
Emmanuel Todd (* 16. Mai 1951 in Saint-Germain-en-Laye, Département Yvelines) ist ein französischer Anthropologe, Demograf und Historiker. Er hat vor allem zu Fragen der Bevölkerungsentwicklung und der Familienstrukturen in international vergleichender und historischer Perspektive publiziert. Er forschte am Nationalen Institut der Bevölkerungsstudien (INED) und befasste sich mit den verschiedenen Familienstrukturen auf der Welt und ihrem Einfluss auf Überzeugungen, Ideologien, politische Systeme und historische Ereignisse. Todd ist Autor zahlreicher Bücher.
Forschungsschwerpunkte
In Nachfolge seiner akademischen Lehrer Le Roy Ladurie, Peter Laslett und Alan Macfarlane befasst sich Emmanuel Todd vor allem mit historischer Anthropologie und historischer Demographie. Er bezeichnet sich als „Produkt“ der Annales-Schule, der Le Roy Ladurie zugerechnet wird, wie auch der Cambridge-Schule, die Laslett und Macfarlane vertraten.[5] Todd beruft sich außerdem auf Methoden des Soziologen Fréderic Le Play und seinen Thesen zu Familienstrukturen aus dem 19. Jahrhundert.[12]
Er spricht demographischen, familienstrukturellen, religiösen und Erziehungsfaktoren großes Gewicht bei der Entwicklung einzelner Gesellschaften, aber auch für die Entwicklung des globalen politischen Systems zu. Eine seiner Thesen besagt, dass viele sozio-politische Phänomene anhand der jeweils vorherrschenden Familienstruktur in der Gesellschaft zu erklären seien. Er entwickelte ein Klassifizierungsmuster von Gesellschaften, mit dem auch unter Berücksichtigung der zunehmend globalen Wechselwirkungen von Gesellschaftsformen die zukünftige Entwicklung dieser Gesellschaften absehbar sei. Todd meint, dass seine Thesen vor allem in den angelsächsischen Ländern und in Frankreich angegriffen werden, wo die prägende Rolle der Familienstrukturen zugunsten individualistischer Erklärungsmuster oder universalistischer Werte weitgehend negiert wird.[13] Aber auch in Deutschland sei nach dem Krieg die differenzielle historische Darstellung von Bevölkerungsgruppen (und ihrer Wirtschaftssysteme und Kulturen) mit einem Tabu belegt gewesen. Man habe nicht mehr an die Erkenntnisse Max Webers und der deutschen Historischen Schule angeknüpft, sondern die Existenz universeller ökonomischer Gesetze postuliert.[14] Die Ökonomie sei jedoch ein relativ kurzlebiger Faktor im Vergleich zu den Glaubenssystemen, und diese wiederum wandelten sich schneller als die Familienstrukturen. Anders als von Marx postuliert, schaffe die Ökonomie sich nicht ihren je spezifischen Überbau; dieser sei vielmehr pfadabhängig, sehr konservativ und wandle sich nur langsam.[15]
Todd bezeichnete sich selbst als „empirischen Hegelianer“[16] und gilt als „Stichwortgeber für Debatten der französischen linken Mitte“.[17]

Traurige Moderne
Eine Geschichte der Menschheit von der Steinzeit bis zum Homo americanus.
Familienstrukturen sind der unbewusste Motor der Geschichte. Von dieser bahnbrechenden Erkenntnis aus erzählt Emmanuel Todd die Geschichte der Menschheit neu: Vom frühen Homo sapiens, der in Kleinfamilien lebte, über die großen Kulturen des Altertums mit ihren immer komplexeren Großfamilien bis zur Rückkehr des Homo americanus zur Kernfamilie der Steinzeit. Wer die Lage der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts verstehen will, sollte dieses luzide Buch des großen französischen Querdenkers lesen.Westliche Waren und Lebensstile dringen bis in die letzten Winkel der Welt vor, und doch sind wir von einer globalen Einheitskultur weit entfernt. Emmanuel Todd zeigt, wie sich seit der Steinzeit unterschiedliche Familiensysteme verbreitet haben, die bis heute die Mentalitäten zutiefst prägen. Er beschreibt die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft mit ihren primitiven Kleinfamilien und die Unbeweglichkeit von Kulturen mit hochkomplexen patriarchalischen Großfamilien, und er erklärt den europäischen Konflikt zwischen einer deutschen Stammfamiliengesellschaft und Gebieten mit egalitären Familienstrukturen. Werden diese tief verankerten Unterschiede bei der Lösung der gegenwärtigen Krisen nicht berücksichtigt,gerät die Demokratie unter die Räder. «Unsere Moderne», so Todd, «erinnert an einen Marsch in die Knechtschaft.»
Comments