Es gibt damals kaum Redakteure bei „ARD-Aktuell“, die nicht den für den ÖRR typischen Herkunftsdreiklang mitbringen: westdeutsch, bildungsbürgerlich, christlich. Damit zumeist auch gutsituiert
- Wolfgang Lieberknecht

- 26. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
Berliner Zeitung, Auszüge: Ex-„Tagesthemen“-Mitarbeiterin: „Man hat mir gesagt, ich sei zu ‚ostdeutsch‘“
Der ehemalige Tagesschau-Redakteur Alexander Teske hat ein Buch über seine Zeit bei „ARD-Aktuell“ herausgebracht. Was er dazu sagte, weckte bei unserer Autorin böse Erinnerungen. Ein Gastbeitrag.
Annekatrin Mücke
26.01.2025 11:00 Uhr
Auch ich habe fünf Jahre als sogenannte Moderationsredakteurin bei den „Tagesthemen“ gearbeitet. Ich war nicht wie er als Planungsredakteur an der inhaltlichen Gestaltung der Sendung beteiligt, sondern habe den Moderatoren zugearbeitet, habe also recherchiert, beraten, Vorschläge für Moderationen und Interviews geschrieben. Trotzdem kommt mir vieles, was Teske erzählt, bekannt vor.
Westdeutsch, bildungsbürgerlich, christlich
Zur Herkunft: Ich komme zwar nicht wie er aus Sachsen. Aber mein ausgeprägter Berliner Dialekt verrät meine Herkunft aus dem Ostteil der Stadt.
Auf meine Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, mehr Ostdeutsche in so eine wichtige Redaktion zu holen, bekomme ich schräge Antworten: Erstens gäbe es einen Kollegen, der immerhin fünf Jahre beim RBB gearbeitet habe. Das macht ihn, einen Schwaben, offensichtlich zu einem wesentlich kompetenteren Neu-Ossi. Und zweitens bräuchte man keine direkte ostdeutsche Expertise, das könne man sich alles anlesen.
Es gibt damals kaum Redakteure bei „ARD-Aktuell“, die nicht den für den ÖRR typischen Herkunftsdreiklang mitbringen: westdeutsch, bildungsbürgerlich, christlich. Damit automatisch zumeist auch gutsituiert und deshalb nur selten mit migrantischem Hintergrund. Teskes Ausführungen zufolge hat sich daran bis heute wenig geändert.
Standleitung in die USA
Zur Auswahl der Themen: Auch da finde ich Teskes Analyse zutreffend. Westeuropäische Nabelschau und eine Art Standleitung in die USA prägten auch vor mehr als zehn Jahren in großen Teilen den Inhalt der Sendung. Das ist nur logisch, wenn man sich die Verteilung der ARD-Korrespondentenbüros anschaut: 13 davon in Europa (nur vier in Osteuropa), drei allein in den USA und gerade mal vier in Afrika sowie zwei für ganz Lateinamerika!
Ich will an dieser Stelle drei konkrete Beispiele für den Umgang mit brisanten Themen nennen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.
(Wir nehmen eins davon aus dem Artikel, das v.a. für unser Anliegen wichtig ist: Regime-Change in der Ukraine 2014.
Der damalige Präsident Janukowitsch verweigerte im November 2013 die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU. Daraufhin gingen immer mehr Menschen auf die Straße, vorwiegend auf den Platz der Unabhängigkeit (Maidan Nesaleschnosti) in Kiew. Im Februar 2014 wird dort scharf geschossen, es gibt circa 100 Todesopfer. Bei „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ sind ganz klar die Sonderkommandos von Janukowitsch verantwortlich dafür.
Doch schon wenige Tage später berichtet die britische BBC, dass es an dieser Darstellung Zweifel gebe. Denn unter den Toten sind zum einen auch Angehörige genau dieser Sonderkommandos. Und zum anderen wurden die Oppositionellen nicht nur von vorn und damit von Regierungsgebäuden aus beschossen, sondern auch von hinten und damit von ihrer eigenen Schaltzentrale aus, dem Hotel Ukraina. In der Redaktion der „Tagesthemen“ herrscht Ungläubigkeit. Das kann einfach nicht sein. Man lässt die Berichte der BBC tief unter den Redaktionstisch fallen.
Allerdings gibt es damals auch guten und unabhängigen Journalismus beim ÖRR. Im April 2014, gut zwei Monate später (und damit natürlich nicht mehr relevant für ein Nachrichtenmagazin wie die „Tagesthemen“), zeigt das WDR-Politmagazin „Monitor“ einen aufsehenerregenden Beitrag über die Hintergründe der Todesschüsse vom Maidan. Noch heute in der ARD-Audiothek abrufbar und sehr empfehlenswert:

Die Selbstzensur-Allzweckwaffe beim ÖRR
Zum Umgang mit Kritik aus den eigenen Reihen: Alexander Teske beschreibt im Interview, wie mit Rommy Arndt umgegangen wurde, einer freien Journalistin vom MDR, nachdem sie sich in ihrem Kommentar beim Nachrichtenradio MDR Aktuell gegen deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine ausgesprochen und Agnes Strack-Zimmermann (FDP) deren guten Verbindungen zur Waffenlobby vorgeworfen hatte. Ihr eigener Sender, der MDR, distanzierte sich von dem Kommentar, weil Arndt angeblich die journalistischen Qualitätskriterien nicht eingehalten hatte. Dieser Vorwurf ist übrigens die Selbstzensur-Allzweckwaffe beim ÖRR.
Die Kritik an Arndts Kommentar und auch an ihrer Person zog laut Teske offensichtlich Kreise bis in den Elfenbeinturm von ARD-Aktuell, wo man sich normalerweise rein gar nicht darum schert, was bei den einzelnen Landesrundfunkanstalten gesendet wird. Eigentlich hätte man dort die nachträgliche Distanzierung der MDR-Chefredaktion offen kritisieren müssen und nicht die Kommentatorin. Denn Eingriffe in Kommentare gelten beim ÖRR als No-go.
Alexander Teske
Als ich bei den „Tagesthemen“ arbeitete, von 2009 bis 2014, wurden alle Kommentare gesendet, ohne vorherige Eingriffe und auch ohne nachträgliche Distanzierung. Das war ein ehernes und sehr wichtiges, wenn auch ungeschriebenes Gesetz. Da musste ein Moderator der „Tagesthemen“ es auch ertragen, dass eine Kollegin kurze Zeit nach den Todesschüssen auf dem Maidan in einem Kommentar sagte, dass nicht Janukowitsch und Putin allein für die Auseinandersetzungen in der Ukraine verantwortlich gemacht werden könnten. Nein, auch die EU müsse sich überlegen, inwieweit ihr Assoziierungsabkommen zu dem Konflikt beigetragen habe.
Klimabericht des NDR aus dem Jahr 2023: Darin hatte Stephan Reimers, ehemaliges Mitglied des NDR-Rundfunkrates, im Auftrag von Intendant Knuth das Arbeitsklima beim NDR untersucht. Das Ergebnis: ernüchternd. Auf den Seiten 50/51 heißt es: „Die Stimmung bei ARD-Aktuell war noch nie so schlecht … Hier passieren leider schlimme Dinge, bis hin zum Mobbing.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Oder doch noch so viel: Nach fünf Jahren bei den „Tagesthemen“ wurde mir, natürlich unter vier Augen, bedeutet, dass man zwar mehr Ostdeutsche im Team haben wolle, ich aber „zu ostdeutsch“ sei und deshalb nicht passen würde.
Annekatrin Mücke ist seit 2001 freiberufliche Radio- und TV-Journalistin mit Hochschulabschluss und vorwiegend beim ÖRR tätig. Stationen waren etwa der Kika in Erfurt, Radio Fritz und Radio eins vom RBB oder die „Tagesthemen“ in Hamburg. Sie ist außerdem Podcast- und Filmautorin.

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