Wie Propaganda, ignorierte Diplomatie und westliche Überheblichkeit den Krieg in der Ukraine angeheizt haben – und warum Neutralität der einzige Ausweg bleibt.
- Wolfgang Lieberknecht
- vor 17 Stunden
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In einem kürzlich geführten Gespräch über Neutralitätsstudien analysiert der britische Historiker und Stalin-Biograf Dr. Geoffrey Roberts systematisch, wie historische Verzerrungen und die abgrundtiefe moralische Degeneration westlicher Führer dazu beigetragen haben, eine relativ einfache politische Krise in Osteuropa zu einem der blutigsten Kriege des jungen 21. Jahrhunderts zu eskalieren (und nein, es ist nicht der einzige).
Der Propagandakrieg
Der Krieg in der Ukraine ist von einer so dichten Propagandawolke umhüllt, dass selbst grundlegende historische Realitäten an den Rand gedrängt wurden. Doch die Fakten bleiben hartnäckig: Russlands Entscheidung, in der Ukraine zu einer „Sonderoperation“ zu greifen, war zwar radikal und bedauerlich, aber nicht von sinnlosem Imperialismus getrieben, sondern von der langjährigen, wiederholt geäußerten Forderung nach einem Ende der Aufrüstung der Ukraine durch die USA und die NATO – was sogar die New York Times in nicht nur einem, sondern zwei Artikeln zugab (Artikel 1, Artikel 2).
Im Dezember 2021 hatte Russland seine Karten klar auf den Tisch gelegt: Vorschläge für die Neutralität der Ukraine, die Nicht-Erweiterung der NATO und Sicherheitsgarantien wurden dem Westen offiziell vorgelegt. Ihre Ablehnung ließ Russland zu der düsteren Einschätzung gelangen, dass militärische Maßnahmen eine geringere Gefahr darstellten als die passive Hinnahme einer wachsenden strategischen Bedrohung an seiner Grenze. Der daraus resultierende Krieg war im Kern eine extreme Fortsetzung einer Eskalationsspirale – eine gewaltsame Verlängerung der Verhandlungen mit anderen Mitteln. Weit davon entfernt, die Eroberung der gesamten Ukraine anzustreben, war das ursprüngliche Ziel, eine Einigung zu erzwingen, die die grundlegenden Sicherheitsinteressen Russlands anerkennt.
Ignoranz gegenüber Fakten
Doch trotz der verfügbaren Beweise – Vertragsentwürfe, Verhandlungsprotokolle und öffentliche Reden – weigert sich die westliche Narrative, diese Komplexität auch nur anzuerkennen. Stattdessen wurde die Öffentlichkeit mit simplen Geschichten von unprovozierter Aggression und Träumen von der Wiederauferstehung eines russischen Imperiums überschwemmt, Narrativen, die ernsthafte Reflexion und eine Neuausrichtung der europäischen Diplomatie verhindern sollten. Damit wird die moralische Bankrotterklärung der westlichen politischen Kultur offenbart: Die Wahrheit wurde der Propaganda geopfert, Verständnis wurde als „Rechtfertigung“ diffamiert, und die Suche nach Frieden wurde durch ein unbefristetes Bekenntnis zum Stellvertreterkrieg ersetzt.
Die Tragödie vertieft sich, wenn man bedenkt, dass Neutralität die offensichtliche Lösung war – und für die Restukraine immer noch ist. Neutralität hätte der Ukraine einen Weg zu Überleben, Souveränität und Frieden geboten, ohne sich vollständig einem geopolitischen Block unterzuordnen. Das tiefere Problem liegt jedoch in der Ukraine selbst: Für bedeutende Teile ihrer politischen Elite und Gesellschaft galt Neutralität als Verrat – als Verzicht auf eine westliche Identität, die sie um jeden Preis annehmen wollten. Diese interne Entscheidung, die durch externe Akteure verstärkt und gefördert wurde, machte Kompromisse politisch unmöglich.
Kein strategischer Zufall
Unterdessen sahen mächtige Fraktionen in Washington und Brüssel einen strategischen Vorteil in der Verlängerung des Konflikts. Der Krieg war keineswegs eine unerwünschte Katastrophe, sondern diente den Ambitionen derer, die Russland schwächen, den westlichen Einfluss ausweiten und Europa unter dem Dach der NATO wieder aufrüsten wollten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Ablehnung der Neutralität nicht als tragischer Zufall, sondern als bewusstes moralisches Versagen – als vorsätzliche Entscheidung, das Leben der Ukrainer für geopolitische Vorteile zu opfern.
Im Zentrum dieses moralischen Zusammenbruchs steht der Verrat des Westens an seinen eigenen erklärten Werten: Freiheit der Forschung, Verpflichtung zur Wahrheit und Vorrang des Friedens vor dem Krieg. Die Erklärung der Ursachen des Krieges, das Verständnis für die legitimen Sicherheitsbedenken der anderen Seite und die Suche nach Verhandlungslösungen wurden als Verrat statt als Gewissensentscheidung gebrandmarkt. Die Öffentlichkeit, die einst angeblich der offenen Debatte verpflichtet war, wurde zu einem Chor selbstgerechter Kriegstreiberei. Selbst Historiker und Wissenschaftler, die darauf trainiert sind, Komplexität über Parolen zu stellen, schwiegen größtenteils – oder schlimmer noch, schlossen sich der Propaganda an.
Letztendlich: Die Realität
Doch die Realität hat eine Art, Illusionen zu durchbrechen. Nicht Wunschdenken, sondern die militärischen Fakten vor Ort werden letztlich das Ende des Konflikts bestimmen. Russland, das seine Kontrolle über Teile der Ost- und Südukraine gefestigt hat, verfolgt begrenzte Ziele: die Sicherung des Donbass, die Neutralisierung der Ukraine und den Schutz seiner strategischen Grenzen. Je länger der Krieg dauert, desto verheerender sind die Folgen für die Ukraine selbst. Eine kleinere, neutrale Ukraine könnte überleben und gedeihen, ähnlich wie Österreich oder Finnland nach ihren eigenen dunklen Zeiten des Konflikts. Eine solche Lösung aus ideologischer Boshaftigkeit abzulehnen, würde nicht nur die Zukunft der Ukraine verraten, sondern auch die moralischen Grundlagen des internationalen Friedens selbst untergraben.
In diesem Krieg und den damit verbundenen Entscheidungen geht es nicht nur um Grenzen oder Allianzen. Es geht um das moralische Gefüge der Weltordnung. Die Bereitschaft, die Wahrheit zu verdrehen, Moral zu instrumentalisieren und menschliches Leid für zynische Vorteile zu verlängern, ist ein Fleck, der nicht so leicht zu entfernen sein wird. Nur eine Rückkehr zu Realismus, Ehrlichkeit und dem Grundsatz, dass Frieden immer besser ist als Krieg, kann Hoffnung auf Erlösung bieten.
mehr Videos dazu in Englisch: internationale-friedensfabrik-wanfried.org/post/the-lies-that-killed-ukraine-historian-geoff-roberts-reveals-how-propaganda-ignored-diplomacy-and
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