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Völkerrechtler Normann Paech: Aufstand der Verzweiflung

Auf ihren Pilgerreisen nach Jerusalem werden die Regierungschefs der USA und Deutschlands nur ihre Solidaritätsadressen abliefern und für eine humanitäre Kriegführung plädieren. Sie werden es wiederum versäumen, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um das einzige Mittel zur Beseitigung der Gewalt durchzusetzen: die Besatzung aufzugeben und den Palästinenserinnen und Palästinensern die versprochene Gründung eines eigenen Staates zu ermöglichen.


Aufstand der Verzweiflung

Von Norman Paech

Die politische Klasse, ob in der Regierung, den Parteien oder den Medien, hat offensichtlich ihr Ceterum censeo: Hamas muss vernichtet werden – um welchen Preis auch immer.


Lassen wir die politische Fragwürdigkeit dieser Devise einmal beiseite, so liegt in ihr ein grundsätzlicher Fehler. Sie reduziert den Überfall und den Ausbruch der Gewalt auf die Verantwortung einer einzigen Organisation, der Hamas. Sie hat die Geschichte der kolonialen Befreiungskämpfe in Afrika vergessen, deren militärische Spitze immer von einer oder zwei Organisationen gebildet wurde. Ob die FLN in Algerien, der ANC in Südafrika, die SWAPO in Südwestafrika, die MPLA in Angola, die PAIGC in Guinea-Bissau, die Frelimo in Mosambik oder die PLO in Palästina, sie wurden alle als Terroristen bekämpft.


Sie waren aber nur der politisch-militärische Arm eines Volkes, welches für seine Befreiung kämpfte. In allen diesen Befreiungskriegen hatte das internationale Recht einen verzweifelten Stand. Politik und Medien wollen auch jetzt nicht begreifen, dass es hier in Gaza ebenso wie in der Westbank um einen Befreiungskampf des ganzen palästinensischen Volkes gegen jahrzehntelange Unterdrückung, Enteignung, Gewalt und Entwürdigung geht.


Wir dürfen nicht vergessen und verdrängen, dass die palästinensische Bevölkerung die furchtbare Gewalt, die jetzt so bild- und wortreich beklagt wird, in mehr als 75 Jahren in Überfällen und Massakern von Deir Jassin bis Masafer Jatta immer wieder und geradezu täglich erfahren hat. Sie ist immer wieder dagegen aufgestanden – vergeblich.


Jetzt hat die verzweifelte Situation wie bei einer Revolte im Gefängnis zu einer Explosion geführt.


Rache löst nichts

Wenn Israel mit Unterstützung von USA und NATO-Bündnis darauf besteht, Hamas als Reaktion auszulöschen, zu vernichten, und sei es um den Preis Tausender ziviler Opfer Gaza in Schutt und Asche zu legen, so begeht es den zweiten Fehler: Dadurch würde der Widerstand des palästinensischen Volkes gegen die Gewalt der Apartheid nicht gebrochen. Man kann eine Organisation vernichten, aber nicht ein Volk. Das würden heute die UNO und ein immer noch vorhandenes antikoloniales Gewissen in der Welt verhindern. Man kann sein Rachegefühl befriedigen, aber damit nicht den Frieden sichern.


Alle klassischen Kolonialmächte mussten sich aus ihren Kolonien zurückziehen. Israel, eine Siedlerkolonie, wird hier keine Ausnahme machen. Das internationale Recht und die Menschenrechte haben in diesem Konflikt schon lange keine Rolle mehr gespielt. Sie wurden seit der israelischen Staatsgründung gegenüber dem palästinensischen Volk ständig vernachlässigt und verletzt.


Israel hat nie die Genfer Konventionen für die besetzten Gebiete anerkannt. Israels Garantiemächte, vor allem die USA und die BRD, haben alle Verletzungen des internationalen Rechts gedeckt und akzeptiert. Die Internationalen Gerichtshöfe wurden erst in den letzten Jahren zur Überprüfung der Siedlungspolitik und der Kriegsverbrechen aufgefordert, was sofort aufgrund des Widerstands der Garantiemächte abgeblockt wurde. Während die afrikanischen Völker noch in der UNO um die politische und juristische Anerkennung ihres Kampfes ringen mussten, ist dieser Kampf jetzt in den Resolutionen der Vereinten Nationen und den Zusatzprotokollen der Genfer Konventionen fest verankert. Dennoch spielen das internationale Recht und die Menschenrechte seit Beginn dieses Konfliktes nur auf Pressekonferenzen und in den öffentlichen Erklärungen der Regierungen eine Rolle. Sie existieren, konnten aber bisher zum Frieden in der Region nichts beitragen.


Die politische Reaktion gegenüber den Palästinensern in der Bundesrepublik erinnert mich an die Zeit unmittelbar nach dem Überfall der PFLP auf das israelische Olympiateam 1972 in Fürstenfeldbruck. Es herrschte eine Pogromstimmung, die viele Palästinenser veranlasste, die Bundesrepublik zu verlassen. Wenn das größte deutsche Boulevardblatt Bild auf der ersten Seite mit der erwiesen falschen Meldung »Babys mit abgeschnittenen Köpfen« titelt, so bleibt das lange in den Köpfen der Leser und erzeugt nachhaltigen Hass gegen alle Palästinenser.


Ihre Demonstrationen und Veranstaltungen werden verboten und ihre Netzwerke mit Schließung bedroht, auch vor Abschiebung können sie nicht mehr sicher sein. Die rechtliche Basis dieser Maßnahmen ist meistens strittig, über sie entscheiden die Gerichte mal so, mal so. Besatzung muss enden Nein, diese Zeilen sind keine Rechtfertigung der mörderischen Orgie, die die Kämpfer der Hamas bei ihrem Überfall anrichteten, keine verschwiegene Zustimmung zu den Siegesgesängen auf Europas Straßen. Sie werden von der Furcht diktiert, dass das »Terrorbild« der Hamas bei aller Grausamkeit des Überfalls den wahren Charakter dieser Gewalt als Aufstand der palästinensischen Gesellschaft verdeckt. Dass man sich weiterhin weigert, das Elend der palästinensischen Existenz sowohl in Gaza wie in der Westbank wahrzunehmen und die jahrzehntelange koloniale Besatzung und Apartheid als wahren Grund der plötzlichen Gewalt zu erkennen. Sie hatte sich seit langem angekündigt und wird durch keinen Vernichtungskrieg verschwinden.


Auf ihren Pilgerreisen nach Jerusalem werden die Regierungschefs der USA und Deutschlands nur ihre Solidaritätsadressen abliefern und für eine humanitäre Kriegführung plädieren. Sie werden es wiederum versäumen, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um das einzige Mittel zur Beseitigung der Gewalt durchzusetzen: die Besatzung aufzugeben und den Palästinenserinnen und Palästinensern die versprochene Gründung eines eigenen Staates zu ermöglichen. Zu Hause aber wird der Druck auf die arabische Bevölkerung dazu führen, den Hass gegen sie anwachsen zu lassen, sie auszugrenzen und auszuschließen. Das spaltet die Gesellschaft und fördert den Rassismus. In der Folge wird die jüdische Bevölkerung immer häufiger angegriffen und der Antisemitismus wird noch stärker werden. Schließlich wird die Gewalt zunehmen und der Einsatz der Polizei die feindliche Stimmung nicht beruhigen können. Eine nicht sehr kluge Politik mit absehbar schädlichen Konsequenzen.


Gaza-Krieg Überfall auf Israel 2

Bundesarbeitskreis der Partei DIE LINKE "Gerechter Frieden in Nahost" v. 12. Oktober 2023.

Angesichts der drohenden Eskalation des Krieges durch die geplante Invasion der israelischen Armee in den Gazastreifen appellieren wir an die deutsche Bundesregierung und die Parteien im Bundestag, sich für einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen den Parteien einzusetzen...

BAK 2.Erlärung12.10.23.docx Microsoft Word-Dokument [16.3 KB]


Gaza Krieg Überfall auf Israel 1

Bundesarbeitskreis der Partei DIE LINKE "Für einen gerechten Frieden in Nahost" v. 8. Oktober 2023

Es kam wie es kommen musste, obwohl niemand es voraussehen wollte. 23 Jahre nach der 2. Intifada und 16 Jahre nach dem Beginn der militärischen Blockade von Gaza haben die Menschen ihre verzweifelte Situation nicht mehr ertragen können und haben diesen furchtbaren Angriff auf Israel gestartet...

AK-Nahost Gaza-Krieg-2023-10-08.pdf PDF-Dokument [88.1 KB]


Nahostkonflikt II

Historisch Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 9/II, 2023

Innerhalb des weiten territorialen Rahmens, den der Begriff N umfassen kann, spielt der Palästinakonflikt eine zentrale Rolle. Denn er weist nach Ursache, Ursprung und Entwicklung gegenüber den anderen Konflikten der Region mit seinen weitreichenden Verzweigungen und wechselseitigen Beeinflussungen besondere Merkmale auf. Einen wesentlichen Aspekt umreißt Israels Verteidigungsminister Mosche Dajan einige Monate vor dem Oktoberkrieg bzw. Jom-Kippur-Krieg von 1973 treffend mit den Worten: >Alle unsere Siedlungen sind auf den Trümmern arabischer Dörfer erbaut, und wir reißen nicht nur ihre Mauern nieder, sondern versuchen, auch ihre Namen aus den Geschichtsbüchern auszuradieren. Sie haben also sehr gute Gründe, gegen uns zu kämpfen, und wenn ich ein Araber wäre, wäre ich wohl ein Kämpfer für El Fatah.< (Zit.n. Fried 1973, 46) Dieser Siedlungsprozess, der sich auch im 21. Jh. fortsetzt, ist mit einer Vielzahl politischer und ökonomischer Interessengegensätze verschiedener Herkunft verknüpft, sodass es schwerfällt, eine Grundlinie zu entdecken, die den N als Ganzes erklären und eine politische Lösungsmöglichkeit aufzeigen könnte. Eine wichtige Voraussetzung istdie zionistische Ideologie, die von Beginn anden Anspruch vorantreibt, arabisches Land in jüdisches zu verwandeln...

HKWM-Nahostkonflikt-II-final.pdf PDF-Dokument [296.6 KB]


Antwort auf den offiziellen Standpunkt Israels zur Annexion

BIP-Aktuell #269 v. 22. Juli 2023

Yossi Fuchs, Staatssekretär der israelischen Regierung, schrieb eine ausführliche Antwort auf einen Artikel der Menschenrechtsorganisation Adalah, in der er den Bau von zehn neuen illegalen Siedlungen im besetzten Westjordanland mit seiner Auslegung des Völkerrechts und des israelischen Rechts rechtfertigt. Dieser Brief wurde in BIP-Aktuell #267 veröffentlicht.

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