Im Ukrainekrieg haben erstmals in der Menschheitsgeschichte Nuklearwaffen strategische Bedeutung. Europas Politik hält an der Kriegslogik fest! Die Europawahl zur Richtungswahl für den Frieden machen
- Wolfgang Lieberknecht
- 1. Apr. 2024
- 9 Min. Lesezeit
Rede des früheren UN-Diplomaten, Michael von Schulenburg, bei den Ostermärschen in Berlin und Nürnberg 2024: "Die Europäische Union muss sich vom Wahnsinn des Krieges befreien"
Michael von der Schulenburg:
"Heute sind die Ostermärsche wieder viel wichtiger geworden als bisher. Denn die Welt versinkt
zunehmend in Kriege and bewaffnete Auseinandersetzungen. Nach Angaben der Vereinten
Nationen war bereits 2022 das Jahr mit den meisten, intensivsten und blutigsten Kriegen in der
Welt seit dem Ende des Kalten Krieges, vielleicht sogar seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Das
wird inzwischen um einiges noch schlimmer geworden sein.
Die Europäische Union ist von dieser Entwicklung besonders stark betroffen, denn fast alle Konfliktzonen und aktive Kriege liegen heute in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas – wie Armenia/Azerbaijan, Afghanistan, Libanon, Jemen, Sudan, Somalia, Libyen, Irak, Iran, Mali und die gesamte Sahelzone. Die meisten dieser Kriege und Konfliktzonen sind sogar erst durch
militärische Inventionen des Westens entstanden oder verschärft worden.
Und nun ist auch der Krieg in Gaza mit voller Wucht ausgebrochen und hat zu den schlimmsten Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in der jüngsten Geschichte geführt. Der ganze Mittlere Osten in unserer Nachbarschaft riskiert davon in Brandt gesteckt zu werden. All das hat und wird starke Auswirkungen auf die Sicherheit Europas haben. Weder die USA noch China befinden sich in einer ähnlich gefährlichen Situation, da es in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft
keine ähnlich intensiven Konflikte und Kriege gibt.
Von all diesen Kriegen bleibt der Ukrainekrieg weiterhin die weitaus höchste Gefahr für die Sicherheit der Europäischen Union und deren Mitgliedsstaaten. Er ist der größte und gefährlichste Krieg seit dem Ende des Kalten Krieges, in dem zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Nuklearwaffen von strategischer Bedeutung sind. Es ist ein Krieg, der sich auf europäischen Boden abspielt und ein Krieg, indem sich die Europäische Union immer weniger auf die Führungsrolle der Vereinigten Staaten verlassen kann. Mit dem zunehmenden
Rückzug der USA aus dem Ukrainekrieg steht die Europäische Union der enormen Gefahr gegenüber, die von diesem Krieg ausgeht, allein da.
Auf sich gestellt, versagen allerdings die verantwortlichen Politiker der Europäischen Union und deren Mitgliedsstaaten. Anstelle zu versuchen, diese Gefahr durch Diplomatie und Verhandlungen zu entschärfen und den Grundstein für ein friedliches Europa zu legen, folgen die Politiker der irreführenden Kriegslogik, wonach nur ein militärischer Sieg der Ukraine über
Russland einen Frieden bringen könne – und das jetzt noch, da ein militärischer Sieg völlig unrealistisch geworden ist.
In diesen Zeiten der größten Gefahr für Europa, fehlt es den politischen Verantwortlichen der Europäischen Union an Besonnenheit und politischen Realismus. Viele ihrer Reaktionen haben gar Züge politischer Unverantwortlichkeit, die oft an politischem Wahnsinn grenzen.
Denn es ist ein Wahnsinn, dass deutsche Generäle über Möglichkeiten des Einsatzes von Taurus Raketen nachdenken und darüber, wie eine deutsche Verantwortung dabei verschleiert werden könnte, obwohl der Einsatz einer solchen Waffe ohne jede Vorwarnung den Kreml zerstören und damit zu einer nuklearen Gegenreaktion führen könnte.
Denn es ist ein Wahnsinn, dass der französische Präsident über die Entsendung von NATO-
Truppen in den Ukrainekrieg nachdenkt und sein Generalstabschef die Mobilisierung von
60,000 NATO-Soldaten fordert und damit einen gesamteuropäischen Krieg lostreten würde;
Es ist ein Wahnsinn, dass noch nach zwei Jahren des Krieges die Anträge der Ampel Koalition
und der CDU/CSU Opposition zur Bundestagsdebatte zum Jahrestag des Ukrainekrieges wie
Kriegserklärungen klingen, ohne auch nur einen Hauch einer Bereitschaft für friedliche
Lösungen erkennen zu lassen;
Es ist ein Wahnsinn, dass Kriegsbefürworter immer noch davon reden, Russland besiegen zu
wollen und nicht zögern, dabei die Zerstörung der gesamten Ukraine zu riskieren;
Es ist ein Wahnsinn, dass Politiker der Grünen Partei uns weiterhin weismachen wollen, dass
auch bei einer direkten Beteiligung der NATO gegen die Nuklearmacht Russland, wir uns vor
einem Nuklearkrieg nicht fürchten müssten;
Es ist ein Wahnsinn, wenn EU-Außenminister immer mehr wie Kriegstreiber klingen und nicht
wie Chefdiplomaten, deren Hauptaufgabe es doch sein sollte, Kriege zu verhindern und dort,
wo Kriege ausgebrochen sind, nach friedlichen Lösungen zu suchen;
Es ist ein Wahnsinn, wenn die Präsidentin der EU-Kommission zum 2. Jahrestag des Krieges
nach Kiew reist und Schulter an Schulter mit der italienischen Ministerpräsidentin, deren
Wurzeln in der faschistischen Vergangenheit Italiens liegen, behauptet, europäische Werte zu
verteidigen;
Es ist ein Wahnsinn, diesen Krieg in ein drittes Jahr gehen zu lassen, wohlwissend, dass die
Ukraine diesen Krieg nicht mehr gewinnen kann und dieser nur noch mehr Menschen das Leben
kosten wird oder gar zum Kollaps der Ukraine führen könnte;
Denn es ist ein Wahnsinn, dass wir Europäer nach zwei Jahren des gefährlichsten und
furchtbarsten Krieges auf europäischen Boden bisher keinen Versuch unternommen haben,
um diesen Krieg, wie in der UN-Charta gefordert, durch Verhandlungen oder Mediationen zu
beenden.
Aber dieser Wahnsinn des Krieges geht heute weit über den Ukrainekrieg hinaus
und die Europäische Union tut nichts dem gegenzusteuern
Denn es dominiert heute der weltweite Wahnsinn zu glauben, dass Konflikte nur noch durch
die Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden können und nicht mehr durch Diplomatie;
Es ist der Wahnsinn, dass wir unsere Sicherheit nur noch in immer höheren Rüstungsausgaben
zu finden glauben und dass wir das durch weniger Klimaschutz, weniger soziale Gerechtigkeit
aber mit mehr Hunger, mehr Armut, mehr Flüchtlingen, mehr Migranten und mehr, ja sehr viel
mehr Menschenopfern erkaufen;
Es ist der Wahnsinn zu glauben, durch immer größere Waffenexporte Demokratie und
Rechtstaatlichkeit in der Welt durchzusetzen;
Und es ist der Wahnsinn eine rasante Entwicklung zu immer stärkeren und technologisch
hoch komplexen Waffensystemen zu fördern, Waffensysteme, die wir nicht einmal während
des Kalten Krieges kannten und die unsere Welt und alles Leben auf der Erde in wenigen
Minuten gleich mehrmals völlig zerstören könnten.
Und es ist ein Wahnsinn, dass wir in einer Zeit immer stärkerer Waffensysteme alle Verträge zu
Rüstungsbeschränkungen und alle gegenseitige Überwachung dieser Verträge gekündigt
haben, die wir noch während des Kalten Krieges und der Zeit unmittelbar danach
abgeschlossen hatten, um die Welt sicherer zu machen.
Es ist der Wahnsinn, dass wir eine immer gierigere Rüstungsindustrie von allen moralischen
und menschlichen Beschränkungen befreien und deren Entwicklung auch noch mit öffentlichen
EU-Mitteln subventionieren;
Es ist der Wahnsinn alle vertrauensbildenden Maßnahmen abgebaut zu haben, die einst
darauf abzielten, sich gegenseitig zu versichern, dass es keine Überraschungsangriffe geben
würde.
Es ist der Wahnsinn, dass unsere heutige Waffentechnik genau das Gegenteil tut und darauf
abzielt den Gegner zu überraschen und ihm immer weniger Zeit zu geben, auf einen Angriff zu
reagieren;
Und das immer kürzere Zeitfenster auf Angriffe zu reagieren, führt zum ultimativen Wahnsinn
einer Entwicklung, in der wir es zunehmend einer künstlichen Intelligenz überlassen über
Krieg oder Frieden zu entscheiden. Das Überleben unserer Erde, das Überleben der
Menschheit könnte so von einer künstlichen Intelligenz entschieden werden.
Was können wir tun, um diesen Wahnsinn des Kriegs zu stoppen?
Es ist dringend erforderlich, dass wir alle umdenken und dass wir unsere Regierungen dazu
drängen umzudenken. Wir brauchen eine europäische Politik des Friedens und nicht des
Krieges.
Leider werden wir heute nicht mehr in der Lage sein, große Friedensdemonstrationen zu
organisieren, wie wir sie zur Zeit des illegalen Angriffskrieges auf den Irak noch kannten – und
dass, obwohl heute die Sicherheitslage in der Welt um ein Vielfaches gefährlicher für die
Menschheit geworden ist, als es noch 2003 der Fall war.
Und doch gibt es Hoffnung. Denn es zeichnet sich ein Umschwung in der öffentlichen Meinung
ab. Trotz aller kriegstreibenden Medien gibt es inzwischen europaweit eine wachsende
Mehrheit, die sich gegen eine Weiterführung des Krieges, gegen weitere Waffenlieferung und
für Verhandlungen ausspricht. Darauf müssen wir bauen!
Wir müssen es schaffen, diese Trendwende zum Frieden in der Bevölkerung in eine politische
Kraft umzusetzen. Dazu müssen wir die Menschen in Europa aufrufen, die Europawahlen zu
einer Richtungswahl für Frieden zu machen.
In dieser Europawahl gibt es nun in Deutschland die politische Alternative für Frieden zu
wählen, ohne dabei nationalistische oder gar rassistische Ziele mit in Kauf nehmen zu müssen.
Ich rufe Euch daher alle auf, wählt am 9. Juni für Frieden, für die Vernunft zu friedlichen
Lösungen und für soziale Gerechtigkeit. Diese Europawahl ist wichtig, um den Frieden in
Europa wiederzugewinnen.
Danke, dass Ihr mir zugehört habt!"
Michael von der Schulenburg (vollständig Michael Sergius Graf von der Schulenburg; * 16. Oktober 1948 in München) ist ein deutscher Politiker (BSW) und vormaliger Diplomat der OSZE sowie der UN. Von 2009 bis 2012 war er höchster Repräsentant der UN in Freetown in Sierra Leone und Leiter der weltweit ersten integrierten Peacebuilding-Mission.
Michael von der Schulenburg stammt aus dem deutschen Adelsgeschlecht derer von der Schulenburg. Er wurde als Sohn des Physikers Michael von der Schulenburg (1903–1958) und seiner Frau Dagmar, geb. Baronesse von Engelhardt (1914–1979), in München geboren. Sein Vater war stellvertretender Direktor des Kernphysikalischen Instituts der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Zeuthen-Miersdorf. Von der Schulenburg ist verheiratet und hat vier Kinder.
Leben:
Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin, sowie an der London School of Economics (LSE) und der Ecole Nationale d’Administration (ENA) in Paris war er für die UN in New York City (Vereinigte Staaten), Wien (Österreich), Afghanistan, Haiti, Kuwait, Irak, Iran, Pakistan, Sierra Leone und Syrien sowie für die OSZE in Wien tätig.[1]
Am 14. Januar 2009 wurde er von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum Repräsentanten der UN in Sierra Leone ernannt.[2] Bei dem von ihm geleiteten United Nations Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone (UNIPSIL) handelte es sich um die weltweit erste integrierte Peacebuilding-Mission, die 14 UN-Organisationen koordinierte. Zu seiner Aufgabe sagte er: „Wir haben aus der Vergangenheit … gelernt, dass man nicht nur aufs Militärische schauen darf. Die zivile Seite muss von Anfang an mit bedacht werden. Ich bin daher in Sierra Leone Leiter der Friedensmission und des Entwicklungsprogramms. Das wurde so konsequent bisher in keinem anderen Land umgesetzt.“[3] Im UN-Sicherheitsrat berichtete er regelmäßig[4][5][6] und wies dabei neben den Erfolgen des ehemaligen Bürgerkriegslandes beim Wiederaufbau auch auf neue politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fehlentwicklungen hin. Nach Unstimmigkeiten über die Einhaltung des Lomé-Friedensabkommens und die Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 forderte die Regierung Schulenburg auf, das Land zu verlassen.[7][8]
Seitdem ist er beratend und publizistisch tätig.[9]
Ende Januar 2024 wurde von der Schulenburg auf Platz 3 der Kandidatenliste des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die Europawahl gewählt.[10]
Auszeichnungen
Im Januar 2020 erhielt Michael von der Schulenburg die höchste Auszeichnung des Landes Sierra Leone mit der Ernennung zum Grand Commander of the Order of the Republic (GCOR).[11]
Positionen
Afghanistan
Im Jahre 2020 nannte er den Nato-Einsatz in Afghanistan ein „Fiasko“. Auch die Art des Rückzugs sei ein Fiasko, das für die Welt dramatische Folgen haben werde. Er kritisierte die deutsche Bundesregierung, dass sie in ihrem Bericht an den Bundestag nirgends „auch nur den Hauch eines Zweifels am Sinn oder an der Durchführung des deutschen Militäreinsatzes“ einräume. Es müsse die Frage gestellt werden, warum Afghanen eine Kollektivschuld für die Terrorangriffe vom 11. September 2001 bezahlen mussten, und was zum unrühmlichen Ende dieser militärischen Intervention geführt habe.[12]
Islamischer Staat (IS)
Im Jahre 2014 mahnte er, bei aller Entrüstung über die Gräueltaten des IS die Konsequenzen des militärischen Vorgehens besser zu durchdenken und mögliche Optionen abzuwägen. Es gebe in gewissem Maße auch die Option, den IS an sich selbst scheitern zu lassen.[13]
Peacebuildung
Im Jahre 2017 veröffentlichte er ein politikwissenschaftliches Buch über Peacebuildung mit dem Titel On Building Peace: Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations.[14]
UN-Charta
Im Jahre 2018 unterbreitete er drei Vorschläge zur Rolle Deutschlands im UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung bei der Stärkung der UN-Charta als Fundament internationaler Friedensregelung. Hierbei nannte er die Wahrung der universellen Anwendung, die Erweiterung auf innerstaatliche Konflikte und die Demokratisierung kollektiver Entscheidungen.
UN-Reform
Für die UN erstellte er mehrere interne Strategie- und Reformdokumente, die vom UN-Generalsekretär 2009 lobend erwähnt wurden.[2] Öffentlich äußerte er bereits während seiner Karriere beispielsweise im Tagesspiegel, dass aus seiner Sicht eines der größten Probleme die große Zersplitterung der UN darstelle. Es gebe zu viele einzelne Organisationen und Fonds, die nur schwer effektiv für eine Sache einzusetzen seien. Da jedoch diese Strukturen von den Mitgliedsstaaten der UN geschaffen worden sind, hätten Staaten wie Deutschland es auch in der Hand, daran etwas zu ändern.[15]
Im Jahre 2001 wurde in Medien bekannt, dass er Pino Arlacchi, dem Generaldirektor des Büros der UNO in Wien und Direktor des Office for Drug Control and Crime Prevention (ODCCP) im Rang eines Unter-Generalsekretärs, vorwarf, dass in der UN-Behörde „Angst, Einschüchterung und eine völlige Abwesenheit von Transparenz“ herrschten.[16] Eine offizielle Untersuchung bestätigte die von Schulenburg offengelegten schweren Missstände.[17]
Russischer Überfall auf die Ukraine
Im Mai 2022 schrieb er in einem Pressebeitrag, dass sich der Westen in seinem Ukraine-Kurs viel zu abhängig von den USA mache.[18] „Europa [sollte] aus seinem ureigenen Interesse heraus gerade jetzt einen Verhandlungsfrieden im Ukrainekrieg anstreben und nicht durch eine weitere Intensivierung des Krieges auf einen Siegfrieden hoffen.“
Im Februar 2023 war Schulenburg Erstunterzeichner der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Petition Manifest für Frieden an den deutschen Kanzler Olaf Scholz, die zu Diplomatie und Verhandlungen aufrief und sich gegen weitere „eskalierende Waffenlieferungen“ an die Ukraine im Zuge des russischen Überfalls aussprach.[19] Schulenburg erklärte, es gebe eine völkerrechtliche Pflicht zu Verhandlungen; wenn argumentiert wird, dass ein Frieden nur durch Waffengewalt errungen werden könne, sei das ein Rückfall in kriegerische Zeiten vor der UN-Charta und berge die Gefahr der Eskalation dieses Krieges bis zur Auslöschung der Menschheit.[20][21]
Verschiedenes
Im Jahre 1990 wurde er bei der Explosion einer Splitterbombe in Kabul verletzt.[22] Im Jahre 2009 verhinderte er laut Beobachtern in Sierra Leone durch persönlichen Einsatz in einer brenzligen Situation die Lynchjustiz an 22 Oppositionellen und das mutmaßliche Wiederaufflammen des im Jahr 2002 beendeten Bürgerkrieges.[23]
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