aus dem Interview in der Berliner Zeitung: Es kann auch sein, dass versehentlich eine russische Rakete in Polen landet. Oder das größte europäische Atomkraftwerk wird ernsthaft beschädigt. Die Gefahr ist riesengroß, dass das Ganze eskaliert. Und es gibt eine Verpflichtung und eine Verantwortung, alles zu tun, um einer Eskalation entgegenzuwirken. Genau dafür steht der Kanzler. Ich bin mir absolut sicher, dass er seine Verantwortung genau kennt.
Wir unterstützen die Ukraine politisch, ökonomisch und humanitär. Und wir unterstützen sie (die Ukraine) militärisch. Beim letzten Punkt gibt es allerdings viele, die sich schwertun, dazu gehöre ich auch.
Weniger halte ich von anderen Forderungen, die sich zudem immer weiter steigern: von Kampfpanzern über Kampfflugzeuge und jetzt bis zu Marschflugkörpern. Die Strategie dahinter ist, Putin militärisch an den Verhandlungstisch zu zwingen. Diese Rechnung geht meiner Meinung nach nicht auf. Auch wenn die Militärexperten immer wieder gesagt haben, das sei der Weg: Ich glaube, da haben sie sich getäuscht. Und da ist die SPD-Fraktion die einzige im Bundestag, die fordert, dass es jenseits der Militärlogik noch etwas anderes geben muss. Dass es diplomatischer Anstrengungen bedarf hinter verschlossenen Türen.
Was sich in jedem Fall verändert hat, ist die Tonlage. Das war ja wie ein Fieberwahn in den letzten Tagen, Vorschläge wie Trommelfeuer: Dieses und jenes Waffensystem muss unbedingt geliefert werden. Auf jede Frage heißt es: Wir brauchen Luftabwehr, wir brauchen Munition. Und dann solche Vorschläge wie die von Macron, Bodentruppen in die Ukraine entsenden und sei es nur als Gedankenspiel. Dazu die Debatte um Atomrüstung in Europa und die europäische Atombombe.
Wenn dann noch Roderich Kiesewetter von der Union sagt, man müsse den Krieg nach Russland in die Ministerien hineintragen … also nach Moskau. Das war eine eskalierende Debatte. Der Bundeskanzler hat dann gesagt: Ja, wir bleiben dabei, wir helfen der Ukraine bei der Verteidigung, so gut wir können. Und wir unterstützen sie mit am stärksten – an zweiter Stelle nach den USA. Aber es gilt eben auch: Wir müssen dafür sorgen, dass der Krieg sich nicht ausweitet. Deutschland und die Nato-Staaten dürfen nicht Kriegsteilnehmer werden.
Gleichzeitig hat der Druck zugenommen. Manche reden ja so, als seien wir kurz davor, Kriegspartei zu werden. Deswegen hat er sich sowohl zu Taurus geäußert als auch dazu, dass keine deutschen oder Nato-Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden.
Die Großeltern erinnern sich noch an die Kubakrise. So knapp am Weltkrieg waren wir nie mehr dran. Kennedy hatte übrigens das Buch von Barbara Tuchmann gelesen, „August 1914“. Darin hat sie sinngemäß geschrieben, in internationalen Konflikten müsse man bereit sein, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen – gerade wenn man sie nicht teilt. Das ist die richtige Logik, nicht die der militärischen Eskalation. Wenn der Kanzler sich vertut in seiner Einschätzung, kann das dramatische Folgen haben. So muss man es verstehen, wenn er sagt: Ich gehe da keine Risiken an, ihr könnt euch darauf verlassen. Es gibt in diesem Krieg keine deutschen Soldaten und wir beteiligen uns nicht daran.
Sie glauben nicht, wie viele Menschen einen ansprechen auf der Straße. Im Bus, im Taxi, wo immer man ist. Die drücken einem die Hand und sagen: Sagen Sie bitte dem Kanzler, dass er weiter so besonnen bleiben möge. Das ist etwas Besonderes. Ich mache über 30 Jahre Politik, und in der Regel melden sich Menschen, die etwas zu kritisieren haben. Fanpost kriegen sie als Politiker normalerweise nicht.
Egon Bahr hat gesagt, wenn wir nur mit denen reden, die unsere Werte teilen, sind wir mit Norwegen und Island allein. Man muss in der realen Welt mit den Mächten und ihren Führungen auch dann reden, wenn sie einem überhaupt nicht gefallen. Das gilt nicht nur für Putin, das gilt für viele andere. Trotzdem kann man vielleicht kleine Fortschritte erzielen. Ein Waffenstillstand, ein Gefangenenaustausch … vertrauensbildende Maßnahmen.
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