FAZ: Neuer Druck von links in Großbritannien: Der frühere Labour-Vorsitzende Corbyn u.a. gründet eine neue Partei. Hunderttausende Unterstützer für "YourParty!" (Deine Partei!)
- Wolfgang Lieberknecht

- 19. Aug.
- 7 Min. Lesezeit
Zentrale Ziele: Aufhebung der Obergrenze für das Kindergeld für zwei Kinder und Rücknahme der Kürzungen für Behinderte
Investitionen in die Wohlfahrt statt in die Kriegsführung
Rückführung von Wasser, Energie, Bahn und Post in öffentliches Eigentum
Wohlhabende stärker besteuern
Schluss mit dem Sündenbock-Denken gegen Migranten und Minderheiten
Beendigung der politischen und militärischen Unterstützung des israelischen Völkermordes
Gerechtigkeit für das palästinensische Volk
Die neue linke Partei, die der einstige britische Labour-Anführer Jeremy Corbyn zu gründen im Begriff ist, hat nach seinen Angaben schon mehr als 600.000 registrierte Anhänger. Einen Namen hat sie noch nicht. Die Website, auf der man sich als Unterstützer des Vorhabens registrieren kann, firmiert als „Eure Partei“. So solle sie aber am Ende nicht heißen, sagt ihr Gründer. Die Mitglieder würden endgültig über einen Namen entscheiden. Das soll voraussichtlich auf einem Gründungskongress im Herbst geschehen, den Corbyn mit Hilfe von Gewerkschaften, Friedens- und Umweltinitiativen und einigen unabhängigen Abgeordneten organisieren will, die wie er selbst einst zur Labour-Partei zählten.
Doch nach dem ersten Regierungsjahr hat sich die Lage für Labour dramatisch verschlechtert. Im Juli 2024 war der Wahlsieg dadurch zustande gekommen, dass Starmers Partei von vielen Wählern die Rolle der ablösenden Kraft in einem Zweiparteien-System zugebilligt wurde. Sie errang mit rund einem Drittel der Wählerstimmen knapp zwei Drittel der Sitze. Allerdings fungierte damals die Reformpartei des Rechtspopulisten Nigel Farage als eine Art Steigbügelhalter, weil sie in vielen Wahlkreisen Stimmen an sich zog, die sonst für die Konservativen abgegeben worden wären; sie hat damit Wahlkreismehrheiten für deren Kandidaten verhindert. Mittlerweile hat Reformpartei sowohl die Konservativen als auch Labour in Meinungsumfragen deutlich überholt. Sie hat im Frühjahr bei den Kommunalwahlen im Norden Englands mit den Themen Einwanderung und innere Sicherheit auch frühere Labour-Wähler angezogen.
Palästina und Sozialpolitik
Nun setzt Corbyn die Regierungspartei auch von links unter Druck. Er hat sich drei Angriffspunkte ausgesucht. Er verspricht, seine Partei werde „ihren Mitgliedern gehören“, anders als Labour, wo die Parteispitze den Kurs bestimme und Entscheidungen „hoch zentralisiert“ von „Kontroll-Freaks“ getroffen würden. Tatsächlich hat Corbyns Nachfolger Starmer den Zentralismus seines Vorgängers mindestens beibehalten. Im Bemühen, antisemitische Stimmen aus der Partei zu drängen und orthodoxe Linke zu entmachten, griff die Parteiführung in Kandidaten-Aufstellungen in den Wahlkreisen ein und suspendierte Parteimitgliedschaften. All jene, die unter solchen „Säuberungen“ litten, finden jetzt bei Corbyn eine neue Heimat.
Die beiden inhaltlichen Schwerpunkte betreffen soziale Hilfen und die Haltung zu Israel und Gaza. In dieser Frage setzten muslimische Labour-Lokalpolitiker Starmer schon im Unterhauswahlkampf vor mehr als einem Jahr unter Druck. Der blieb damals standhaft bei pro-israelischen Sprachregelungen. (..) Corbyn gibt an, die Regierung habe „ihre Komplizenschaft an einem der schlimmsten Verbrechen unserer Zeit manifestiert“.
Bei den sozialpolitischen Forderungen haben Corbyn und seine Anhänger schon einen Erfolg errungen, bevor ihre Partei überhaupt gegründet wurde: Starmers Kabinett musste ein geplantes Gesetz zur Beschränkung von Sozialhilfen für dauerhaft Kranke und Behinderte zurückziehen.
Test bei Kommunalwahl nächstes Jahr
Die Labour nahestehende Online-Plattform LabourList zitiert Meinungsumfragen, nach denen Corbyns Partei aus dem Stand mit zehn Prozent der Wählerstimmen rechnen könnte. Mehr als 40 Prozent der Labour-Wähler beurteilten Corbyn positiv; in einem detaillierteren Vergleich schneide er besser ab als Starmer. Selbst Anhänger von Reform UK gäben Corbyn bessere Bewertungen als dem Premierminister.
Bei den nächsten Kommunalwahlen im Mai 2026 wird sich zeigen, wie gefährlich die neue Konkurrenz der Labour-Party werden kann. (..)
Generalsekretär der Kommunistischen Partei über die neue britische Linkspartei

Übernommen von Communist Party of Britain:
Kommunisten und viele andere Linke blicken mit Interesse auf die neue Initiative, die aus Treffen zwischen Jeremy Corbyn, Zara Sultana, anderen prominenten Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung, Gemeinderäten und kommunalen Kampagnen hervorgegangen ist.
Die ehemaligen Labour-Abgeordneten Corbyn und Sultana kündigten am 24. Juli in einer gemeinsamen Erklärung die Gründung einer neuen Linkspartei an, die allerdings noch keinen offiziellen Namen, keine Strukturen und keine Politik hat. Dennoch haben sich inzwischen mehr als eine halbe Million Menschen auf der Website yourparty.uk bereit erklärt, das neue Projekt zu unterstützen und sich daran zu beteiligen.
Die Gründungserklärung der Website ist kurz und sehr allgemein gehalten, aber Jeremy Corbyn hat in einem Artikel in The Guardian vom 29. Juli einige Hauptlinien seiner Politik dargelegt. Diese dürften für die Mitglieder der CP keine Überraschung sein:
Aufhebung der Obergrenze für das Kindergeld für zwei Kinder und Rücknahme der Kürzungen für Behinderte
Investitionen in die Wohlfahrt statt in die Kriegsführung
Rückführung von Wasser, Energie, Bahn und Post in öffentliches Eigentum
Wohlhabende stärker besteuern
Schluss mit dem Sündenbock-Denken gegen Migranten und Minderheiten
Beendigung der politischen und militärischen Unterstützung des israelischen Völkermordes
Gerechtigkeit für das palästinensische Volk
Natürlich ist Corbyn in dem, was er in diesem frühen Stadium darlegen kann, eingeschränkt: Er möchte, dass die Gründungsmitglieder der Partei eine umfassende, demokratische Rolle bei der Festlegung ihrer Politik und Strukturen spielen.
Die Kommunistische Partei hat sich zu diesen Entwicklungen noch nicht offiziell geäußert, obwohl es in unserem Exekutivausschuss und unserem Politischen Ausschuss einige Diskussionen gegeben hat. Die Frage ist Bestandteil des Entwurfs der Hauptresolution des Exekutivkomitees, die am 14. August an alle Mitglieder, Gliederungen, Bezirke und Nationen verschickt werden soll, und wird daher am 7. und 9. November auf unserem 58. Parteitag behandelt.
Was kann zu diesem Zeitpunkt gesagt werden?
Erstens wird diese Initiative wahrscheinlich einen bedeutenden neuen Ausgangspunkt für die Labour Party und die Linke in Großbritannien markieren, und möglicherweise auch für den Wahlkampf für eine Vertretung der Arbeiterklasse in Westminster im Besonderen.
Warum? Weil sich bereits acht ehemalige Labour-Abgeordnete und unabhängige pro-palästinensische Abgeordnete dieser Initiative angeschlossen haben. Ein oder zwei weitere werden sich ihnen wahrscheinlich sehr bald anschließen, während andere linke Labour-Abgeordnete sich derzeit noch zurückhalten.
Mit einer erfolgreichen Wahlmaschinerie, die bereits in einer Reihe von Orten besteht, und Tausenden von Freiwilligen, die bereit sind, sich ihr anzuschließen, unterscheidet sich diese neue Formation qualitativ von den jüngsten Versuchen – der Socialist Alliance, TUSC, Respect, George Galloways Workers Party -, eine substanzielle Wahlalternative zur Labour Party zu schaffen.
Es ist klar, dass der Rechtsruck der bürokratisch-zentralistischen Partei und Regierung von Keir Starmer den Vormarsch der Corbyn-Sultana-Proto-Partei in den Meinungsumfragen vorantreibt.
In unseren EC- und PC-Diskussionen haben die Genossinnen und Genossen diese Entwicklungen im Großen und Ganzen befürwortet. Die Labour-Partei hat den Boden für das Wachstum von Nigel Farages ReformUK bereitet, indem sie Asylbewerber verteufelt, die britische nationalistische Kriegstrommel rührt und Millionen von Wählern aus der Arbeiterklasse mit einer Politik verprellt, die die Spekulanten der City, die Superreichen und die Gauner schützt, die das Privatisierungsgeschäft im Energie- und Verkehrssektor betreiben.
Daraus ergibt sich der zweite Punkt: Das Entstehen einer populären Kraft links von der heutigen Labour-Partei wird eine substanzielle Alternative zu ReformUK bieten und könnte – so gering die Aussichten heute auch erscheinen mögen – möglicherweise einen linksgeführten Kampf innerhalb der Labour-Partei unterstützen, trotz der dortigen starken Aushöhlung der innerparteilichen Demokratie.
Gleichzeitig sollten die Kommunisten der Corbyn-Sultana-Bewegung gegenüber vorsichtig und realistisch, aber auch weitgehend positiv eingestellt sein. Die Fallstricke sind da, denn die feindseligen Massenmedien – mit Ausnahme des Morning Star natürlich – und der Labour-Apparat bereiten sich darauf vor, alle Arten von Lügen, Verzerrungen und schmutzigen Tricks anzuwenden, um die neue Partei und ihre Führer zu diskreditieren.
Bemerkenswert ist, dass es keine nennenswerten Reaktionen aus der Gewerkschaftsbewegung gab, insbesondere nicht von den Gewerkschaften, die der Labour Party angeschlossen sind. Jede Massenwahlalternative zur Labour Party braucht die solide Basis und die Reichweite in den Arbeiterklassen, die die Gewerkschaften bieten können.
Die Erfahrungen früherer linker Wahlinitiativen werfen zwei weitere Probleme auf, mit denen man sich auseinandersetzen muss: erstens die Bereitschaft ultralinker Sekten, breite Massenbewegungen zu unterwandern, um sie zu spalten, sich als „linke Opposition“ gegen die Führung auszugeben und diejenigen zu rekrutieren, die sie beeinflussen und in die Irre führen können; und zweitens die Gefahr, dass die Gründung und der Aufbau einer neuen Partei viele ihrer neuen Mitglieder von ihrer unschätzbaren Arbeit in Massenkampagnenbewegungen für Frieden, für Palästina, gegen Sparmaßnahmen und Rassismus usw. ablenken könnte.
Es waren vor allem das Wachstum und die Aktivitäten von Stop the War, CND und der People’s Assembly, die eine populäre Basis für die Wahl von Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der Labour Party im Jahr 2015 geschaffen haben. Da die innerparteiliche Organisation und der Kampf – zusammen mit der Wahlarbeit – in der Folge mehr Zeit in Anspruch nahmen, schränkten zu viele Corbyn-Anhänger den außerparlamentarischen Aktivismus stark ein, der Corbyns Führung ansonsten gegen seine mächtigen Feinde hätte unterstützen können.
Corbyns Labour-Partei hat es auch versäumt, die EU unter Klassengesichtspunkten zu analysieren, und ihre idealistischen Vorstellungen führten zu katastrophal falschen Positionen in der Kampagne für das EU-Referendum und für ein zweites Referendum. Welche Position wird die neue Partei zu diesem Thema und zu Themen wie Identitätspolitik, Föderalismus, NATO-Mitgliedschaft und Beziehungen zu China einnehmen?
Die Linke in Großbritannien sollte die Lektionen aus Griechenland beherzigen, wo Syriza aufstieg und dann abstürzte, als sie die PASOK-Sozialdemokraten ablöste, vor den Spar- und Privatisierungsforderungen der EU und des IWF kapitulierte, während die KKE ihre Arbeiterbasis und ihre kommunistischen Prinzipien beibehielt; in Spanien erlebte PODEMOS (ebenfalls wie Syriza ohne stabile klassenbasierte theoretische Grundlage) einen Aufschwung und zog sich dann zurück, da sie nicht in der Lage war, die Sozialdemokraten der PSOE zu verdrängen, die sich weigerten, zusammenzubrechen.
Die Kommunistische Partei wird wie bisher überlegen, wie sie am besten mit ihren sozialistischen und progressiven Verbündeten zusammenarbeiten kann, sei es in der neuen Partei oder in der Labour Party und anderen. Wie können wir dazu beitragen, dass die Massenkampagnen vorankommen, die arbeiterfeindliche und kriegstreiberische Politik der Labour-Regierung bekämpfen, den Klassencharakter von ReformUK aufdecken und die Rassisten isolieren?
In einem Punkt können wir sicher sein: Die Völker und die Arbeiterklasse Großbritanniens und seiner drei Nationen brauchen eine viel stärkere und einflussreichere Kommunistische Partei; eine, die für einen breit angelegten Massenkampf organisiert ist und unabhängige Wahlkampfarbeit leistet, indem sie die konsequente sozialistische und antiimperialistische Politik vertritt, die sich aus unserer marxistisch-leninistischen Analyse ergibt.
Massenkampagnen – der Schlüssel zum Fortschritt!Baut die Einheit der Linken und die Einheitsfront auf!Die Kommunistische Partei – für die Macht der Arbeiterklasse!
Robert GriffithsGeneralsekretärKommunistische Partei

Kommentare