Was will der Staatschef von Burkina Faso erreichen? Obwohl die Sahel-Länder Lebensbedingungen verbessern&damit Fluchtursachen beseitigen, wird kaum mehr darüber berichtet. Sie suchen einen eigenen Weg
- Wolfgang Lieberknecht
- vor 22 Stunden
- 8 Min. Lesezeit
Warum Washington und der Westen sich Sorgen wegen eines jungen Revolutionsführers machen. Burkina Fasos Präsident Ibrahim Traoré gestaltet sein Land um – und macht sich dabei Feinde im Westen. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2022 hat der junge Militärführer die französischen Truppen des Landes verwiesen, westliche Konzerne hinausgeworfen und sein Land mit Russland, Kuba und Venezuela verbündet. Ibrahim Traoré setzt sich für eine panafrikanische Einheit und nationale Eigenständigkeit ein – und überlebte in der jüngsten Vergangenheit mehrere Putschversuche. „Warum bleibt das rohstoffreiche Afrika die ärmste Region der Welt? Die Staatschefs afrikanischer Staaten sollten sich nicht wie Marionetten in den Händen der Imperialisten verhalten,“ sagte Ibrahim Traoré. Er positioniert sich als radikaler Anti-Imperialist und gerät damit ins Fadenkreuz von Washington und Paris. Regierungsangaben zufolge entging Traoré im vergangenen Monat nur knapp einem von außen inszenierten Putschversuch. Sicherheitsminister Mahamadou Sana erklärte, die Militärregierung habe am 16. April einen „groß angelegten Komplott“ zur Erstürmung des Präsidentenpalastes vereitelt. Die Verschwörer hätten ihren Sitz in der Elfenbeinküste, einem von Washington unterstützten Nachbarland, in dem die US-Militärpräsenz kürzlich ausgeweitet wurde. Berichten zufolge traf sich die CIA in diesem Jahr – sowohl vor als auch nach dem Putschversuch – mehrfach mit dem Verteidigungsminister der Elfenbeinküste, Téné Birahima Ouattara. Burkina Faso hat sich – zusammen mit Mali und Niger – von der vom Westen unterstützten Regionalallianz ECOWAS losgesagt und stattdessen die Allianz der Staaten der Sahelzone gegründet, einen panafrikanischen Staatenverbund, der sich als erster Schritt hin zu einem vereinten, anti-imperialistischen Afrika versteht.
von Anti-Spiegel: Afrika und die Situation um Burkina Faso, Mali und Niger sind aus dem Fokus der Medien verschwunden, weshalb es interessant ist, einen Blick auf die dortige Entwicklung und die Ziele der neuen, anti-westlichen Regierungen zu werfen.
21. Mai 2025 05:00 Uhr
Vor einiger Zeit waren Mail, Burkina Faso und Niger im Blickpunkt der Medien, nachdem dort anti-westliche Regierungen an die Macht gekommen waren, die die ehemalige Kolonialmacht Frankreich aus den Länder geworfen haben. Inzwischen ist es in den Medien um diesen Teil der Welt still geworden.
Zu den Feierlichkeiten zum 9. Mai ist der Staatschef von Burkina Faso nach Moskau gereist und hat auch den russischen Präsidenten Putin getroffen. Das war für einen Experten anscheinend ein Anlass, einen Blick auf Burkina Faso zu werfen und eine sehr lesenswerte Analyse zu schreiben, die ich übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung:
Warum Washington und der Westen sich Sorgen wegen eines jungen Revolutionsführers machen
Burkina Fasos Präsident Ibrahim Traoré gestaltet sein Land um – und macht sich dabei Feinde im Westen. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2022 hat der junge Militärführer die französischen Truppen des Landes verwiesen, westliche Konzerne hinausgeworfen und sein Land mit Russland, Kuba und Venezuela verbündet.
von Alan Macleod | Mintpress News
Ibrahim Traoré setzt sich für eine panafrikanische Einheit und nationale Eigenständigkeit ein – und überlebte in der jüngsten Vergangenheit mehrere Putschversuche. Er positioniert sich als radikaler Anti-Imperialist und gerät damit ins Fadenkreuz von Washington und Paris.
Regierungsangaben zufolge entging Traoré im vergangenen Monat nur knapp einem von außen inszenierten Putschversuch. Sicherheitsminister Mahamadou Sana erklärte, die Militärregierung habe am 16. April einen „groß angelegten Komplott“ zur Erstürmung des Präsidentenpalastes vereitelt. Die Verschwörer hätten ihren Sitz in der Elfenbeinküste, einem von Washington unterstützten Nachbarland, in dem die US-Militärpräsenz kürzlich ausgeweitet wurde. Seit seiner Machtübernahme durch einen Militärputsch im September 2022 steht Traoré in der Kritik westlicher Regierungen – nicht zuletzt der USA.
Am 3. April trat Generalleutnant Michael Langley, Kommandeur des US-Afrika-Kommandos (AFRICOM), vor dem US-Senat auf und warf dem Staatschef von Burkina Faso Korruption und die Unterstützung Russlands und Chinas „bei der Etablierung ihrer imperialen Macht in Afrika“ vor.
AFRICOM, das regionale Kommando des Pentagons für Afrika, koordiniert US-Militäroperationen, Geheimdienstinformationen und Sicherheitspartnerschaften auf dem gesamten Kontinent – nicht selten unter dem Deckmantel von „Anti-Terror-Operationen“.
Am Tag des besagten Putschversuchs änderte das US-Außenministerium seine Reisehinweise für Burkina Faso in „nicht reisen“. Berichten zufolge traf sich die CIA in diesem Jahr – sowohl vor als auch nach dem Putschversuch – mehrfach mit dem Verteidigungsminister der Elfenbeinküste, Téné Birahima Ouattara.
Seit seinem Amtsantritt schränkt Traoré den Einfluss westlicher Mächte in seinem Land systematisch ein und bezeichnet dies als eine Frage der nationalen Souveränität. Im Januar 2023 wies er den französischen Botschafter aus und bezeichnete Frankreich als „imperialistischen Staat“.
Einen Monat später befahl er den französischen Truppen, Burkina Faso zu verlassen. Dies veranlasste weitere westafrikanische Staaten, die ehemals Teil des französischen Kolonialreichs waren, dem Beispiel zu folgen. Inzwischen haben Mali, Tschad, Senegal, Niger und die Elfenbeinküste die französischen Truppen aus ihren Staatsgebieten verbannt. Präsident Emmanuel Macron reagierte darauf, indem er Burkina Faso und den anderen westafrikanischen Staaten „Undankbarkeit“ vorwarf und hinzufügte, diese Länder hätten „vergessen, sich bei Frankreich zu bedanken“.
Die Regierung von Ibrahim Traoré verbot zudem zahlreiche westliche, staatlich geförderte Medien oder verwies sie des Landes – und bezeichnete sie als Agenten des Neokolonialismus. Radio France International und France 24 machten dabei den Anfang. 2024 folgten Voice of America, die britische BBC und die Deutsche Welle. Diese Maßnahmen stießen bei westlichen Organisationen auf scharfe Kritik. Human Rights Watch beispielsweise warf der Regierung von Traoré ein „hartes Vorgehen“ gegen Andersdenkende vor.
Obwohl Burkina Faso seit über einem halben Jahrhundert formal von Frankreich unabhängig ist, behält Paris weiterhin die Kontrolle über seine ehemaligen afrikanischen Kolonien. 14 Länder verwenden den sogenannten CFA-Franc, eine internationale Währung mit festem Wechselkurs zum französischen Franc und später zum Euro. Das bedeutet, dass Importe aus Frankreich und Exporte nach Frankreich – und infolgedessen auch in die EU – sehr günstig bleiben, während Exporte in den Rest der Welt unerschwinglich teuer sind. Frankreich behält sich zudem ein Vetorecht bei der Geldpolitik im Zusammenhang mit dem CFA-Franc vor, was dazu führt, dass die afrikanischen Staaten wirtschaftlich von Paris abhängig bleiben.
Traoré bezeichnete den CFA-Franc als ein Instrument, um „Afrika in der Sklaverei zu halten“, und kündigte die Einführung einer neuen Währung an. Burkina Faso hat sich – zusammen mit Mali und Niger – von der vom Westen unterstützten Regionalallianz ECOWAS losgesagt und stattdessen die Allianz der Staaten der Sahelzone gegründet, einen panafrikanischen Staatenverbund, der sich als erster Schritt hin zu einem vereinten, anti-imperialistischen Afrika versteht.
Das Erbe von Thomas Sankara
Das war der Traum des revolutionären Führers von Burkina Faso, Thomas Sankara. Wie Traoré war Sankara ein Militäroffizier, der mit Anfang 30 die Macht im Land übernahm. Innerhalb von nur vier Jahren führte er umfassende Reformen durch, um die Produktivität des Landes zu steigern und die Abhängigkeit von ausländischer Hilfe zu reduzieren.
Mit dem Motto „Wer dich ernährt, kontrolliert dich“ förderte er die heimische, kleinbäuerliche Landwirtschaft, um nahrhafte, lokal angebaute Lebensmittel zu produzieren.
Während viele Politiker der Region öffentliche Gelder veruntreuten, baute die sozialistische Revolution von Thomas Sankara Sozialwohnungen und Gesundheitszentren und bekämpfte den massenhaften Analphabetismus. Als Feminist verbot er Zwangsheirat und die Verstümmelung weiblicher Genitalien und legte Wert darauf, zahlreiche Frauen in hohe Machtpositionen zu berufen. Thomas Sankara wurde 1987 ermordet. Erst nach der Machtübernahme von Ibrahim Traoré wurde sein Mörder, der ehemalige Staatspräsident Blaise Compaoré, in Abwesenheit verurteilt. Compaoré lebt heute im Exil in der Elfenbeinküste.
Traoré sieht sich selbst als Anhänger von Thomas Sankara und seiner Bewegung. Westliche Analysten sind sich derweil uneinig, ob er wirklich in die Fußstapfen des legendären Führers treten wird. Einige, wie Daniel Eizenga vom Africa Center for Strategic Studies, einer Denkfabrik des Pentagons, behaupten, die Vergleiche beschränkten sich auf die Vorliebe des Führers für Militäruniformen und rote Bérets. Andere, wie das Magazin The Economist, beklagen, dass Traoré „der einzige Entscheider“ sei, eine Entwicklung, die für die Wirtschaft schlechte Nachrichten bringt. Doch kaum jemand kann leugnen, dass Traoré äußerst beliebt ist. John Dramani Mahama, der Präsident von Ghana, bemerkte beispielsweise, dass Traoré bei seiner Amtseinführung im Januar weitaus mehr Jubel erfuhr als alle anderen vor ihm – einschließlich Mahama selbst.
Viele der Initiativen von Traoré sind direkt von der Ära Thomas Sankara inspiriert. Die neue Militärregierung legt großen Wert auf die Erreichung von Ernährungssouveränität. Eine neue Initiative im Wert von einer Milliarde Dollar wurde ins Leben gerufen, um die Landwirtschaft zu mechanisieren und die Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Mais und Kartoffeln zu steigern.
Traoré hat auch Schritte unternommen, um die Bergbauindustrie des Landes zu verstaatlichen. Die Wirtschaft von Burkina Faso dreht sich um Gold. Das Edelmetall macht über 80 Prozent der Exporte aus. Das Land belegt den 13. Platz unter den größten Goldproduzenten der Welt und produziert jährlich rund 100 Tonnen, was etwa einem Gegenwert von sechs Milliarden US-Dollar entspricht. Da ausländische Konzerne die Produktionsmittel besitzen und kontrollieren, profitiert das Land – und insbesondere seine Bevölkerung – jedoch kaum von diesem Industriezweig. Tatsächlich beträgt das jährliche BIP von Burkina Faso nur rund 18 Milliarden US-Dollar.
„Warum bleibt das rohstoffreiche Afrika die ärmste Region der Welt? Die Staatschefs afrikanischer Staaten sollten sich nicht wie Marionetten in den Händen der Imperialisten verhalten,“ sagte Ibrahim Traoré.
Im August vergangenen Jahres verstaatlichte die Regierung von Burkina Faso daraufhin zwei wichtige Goldminen, die sich bis dahin im Besitz westlicher Konzerne befanden, und zahlte als Entschädigung lediglich 80 Millionen US-Dollar – ein Bruchteil der 300 Millionen US-Dollar, für die sie Berichten zufolge hätten verkauft werden können. Im darauffolgenden November kündigte die Regierung von Burkina Faso den Bau der ersten Gold-Verarbeitung des Landes an.
Eine Nation im Krieg
Burkina Faso befindet sich weiterhin in einer Krise. Das Land – und weite Teile der Sahelzone – steht in einem erbitterten Kampf gegen hochgerüstete islamistische Gruppierungen, die nach der NATO-Intervention in Libyen im Jahr 2011 an Macht und Bedeutung gewannen. Libyen ist seit seinem Zusammenbruch nach der Ermordung von Muammar al-Gaddafi zu einem Exporteur islamistischen Extremismus geworden und destabilisiert die gesamte Region. Schätzungen zufolge befinden sich bis zu 40 Prozent des Landes in der Hand von al-Qaida oder dem Islamischen Staat nahestehenden Kräften. Über 1.000 Menschen in Burkina Faso verloren allein im Jahr 2024 ihr Leben durch diese Gruppierungen.
Aus diesem Grund rechtfertigte Traoré die Verschiebung der Wahlen, die er bei seinem Amtsantritt versprochen hatte – eine Entscheidung, die vielfach kritisiert wurde. „Wahlen haben keine Priorität. Sicherheit hingegen hat eindeutige Priorität“, entgegnete er. Es bleibt abzuwarten, ob sein Volk diese Entscheidung mittragen wird.
Die vielleicht fragwürdigste Aktion im Krieg gegen die islamistischen Gruppierungen ereignete sich 2023 im Dorf Karma, wo rund 150 Menschen massakriert wurden. Obwohl das Massaker von der Regierung Burkina Fasos scharf verurteilt wurde, machen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sie für die Morde verantwortlich.
Traoré hat zwar die französischen Truppen, die im Kampf gegen den islamistischen Aufstand im Einsatz waren, ausgewiesen, dafür jedoch russische Militärberater eingeladen. Er flog außerdem nach Moskau, um am 9. Mai an der Siegesparade zum 80. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland teilzunehmen. Solche Aktionen sorgten in Washington und Brüssel zwar für großes Aufsehen, doch da sich das US-Militär derzeit auf China und Russland fokussiert und die französische Position in Westafrika zunehmend geschwächt ist, bleibt unklar, ob eine militärische Intervention gegen Burkina Faso überhaupt eine Option darstellt. Ein Putschversuch oder ein Attentat erscheinen in dieser Hinsicht wahrscheinlicher.
Die Zeit wird zeigen, ob Ibrahim Traoré in Burkina Faso ebenso unauslöschliche Spuren hinterlassen wird wie sein Vorbild Thomas Sankara. Viele afrikanische Staatschefs kamen mit dem Versprechen radikaler Veränderungen an die Macht – und hielten ihre Versprechen nicht. Doch die Botschaft des Panafrikanismus, des Anti-Imperialismus und der Souveränität, die Traoré vermittelt, trifft in Afrika zweifellos den Nerv der Zeit.
Traoré redet viel. Jetzt muss er Taten folgen lassen.
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Alan Macleod promovierte 2017 und hat seitdem zahlreiche wissenschaftliche Artikel verfasst. Er hat außerdem für FAIR.org, The Guardian, Salon, The Grayzone, Jacobin Magazine und Common Dreams geschrieben. Man kann Alan Macleod auf X unter @AlanRMacLeod folgen.
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