FAZ: Zweieinhalb Jahre nach dem Angriff auf die Ukraine befindet sich Russlands Wirtschaft ungebrochen im Konjunkturhoch. Russland gehört zu den Ländern mit dem stärksten Wirtschaftswachstum in Zentral- und Osteuropa. Das auf die Region spezialisierte Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) hat am Donnerstag seine Konjunkturprognose für das mit westlichen Sanktionen belegte und von der Fläche her weltgrößte Land abermals nach oben korrigiert.
Demnach wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des wegen seiner Invasion sanktionierten Landes in diesem Jahr mit fast vier Prozent mehr als viermal so schnell wachsen im Vergleich zum Durchschnitt der Europäischen Union. Im kommenden Jahr dürfte sich das Wachstum auf zweieinhalb Prozent abschwächen. Die Kriegskosten spürt Russland kaum: Das Budgetdefizit wird nach Einschätzung des WIIW in diesem Jahr voraussichtlich eineinhalb Prozent des BIP betragen und 2025 auf ein Prozent sinken.
Hingegen kommt die Wirtschaft der Ukraine, die im ersten Kriegsjahr 2022 um fast ein Drittel geschrumpft ist, kaum vom Fleck. Deren Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 2,7 Prozent zulegen und um 3,3 Prozent im kommenden Jahr. Zu schaffen machen dem Land wegen der Mobilisierung zusätzlicher Soldaten zunehmend ein Fachkräftemangel sowie die systematische Zerstörung ihrer Energieinfrastruktur. „Im Winter könnte der Ukraine rund ein Drittel des benötigten Stroms fehlen“, sagte Olga Pindyuk, Ökonomin im WIIW, anlässlich der Vorstellung der Herbstprognose.
Obwohl einige Länder Zentral- und Osteuropas erheblich unter der Rezession in Deutschland leiden, wachsen ihre Volkswirtschaften deutlich kräftiger als der Euroraum, und die postkommunistische Region holt ökonomisch weiter auf. Neben der Tschechischen Republik sind die Slowakei und Ungarn, aber auch Rumänien mit der lahmenden deutschen Industrie eng verflochten. „Die Krise in Deutschland lastet wie ein Mühlstein auf vielen Volkswirtschaften der Region und begrenzt ihre Wachstumsaussichten“, sagt Richard Grieveson. Das manifestiere sich auch in der sinkenden Produktion in der für die Länder wichtigen Automobilindustrie. Deren Ausfuhr entspricht etwa in der Slowakei rund einem Drittel der Wirtschaftsleistung, und auch in der Tschechischen Republik, Slowenien und Ungarn macht ihr Anteil etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Allerdings vollziehe sich dieser Produktionsknick zeitverzögert. Daher sei hier weiteres Ungemach zu erwarten, meinen die Ökonomen.
Damit dürften diese Länder in beiden Jahren den Euroraum wieder bei Weitem übertreffen und ihren ökonomischen Aufholprozess fortsetzen. Spitzenreiter beim Wachstum unter den östlichen EU-Mitgliedern ist Polen.
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