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Der langen Ausbeutung durch den Westen die Stirn zu bieten. Mali gilt in Afrika vielen als Vorreiter

Auszüge aus dem Artikel von Olaf Bernau: Die Putschregierung in Bamako genießt hohes Ansehen, im Land und auch außerhalb des Landes. Viele Ma­lie­r:in­nen ziehen eine positive Bilanz für die Zeit nach dem Abzug der Franzosen und der Zusammenarbeit mit Russland. Sie verweisen auf die verbesserte Sicherheitslage. Die 2012 kollabierte Armee habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im Schwinden. Alles spricht dafür, dass sich in Mali vor allem die Jugend längst entschieden hat: Wir wollen Beziehungen mit allen, also auch mit China, Russland oder der Türkei, die meist bessere Geschäfte anbieten als westliche Länder.

Die deutsche Öffentlichkeit wäre gut beraten, genauer zu klären, was in Mali tatsächlich passiert. Denn breite Teile der malischen Bevölkerung schauen optimistisch in die Zukunft, laut verschiedenen Quellen stehen 70 bis 90 Prozent der Menschen an der Seite der Übergangsregierung. Auch in anderen afrikanischen Ländern gilt Mali als Vorreiter, als ein Land, das sich traut, dem Westen die Stirn zu bieten.

Am wichtigsten dürfte Malis Haltung gegenüber Frankreich sein, dessen selbstherrliches und ineffektives Agieren im Antiterrorkampf schon lange in der Kritik steht. Als die ehemalige Kolonialmacht im Juni 2021 den Abzug ihrer Truppen verkündete, bat die malische Regierung nicht um Aufschub, sondern meinte kühl, dass dies Frankreichs eigene Entscheidung sei.

Gleichzeitig intensivierte sie die vom Westen heftig kritisierte Zusammenarbeit mit Russland. Hierzu gehörten auch Waffenlieferungen wie Hubschrauber und Radartechnik, was Frankreich jahrelang verweigert hatte, mit dem Effekt, dass Mali militärisch abhängig blieb.

Das kollektive Sicherheitsgefühl ist besser geworden Aus westlicher Sicht glich dies einem Vabanquespiel. Doch viele Ma­lie­r:in­nen ziehen eine andere Bilanz. Sie verweisen auf die verbesserte Sicherheitslage, darunter auch Bauern und Bäuerinnen im Office du Niger, einem von Terrorgruppen immer wieder heimgesuchten Bewässerungsgebiet im Zentrum des Landes: Die großen Straßen seien wieder passierbar, die Felder zugänglich, das kollektive Sicherheitsgefühl habe sich spürbar erhöht. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, in anderen Regionen sieht es schlechter aus, zumal das Banditenwesen allenthalben explodiert ist.

Und doch gibt es einen übergreifenden Konsens: Die 2012 kollabierte Armee habe sich erholt, die Durchsetzungsfähigkeit der Terroristen sei im Schwinden, trotz punktueller Herrschaft über einzelne dörfliche Gebiete. Entsprechend seien auch UN-Berichte mit Vorsicht zu genießen, wonach sich die Zahl getöteter Zi­vi­lis­t:in­nen von 2021 bis 2022 verdoppelt habe. Denn Ter­ro­ris­t:in­nen und Zivilbevölkerung seien keine trennscharfen Gruppen, auch wenn kaum jemand die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte bestreitet. Als Erfolge gewürdigt werden der verstärkte Kampf gegen Korruption, höhere Investitionen in die Infrastruktur und Fortschritte im Justizwesen. Und natürlich der Umstand, dass Assimi Goita wieder Zukunftshoffnung geweckt habe.

Alles spricht dafür, dass sich in Mali vor allem die Jugend längst entschieden hat. Nicht für Russland, sondern für echte Unabhängigkeit. „Gagner-Gagner“ – Win-win, so lautet das neue Zeitenwendecredo: Wir wollen Beziehungen mit allen, also auch mit China, Russland oder der Türkei, die meist bessere Geschäfte anbieten als westliche Länder.

Für die kommende Minusma-Debatte im Bundestag bedeutet dies: Eine Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UN-Friedensmission bis zum geplanten Ende im Mai 2024 scheint allein aus praktischen Gründen alternativlos. Wichtiger ist, bereits jetzt über egalitäre Formen zukünftiger Zusammenarbeit nachzudenken. Die vor allem in Frankreich forcierte Isolierung Malis riecht nach Rache. Vielmehr muss Europa seine rabiate Interessenpolitik überwinden, nicht nur im Migrationsbereich. Denn die Menschen in Mali und im Sahel sind nicht mehr bereit, die ihnen historisch zugewiesene Rolle als Sta­tis­t:in­nen im vermeintlichen Armenhaus der Welt zu spielen. Westliche Politik in der Sahel-Zone: Zeitenwende in Mali - taz.de






Olaf Bernau ist aktiv bei dem transnationialen Netzwerk Afrique-Europe-Interact und war zuletzt im Februar in Mali. 2022 ist bei C. H. Beck sein Buch „Brennpunkt West­afrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte“ erschienen.


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