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Biden auf Trump-Kurs: Statt Fluchtursachen bekämpfen, autoritäre Regime militärisch aufrüsten

Aktualisiert: 3. Mai 2021

Immer mehr Menschen fliehen vor den Folgen der in Regionen wie Mittelamerika schon katastrophalen Folgen des Klimawandels in die Länder, die ihn verursachen, wie die Vereinigten Staaten. 4,6 Millionen Menschen wurden Opfer der Stürme, rund 200 000 wurden obdachlos. Ähnlich verheerend zu Buche schlagen Dürreperioden, die immer häufiger für Missernten und Hungersnöte sorgen und ebenfalls ganze Familien in die Flucht treiben. Bis 2050, schätzt die Weltbank, wird es weltweit über 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Diese Industriestaaten geben nicht nur die meisten klimazerstörenden Abgase ab, sie unterstützen auch korrupte Eliten im globalen Süden und unterstützen autokratische Regime dabei, ihr Militär noch auszubauen, damit die keine Menschen mehr durchlassen Richtung USA. Biden hatte eine Wende versprochen, weg von Trumps Politik. Nach drei Monaten erweist sich das Versprechen als leer. Zu viel müsste sich ändern, damit die Menschen eine Chance in ihren Ländern bekommen könnten, von Klimagerechtigkeit angefangen, über faire Rohstoffpreise und demokratischen Rechte: Daran haben die korrupten Eliten kein Interesse, und auch die Staaten des globalen Nordens sind bisher nicht zu grundlegenden Änderungen bereit, sondern kungeln wegen kurzfristiger Interessen lieber mit den Vermögenden. Vielen Menschen kostet das das Leben. Die Gesellschaften im Westen wissen davon wenig, für einen Teil sind auch deshalb Flüchtlinge "die Täter", die eine Bedrohung sind, nicht die Opfer von Bedrohung. Der andere Teil, der auch in Biden Hoffnungen auf mehr Menschlichkeit gesetzt hat, hat es noch nicht geschafft, Mehrheiten in der Gesellschaft dafür zu gewinnen: Nicht nur für den humanen Umgang mit den Flüchtlingen, sondern auch für eine Änderung der Politik mit dem globalen Süden weg von Ausbeutung, hin zu fairen Beziehungen.


Auszüge aus dem Bericht der NZZ: "Auf der Flucht vor gescheiterten Staaten und korrupten Eliten - Der amerikanische Präsident Joe Biden wollte die Ursachen für die Migration bekämpfen. Dann wurde er von einer neuen Welle von Flüchtlingen aus Mittelamerika und der Komplexität des Phänomens überrannt."

3000 Kilometern zwischen ihren Heimatländern in Zentralamerika und ihrem Ziel – der amerikanischen Grenze. Zehntausende sind seit Jahresbeginn wieder unterwegs. Mehr als 172 000 Migranten griffen die amerikanischen Grenzschützer alleine im März auf – ein 20-Jahres-Rekord.



Die meisten wissen nicht einmal, wie der Ort heisst, aber wohin sie dort wollen, schon: in die Herberge zum Samaritaner. Ein zweistöckiges, weisses Haus direkt neben den Gleisen, betrieben von katholischen Schwestern. Ein ganzes Netz solcher Herbergen zieht sich durch Mexiko. In ihnen bekommen Migranten etwas Warmes zu essen, eine Dusche und ein sicheres Nachtlager, einen Verband auf ihre Blasen und eine kühlende Salbe für den Sonnenbrand. «Die Reise ist hart», sagt Héctor Cruz aus Honduras, als er die letzte Maistortilla gegessen hat.


Hoffnung Biden und Flucht vor Klimakatastrophen

Joe Biden hatte im Wahlkampf eine «humanitärere Migrationspolitik» versprochen, insbesondere gegenüber Minderjährigen. «Schlepper nützen diese Stimmung aus und werben gezielt um Jugendliche», sagt Tiziano Breda, Mittelamerika-Experte der International Crisis Group. Das erkläre den hohen Anteil von Kindern in der gegenwärtigen Migrationswelle.


Ein Grund für die Flucht: Durch die Pandemie haben viele ihre Jobs verloren. Die Wirbelstürme, die im November über Honduras, El Salvador und Guatemala hinwegzogen sind, haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

«Klimaflüchtlinge»

Cruz zum Beispiel verlor in den Hurrikanen sein Haus und sein Maisfeld. «Ich hauste mit meiner Familie unter Plastikplanen», erzählt der 34-Jährige. 4,6 Millionen Menschen wurden Opfer der Stürme, rund 200 000 wurden obdachlos. Ähnlich verheerend zu Buche schlagen Dürreperioden, die immer häufiger für Missernten und Hungersnöte sorgen und ebenfalls ganze Familien in die Flucht treiben. Bis 2050, schätzt die Weltbank, wird es weltweit über 140 Millionen Klimaflüchtlinge geben. Ein anerkannter Asylgrund, wie internationale NGOs fordern, ist dies aber noch nicht.


Nur wenige schaffen es überhaupt über die inzwischen mit modernster Technologie, mit Drohnen, Radar und Sensoren gesicherte Grenze. 90 Prozent der vom Grenzschutz Aufgegriffenen werden laut offiziellen Zahlen sofort wieder abgeschoben nach Mexiko. Dort sind entlang der Grenze die Herbergen überfüllt. Hilfsorganisationen haben Zeltstädte errichtet. Trotzdem müssen viele Migranten auf Parkbänken schlafen, unter Bäumen oder in Bauruinen, während sie auf einen Anhörungstermin für Asyl in den USA warten oder auf eine Gelegenheit für einen illegalen Grenzübertritt. Entweder mit Schleppern oder durch eine der Lücken im Grenzzaun. Diese sind verlockend – aber auch gefährlich, denn sie liegen meist mitten in der Wüste. Verdursten, giftige Skorpione und ein Mangel an Tarnungsmöglichkeiten erwarten die Migranten auf diesem Weg.


«Fluchthilfe ist ein gut organisiertes Geschäft, an dem sehr viele verdienen, auch die Sicherheitskräfte in Mexiko», sagt Breda. Zwischen 7000 und 12 000 Dollar kostet die komplette Reise mit Schleppern laut seinen Schätzungen. Jede kriminelle Organisation kontrolliert ein Teilstück, oft werden die Flüchtlinge an diesen «unsichtbaren Grenzen» dem nächsten Kontaktmann übergeben, der dort Transport und Unterkunft organisiert und Sicherheitskräfte besticht. Die meisten Migranten allerdings haben wenig Geld und sind auf den Güterzug angewiesen und die Herbergen. Doch manche können sich laut Breda sogar eine «VIP-Route» leisten, die Privatflugzeuge nutzt, um Flüchtlinge oft zusammen mit Drogen bis zur Nordgrenze Mexikos zu verfrachten.



Die Eliten stehlen sich aus der Verantwortung

34 Menschen verlassen im Durchschnitt jede Stunde Guatemala, El Salvador und Honduras in Richtung Norden, wie eine Studie des Franziskanischen Migrationsnetzwerkes ergeben hat. Die drei Länder heissen im diplomatischen Jargon «nördliches Dreieck» – ein geografisches Synonym für eine politische Katastrophe. Von Guatemala bis El Salvador herrschen derzeit autoritäre Präsidenten.


Nie haben die drei Länder eine tragfähige Strategie der Integration in die Weltwirtschaft gefunden. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und unter der Knute krimineller Banden, die Schutzgeld erpressen und Jugendliche zwangsrekrutieren. Die Steuerquote liegt im Schnitt bei 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes; die Mordrate bei 32 auf 100 000 Einwohner – in der Schweiz sind es 0,5. Korruption, Straflosigkeit und die rücksichtslose Ausbeutung von Bodenschätzen und Arbeitskräften ergänzen den Teufelskreis der Unterentwicklung. Für viele ist der einzige Ausweg die Flucht.


«Wir exportieren Arme», sagt der honduranische Ingenieur und Entwicklungshelfer Gerardo Martínez. Die Eliten Mittelamerikas lebten davon gut, ergänzt er: «Die Rimessen, die Migranten in den USA verdienen und an ihre Familien schicken, sind ein Ersatz für Sozialpolitik.» Die Elite stiehlt sich so aus ihrer Verantwortung.


Ja sie gewinnt damit sogar. Viele der hart erwirtschafteten Dollar fliessen direkt zurück in die Taschen der Elite, in ihre Supermärkte, Privatschulen und Baumärkte. Ein paar Dutzend verzweigte Familiendynastien haben zwischen Guatemala und Honduras das Sagen. Sie beherrschen die Wirtschaft, vom Einzelhandel über die Telekommunikation und die Gastronomie bis zu Fertigungsfabriken, Brauereien, Zementfirmen und Banken. Sie kontrollieren Medienimperien und finanzieren die Politik.

Als der von der Uno eingesetzte oberste Korruptionsjäger und Chef der internationalen Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (Cicig), Juan Velásquez, die Wahlkampffinanzierung untersuchte, wurde er einbestellt – nicht von Politikern oder der Regierung, sondern vom Unternehmerverband Cacif. In ihm sind die wichtigsten Familien präsent, er gilt als eine Art Parallelregierung. «Ich wurde gefragt, wohin das alles führen solle und dass ich dann gleich alle Anwesenden in Handschellen mitnehmen könne», erzählte Velásquez. Wenige Monate nach dem Treffen wurden er und die Cicig aus dem Land geworfen. Mit Billigung der damaligen amerikanischen Regierung unter Donald Trump. Von den Unternehmern angeheuerte Lobbyisten hatten Trump und den Republikanern erzählt, die Cicig sei kommunistisch unterwandert. Nun werden die Fortschritte bei der Rechtsstaatlichkeit in Guatemala systematisch wieder demontiert und der Elite gefällige Richter und Staatsanwälte auf Schlüsselposten gehievt.


Flüchtlinge als Faustpfand

All das wollte die Biden-Regierung eigentlich ändern. Bidens Berater erstellten einen vier Milliarden Dollar schweren «Marshall-Plan», mit dem die Fluchtursachen angegangen werden sollten. Rechtsstaat und Zivilgesellschaft sollten gestärkt werden, Geld in Umweltschutz und Berufsausbildung fliessen. Persönliche Sanktionen wie Visa-Entzug sollen notorisch Korrupte disziplinieren. Mexiko, das wegen seiner Scharnierfunktion wichtig ist, signalisierte Einverständnis, sofern auch Mexikos armer Süden etwas von dem Kuchen abbekomme.


Schon drei Monate nach Bidens Amtsantritt, unter dem Druck der Migrationswelle und der republikanischen Opposition, scheint sich der Plan in Luft aufzulösen. Nach einer eiligen Reise von Bidens Unterhändlern in die Region Mitte April verkündete Washington vorige Woche, Mexiko, Guatemala und Honduras würden 18 500 Soldaten mobilisieren, um die illegalen Migranten aufzufangen. Das ist nichts anderes als die Militarisierung der Migrationsfrage – ganz genau wie unter Trump.


Mexiko bekam dafür 2,7 Millionen AstraZeneca-Impfdosen; weitere Details der Abmachung wurden nicht bekannt. Kritiker fürchten, dass die Migration weiterhin ein Spielball gerade laufender Krisen und kurzfristiger politischer Interessen bleibt.

«Liebe US-Freunde», schrieb Paolo Luers in der salvadorianischen Zeitung «Diario de Hoy», «wir sind verwirrt. Erst hiess es, die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit gefährde die Demokratie in Mittelamerika, und nun werden unsere Streitkräfte doch wieder zu einem verlängerten Arm des amerikanischen Grenzschutzes. Nehmt ihr uns auf den Arm, oder gibt es wirklich keine andere Lösung, eure Grenze zu schützen, als die hiesigen Militär-Caudillos zu unterstützen? Bitte antwortet.»

Sandra Weiss arbeitet als freie Journalistin in Mexiko


Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung.pdf

https://suedwind-institut.de/files/Suedwind/Publikationen/2016/2016-24%20Migration%20und%20Flucht%20in%20Zeiten%20der%20Globalisierung.pdf



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