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US-Langstreckenwaffen in Deutschland: „Fähigkeiten“ für den finalen Krieg: Sie können praktisch ohne Vorwarnzeit & kaum ortbar Kommandozentralen ausschalten und haben Enthauptungsschlag-Eigenschaften.

Der Atomkrieg aus Versehen und die Demokratie

11. August 2024 um 15:00Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Die Stationierung von Hochgeschwindigkeits-, Lenk- und Marschflugkörpern in Deutschland, die für Enthauptungsschläge geeignet sind, wird der Bevölkerung und dem Parlament ohne vorherigen Diskurs in der Öffentlichkeit vorgesetzt. Das ist nicht nur undemokratisch, sondern zugleich auch eine Gefährdung der Sicherheit. Das Demokratieverständnis der Bundesregierung verhält sich umgekehrt proportional zu ihrer Rücksichtslosigkeit. Von Bernhard Trautvetter.

Die von der Bundesregierung und den USA geplante Stationierung von weitreichenden und hochpräzisen Hochgeschwindigkeitsraketen, die für den gegnerischen Radar nur – wenn überhaupt – schwer erfassbar sind und die auch atomwaffenfähige Systeme umfassen, betrifft die Überlebensinteressen der Menschen nicht nur in Deutschland. Aufgrund ihrer Fähigkeit, praktisch ohne Vorwarnzeit Kommandozentralen, Regierungsstellen und Raketensilos Russlands auszuschalten, haben sie Enthauptungsschlag-Eigenschaften.

Dies bedeutet, in Krisenzeiten befinden sich gegnerische Militärs auch bei Fehlalarm unter einem sie überfordernden Entscheidungsdruck, da ihnen bei Alarm keine Zeit für Abklärungen, Rücksprache oder Reflexion verbleibt. Die entsprechende Zeitnot im Moment möglicher existenzieller Bedrohungen stellt eine Überforderung dar, die leicht zu Fehlreaktionen bis hin zum Auslösen eines ungewollten Atomkriegs aus Missverständnissen heraus führen kann.

Das ist den Verantwortlichen in der politischen und militärischen Führung unseres Landes bekannt. Die Kritik des SPD-Fraktonsvorsitzenden Rolf Mützenich ist ein Beleg dafür: „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation sei beträchtlich …“ Passend dazu erklärte Ralf Stegner (SPD), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und dem für Rüstungskontrolle, man dürfe „die Welt nicht gefährlicher machen, nicht in einen neuen Rüstungswettlauf eintreten”.

Das Demokratieverständnis der Bundesregierung verhält sich umgekehrt proportional zu ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gefahr, die sie den Menschen aufbürdet, die sie gewählt haben. Die FAZ berichtet:

Die Regierung … ist der Meinung, das Parlament längst eingebunden zu haben. Sie teilte … mit, dass durch das Schreiben der Parlamentarischen Staatssekretäre von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und des Staatsministers im Auswärtigen Amt alle zuständigen Parlamentarier mit dem Vorgang befasst worden seien.

Die Information, die die Regierung den Volksvertretern zukommen lässt, ersetzt in ihrem Demokratieverständnis die Debatte und Entscheidungsfindung durch die Abgeordneten in einer der wichtigsten Angelegenheiten, die zu entscheiden anstehen können. Im Mittelpunkt der Demokratie hat das Wohlergehen der Menschen zu stehen; das umfasst ihre gemeinsame Gestaltung der für das Zusammenleben in der Gesellschaft grundlegenden Prozesse. Das müsste hier heißen, dass Beschlüsse, die die Sicherheit der Gesellschaft betreffen, nach einer breiten Debatte in der Öffentlichkeit transparent und von der Gesellschaft mehrheitlich getragen zustande kommen.

„Verteidigungs“-Minister Pistorius behauptet, dass der mit der US-Regierung vereinbarte Rüstungsschritt nicht die Brisanz aufweist wie die Raketenrüstung der 1980er Jahre . Damals hatte die Friedensbewegung breite Unterstützung für ihre Warnung vor dem Atomkrieg aus Versehen erhalten, als sie sich gegen die Stationierung der Enthauptungsschlagraketen vom Typ Pershing II stellte. Von Hawaii aus erklärte er, „es spreche nichts dagegen, über dieses Thema im Bundestag offen zu sprechen. „Aber es ist originär kein Thema, was zuvor im Parlament diskutiert werden müsste. Es ist auch nicht vergleichbar mit dem NATO-Doppelbeschluss aus den 80er Jahren. Von daher sollten wir hier die Dinge sorgfältig auseinanderhalten.“

Passend dazu unterstützt der ‘Wissenschaftliche Dienst des Bundestags’ mit einem Gutachten die im inhaltlichen Sinn undemokratische Position der Bundesregierung:

Das BVerfG verneinte die Frage, ob die Zustimmungserklärung der Bundesregierung eines (erneuten) Zustimmungsgesetzes … bedürfe. Gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung von Bundestag und ggf. Bundesrat.

Im vorliegenden Fall liege jedoch nur ein einseitiger völkerrechtlich erheblicher Akt … vor. Auch eine Verletzung der Rechte des Bundestages erkannte das BVerfG nicht: Gem. Art. 24 Abs. 1 GG kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Dem BVerfG zufolge lag eine solche Übertragung von Hoheitsrechten an eine zwischenstaatliche Einrichtung, nämlich die NATO, vor und die Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 GG seien eingehalten worden:

Die … Ermächtigung hierzu muß ‚durch Gesetz‘ erfolgen. Dieser verfassungsrechtlichen Anforderung ist im vorliegenden Fall durch das Gesetz betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag vom 24. März 1955 (BGBl. II S. 256) sowie durch das Gesetz betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 24. März 1955 (BGBl. II S. 253) genügt.…“ Hier erklären Juristen, die USA entsprechen der Nato.“

In der gemeinsamen Erklärung der Regierungen der USA und der Bundesregierung Deutschland vom 10. Juli 2024 fehlen Stückzahlen der Stationierungsplanung, und die Abschreckung dient als Legitimationsnarrativ:

Die Vereinigten Staaten werden 2026 mit der periodischen Stationierung von weitreichenden Feuerkapazitäten … in Deutschland beginnen, als Teil der Planung für eine dauerhafte Stationierung dieser Kapazitäten in Zukunft. Im Endausbau werden diese konventionellen Langstreckenfeuereinheiten SM-6, Tomahawk und in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffen, die eine deutlich größere Reichweite haben als die derzeitigen landgestützten Feuerwaffen in Europa, umfassen. Die Ausübung dieser fortgeschrittenen Kapazitäten wird das Engagement der Vereinigten Staaten für die NATO und ihren Beitrag zur integrierten Abschreckung in Europa demonstrieren.“ (Übersetzung: B.T.)

Die Stationierung dreier Typen von Hochgeschwindigkeits-, Lenk- und Marschflugkörpern, die auch ohne Nuklearisierung mit Sprengköpfen von mehreren Hundert Kilogramm Explosivmaterial und radartäuschendem Flugverhalten für Überraschungsangriffe sowie für Enthauptungsschläge geeignet sind, wird der Bevölkerung und dem Parlament ohne vorherigen Diskurs in der Öffentlichkeit unvorbereitet vorgesetzt. Das ist nicht nur undemokratisch, sondern zugleich auch eine Gefährdung der Sicherheit der Menschen.

Der Appell „Gegen die atomare Bedrohung“, der sich dagegen wendet, ist bisher von weit über 10.000 Menschen unterschrieben worden. Es geht darum, 1. die Debatte über diese brandgefährlichen Pläne zur Stationierung von Offensivsystemen zu erzwingen und 2. als nächsten Schritt Abrüstung statt Aufrüstung durchzusetzen; das umfasst die Verhinderung der Stationierung dieser Systeme im Vorfeld eines dritten und damit letzten großen Krieges in Europa.


US-Langstreckenwaffen in Deutschland: „Fähigkeiten“ für den finalen Krieg

Die neue „Fähigkeit“, die Verteidigungsminister Boris Pistorius für die Bundeswehr vorsieht, ist auf die Austragung eines großen Krieges zwischen der atomar bewaffneten NATO einerseits und der Atommacht Russland andererseits gerichtet – und das im hochindustrialisierten und dichtbesiedelten Europa. Wir befinden uns in einer nach oben offenen Risikospirale. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

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Bei der NATO geht es um einen Militärpakt mit drei Atommächten, die in einer nach oben offenen Risiko-Spirale im Krieg mit der Atommacht Russland in einem nuklear verstrahlten Kontinent Krieg führen können sollen, wie die Militärs selbst erkennen und beraten. Eine solche Politik ‚Sicherheitsstrategie‘ zu nennen, ist Gehirnwäsche mit einer Orwell’schen Sprachverwirrung. Niemand hat das Recht, Risiken, die auf das Ende der Zivilisation Europas mit seinen über 700 Millionen Bewohnern hinauslaufen, einzugehen.

Der beliebteste Politiker Deutschlands, Boris Pistorius, befasst sich mit derartigen sogenannten Kriegsführungsfähigkeiten, wenn er auf ‚Kriegstüchtigkeit‘ hinwirkt. Eine Strategie, die die Fähigkeit und Bereitschaft zur Führung eines Krieges einfordert, und die gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes steht, ist nicht von Boris Pistorius eingeführt worden. Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, forderte in einer Rede an 4. November 2020:

„…Die große Überschrift aller Bemühungen muss die Erhöhung der Kriegstauglichkeit unseres Materials sein …. Es braucht verlässlich wirksames, kriegstaugliches Großgerät, das von Soldaten auf dem Gefechtsfeld beherrscht, gewartet und repariert werden kann.

Die von ihnen so genannte ‚Kriegstauglichkeit‘ , die mit der Hochrüstung verbunden ist und die die aktuelle Vereinbarung zwischen der US-Regierung und der Regierung Deutschlands offenbart, erfuhr während des NATO-Gipfels ihre erneute Konkretisierung:

„Nach Diskussionen in der Zeit vor dem NATO-Gipfel haben die Regierungen der Vereinigten Staaten und Deutschlands die folgende gemeinsame Erklärung veröffentlicht:Die Vereinigten Staaten werden 2026 mit der schrittweisen Stationierung der Langstreckenfeuerfähigkeiten ihrer ‘Multi-Domain Task Force’* in Deutschland beginnen, als Teil der Planung für eine dauerhafte Stationierung dieser Fähigkeiten in der Zukunft. Im Endausbau werden diese konventionellen Langstreckenfeuereinheiten SM-6, Tomahawk und in der Entwicklung befindliche Hyperschallwaffen umfassen, die eine deutlich größere Reichweite haben als die derzeitigen landgestützten Feuerwaffen in Europa. Die Ausübung dieser fortgeschrittenen Fähigkeiten wird die Leistungsbereitschaft der Vereinigten Staaten für die NATO und ihren Beitrag zur integrierten Abschreckung in Europa demonstrieren.“ (Übersetz.: B.T.)

Der Begriff ‘Multi-Domain Task Force’* wird verständlich, wenn wir zur Kenntnis nehmen, in welchem globalen Zusammenhang die Strategen ihn sehen:

„Den Angaben der U.S. Army nach wird sich die Multi-Domain Task Force Europe aus Kräften des elektronischen Kampfes, der Feldartillerie, der Flug- und Raketenabwehr sowie Spezialisten für Cyberwarfare und Aufklärung zusammensetzen.“

Es handelt sich um „Führungselemente der Multi-Domain Task Force Europe und Kräfte des so genannten Intelligence, Information, Cyber/Electronic Warfare & Space Bataillons (I2CEWS) … Diese agile Entwicklung wird nach Ansicht des Chefs des Stabes der U.S. Army im … Papier zur Army Multi-Domain Transformation ‘eine bessere, fähigere Truppe hervorbringen, die es den Truppenführern im Gefecht ermöglicht, effektiv zu bestehen und, wenn nötig, gegnerische A2/AD-Systeme zu durchdringen, um allen Land-, Luft- und Seestreitkräften Manövrierfreiheit zu ermöglichen.’ Die Army plant dazu den Aufbau von fünf MDTFs: zwei, die auf den Indopazifik ausgerichtet sind; eine, die auf Europa ausgerichtet ist; eine, die in der Arktis stationiert wird und auf multiple Bedrohungen ausgerichtet ist; und eine MDTF, die auf globale Interventionseinsätze ausgerichtet ist.“ 

Die nach der bi-lateralen Vereinbarung der beiden Regierungen vorgesehenen offensiven Präzisions-Marschflugkörper ‚Tomahawk‘ sind atomar bestückbar. Zitat aus dem Stern-Artikel dazu:

Die Tomahawk ist ein Marschflugkörper mit bis zu 2500 Kilometern Reichweite. In Deutschland stationiert, kann sie Ziele tief in Russland angreifen. Sie lässt sich auch atomar bewaffnen. … Die jüngste Entscheidung von NATO und USA geht einen Schritt weiter. In einer möglichen Konfrontation mit Russland wird es nicht ausreichen, russische Waffen abzufangen. Das Bündnis muss zudem bessere Fähigkeiten besitzen, militärische Ziele in Russland anzugreifen. Mit denen man zum Beispiel die Flughäfen attackieren kann, von denen russische Jets aufsteigen, die dann wiederum Gleitbomben und Marschflugkörper einsetzen.“ (11.07.2024)

Es geht zum einen alleine schon mit den Tomahawk-Marschflugkörpern um den Atomkrieg. Zum anderen geht es um den großen globalen Krieg: Die Strategie der ‘Multi-Domain Task Force’ ist explizit nicht auf Europa beschränkt, sondern – wie der Begriff ›globale Interventionseinsätze‹ deutlich macht – auf die gesamte Erde.

Das Konzept ist durch die Benutzung des Begriffs ›Intervention‹ nicht einmal mehr ein offizielles Verteidigungskonzept, sondern ein Konzept, das an die Clausewitz-Formulierung erinnert, der zufolge der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.

In einem Krieg des 21. Jahrhunderts gibt es kaum Möglichkeiten, zwischen Kombattanten und Zivilpersonen zu unterscheiden. Die komplexe Infrastruktur moderner Gesellschaften ist in hohem Maße verwundbar und entsprechend störanfällig. Der immer komplizierter vernetzte Alltag in den Bereichen der Produktion, Verteilung und des Privatlebens, im Gesundheits- und Kommunikationssystem, der Bildung und der Mobilität hängt davon ab, dass die Systeme garantiert ununterbrochen funktionieren.

Andernfalls wird die Verteilung lebenswichtiger Ressourcen unterbrochen, es kommt zu einer sprunghaften Entwicklung von Todeszahlen durch die Unterbrechung der Systeme, von denen das Leben abhängt, unvorhersehbare Entwicklungen führen zu weiteren Störungen und Unruhen – diese Prozesse durchdringen und verstärken sich gegenseitig. Cyber-Angriffe auf lebenswichtige Einrichtungen der Wasser-, Strom-, Energie-, Finanz- und Verteilungssysteme sind das eine. Die Unterbrechung der Kühlung von Nuklearanlagen, deren Sicherheit von einer garantiert ununterbrochen zuverlässigen Kühlung abhängt, kann bis zu einer Kernschmelze führen, die weite Regionen verstrahlt und unbewohnbar macht. Die Sicherheit vieler Bereiche des Lebens, in denen toxische Stoffe entstehen, verteilt werden und zur Anwendung kommen, lassen sich nur in Friedenszeiten kontrolliert handhaben.

Die friedensorientierte Antwort auf diese nicht zu rechtfertigenden Gefahren geht von Petitionen wie der gegen Hyperschallraketen in Deutschland bis hin zu Aktionen wie denen zur atomaren Abrüstung etwa im Zusammenhang mit dem Gedenken an Hiroshima und Nagasaki aus, dann anlässlich des Antikriegstages und der dann folgenden Herbstaktionen der Friedensbewegung, darunter die Friedensdemonstrationen wie die Demo in Berlin am 3. Oktober, sowie an Standorten der Vernichtungsmaschinerie, etwa am nuklearen US-Standort in Büchel, und an der NATO-Luftleitzentrale in Kalkar/Uedem, in Nörvenich, Ramstein, Wiesbaden, Stuttgart und überall dort, wo Militarismus Leben bedroht. Es gibt in diesem Jahrhundert für die Menschheit nur dann ein Überleben, wenn es ein friedliches wird, das jeder Gefahr weitsichtig mit Deeskalation, Diplomatie, ökologischer Verantwortung und Abrüstung entgegentritt.



 
 
 

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