Berliner Zeitung: Die New York Times erinnert in einer Analyse von Sonntagmorgen, dass es Jahre dauern würde, eine autonome EU ohne militärische Hilfe der USA aufzubauen. All dies soll Thema bei den nächsten EU-Treffen sein. Die New York Times fasst zusammen, dass die meisten europäischen Staaten politischen Willen zeigen, mehr Geld in Rüstung und Sicherheit zu investieren. Zugleich schreibt das Blatt, dass die reelle Umsetzung in der Praxis ein Problem sein dürfte. „Zunächst einmal dürfte es teuer werden, einen größeren Teil der finanziellen Last für die Hilfe an die Ukraine zu tragen. Allein die Vereinigten Staaten haben in den letzten drei Jahren etwa 114 Milliarden US Dollar für militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe für die Ukraine ausgegeben, wie ein häufig genutzter Tracker zeigt, verglichen mit 132 Milliarden US Dollar an europäischen Hilfen.“ Dann heißt es weiter: „Und was die europäische Verteidigung im Allgemeinen betrifft, so stellt Amerika wichtige Waffensysteme und andere militärische Ausrüstung zur Verfügung, die nicht so schnell ersetzt werden können.“
„Ein Teil des Problems besteht darin, dass mehr Ausgaben für die Verteidigung in der Regel weniger Ausgaben für andere Prioritäten wie Gesundheitsversorgung und soziale Dienste bedeuten. Und angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen und Haushaltsbeschränkungen in Deutschland, Frankreich und kleineren Volkswirtschaften wie Belgien war es eine Herausforderung, den politischen Willen zur Erhöhung der Ausgaben zu finden.“
Eine weitere Herausforderung sei es, dass die EU mit Blick auf die Ukraine nicht mit einer Stimme spricht, so die New York Times.
„Europäische Beamte hatten bereits ein künftiges Hilfspaket für die Ukraine erörtert, das sich auf mehrere zehn Milliarden Euro belaufen könnte. Am Freitagabend hofften die EU-Länder, die auf ehrgeizigere Summen gedrängt hatten, dass Trumps Tonfall während des Selenskyj-Treffens dazu beitragen würde, die europäischen Zauderer dazu zu bewegen, ihre Geldbeutel zu öffnen, so ein mit den Gesprächen vertrauter Diplomat.“ Länder wie Ungarn, die sich mit Trumps USA lose koordinieren, könnten jetzt ihre Blockade-Haltung weiter verstärken. Wenn es auf EU-Ebene zu keiner Einigung kommt, müssten europäische Staaten in einem langwierigen Verfahren eine Koalition von Zahlungswilligen beschließen. Auch werde die Diskussion schwierig verlaufen, welche Sicherheitsgarantien die EU der Ukraine versprechen könnte und welche europäischen Nationen bereit wären, Truppen für eine Friedensmission zu schicken. Es gäbe überhaupt keine Zeit für lange Verhandlungen, schreibt die New York Times.
Deutschland und die EU stehen vor einem Epochenwandel und vor großen Herausforderungen. Einerseits muss diskutiert werden, wie sich die EU und auch Deutschland sicherheitspolitisch neu aufstellen. Andererseits finden in Europa regelmäßig Wahlen statt, in denen die rechtsnationalen Kräfte immer größere Wirkung entfalten, auch wegen der steigenden Inflation. Falls es den europäischen Staaten nicht gelingen sollte, ihre Bevölkerung von militärischen Mehrausgaben und einer neuen Schuldenaufnahme zu überzeugen, droht eine Spirale wie in den USA. Ein nächster Test werden die Präsidentschaftswahlen in Polen sein. Dort tritt ein pro-ukrainischer Präsidentschaftskandidat an, Rafal Trzaskowski von Tusks Bürgerplattform, der von einem Pro-Trump-Kandidaten, Karol Nawrocki von Kaczynskis PiS-Partei, herausgefordert wird. Die Entscheidung der Wahl wird eine große Strahlkraft auf Europa haben.
Comments