des ehemaligen Ministers in den Regierungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Der 93-jährige Klaus von Dohnanyi ist zwar für deutliche Worte – auch gegenüber seiner eigenen Partei – bekannt, aber bislang nicht als scharfer Amerika-Kritiker ins Bewusstsein gerückt. Das scheint der Grandseigneur der deutschen Sozialdemokratie nun nachzuholen.

Die Freundschaft mit den USA: ein „Missverständnis“

Hören wir das richtig? Die USA und Europa sind keine so engen Freunde, wie das einer, der im Kalten Krieg groß geworden ist, eigentlich sagen müsste?

„Es ist nur natürlich, dass Amerika als stärkste Weltmacht seine eigenen Interessen verfolgt, auch im Umgang mit den Verbündeten in Europa. Wir Europäer sollten das endlich zur Kenntnis nehmen und das Missverständnis einer ‚Freundschaft‘ zwischen den USA und Europa, also einer solidarischen Gemeinschaft, endlich klären, im eigenen Interesse. Nach meiner Überzeugung könnte dann eine Partnerschaft zwischen den USA und Europa besser gedeihen.“

Klaus von Dohnanyi hat ein „Buch ohne Schnörkel“ geschrieben, wie er selbst in der Einleitung sagt. Ein Buch, das Diskussionen auslösen soll und vor allem provozieren. Nach ein paar Seiten Lektüre kann man getrost sagen, dies ist ihm gelungen. Er eröffnet den Reigen der Zumutungen mit dem Bekenntnis, dass die geopolitischen Interessen der USA und der Europäer, insbesondere der Deutschen, schon lange nicht mehr auf einer Linie liegen. Als besonderes Beispiel führt er das Verhältnis zu Russland auf.

In einem Interview mit dem SWR erklärt er: „Wir müssen sehen, dass die USA ein ganz anderes Sicherheitsinteresse haben als die Europäer. Russland ist 5000 Seemeilen entfernt von den USA – aber Russland ist nur ein paar Meter von der europäischen Grenze entfernt.“

Viel Verständnis für Moskau

Davon ausgehend diagnostiziert von Dohnanyi einen gravierenden Fehler der USA: Die Ausweitung der NATO nach 1990 hätte nie geschehen dürfen. Dies – so argumentiert er auch in seinem Buch – habe der damalige US-Präsident George Bush auch der Führung in Moskau signalisiert, allerdings nur mündlich. Schriftlich niedergelegt wurde diese für Moskaus so wesentliche Sicherheitsgarantie jedoch nie. Dass sich Präsident Putin nun in seiner Argumentation genau darauf konzentriert, sei aus der Sicht Russlands nur verständlich.

Mutiert von Dohnanyi nun zum Putin-Versteher? So einfach macht es sich einer der letzten Zeitzeugen von Brandts Ostpolitik allerdings nicht. Auch wenn es angesichts der momentanen Situation widersinnig erscheint, unterstellt er Russland ähnliche Sicherheitsinteressen wie den USA. Nach dem Motto: Not in my backyard.

„Europa und der europäische NATO-Raum werden heute militärisch nicht bedroht. Auch das geografisch nahe Russland bedroht Europa militärisch nicht. Aber Moskau reagiert auf das Vordringen des westlichen Militärbündnisses NATO an die Grenzen der Russischen Föderation. Putin hat zwar mehrfach erklärt, dass die Ukraine ein Recht auf politische Selbstständigkeit habe, aber die Eingliederung der Ukraine in die NATO, also eines Gebietes, das über lange Zeit auch Teil des russischen Reiches und der Sowjetunion war, ist für ihn eine andere Sache.“

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