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Ausladung der israelkritischen jüdischen Philosophin Fraser sendet ein Signal: In Deutschland sind nur noch regierungskonforme Meinungen willkommen. Meinungsfreiheit bedroht wie unter McCarthy in USA

Sobald man darüber diskutiert, setzt man sich dem Antisemitismusvorwurf aus. Susan Neiman hat den vor allem in Deutschland wirksam werdenden Mechanismus in der New York Review of Books unlängst recht eindrucksvoll beschrieben. Sie bezeichnet ihn als eine Art von "philosemitischen McCarthyismus". Künstler und Intellektuelle, die Kritik an Israel üben, werden antisemitischer Umtriebe in ähnlicher Weise beschuldigt, wie es in den 1950ern der republikanische Senator McCarthy mit seiner antikommunistischen Hexenjagd – unter dem Vorwand "unamerikanischer Umtriebe" – tat.


"McCarthy" regiert in Deutschland

Donnerstag, 11. April 2024 12:25


Wo sind Werte wie akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit?

FREIGEBEN:


Michalis Psilos psilosm@naftemporiki.gr

Die amerikanische Philosophin Nancy Fraser gehört zu den wichtigsten Akademikerinnen der USA. Als Professor für Politikwissenschaft an der New School in New York hat Fraser mehrere Bücher verfasst, die sich vor allem mit dem Thema Gerechtigkeit befassen.


Kürzlich folgte sie einer Einladung der Universität zu Köln, eine Vortragsreihe anlässlich ihres neuesten Buches "Fortunes of Feminism: From State-Managed Capitalism to Neoliberal Crisis" zu halten. Ein Buch, in dem die berühmte Philosophin, indem sie den Kapitalismus kritisiert und eine radikal andere Vision des Feminismus fordert, zeigt, wie Geschlechtergerechtigkeit im Mittelpunkt eines jeden Kampfes für eine gleichberechtigte Gesellschaft stehen sollte.


Auch die Universität zu Köln ehrte Fraser mit dem "Albertus Magnus"-Preis, dem berühmten Theologen, der vor 800 Jahren in dieser deutschen Stadt lehrte.

Doch wenige Tage vor ihrer Ankunft in Deutschland zu den Vorlesungen sagte die Rektorin der Universität Köln plötzlich das Programm ab und teilte Fraser sogar mit, dass sie nicht willkommen sei.


Warum; Fraser, die Jude ist, unterzeichnete im vergangenen November eine gemeinsame Erklärung von 200 Philosophen über Palästina, in der Israels Krieg gegen Gaza verurteilt wurde. "Unsere Erklärung schmälert in keiner Weise die Barbarei und die entsetzliche Gewalt des Angriffs der Hamas vom 7. Oktober", sagte Fraser in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Der Standard. Israels Intervention in Gaza wurde jedoch von den unterzeichnenden Philosophen als "sich entfaltender Völkermord" bezeichnet.


Erstaunt fragte sich Fraser: "Was geht es den Rektor an, was meine Ansichten über den Nahen Osten sind? Ich bin ein freier Mann und kann unterschreiben, was ich will. Natürlich gibt es viele unterschiedliche Ansichten über Palästina und Israel. Es gibt viel Schmerz auf allen Seiten, auch den Schmerz, den ich selbst als Jude erlebt habe."


Wo sind Werte wie akademische Freiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit?

Frasers Ausschluss von einer akademischen Institution "sendet auch eine sehr starke Botschaft an Wissenschaftler auf der ganzen Welt: Wenn du es wagst, bestimmte Meinungen zu bestimmten politischen Themen zu äußern, wirst du in Deutschland nicht willkommen sein", sagte sie. »Albertus Magnus hätte sich erschrocken!«


Dutzende deutsche Akademiker beeilten sich, Fraser zu unterstützen, verurteilten den neuen McCarthyismus und nannten ihn "Hysterie". Der deutsche Professor Wolfgang Benz erinnerte daran, dass "die Universität ein Ort der Diskussion ist, auch über kontroverse Themen... Die Universität zu Köln hätte den Raum bieten sollen, um über die philosophischen und politischen Positionen der prominenten Philosophin Nancy Fraser zu diskutieren", sagte Benz und fügte hinzu: "Sie loszuwerden, ist nicht nur verrückt, sondern auch würdelos."


US-Philosophin Nancy Fraser: "Niemand verharmlost Hamas"

Der Standard: In einem offenen Brief solidarisierte sich die linke Feministin gemeinsam mit anderen Philosophinnen mit den Palästinensern gegen Israel – sie erklärt sich nun

Interview

Ronald Pohl

14. November 2023, 06:00


Als Mitunterzeichnerin des Manifests "Philosophy for Palestine" ist die US-Philosophin Nancy Fraser jüngst in die Kritik geraten: Verhindert das Eintreten für die palästinensische Sache die Empathie mit den israelischen Opfern der beispiellosen Terrorattacke vom 7. Oktober? Israels Eingreifen in Gaza wird von Fraser, Judith Butler und rund 200 anderen Mitunterschreibenden als "sich entfaltender Genozid" bezeichnet. Anstatt Empathie mit den Opfern des Anschlags zu bekunden, wird Israels Rolle als "Aggressor" hervorgehoben und ihm gegenüber ein kulturell-akademischer Boykott heraufbeschworen.


Fraser: Es muss das Ziel sein, eine Form der Autonomie und politischen Selbstbestimmung für Palästina zu finden. Ob das nun einen selbstständigen Staat meint, der an der Seite Israels existiert, oder eine Zweistaatenlösung in Form einer Föderation: Ich halte eine ganze Reihe von Modellen für denkmöglich. Wir, die Unterzeichner, lehnen kein einziges von ihnen von vornherein ab. Trotzdem bedarf es eines Waffenstillstands und des sehr ernsthaften Willens, einen solchen Prozess unverzüglich in die Wege zu leiten.

STANDARD: Auf welcher Grundlage soll das geschehen?

Fraser: Nicht auf derjenigen der Abrahams Accords Declaration von 2020. Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien, die die Frage nach der Zukunft Palästinas komplett vernachlässigt, hat eine tickende Zeitbombe hinterlassen. Diese ist soeben mit verheerenden Auswirkungen explodiert. Ich persönlich möchte die Hamas nicht im Geringsten als führende Vertreter der palästinensischen Sache sehen. Mich wird nur niemand fragen.

STANDARD: Wo bleibt in diesen Überlegungen die israelische Perspektive? Die eines Landes, das von lauter Todfeinden umgeben ist?

Fraser: Das palästinensische Anliegen ist von höchster, drängender Bedeutung. Umgekehrt ist es richtig, dass sich die Gründungsgeschichte Israels in vielfacher Weise von der Geschichte anderer Siedlungskolonisatoren unterscheidet. Es wurde von Flüchtlingen gegründet, die der Vernichtung durch den Holocaust entronnen waren. Es ist weiters richtig, dass Juden durch ihre Überlieferung eine außerordentliche enge Beziehung zum Heiligen Land unterhalten. In der Geschichte der jüdischen Diaspora spielt folgender Satz eine ausschlaggebende Rolle: "Nächstes Jahr in Jerusalem!" Ich betone: Das lässt sich zum Beispiel nicht mit den Buren vergleichen, die sich einen Teil Afrikas aneigneten.

STANDARD: Aber damit beglaubigen Sie die berechtigten Ansprüche Israels.

Fraser: Es ist fortlaufend zu Enteignungen durch Israel gekommen, zu einem Verdrängungsprozess. Von ihm betroffen war die Mehrzahl der Bewohner Palästinas. Ich halte, mit Blick auf die aktuelle Situation, den Begriff Apartheid für angemessen.

STANDARD: Weckt er nicht völlig unangebrachte Assoziationen? Israel ist eine Demokratie.

Fraser: Sobald man darüber diskutiert, setzt man sich dem Antisemitismusvorwurf aus. Susan Neiman hat den vor allem in Deutschland wirksam werdenden Mechanismus in der New York Review of Books unlängst recht eindrucksvoll beschrieben. Sie bezeichnet ihn als eine Art von "philosemitischen McCarthyismus". Künstler und Intellektuelle, die Kritik an Israel üben, werden antisemitischer Umtriebe in ähnlicher Weise beschuldigt, wie es in den 1950ern der republikanische Senator McCarthy mit seiner antikommunistischen Hexenjagd – unter dem Vorwand "unamerikanischer Umtriebe" – tat.

STANDARD: Hinkt dieser Vergleich nicht?

Fraser: Die Idee lautet: Die Deutschen müssen, um sich von ihrer Holocaust-Schuld frei zu wissen, die Juden in die Rolle unschuldiger Opfer drängen. Mir geht es um den Mechanismus, der dabei wirksam wird, ein "McCarthy-haftes" Abwürgen jeglicher Debatte. Würde man unser "Philosophy for Palestine"-Manifest im STANDARD zum Wiederabdruck bringen, es würde allen Leserinnen und Lesern schlagartig klar: Der Text enthält nichts Anstößiges. Unter seinen Unterzeichnern finden sich zahlreiche jüdische Menschen. Das Manifest wird durch eine stark verzerrende Linse gelesen. Das wirft ein trauriges Licht auf die Beschaffenheit heutiger Öffentlichkeit.

STANDARD: Stößt Philosophie zu solchen Gelegenheiten nicht an ihre Grenzen? Gerade dann, wenn sie glaubt, Unrecht anprangern zu müssen?

Fraser: Viele palästinensische Stimmen artikulieren sich zum ersten Mal in den USA. Dazu kommt, dass viele jüngere Juden sich von der Politik der israelischen Regierung distanzieren. Es verläuft ein Riss durch die jüdische US-Bevölkerung. Es entstehen neue Allianzen, etwa zwischen Black Lives Matter und palästinensischen Gruppen. Solche Bündnisse gründen auf geteilten Erfahrungen, zum Beispiel durch Polizeigewalt. Aktuell entstehen neue Räume, und eine Vielzahl von Meinungsbekundungen dringt an die Öffentlichkeit. Viele von ihnen werden mit dem Antisemitismusvorwurf konfrontiert. Mir scheint durch die aufgeheizte Debatte der Beweis erbracht: Etwas am Diskurs steht im Begriff, sich zu verändern.


Nancy Fraser ist Feministin und Philosophin. In ihrem aktuellen Buch Der Allesfresser (engl.: Cannibal Capitalism) geißelt sie die Gefräßigkeit des Kapitalismus, der sich auch alle diejenigen Güter aneignet, die der Belebung und Regeneration des Menschen dienen. Fraser lehrt in New York. Ihr Vortrag "The Art Work" ist am Mittwoch in der Wiener Secession zu hören (18.30 Uhr).


McCarthy-Ära (auch McCarthyismus) bezeichnet einen Zeitabschnitt der jüngeren Geschichte der Vereinigten Staaten in der Anfangsphase des Kalten Krieges. Sie war durch einen lautstarken Antikommunismus und Verschwörungstheorien geprägt[1] und ist auch als Second Red Scare (deutsch „Zweite Rote Angst“) bekannt. Obwohl der namensgebende Senator Joseph McCarthy nur von 1950 bis 1955 öffentlich in Erscheinung trat, wird der gesamte Zeitraum der Verfolgung echter oder vermeintlicher Kommunisten und deren Sympathisanten, der so genannten Fellow travellers, von 1947 bis etwa 1956 heute als McCarthy-Ära bezeichnet.





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