Hochaktuell: Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre & keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme&Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN! Denn wenn ihr es nicht tut.
- Wolfgang Lieberknecht
- vor 23 Stunden
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Diese Lehre zog Wolfgang Borchert aus seinen Erfahrungen im Gemetzel des Zweiten Weltkrieges! Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller. Sein schmales Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück machte Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur. Mit seinem Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür konnten sich in der Nachkriegszeit weite Teile des deutschen Publikums identifizieren. Wolfgang Borchert schrieb schon in seiner Jugend zahlreiche Gedichte, dennoch strebte er lange den Beruf eines Schauspielers an. Nach einer Schauspielausbildung und wenigen Monaten in einem Tourneetheater wurde Borchert 1941 zum Kriegsdienst in die Wehrmacht eingezogen und musste am Angriff auf die Sowjetunion teilnehmen. An der Front zog er sich schwere Verwundungen und Infektionen zu. Mehrfach wurde er wegen Kritik am Regime des Nationalsozialismus und sogenannter Wehrkraftzersetzung verurteilt und inhaftiert. Auch in der Nachkriegszeit litt Borchert stark unter Erkrankungen und einer Leberschädigung. Nach kurzen Versuchen, erneut als Schauspieler und Kabarettist aktiv zu werden, blieb er ans Krankenbett gefesselt. Wolfgang Borchert – Wikipedia
Das Gedicht „Dann gibt es nur eins!“ (Sag NEIN!) stammt aus der Feder von Wolfgang Borchert.
Du. Mann an der Maschine und Mann in derWerkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, dusollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfemehr machen – sondern Stahlhelme undMaschinengewehre, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch undMädchen im Büro. Wenn sie dir morgenbefehlen, du sollst Granaten füllen undZielfernrohre für Scharfschützengewehremontieren, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgenbefehlen, du sollst statt Puder und KakaoSchießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst einen neuen Toderfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder,du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst die Männerkriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst den Mord segnenund den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst keinen Weizenmehr fahren – sondern Kanonen und Panzer,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgenbefehlen, du sollst Bomben und Phosphorüber die Städte tragen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn siedir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden,dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dirmorgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrtgeben für den Munitionszug und für denTruppentransport, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in derStadt. Wenn sie morgen kommen und dir denGestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter inder Ukraine, du, Mutter in Frisko und London,du, am Hoangho und am Mississippi, du,Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo undOslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in derWelt, wenn sie morgen befehlen, ihr solltKinder gebären, Krankenschwestern fürKriegslazarette und neue Soldaten für neueSchlachten, Mütter in der Welt, dann gibt esnur eins:Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffestöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig trägegegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- undmuschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflichfischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blödeverbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte undGleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenenkraterzerrissenen Straßen –
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten undSchauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig,unaufhaltsam –
der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reiswird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf denbrachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wieumgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauerwerden, verrotten, pilzig verschimmeln –
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichernwerden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis undKirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und aufzersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wirdstinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrostetenPflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmendenZiegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabrikenwerden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln - zerbröckeln - zerbröckeln -
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteterLunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unterwankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbarenMassengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigenverödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - undseine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durchdie geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegenHochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzterTierschrei des letzten Tieres Mensch - all dieses wird eintreffen, morgen,morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – –wenn – –
wenn ihr nicht NEIN sagt.
Weitere gute Gedichte des Autors Wolfgang Borchert.
Anmerkung: Wolfgang Borchert war ein engagierter deutscher Schriftsteller. Er ist für sein repräsentatives Werk der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt, insbesondere durch sein Theaterstück "Draußen vor der Tür" (Trümmerliteratur). Siehe auch: An die Nachgeborenen & Was keiner wagt.
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