Die Bedingungen für den Inneren Frieden in den Staaten & wesentliche Bedingungen für den äußeren Frieden
- Wolfgang Lieberknecht
- 8. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Du willst wissen, was das zivilisatorische Hexagon ist? Das Friedensmodell von Dieter Senghaas erklären wir dir hier und im Video !
Das Zivilisatorische Hexagon von Dieter Senghaas
Das zivilisatorische Hexagon ist ein Friedenskonzept, mit dem du feststellen kannst, ob in einer Gesellschaft Frieden herrscht.
Der Friedensforscher Dieter Senghaas betrachtet dabei den Zusammenhang zwischen Frieden und Zivilisation. Er kommt zu der Feststellung, dass die Herstellung von Frieden und eine gelungene Zivilisation gleichbedeutend sind. Nach diesem Verständnis ist Frieden kein natürlicher Zustand. Die Sicherung des Friedens ist dabei ein fortwährender Prozess, der von Dieter Senghaas als Zivilisierungsprojekt verstanden wird.
Das zivilisatorische Hexagon hat sechs Dimensionen, die in modernen Gesellschaften den inneren Frieden auf zivilisierte Weise garantieren.

Die 6 Dimensionen des zivilisatorischen Hexagons sind
Gewaltmonopol,
Rechtsstaatlichkeit,
demokratische Partizipation,
Interdependenzen und Affektkontrolle,
soziale Gerechtigkeit und
konstruktive Konfliktkultur.
Diese sechs Merkmale des Friedens sind voneinander abhängig und können sich gegenseitig stärken oder schwächen.
Übrigens: Im zivilisatorischen Hexagon wird nur auf die Situation innerhalb der Gesellschaft eingegangen, außenpolitische Handlungen und damit der äußere Frieden werden nicht betrachtet.
Gewaltmonopol
Ein legitimes, staatliches Gewaltmonopol ist die Grundlage für jede Zivilisation. Das bedeutet, Gewalt darf nur noch von den dafür zuständigen staatlichen Institutionen ausgeübt werden, zum Beispiel von Polizei, Justiz, Militär und Politik.
Die Bürger werden entwaffnet, um den Ausbruch von Gewalt zu verhindern. Das wird auch als Entprivatisierung der Gewalt bezeichnet.
Das Gewaltmonopol muss aber legitimiert, also durch die Rechtsstaatlichkeit geregelt sein. Deswegen gibt es eine öffentlich staatliche Kontrolle des Gewaltmonopols. Die Gewalt darf also nur im Rahmen bestehender Gesetze ausgeübt werden, sonst herrscht die Gefahr der Willkürherrschaft oder Diktatur.
Rechtsstaatlichkeit
Durch Rechtsstaatlichkeit wird das Gewaltmonopol geregelt. Dadurch kann die Regierung und Verwaltung nur im Rahmen bestehender Gesetze handeln.
Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit ist die Voraussetzung für Gewaltenteilung, demokratische Partizipation, freie Wahlen und die gewaltfreie Lösung von Konflikten.
Demokratische Partizipation
Das Recht auf politische Mitbestimmung und damit freie Wahlen ist die Voraussetzung für politische Stabilität.
Das erfordert eine hohe Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung zur politischen Beteiligung. Die betroffenen Bürger nehmen selbständig und aktiv am Entscheidungsprozess teil. Hier werden alle Betroffenen gleichberechtigt behandelt.
Interdependenzen und Affektkontrolle
Indem die Menschen in einer Gesellschaft ihre Emotionen und Stimmungen kontrollieren (Affektkontrolle), kann eine gewaltfreie, tolerante und kompromissfähige Zivilisation geschaffen werden. Gleichzeitig müssen die Bürger ihre Unterschiede anerkennen, um nachhaltigen Frieden herzustellen.
Gegenseitige Abhängigkeiten (Interdependenzen) in einer zusammengehörigen Gesellschaft stärkt die Eigenverantwortung zur gewaltfreien Kommunikation.
Soziale Gerechtigkeit
Damit innerer Frieden langfristig sichergestellt werden kann, braucht es soziale Gerechtigkeit. Die äußert sich vor allem in Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit und der Sicherung der Grundbedürfnisse für jeden Bürger. Dabei schützt eine Gesellschaft jedes seiner Mitglieder vor Armut und Diskriminierung und die Gesellschaft beschäftigt sich aktiv mit Fragen der Gerechtigkeit.
Staatliche Maßnahmen gegen soziale Ungerechtigkeit können zum Beispiel Arbeitslosengeld, Kindergeld , Investitionen in sozialen Wohnbau und bedingungsloses Grundeinkommen sein. Ein Maßstab für soziale Ungerechtigkeit ist der Gini-Koeffizient.
Konstruktive Konfliktkultur
Jedes Mitglied der Gesellschaft ist fähig, Konflikte produktiv und kompromissorientiert auszutragen. Toleranz, Interessensausgleich und Dialogfähigkeit werden angestrebt.
Ausbrechen von Gewalt, wie bei Bürgerkriegen oder Aufständen, gilt als sicheres Zeichen, dass keine konstruktive Konfliktkultur herrscht.
Solidarität
Jetzt weißt du alles zum zivilisatorischen Hexagon! Damit es funktioniert, ist Solidarität erforderlich. Was genau das heißt, kannst du hier in unserem Beitrag zur Solidarität erfahren!
Zivilisatorisches Hexagon
Der Friedensforscher Dieter Senghaas versteht Frieden als einen Zivilisierungsprozess. Ziel dieser Entwicklung ist das friedliche Zusammenleben von Staaten durch konstruktive, also aufbauende, Konfliktbearbeitung. Es herrscht dann Frieden, wenn bestimmte, sich gegenseitig stützenden Bedingungen vorhanden sind.
Die Elemente des zivilisatorischen Hexagons bedingen sich gegenseitig. Die zivilisierte, nachhaltig gewaltfreie Bearbeitung von unvermeidlichen Konflikten setzt sechs Bedingungen voraus, die in der folgenden Graphik dargestellt werden:
1. Entprivatisierung von Gewalt (Gewaltmonopol): Die Herausbildung eines legitimen staatlichen Gewaltmonopols ist für den Zivilisierungsprozess im Sinne Dieter Senghaas unerlässlich. Gewalt darf – außer in Fällen von Notwehr und Nothilfe – ausschließlich von den dafür zuständigen staatlichen Organen ausgeübt werden. Die BürgerInnen sollen zur Verhinderung eines Wiederausbruchs von Gewalt entwaffnet werden.
Senghaas: „Wesentlich für jeden Zivilisierungsprozess ist die Entprivatisierung der Gewalt bzw. die Herausbildung eines legitimen, in aller Regel staatlichen Gewaltmonopols, dem die einzelnen untergeordnet sind (‚Entwaffnung der Bürger‘). Wo das Gewaltmonopol zusammenbricht, also die Wiederaufrüstung und Wiederbewaffnung der einzelnen Bürger eine Chance bekommen, kann es zu einer ‚Renaissance von Bürgerkriegssituationen‘ kommen.„
2. Herausbildung von Rechtsstaatlichkeit: Jede/r BürgerIn hat das Recht, die Institutionen des Rechtsstaates für die legitime Durchsetzung eigener Interessen und die Lösung von Konflikten zu nutzen. Institutionalisierte Formen des Konfliktmanagements bilden sich heraus.
Senghaas: „Ein Gewaltmonopol, das nicht durch Rechtsstaatlichkeit eingehegt wird, wäre im Grenzfall nichts mehr als eine beschönigende Umschreibung von Diktatur … Soll demgegenüber das Gewaltmonopol als legitim akzeptiert werden, bedarf es der Institutionalisierung rechtsstaatlicher Prinzipien und öffentlicher demokratischer Kontrolle, auf deren Grundlage sich Konflikte in einem institutionellen Rahmen fair austragen lassen.„
3. Interdependenzen: Alle Mitglieder einer Gemeinschaft stehen in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander. Nachhaltiger Friede ist nur möglich durch die Anerkennung von Unterschieden bei gleichzeitigem Gewaltverzicht. Der Einzelne lernt, seine Affekte zu kontrollieren und auf Gewalt zu verzichten.
Senghaas: „Die Entprivatisierung von Gewalt und die Sozialisation in eine Fülle von institutionalisierten Konfliktregelungen implizieren eine Kontrolle von Affekten. Solche Selbstkontrolle wird maßgeblich durch die Herausbildung von großflächig angelegten Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten unterstützt … Affektkontrolle ist Grundlage nicht nur von Aggressionshemmung und Gewaltverzicht, sondern darauf aufbauend von Toleranz und Kompromissfähigkeit.„
4. Demokratische Partizipation: Demokratisierung bedeutet die gleichberechtigte Einbeziehung möglichst aller Beteiligten in Prozesse der Entscheidungsfindung.
Senghaas: „In aller Regel werden in fortgeschrittenen sozial mobilen Gesellschaften Unterordnungsverhältnisse aufgrund von Geschlecht, Rasse, Klasse oder anderen Merkmalen von den Betroffenen nicht mehr hingenommen. In demokratisierten Rechtsstaaten mit einem hohen Politisierungspotential untergräbt solche Diskriminierung die politische Stabilität.„
5. Soziale Gerechtigkeit: Die Gesellschaft schützt ihre Mitglieder ausnahmslos vor Armut und Diskriminierung jeglicher Art und beschäftigt sich mit Fragen der Gerechtigkeit.
Senghaas: „In Gesellschaften mit einem erheblichen Politisierungspotential ist eine aktive Politik der Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit, letztlich ergänzt um Maßnahmen der Bedürfnisgerechtigkeit (Sicherung der Grundbedürfnisse), unerlässlich, weil nur dann sich die Mehrzahl der Menschen in einem solchen politischen Rahmen fair behandelt fühlt.„
6. Konfliktkultur: Die Mitglieder einer Gesellschaft sind fähig, Konflikte produktiv und kompromissorientiert auszutragen.
Senghaas: „Gibt es in einer aufgegliederten, aber deshalb auch zerklüfteten Gesellschaft faire Chancen für die Artikulation und den Ausgleich von unterschiedlichen Interessen, kann unterstellt werden, dass ein solches Arrangement verlässlich verinnerlicht wird, eine Bereitschaft zur produktiven Auseinandersetzung mit Konflikten vorliegt und kompromissorientierte Konfliktfähigkeit einschließlich der hierfür erforderlichen Toleranz zu einer selbstverständlichen Orientierung politischen Handelns wird.„
Das Zivilisierungsprojekt von Senghaas strebt nach einer gerechten Ordnung. Ein so verstandener Friede ist kein gegebener Naturzustand sondern ein Prozess, der immer wieder neu gestaltet, überprüft und auf den Idealzustand ausgerichtet werden muss.
Das Konzept des Zivilisatorischen Hexagons entstand aufgrund historischer Erfahrungen aus der neuzeitlichen europäischen Geschichte und ist abstrakt analytisch. Aus diesem Grund wird auch immer wieder die Frage gestellt, ob dieses Deutungsinstrument vorwiegend für europäisch-westliche Zusammenhänge geeignet ist oder auch auf anderen Weltregionen übertragbar sei. (red)
Quellen, Links und Lesetipps
Ulrich Menzel (Hg.) (2002): Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Dieter Senghaas (1994): Wohin driftet die Welt? Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Dieter Senghaas (1997): Frieden machen? Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
D@dalos-Friedenspädagogik: Hexagon. (abgerufen am 22.12.2017)
Dieter Senghaas (1995). Frieden als Zivilisierungsprozeß. In: Ders. (Hrsg.): Den Frieden denken. Frankfurt am Main, S. 196–223, Auszüge.
Das zivilisatorische Hexagon – Architektur des Friedens (abgerufen am 22.12.2017)
Das zivilisatorische Hexagon – Dieter Senghaas
Merkblatt
Download: Merkblatt „Zivilisatorisches Hexagon"
Inhalt
Aus der Frage nach den Bedingungen für eine dauerhaft friedliche, moderne Gesellschaft entwickelte Senghaas ein Modell bestehend aus sechs Dimensionen, die sich wechselseitig stärken oder auch schwächen können. Eine derartige Friedenssicherung nennt er Zivilisierungsprojekt.
Dieses Merkblatt kann auch in Zusammenhang mit diesen Ausgaben der Friedensbildung AKTUELL im Unterricht eingesetzt werden:
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