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Wir starten "Ukraine Kontrovers": Meldet Euch zu Wort mit Meinungsbeiträgen und Kommentaren

„Kein Thema hat die Friedensbewegung bisher so tief gespalten wie der Ukrainekrieg. In dieser Rubrik wollen wir unvoreingenommen den unterschiedlichen Meinungen ein Forum geben. Jede(r) ist eingeladen sich zu äußern. Die Länge der einzelnen Beiträge sollte 15.000 Zeichen nicht überschreiten. Es ist wünschenswert, wenn sich die Wortmeldungen auf andere Meinungsäußerungen im Forum oder auf der IFFW-Website beziehen.“


Wir richten demnächst das Forum ein, bis dahin findet Ihr die Beiträge unter dem Stichwort Ukraine Kontrovers (Ukraine Kontrovers (internationale-friedensfabrik-wanfried.org)). Ihr könnt hier kommentieren oder uns Beiträge schicken an info@internationale-friedensfabrik-wanfried.org. Hier ist der erste Beitrag von Dr. Hans-Günter Wagner:

Bitte lest und bezieht Euch ev. auf den Beitrag, um die Diskussion in Gang zu bringen, unterstützend oder kritisch oder neutral.


Hinter den Friedensbannern die Augen fest geschlossen

Über einige Narrative zum Ukraine-Krieg und warum ein prinzipielles „Nein“ zur militärischen Unterstützung der Ukraine problematisch ist


Auf dem bundesweiten Aktionstag der Friedensbewegung am 1.10.2022 hielt Friedensaktivist Lutz Getzschmann vor dem Kasseler Rathaus eine Rede. Dabei sagte er Dinge, wie man sie in diesen Tagen oft hört und die typisch sind für ein bestimmtes, „klassisches“ Reaktionsmuster der Friedensbewegung auf den russischen Überfall auf die Ukraine. Unter anderem erklärte er: „Der russische Einmarsch in die Ukraine, das habe ich und viele andere im letzten Jahr immer

wieder gesagt, ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg – keine Frage. Ebenso richtig ist aber […] dass Russland aus einer Situation der strategischen Defensive heraus agiert, dass dieser Krieg eine Vorgeschichte hat, die spätestens mit den NATO-Osterweiterungen seit den späten 1990er Jahren begann, unter anderem auch einen Putsch gegen eine völlig korrupte aber frei gewählte Regierung 2014 […] Es ist, wie auch immer man es dreht und wendet, ein Stellvertreterkrieg imperialistischer Mächte.“

Die Forderungen, die er anschließend aufstellte und die sich aus dieser Einschätzung ergeben, repräsentieren ebenso jene Richtung der Friedensbewegung, für die er spricht: es dürfe „kein Wirtschaftskrieg“ gegen Russland geführt werden, eine „europäische Friedensordnung unter

Einbeziehung Russlands sei zu schaffen“. Kein „Siegfrieden“ und Waffenstillstand jetzt“. Weiterhin dürfe die deutsche Bevölkerung (und auch niemand sonst in der Welt) durch diesen Krieg wirtschaftliche und soziale Einbußen erleiden, und die „medial inszenierte Entrüstungswelle“ müsse endlich aufhören. (siehe: https://www.kasseler-friedensforum.de/720/vortraege/Keine-Profite-mit-

unserem-Leben-Waffenstillstand-und-Verhandlungen-jetzt/ 17.12.2022).


Das Argumentationsmuster

Die ganze Argumentation läuft nach einem einfachen Muster: Der russische Einmarsch war ein „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, aber eigentlich ist das hier nur eine Worthülse, aus der nichts weiter folgt. Tatsächlich wurde nämlich Russland bedroht und musste sich wehren („strategische Defensive“). Schuld ist folglich die NATO mit ihren Osterweiterungen sowie Leute (die nicht näher

benannt werden), die vor acht Jahren gegen eine „frei gewählte“ Regierung der Ukraine putschten – und somit ein unrechtmäßiges Regime etablierten. Russland dürfe auf keinen Fall mit Sanktionen bestraft werden, unter denen doch letztlich wir alle litten. Man soll auch nicht hartnäckig auf die Einhaltung internationaler Rechtsnormen bestehen („kein Siegfrieden“). Das Wichtigste aber sei, dass niemand wirtschaftliche und soziale Nachteile erleidet (den größten Teil seiner restlichen Rede widmet Getzschmann dann auch der Kasseler Sozialpolitik und einer eingehenden Kritik an Oberbürgermeister Christian Geselle). Und schlussendlich sei auch die öffentliche Empörung über den Angriff auf einen souveränen Staat, dem von Putin das Existenzrecht abgesprochen wird, eine

bloße „mediale Inszenierung“, eine substanzlose Theatralik sozusagen, mit der die Bevölkerung getäuscht werden soll.


Die Rede offenbart ein ideologisch bestimmten „Selektivismus des Sehens“. Keines dieser Narrative hält einem Faktencheck stand.


Ist Russland defensiv?

Historisch war die Politik Russlands gegenüber seinen Nachbarn nie weniger aggressiv als die westlicher Länder. So waren die Eroberungen der Moskoviter im 17. Jahrhundert in Richtung Norden und Eurasien durch eine brutale Ausrottungspolitik gekennzeichnet. Es wurden keine multi-kulturellen Idyllen geschaffen, sondern russifiziert und die indigenen schamanischen Kulturen ihrer

Freiheit und Selbstbestimmung beraubt. Nach dem Sturz des Zarenreichs hat die Sowjetunion von der Aushungerungspolitik Stalins gegen die Ukraine in den 1930er Jahren über die Ermordung zehntausender polnische Offiziere in den Wäldern von Katyn im Zweiten Weltkrieg, die brutale Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956, die Besetzung der Tschechoslowakei 1968 und bis hin

zum Krieg in Afghanistan in den 1980er Jahren mehr als einmal demonstriert, dass sie keinesfalls „defensiv“ ist. Imperiale Großmachtambitionen waren auch hier die treibenden Kräfte. Doch anders als die USA in Vietnam, England in Indien oder Frankreich in Nordafrika, hat Russland bisher nicht den siegreichen Aufstand der Kolonialisierten erlebt und den bitteren Geschmack der Niederlage kosten müssen. Noch immer sonnt man sich im Mythos von der unbefleckten und unbesiegbaren Roten Armee. Das erklärt zumindest teilweise den grotesken Patriotismus, dem viele Menschen in Russland bis heute verfallen sind.


Ist die NATO schuld?

Über den Charakter und auch die Verbindlichkeit einer NATO-Zusage, nach der deutschen Wiedervereinigung sich nicht nach Osten auszubreiten, gibt es kontroverse Auslegungen. Selbst Gorbatschow selbst hat sich in zwei Interviews dazu unterschiedlich geäußert. Doch der eigentliche

Punkt ist ein anderer: Es waren doch die von Sowjetunion jahrzehntelang unterdrücken Länder, es waren die Polen, die Esten, die Ungarn, die Rumänen usw., die zum Schutz ihrer nationalen Souveränität sowie ihrer neu gewonnenen Rechte und wirtschaftlichen Freiheiten Anträge auf NATO-Mitgliedschaft stellten. Russland hätte im Prinzip diese Möglichkeit ebenso gehabt, einen solchen

Antrag jedoch nie eingebracht. Wer heute von den „berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands“ spricht, der sollte auch einmal die Sicherheitsinteressen jener osteuropäischen Länder bedenken, die sich nicht länger vom „Großen Bruder“ dominieren lassen möchten. Gelegentlich wird der Anschein erweckt, als sei ein Angriff der NATO auf Russland unmittelbar zu erwarten gewesen. Defensivmaßnahmen, wie die in Rumänien installierten Raketenabwehrsysteme (die auch vor Angriffen aus dem Iran schützen sollen), werden als aggressive Militärstrategie interpretiert. Durch seinen Einmarsch hat Russland die Gründe für die NATO-Beitritte nachträglich geliefert. Die Frage, ob

durch eine andere Politik der NATO der Krieg hätte verhindert werden können, ist jetzt nur noch Gegenstand kontrafaktischer Geschichtsschreibung – ein Forschungsthema für Historikerkongresse.


War der Euro-Maidan nur eine Putschbewegung?

Bei den Massenprotesten von November 2013 bis Februar 2014 gegen die korrupte Regierung von Viktor Janukowitsch waren tatsächlich zu Teilen auch nationalistische Kräfte wie die Swoboda-Partei und andere beteiligt. Es ist allerdings bis heute nicht geklärt, wer die Scharfschützen waren, die Mitte

Februar 2014 ca. einhundert Menschen in Kiew aus dem Hinterhalt erschossen und in wessen Auftrag sie handelten. Am 21.2.2014 floh Janukowitsch nach Russland und konnte damit sein Staatsamt nicht länger rechtmäßig ausüben. Damit kam er einer drohenden Amtsenthebung und einem Gerichtsverfahren wegen Korruption und Geldwäsche zuvor. Einen Tag später bestimmte das

Parlament mehrheitlich den Parlamentspräsidenten zu seinem einstweiligen Nachfolger. Seit wann bedienen sich Putschisten eines demokratisch gewählten Parlaments? Das Beweisfädchen der Putsch-Hypothese ist also sehr dünn gesponnen und gewinnt auch durch permanente Wiederholung nicht an Überzeugungskraft. Außerdem fanden noch im Oktober des gleichen Jahres demokratische Wahlen statt, zu denen die OSZE Wahlbeobachter entsandt hatte. Zu behaupten, die Ukraine verfüge über keine demokratisch legitimierte Regierung erinnert an die Logik von einigen „Reichsbürgern“, die erklären, dass die Bundesregierung nicht legitim sei, da nämlich die letzte rechtmäßige, aus den Wahlen von 1933 hervorgegangene deutsche Regierung unter Hitler-Nachfolger Dönitz im Mai 1945 von den Alliierten aufgelöst worden sei.


„Wirtschaftskrieg“ gegen Russland?

Wenn noch nicht einmal Wirtschaftssanktionen gegen einen Aggressor verhängt werden dürfen, welche Zeichen gegen den russischen Einmarsch sind dann überhaupt noch erlaubt? Wo die AfD davon spricht, dass das deutsche Volk Vorrang vor einer Unterstützung der Ukraine habe, ersetzen Teile der Linken und der Friedensbewegung „Volk“ durch „sozial Schwache“, oft ergänzt durch die

Behauptung, dass es vor allem Einkommensstarke und insbesondere privilegierte Grüne seien, welche die Sanktionen befürworten, da es sie ja kaum träfe. Das offenbart eine verächtliche Sicht auf ärmere Menschen: denen ginge es nämlich vor allem um eine warme Wohnung und stabile Preise, was in der Ukraine passiere, sei zweitrangig für sie. Ihnen wird also eine beschränktes moralisches

Urteilsvermögen und radikale Eigennutzorientierung unterstellt. Sarah Wagenknecht sagte im Bundestag: „Wir führen einen Krieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten.“ Was für eine manipulative Rhetorik! Nicht Russland führt einen Angriffskrieg gegen einen Nachbarstaat, sondern

wir führen Krieg gegen Russland, dessen zentrale Rolle in diesem Konflikt schlicht darin besteht, ein „Energielieferant“ zu sein.


Ist der Bruch des Völkerrechts relativierbar?

Aus Teilen der Friedensbewegung ist heute ein seltsamer Relativismus vernehmbar. Ja keine Frage, heißt es, die russische Invasion sei völkerrechtswidrig gewesen, dann folgt zumeist jedoch ein ganz großes „aber“: der Westen trage schließlich eine Mitschuld, wenn nicht gar die Hauptverantwortung für den Krieg, man habe den im Grunde doch so friedliebenden Putin provoziert, Russlands vitale Sicherheitsbedürfnisse ignoriert und ähnliches. Einen Krieg beginnt jedoch bekanntlich, wer den ersten Schuss abgibt! Ein zweiter Aspekt dieses Relativismus ist noch bedenklicher. Wer so

argumentiert, wendet den Blick ab vom konkreten Fall der Ukraine und verweist stattdessen auf Handlungen der Vergangenheit und in anderen Situationen, um die Rechtswidrigkeit des russischen Angriffs zu bagatellisieren und damit generell die Geltung internationalen Rechts in Frage zu stellen.

Ja, was man sich denn so aufrege, im Irak, in Libyen und in anderen Ländern hätten doch die USA und auch die NATO zig Mal das Völkerrecht im eigenen, imperialistischen Interesse gebrochen. Und niemand hätte die Verantwortlichen angeklagt – wozu also gerade jetzt diese Aufregung. Es ist richtig, der Irak-Krieg war völkerrechtswidrig und auch viele andere Aktionen der USA. Aber für das

Völkerrecht gilt, was auch sonst in der Justiz gilt: es kann nur eine Gleichbehandlung im Recht, nicht aber im Unrecht geben. Wenn mein Nachbar aufgrund eines Behördenirrtums eine Baugenehmigung erhält, die ihm nicht hätte gewährt werden dürfen und dann ein Gebäude errichtet, ist das

rechtmäßig, denn wir müssen auf die Wirksamkeit von Verwaltungsakten vertrauen können. Selbst wenn die Bedingungen gleich sind, kann ich dennoch nicht aufgrund eines Verfahrensfehlers für mich aus Gründen der Gleichbehandlung“ eine ebensolche Genehmigung verlangen wie mein Nachbar.


In Teilen der Friedensbewegung herrscht zudem weitgehend Schweigen zu den fortgesetzten Verletzungen internationalen Rechts durch Russland nach dem Einmarsch, so zu den durch internationale Organisationen mittlerweile präzise dokumentierten Gräueltaten in Butcha, Irpan und anderen Orten, der Bombardierung von Wohngebieten und Krankenhäusern und jetzt der

systematischen Zerstörung der Infrastruktur der Ukraine und damit den Grundversorgung der Menschen mit Wärme und Elektrizität mitten im kalten Winter. Das sind eindeutige Verstöße gegen die Genfer Konvention. Es ist ziemlich zynisch, die Kriegsverbrechen Putins, eines Mannes der seine

Gegner durch Giftgas ausschaltet, mit dem Hinweis zu relativieren, dass Kriege halt immer grausam seien, woanders in der Welt es noch schlimmer zugehe und überhaupt, die Amerikaner in Vietnam und an anderen Orten ja ebenfalls Massaker verübt hätten.


Ein generelles Nein zu Waffenlieferungen?

Wer angegriffen wird, der hat ein Recht sich zu verteidigen. Und richtig handelt auch, wer einem Schwächeren dabei hilft, sich vor einem stärkeren und brutalen Gegner zu schützen, der ihn vernichten will. Kein vernünftiger Mensch protestiert dagegen, wenn die Polizei gewaltsam eine Schlägerei beendet oder die Staatsanwaltschaft gegen den Abou-Chaker-Clan ermittelt und die Verbrechen der Clan-Mitglieder von der Justiz bestraft werden. Niemand wird ernsthaft geltend machen, dass der eine oder andere Libanese dieser Gruppe doch auch von Deutschen diskriminiert wurde und die Clan-Gründung sozusagen ein Akt der Selbstverteidigung war, um das Leben der Familie zu sichern. Nein, die Ordnung des Rechts muss stärker sein als die Macht und die Partikularinteressen einzelner Personen oder Staaten. Darauf gründet das Gewaltmonopol des

Staates. Je mehr Waffen Menschen in den Händen haben, desto grausamer werden Kriege, aber auch die Nicht-Lieferung von Waffen kostet Menschenleben. Das ethische Abwägen ist also nicht einfach. Manche argumentieren aus der Spirale einer „Kriegslogik“ heraus: Mehr Waffen verlängerten den Krieg und führten zu noch mehr Opfern. Ja, das kann geschehen. Aber jeder Krieg

beginnt, das wusste schon Clausewitz, mit der Verteidigung, nämlich mit der Entschlossenheit, sich einem Angreifer nicht zu unterwerfen, weil man den Preis der Unterwerfung kennt. Panzer auf dem Schlachtfeld töten Menschen, aber zum Schutz eines Wohngebietes retten sie auch das Leben von Unschuldigen in ihren Häusern, verhindern sie willkürliche Erschießungen, Vergewaltigungen und die

Raubzüge marodierender uniformierter Gruppen. Wer selbst gegen die Lieferung von Luftabwehrsystemen ist, nimmt billigend in Kauf, das Zehntausende von Menschen zum Opfer iranischer Drohnen und russischer Raketen werden. Nicht zuletzt geht es um die Verteidigung der Freiheit und des internationalen Rechts. Wenn Russland heute nicht seine Grenzen erfährt, werden andere ermutigt, sich ebenfalls einfach zu nehmen, auf was sie vermeinen, einen Anspruch zu

besitzen. Nicht nur China könnte aus der gleichen Haltung heraus die staatliche Souveränität Taiwans beseitigen und die Demokratie auf der Insel durch eine Parteidiktatur ersetzen, auch Ungarns Präsident Orbans würde sich ermächtigt fühlen, noch rabiater für die Interessen der ungarischen Bevölkerungsgruppen intervenieren, die in den Nachbarländern lebt und versuchen, alte Träume ein

Groß-Ungarns Wirklichkeit werden zu lassen. Am Ende fordern dann rechte Politiker in Deutschland, durch Putin inspiriert, eine Revision der Ostverträge oder vielleicht den Anschluss Mallorcas als 17. Bundesland und schicken Kampfflugzeuge der Bundeswehr, um die Rechte der dort ansässigen

Deutschen gegen Schikanen durch die spanischen Behörden zu schützen.

Im Übrigen gibt es da noch einen Unterschied, auf den es sehr ankommt: Über die Zustände in Guantanamo wurde ausführlich in den US-amerikanischen Medien berichtet und ebenso über die Folter durch US-Soldaten im irakischen Abu-Ghuraib-Gefängnis. Selbst auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges gab es Massendemonstrationen in Washington. Wütende Veteranen warfen unter

starker medialer Anteilnahme ihr Purple Heart und andere Kriegsorden auf die Treppe vor dem Kapitol. In Russland aber werden heute Menschen verhaftet, nur weil sie auf der Straße ein weißes Blatt Papier in den Händen halten.


Die ideologischen Muster von gestern greifen nicht mehr

Der Ukrainekrieg ist vielschichtig. Einfache Antworten gibt es nicht. Egal, was getan wird, es leiden Menschen, es sterben Menschen eines brutalen und grausamen Todes. Umso notwendiger ist es daher, zunächst einmal unbefangen die Fakten in den Blick zu nehmen. Mit den Rechts-Links-Schemata der Vergangenheit und den alten Ideologismen vom „Hauptfeind USA“ wird man der

Komplexität der Situation nicht gerecht. Wer sind die Guten und wer die Bösen? Das ist selten eindeutig. Die Guten sind nicht allein deshalb die Guten, weil sie gute Absichten hegen. Sonst müssen sie selbst dann noch die Guten bleiben, wenn sie Schlechtes tun. Fakten sind wichtiger als Intensionen. Das gilt für Russland ebenso wie für die Ukraine. Russland und die Ukraine haben beide

das Minsker Abkommen gebrochen. Die einen wollten russifizieren, die anderen sprachen von der „Ukrainisierung der Ukraine“. Und auch die ukrainische Armee hat 2014 Ortschaften in der Ostukraine rücksichtslos bombardiert, ohne dass dies von der EU kritisiert worden wäre. Auch in der Ukraine wurden kritische Medien bedrängt und linke Dissidenten vom Sicherheitsdienst SBU drangsaliert. Ich sehe das ganz große Problem in der Zukunft des Landes: Wie können nach all den Zerstörungen, den Grausamkeiten, dem abgrundtiefen Hass zwischen den beiden Völkern, in einer künftigen Nachkriegsordnung auf diesem Gebiet Russen, Ukrainer, Russisch sprechende Ukrainer und die anderen Volksgruppen einvernehmlich miteinander leben? Eine mit militärischen Mitteln nicht lösbare Aufgabe. Ohne Freiheit und uneingeschränkte Selbstbestimmung für die Ukraine wird es keine nachhaltigen Lösungen geben. Volksabstimmungen in den betroffenen Gebieten unter UN-Aufsicht, wie Henry Kissinger es kürzlich vorschlug, wären vielleicht ein Weg. Aber das geht nicht, solange dort ein Okkupanten-Heer und Söldnertruppen stehen. Alles Mögliche forderte

Friedensaktivist Getzschmann in seiner Rede, nicht jedoch das Allernaheliegenste: den bedingungslosen Abzug der russischen Armee vom Territorium der Ukraine als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden.

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