top of page

Kriegsmüde: Dnipro, viertgrößte Stadt der Ukraine, ist ein Dreh- und Angelpunkt für die ukrainische Armee. Soldaten prägen sie. Viele von ihnen sind verwundet, alle vom Krieg gezeichnet.

Ukrainische Soldaten werden bereits nach fünfwöchiger Ausbildung an die Front geschickt werden. „Diese Soldaten haben kaum Überlebenschancen“. „Das ist vergleichbar mit den deutschen Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.“


Berliner Zeitung: Dramatische Kriegsmüdigkeit in Dnipro: „Werde ich einberufen, flüchte ich sofort ins Ausland“

In Dnipro prägen Soldaten das Stadtbild, doch kämpfen wollen viele nicht mehr. Besonders junge Ukrainer lassen sich nicht für den Fronteinsatz motivieren. Eine Reportage.

Extreme Kriegsmüdigkeit in Dnipro

Kaum woanders in der Ukraine erlebt man die Kriegsmüdigkeit so stark wie hier in Dnipro. Viele Ukrainer sind das Kämpfen leid und empfinden eine sich steigernde Ausweglosigkeit der Gefechte. Einer von ihnen ist Vlad, der gerade mit einem Freund am Ufer des Dnepr steht und die Angelrute – wie viele Dutzend andere Männer – ins Wasser hält. „Ich werde auf keinen Fall kämpfen und ich kenne niemanden in meinem Alter, der noch kämpfen will“, erklärt der 19-Jährige ganz offen. „Wir bleiben optimistisch, aber wir alle wissen, wie schnell es nun gehen kann. Auch wir hören die Meinungen der Experten und die Geschichten, die uns die Soldaten hier erzählen.“

Es ist offensichtlich: In kaum einer anderen ukrainischen Großstadt werden Horrorgeschichten von der Front so offen und häufig erörtert wie hier in Dnipro. „Die Geschichten haben dort logischerweise besonders kurze Wege“, erklärt Oberst Markus Reisner, einer der gefragtesten Militärexperten für den Ukraine-Krieg, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Die Menschen in der Ukraine, die Soldaten wie die Zivilisten, reden miteinander und wissen natürlich, wie sich die Lage an der Front präsentiert.“ Auch Reisner hört dramatische Berichte von dort: „Ein Kamerad vor Ort berichtete mir, dass die Russen wie Geister sind: Ausgedünnte ukrainische Stellungen werden von russischen Soldaten infiltriert – und plötzlich stehen die Russen hinter ihnen.“

„Beim ersten Artilleriefeuer sind die Soldaten weggelaufen“

Laut Reisner gebe es mittlerweile Soldaten, die bereits nach fünfwöchiger Ausbildung an die Front geschickt werden. „Diese Soldaten haben kaum Überlebenschancen“, sagt er. „Das ist vergleichbar mit den deutschen Soldaten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Der Militärexperte erhielt etwa Informationen von einem Kameraden aus Wuhledar in der Oblast Donezk: „Sie haben dort Nachschub an Soldaten bekommen, sie waren alle über 50 Jahre alt und kaum ausgebildet. Beim ersten Artilleriefeuer waren sie alle weg, weil sie vor Angst zurückgerannt sind.“ Nach ihnen wurde anschließend gesucht; wenig später waren sie zurück in den Front-Unterständen der ukrainischen Armee: „Sie hatten logischerweise Todesangst“, sagt Reisner.

Nun, da das alles nicht mehr fruchtet, wird von regelrechten „Jagden“ auf jene Ukrainer berichtet, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollen. Immer wieder hört man auch hier in Dnipro, dass Rekrutierer auf der Suche nach neuen Soldaten jungen Männern mitten auf der Straße, im Einkaufszentrum und vor Kinos auflauern. Man hört von Festnahmen und einer Musterung schon am darauffolgenden Tag.



 
 
 

Comments


bottom of page