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Erpresster "Salut zu Ehren der Nationalflagge des Deutschen Kaiserreiches". Kanonenboot-Politik & 80 Prozent Kontrolle des Außenhandels Haitis: Zur Geschichte der deutsch-haitianischen Beziehungen

Die deutsch-haitianischen Beziehungen gehen auf die Zeit vor der Unabhängigkeit des Landes zurück. Sie waren im 19. Jahrhundert vom Handel geprägt. Im 20. Jahrhundert verloren sie durch politische Entwicklungen sowohl in Deutschland als auch in Haiti an Bedeutung.[1]

Es bestehen diplomatische Beziehungen und beide Länder haben Botschafter ausgetauscht. Haiti ist kein Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte und Politik

Die früheste bekannte deutsche Siedlung in der damaligen französischen Kolonie Saint-Domingue befand sich in dem Ort Bombardopolis, der südlich der Hauptstadt des Arrondissement Môle-Saint-Nicolas im Département Nord-Ouest liegt. Rund tausend deutsche Siedler kamen im 18. Jahrhundert auf Einladung Frankreichs nach Bombardopolis, um Landwirtschaft zu betreiben. Da die Region im Nordwesten einer der unfruchtbarsten Teile Haitis ist, verließen die Siedler die Kolonie nach kurzer Zeit jedoch in Richtung Guyana und Louisiana.[2]

Unter den französischen Truppen des Generals Charles Leclerc, die in den Jahren 1802 und 1803 die Aufstände in der Kolonie unterdrücken sollten und über 30.000 Mann stark waren, befanden sich neben holländischen und polnischen Soldaten aus den von Napoleon Bonaparte besetzten Ländern auch erneut Deutsche. Das Eingreifen General Leclercs scheiterte und Haiti erklärte sich am 1. Januar 1804 unabhängig. Die zweite Verfassung Haitis vom 20. Mai 1805 garantierte Deutschen und Polen, die sich im Land aufhielten, die vollständigen Bürgerrechte des Landes (Artikel 13).[3]

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Kaufleute aus den Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck, Kontore in Haiti zu eröffnen und Handelsbeziehungen aufzubauen. Deutschland hatte keine eigenen Kolonien in der Karibik. Die Handelshäuser nutzten Haiti als Basis, da das Land für den Außenhandel offen war und es nur wenig Konkurrenz aus anderen europäischen Ländern gab. Die nach Haiti entsandten Deutschen waren bereit, sich in die haitianische Gesellschaft zu integrieren. Einige Deutsche heirateten in die prominentesten Familien Haitis ein. Dadurch konnten sie das in der Verfassung verankerte Verbot für Ausländer, Land zu besitzen, umgehen.[4][5]

Siegelmarke Kaiserlich Deutsche Minister-Residentur für Haiti

Vor der deutschen Reichsgründung des Jahres 1871 waren die selbstständigen Hansestädte sowie Preußen mit sogenannten Ministerresidenten in Haiti vertreten. Das Deutsche Reich war seit Ende des 19. Jahrhunderts durch Konsuln und Gesandte vertreten. Im Jahr 1891 übernahm Heinrich Ernst Göring das Amt des Gesandten.

Im Jahr 1872 schickte das Deutsche Reich erstmals Kanonenboote, um Interessen deutscher Kaufleute zu unterstützen. Zur Erzwingung der Zahlung offener Forderungen lief die gedeckte Korvette Vineta in den Hafen von Port-au-Prince ein. Die Vineta, unterstützt von der Gazelle, brachte zwei haitianische Kanonenboote auf, um ihrem Auftritt Nachdruck zu verleihen. Die sogenannte „Vineta-Affäre“ führte in Haiti zu landesweiten Protesten.

Illustration zur Affäre Lüders aus 1898

Im September 1897 kam es zu der Affäre Lüders, die lange Zeit nachwirkte. Der deutsche Kaufmann Emil Lüders wurde in Port-au-Prince in eine Schlägerei mit der Polizei verwickelt und zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Der damalige kaiserliche Gesandte Graf Schwerin trat zu Gunsten von Lüders ein. Er sprach im Präsidialamt vor und verlangte formell die Freilassung von Lüders. Präsident Simon-Sam lehnte dies ab. Nach Vermittlung durch die Vereinigten Staaten kam Lüders gleichwohl frei und konnte Haiti verlassen. Trotz dieser angestrebten Beendigung der Angelegenheit legten im Dezember 1897 die Kreuzerkorvette Charlotte und die Kreuzerfregatte Stein im Hafen von Port-au-Prince an. Der Kommandant der Charlotte, verlangte die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 20.000 US-Dollar an Lüders, die Gestattung seiner Wiedereinreise nach Haiti, eine Entschuldigung bei der Reichsregierung und das Abfeuern von 21 Schuss Salut zu Ehren der Nationalflagge des Deutschen Kaiserreiches binnen eines Ultimatums von vier Stunden. Unfähig gegen die deutschen Kriegsschiffe vorzugehen, war Präsident Simon-Sam letztlich gezwungen den deutschen Forderungen nachzugeben. Dieses verletzte den haitianischen Nationalstolz nachhaltig.[6]

Hauptartikel: Die Lüders-Affäre (in: Tirésias Simon-Sam)

Im September 1902 kam es zu einem weiteren Zwischenfall. Der Hamburger Dampfer Markomannia der HAPAG, der im Liniendienst zwischen Westindien und Hamburg eingesetzt war, wurde bei der haitianischen Hafenstadt Cap-Haïtien von dem haitianischen Kanonenboot Crête-à-Pierrot gestoppt und auf Konterbande untersucht. Der Kommandant der Crête à Pierrot war ein englischer Söldner namens Read, er unterstand dem haitianischen Admiral schottischer Abstammung Hammerton Killick. Trotz der Proteste des Kapitäns und des deutschen Konsuls in Cap-Haïtien wurden Waffen und Munition beschlagnahmt und auf die Crête à Pierrot umgeladen. Die Markomannia konnte danach ihre Reise fortsetzen. Das Kanonenboot Panther erhielt daraufhin den Befehl, die Crête à Pierrot aufzubringen. Dies geschah im Hafen von Gonaïves. Als ein Prisenkommando zur Crête à Pierrot übersetzte, erfolgten an Bord mehrere Explosionen. Das Schiff wurde unter Feuer genommen und sank auf den Grund des Hafenbeckens.[7]

Hauptartikel: Markomannia-Zwischenfall

Im Jahr 1910 kontrollierten Deutsche in Haiti rund 80 % des Außenhandels des Landes. Obwohl die Zahl der in Haiti lebenden Deutschen nur etwa 200 betrug, verfügten sie über ein unverhältnismäßig großes Maß an wirtschaftlichem Einfluss. Sie besaßen und betrieben beispielsweise Versorgungsbetriebe in Port-au-Prince und Cap-Haïtien und kontrollierten den Hafenbetrieb in Port-au-Prince.

Als die Vereinigten Staaten Haiti während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1915 besetzten, wurden alle Deutschen interniert und ihr Eigentum beschlagnahmt. Im Juli 1918 erklärte das besetzte Haiti dem deutschen Kaiserreich den Krieg.[8] Nach Ende des Ersten Weltkriegs verließen die meisten Deutschen Haiti aufgrund der anhaltenden amerikanischen Besatzung des Landes und der daraus resultierenden feindseligen Stimmung. Die Deutschen, die blieben, waren diejenigen, die auf der Insel familiäre Bindungen aufgebaut hatten.

Berlin - Botschaft von Haiti 2019

Als Haiti 1940 während des Zweiten Weltkriegs Deutschland den Krieg erklärte, wurden erneut alle deutschen Besitztümer beschlagnahmt. Deutsche Haitianer, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit behielten, wurden inhaftiert. 1942 wurden diese internierten Deutschen auf Ersuchen der Amerikaner in die Vereinigten Staaten verbracht.[9] Erst 1946, als Dumarsais Estimé Präsident Haitis wurde, konnten die damals auf Ellis Island, New York, einsitzenden Deutschen nach Haiti zurückkehren.

Residenz der deutschen Botschaft in Haiti 2012

Nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen wurde Kurt Luedde-Neurath im Jahr 1958 erster Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Port-au-Prince. Im gleichen Jahr eröffnete Franck M. Beauvoir die haitianische Botschaft in Bonn.

Nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010 bei Port-au-Prince leisteten deutsche Hilfseinrichtungen in großem Stil humanitäre Unterstützung.

Hauptartikel: Deutsche Hilfsmaßnahmen (in: Erdbeben in Haiti 2010)

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, besuchte Haiti im Jahr 2010. Bundesaußenminister Guido Westerwelle traf bei einem Kurzbesuch im Jahr 2011 unter anderem mit Präsident Michel Martelly zusammen.

 
 
 

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