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Es könnte nun zu einer ganz anderen als der Scholzschen militaristisch-imperialen Zeitenwende kommen: Russen&Ukrainer beenden ihren Krieg auf eigene Faust & stoppen gemeinsam die NATO-Osterweiterung

Autorenbild: Wolfgang LieberknechtWolfgang Lieberknecht

Der Westen und die USA würden dabei keine Rolle spielen. Die Nato-Erweiterung nach Osten würde gestoppt werden, und die Ukraine, Georgien und Moldau wie auch das Schwarze Meer würden zurück in die russische Einflusszone fallen. Der Rückzug der USA aus diesen Gebieten, wie auch aus vielen anderen Gebieten der Welt, würde unter dem Beifall des Globalen Südens beginnen und eine neue Zeit einläuten. Die Zeitenwende, die der Bundeskanzler beschworen hat, wird dann sehr anders aussehen, als er sich das vorgestellt hat.



Michael von der Schulenburg (BSW), in der Berliner Zeitung, Auszüge: Auch wenn an der Front noch geschossen wird, könnte mit den jetzt eingesetzten Entwicklungen der Krieg in der Ukraine auf eine im Westen völlig unerwartete Weise enden – und zwar mit einem ukrainisch-russischen Einverständnis ohne westliche Beteiligung. Wie es scheint, wird der Ukraine-Krieg nun in Kiew und nicht mehr an der Front entschieden. Dabei wird sich viel um die Person Selenskyj drehen, einst ein Held und heute eher eine tragische Figur, die riskiert, die nächsten Monate als Präsident nicht zu überleben.


Der Grund dafür ist, dass Selenskyj das wahnsinnig anmutende Ziel verfolgt, mit einer erneuten Großoffensive Russland in diesem Jahr doch noch zu besiegen. Dazu will er 500.000 Ukrainer zwangsrekrutieren. Aber eine solche Großoffensive müsste in drei bis vier Monaten beginnen. Er hätte also weder die Waffen noch die Soldaten noch die Zeit, diese Offensive auch nur annähernd erfolgversprechend vorzubereiten. Eine solche Offensive wäre ein kollektiver Selbstmord. Dagegen wird sich massiver Widerstand formieren. Nach Hunderttausenden gefallenen, verstümmelten und seelisch tief verletzten Menschen können wir davon ausgehen, dass heute in der Ukraine kaum noch jemand in diesem sinnlosen Krieg sterben will.

Nun hat Selenskyj auch noch seinen Oberkommandierenden, Saluschnyj, entlassen und damit eine Vertrauenskrise in der Armee ausgelöst – einer Armee, die bereits einen enormen Blutzoll in der letzten fehlgeschlagenen Großoffensive gezahlt und immer weniger Soldaten und Munition hat, um sich überhaupt zu verteidigen. Es ist daher auch nicht mehr undenkbar, dass es innerhalb der ukrainischen Armee zum Widerstand kommt und sich erste Zerfallserscheinungen zeigen – wenn es nicht schon längst begonnen hat. Das würde Selenskyjs politische Autorität weiter untergraben.


Die Ukrainer werden sich daher an die ukrainisch-russischen Friedensverhandlungen erinnern, als man sich nur einen Monat nach Beginn der Kriegshandlungen auf für die Ukraine äußerst günstige Friedensbedingungen geeinigt hatte. Es wäre daher naheliegend, dass eine Post-Selenskyj-Regierung versuchen könnte, wieder mit Russland zu verhandeln. Wenn das passiert, könnte alles sehr schnell gehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es Gespräche bereits im Geheimen gibt. Auch wenn der Westen nicht mit Putin reden will, so gibt es ja regelmäßige Kontakte zwischen den Militärs Russlands und der Ukraine – anders wären die vielen Gefangenenaustausche und die erstaunlich niedrige Zahl getöteter Zivilisten nicht denkbar.

Es ist zu erwarten, dass Putin auf eine ukrainische Gesprächsbereitschaft großmütig reagieren würde. Er wird die Ukraine nicht erniedrigen wollen und auch nicht verlangen, die Regierung auszutauschen (er hat ja nie eine Exilregierung aufbauen lassen). Er wird auch nicht in Kiew einmarschieren und schon gar nicht versuchen, die ganze Ukraine zu erobern. Seine vorrangigen Ziele werden sein: verhindern, dass die Ukraine einem westlichen Bündnis wie der Nato beitreten wird, dafür sorgen, dass Russlands Zugang zum Schwarzen Meer garantiert ist und dass der russische Einfluss in der Ukraine weiterhin stark bleibt. Dazu braucht er die Kooperation großer Teile der ukrainischen Bevölkerung. Das wird nicht mit Gewalt zu erreichen sein. Putin wird deshalb Konzessionen machen müssen. Welche das sein werden, wissen wir nicht.

Aber eine Sache ist bereits klar. Was dann auch passiert, der Westen und die USA würden dabei keine Rolle spielen. Die Nato-Erweiterung nach Osten würde gestoppt werden, und die Ukraine, Georgien und Moldau wie auch das Schwarze Meer würden zurück in die russische Einflusszone fallen. Der Rückzug der USA aus diesen Gebieten, wie auch aus vielen anderen Gebieten der Welt, würde unter dem Beifall des Globalen Südens beginnen und eine neue Zeit einläuten. Die Zeitenwende, die der Bundeskanzler beschworen hat, wird dann sehr anders aussehen, als er sich das vorgestellt hat.

All das wird noch keinen Frieden für Europa bringen. Der Kampf um eine dauerhafte Friedenslösung muss erst noch beginnen. Die EU-Staaten werden diesen Frieden mehr brauchen als Russland. Und doch gibt es bisher nicht den geringsten Ansatz für Überlegungen innerhalb der EU oder unter EU-Mitgliedstaaten, wie ein gesamteuropäischer Frieden aussehen sollte und wie er erreicht werden könnte. Solche Überlegungen müssen genau jetzt dringend auf den Weg gebracht werden – andernfalls könnte die EU daran zerbrechen.


Michael von der Schulenburg ist ehemaliger Assistant Secretary-General der Vereinten Nationen und hat in vielen Konfliktregionen der Erde gearbeitet, unter anderem bei Langzeitmissionen in Afghanistan, Haiti, Pakistan, Iran, Irak und Sierra Leone, aber auch in Syrien, Somalia, Zentralasien, auf dem Balkan und in der Sahel-Region. 2017 publizierte er das Buch „On Building Peace – Rescuing the Nation-State and Saving the United Nations“.


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