Die Nachricht blieb nahezu unbeachtet, dabei hat sie das Zeug, die Kräfteverhältnisse in Südamerika weiter zu verschieben. Pünktlich zum 75. Geburtstag der Volksrepublik China am 1. Oktober, verkündete Kolumbiens Vizeaußenminister Jorge Rojas, seine Regierung strebe eine rasche Aufnahme zur Neuen Seidenstraße an. Die One Belt, One Road Initiative, so der offizielle Name, ist ein Megainfrastrukturprojekt, mit dem China versucht, den Handel mit Ländern auf der ganzen Welt anzukurbeln.
China ist zweitgrößter Handelspartner von Kolumbien
Die Ankündigung kam durchaus überraschend. Kolumbien ist historisch einer der engsten Verbündeten der USA in der Region. Das schlägt sich sowohl in militärischer Kooperation – die US-Streitkräfte unterhalten allein neun Militärstützpunkte in dem südamerikanischen Land – als auch in Wirtschaftsbeziehungen nieder. Auch wenn das Land seit etwas mehr als zwei Jahren zum ersten Mal in seiner Geschichte mit Gustavo Petro von einem Linken regiert wird: Grundsätzlich hat sich an den guten Beziehungen zu Washington nichts geändert.
Umso bedeutender ist die Ankündigung Bogotás, nun Teil der Neuen Seidenstraße werden zu wollen. Sie steht vor allem für den Versuch, mehr strategische Partnerschaften einzugehen – getreu der von Präsident Petro regelmäßig wiederholten Ansicht, eine multipolare Weltordnung bringe viele Vorteile für Länder wie Kolumbien mit sich. Auch neue ausländische Investitionen sollen so ins Land geholt werden. Bereits im vergangenen Jahr hatte Petro bei einem Besuch in Peking zusammen mit seinem Amtskollegen Xi Jinping eine „strategische Partnerschaft“ zwischen beiden Ländern vereinbart.
In den letzten Jahrzehnten hat China, wie in der gesamten Region, auch in Kolumbien aufgeholt. Heute ist die Volksrepublik nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner des Landes. Laut der Steuer und Zollbehörde des Landes (DIAN) stiegen die kolumbianischen Exporte in die Volksrepublik allein im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23 Prozent an. In nackten Zahlen bedeutet das einen Sprung von 1,3 Milliarden auf 1,58 Milliarden US-Dollar. Es sind vor allem Rohstoffe, die über den Pazifik verschifft werden, darunter Steinkohle, Erdöl oder andere Mineralien. Importiert wurden aus China im ersten Halbjahr 2024 Waren im Wert von rund 8,5 Millionen Dollar, was eine Steigerung von fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.
Westliche Regierungen und Interessenvertretungen warnen indes vor dem wachsenden Einfluss Chinas, auch durch Projekte, die Teil der Neuen Seidenstraße sind. So heißt es beispielsweise in einem Papier der bundeseigenen German Trade & Invest, beim Engagement der Volksrepublik in Lateinamerika gehe es „nicht nur um Handel und Investitionen, sondern zunehmend um geostrategische Interessen“.
Doch angesichts der sich verändernden Weltlage und des Aufstiegs China verpuffen derlei „Warnungen“ heute immer öfter. Deutschland und andere Länder der Europäischen Union spielen schon lange nicht mehr die zentrale Rolle, die ihnen vorschwebt. Ein Beispiel dafür sind die seit Jahren stockenden Verhandlungen um das Freihandelsabkommen zwischen EU und südamerikanischem Wirtschaftsraum Mercosur, die jetzt erneut endgültig zu scheitern drohen. Und auch die USA gerät in der Region immer mehr ins Hintertreffen.
Kolumbiens Entscheidung, nun Teil der Neuen Seidenstraße zu werden, steht symptomatisch für den Versuch vieler Staaten Lateinamerikas, die außen- und wirtschaftspolitischen Beziehungen zu diversifizieren. Das zeigt auch die zunehmende Attraktivität der sogenannten Brics-Gruppe, deren nächster Gipfel zwischen dem 22. und 24. Oktober im russischen Kasan stattfinden wird. Der Gruppe gehörten ab 2009 zunächst Brasilien, Russland, Indien und China sowie ab 2010 auch Südafrika an. Anfang des Jahres traten weitere Länder bei.
Das könnte sich beim jetzt anstehenden Gipfel in Kasan ändern. Neben einer langen Reihe von Staaten aus anderen Weltregionen, die ihr Interesse an einer Brics-Mitgliedschaft angemeldet haben, gibt es auch mehrere lateinamerikanische Kandidaten. Besonders gute Aussichten auf Aufnahme werden Ländern zugerechnet, die über wichtige Rohstoff-Vorkommen verfügen. So steht Bolivien bereit, das riesige Lithiumvorkommen hat – ein Rohstoff, der besonders für die Energiewende zentral ist. Auch Venezuela hofft auf Aufnahme. Das Land, das sich immer weiter vom Westen abnabelt, besitzt die größten Ölvorkommen der Welt und liegt strategisch günstig an der Karibik.
Dazu kommt nun auch noch Kolumbien. Im April äußerte Präsident Petro das Interesse seiner Regierung, in den Staatenbund aufgenommen zu werden.
In seiner jetzigen Form vertritt der Brics-Staatenbund rund 45 Prozent der Weltbevölkerung, darunter aufstrebende Entwicklungsländer. Auf seine Mitglieder entfallen 37,6 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und 70 Prozent der Ölproduktion
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