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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

Vor der Wahl in Argentinien: Massa gewinnt TV-Duell gegen Milei und führt knapp in den Umfragen


Sergio Massa erschien laut Beobachtern in allen Themenbereichen kompetenter als Javier Milei und konnte seinen Kontrahenten in die Defensive drängen

Von Stephan Hollensteiner amerika21

Milei (li.) und Massa bei der TV-Debatte am Sonntag vor der anstehenden Wahl in Argentinien QUELLE:@SERGIOMASSA Buenos Aires. Am vergangenen Sonntagabend hat in Argentinien das einzige Fernsehduell der beiden Präsidentschaftskandidaten stattgefunden, die sich in der Stichwahl am 19. November gegenüberstehen werden. Das Aufeinandertreffen von Sergio Massa, aktueller Wirtschaftsminister und Kandidat für das progressive, peronistisch geführte Bündnis Unión por la Patria, und seinem Herausforderer Javier Milei, Abgeordneter und Gründer der ultrarechten Partei La Libertad Avanza, rief große mediale Aufmerksamkeit hervor. Das Duell in der Jurafakultät der Universität von Buenos Aires wurde von 14 TV-Sendern übertragen und erreichte eine Einschaltquote von bis zu 48,5 Prozent. In sechs Themenblöcken – Wirtschaft, Argentinien in der Welt, Bildung und Gesundheit, Arbeit und Produktion, Sicherheit und Menschenrechte sowie Demokratisches Zusammenleben – tauschten sich die Kandidaten jeweils zwölf Minuten kontrovers aus, bevor sie in einem zweiminütigen Statement zusammenfassend für ihre Kandidatur warben. Ausgehend von widersprüchlichen Aussagen in Mileis Wahlkampf – er hatte jüngst versucht, seine radikalen Positionen zu relativieren, auch angesichts des "Pakts" mit der konservativ-liberalen Partei des Ex-Präsidenten Mauricio Macri (2015-19) – drängte Massa seinen Kontrahenten von Anbeginn in eine Defensive, aus der dieser während des Abends nicht mehr herauskam: "Ja oder Nein, wirst Du die Wirtschaft dollarisieren und die Subventionen eliminieren? Ja oder nein, wirst Du Flüsse und Meere privatisieren und die Zentralbank abschaffen? Ja oder nein, wirst Du Studiengebühren einführen?" In allen Themenbereichen erschien Massa besser vorbereitet und kompetenter als Milei. Selbst in dessen Spezialgebiet Wirtschaft und Finanzen – Milei ist ausgebildeter Ökonom und will die Wirtschaft radikal "liberalisieren" – erwischte Massa einen wunden persönlichen Punkt. Angesichts von Mileis wiederholter Forderung nach Abschaffung der Zentralbank (Banco Central, BC) verblüffte Massa das Publikum mit der Enthüllung, dass Milei vor rund 30 Jahren ein halbjähriges Praktikum in der BC absolviert hatte, das nicht verlängert wurde. "Sag den Leuten warum. Ich verstehe deine Wut auf die Zentralbank, weil du dich abgelehnt gefühlt hast", so Massa. Dessen Team hatte die Auskunft zu Mileis Praktikum, das von Dezember 1992 bis Juni 1993 stattfand, über einen offiziellen BC-Kanal eingeholt. Milei begründete den Abbruch mit dem damaligen Desinteresse an den konkreten Aufgabenbereichen. In den Schlussstatements wurden nochmal die Unterschiede zwischen beiden Kandidaten deutlich. Massa betonte, dass er als Präsident aller eine Regierung der nationalen Einheit zur Überwindung der Krise bilden möchte, "damit der Fortschritt weitergeht und meine Kinder ein besseres Land erben werden, als ich es selbst vorfand". Er richtete sich wiederholt "an die Frauen, Pensionäre und Rentenempfänger, Arbeitnehmer und Unternehmer". Milei dagegen wetterte erneut gegen die "korrupte und parasitäre Politiker-Kaste", der er sein "Modell der Freiheit" entgegensetzte, ohne dieses aber näher auszuführen. Insgesamt verlief die TV-Debatte geordneter als die mit den sechs Kandidat:innen des ersten Wahlgangs. Massa und Milei bezichtigten sich zwar wiederholt gegenseitig der Lüge, beleidigten und diffamierten sich aber weniger. Massa war argumentativ und rhetorisch überlegen. Milei verwechselte einmal etwa die Streitkräfte mit den zivilen Sicherheitskräften. Massas Versuch, Milei aus der Reserve zu locken und ihn die Contenance verlieren zu lassen, ging jedoch nicht auf. Nach einhelliger Meinung sowohl der internationalen wie nationalen Presse konnte Massa das Duell klar gewinnen. Für die spanische Zeitung El País gelang es Massa, "einen blassen Milei in die Ecke zu drängen". Selbst die konservative ABC sah "eine psychologische Dominanz" Massas gegenüber Milei. Auch in Argentinien sehen politische Beobachter:innen und Wahlkampfanalyst:innen übereinstimmend Massa als Sieger. Mileis Lager und seine neuen Verbündeten um Macri und die zuvor drittplatzierte Patricia Bullrich zeigten sich enttäuscht. Einige Kommentare sprechen von einem Knock-out, andere von einem deutlichen Punktsieg. Massas entscheidender Schachzug bestand demnach darin, mit Mileis Ungereimtheiten erfolgreich vom großen Schwachpunkt seiner Regierung – der desaströsen Wirtschaftslage – abzulenken. Dazu wurde auch für die meisten Kommentator:innen deutlich, dass Milei weder Reife noch Statur noch die Expertise für das höchste Amt im Staat habe. Uneinigkeit besteht allerdings darin, welchen Einfluss das ungleiche Duell auf das Wählervotum am Sonntag haben werde, besonders bei den bisher unentschiedenen sechs bis sieben Prozent der Wähler:innen. Bei den letzten Umfragen vor dem TV-Duell lag Massa mit rund 46,5 Prozent knapp vor Milei mit gut 45 Prozent, was unter Berücksichtigung der technischen Fehlerquote ein Patt bedeutet. Einige Analysen sehen die Wahl nun aber bereits als entschieden an und erwarten einen Vorsprung Massas in den kommenden Umfragen und bei der Wahl am Sonntag. Nach anderen Einschätzung ist noch alles offen. Sie verweisen vor allem auf die jüngst veröffentlichten Wirtschaftsdaten. Die Monatsinflation für Oktober betrug demnach 8,3 Prozent, akkumuliert für die vergangenen zwölf Monate sogar mehr als 140 Prozent.

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