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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

In Worten unterstützt der Westen die 1948 beschlossene Zwei-Staaten-Lösung. In Taten unterstützt er die Ein-Staaten-Lösung: Ausdehnung Israels "vom Fluss bis zum Meer", Besetzung ganz Palästinas

Mit dieser Doppelstrategie hält er den Widerstand gegen den permanenten Völkerrechtsbruch Israels klein und verschafft ihm die Zeit, langsam die Palästinenser aus der ganzen früheren britischen Kolonie Palästina zu vertreiben. Das könnte jetzt - unter Wahnsinnsopfern - aber scheitern. Wenn die EU es wirklich ernst meinen würde, hätte sie viele Hebel, um die Errichtung des palästinensischen Staates gegen den Widerstand Israels durchzusetzen. Tatsächlich werden konkrete Forderungen nach Sanktionen, um die immer weitere Ausdehnung Israels in den besetzten Gebieten häufig als antisemitisch diffamiert und Israel trotzdem immer weiter mit Waffen versogt.


| 17. April 2024

IMAGO / ZUMA Wire

Auszüge aus Makroskob: Seit langem fordern die westlichen Länder einen eigenständigen palästinensischen Staat. Das scheiterte bisher an der Blockade Israels. Mit dem blutigen Konflikt in Gaza besteht eine neue Dringlichkeit. Für eine Erfolgschance müsste die EU ihre wirtschaftliche Stärke einsetzen.





Selten war bei einem Großthema der internationalen Politik mehr Heuchelei. Als Forderung wird die Zwei-Staaten-Lösung für den Israel-Palästina-Konflikt von westlichen Regierungen seit gefühlten Ewigkeiten vorgetragen. Aber wenn Israel einfach nicht mitspielte, gab es als Reaktion darauf nicht mehr als freundliches Achselzucken. Denn die fast bedingungslose Unterstützung des Landes gilt in Deutschland als feierlich vorgetragene ‚Staatsräson‘ – ein eigentlich historisch vor-demokratischer, nicht-justiziabler und deshalb in den Folgen völlig unbestimmter Begriff. Ähnliches lässt sich bei der Weltmacht USA beobachten, die das Land als ihren unter allen Bedingungen zu sichernden Vorposten in Nahost verstehen.

Die darin liegende Schizophrenie verdeutlicht nichts besser als das Geschehen im Frühjahr 2024. Unten schießt Israels Armee mit amerikanischer Ausrüstung auf die Bevölkerung im Gaza, oben werfen US-Flugzeuge per Fallschirm ein paar Lebensmittel für diese ab. Denn die Regierung Biden sieht sich über Monate hinweg politisch nicht in der Lage, die militärisch wie finanziell völlig von ihr abhängige Regierung Israels zu einem Mindestmaß an Menschlichkeit trotz klarer völkerrechtlicher Verpflichtung zu bewegen, also ausreichend Wasser, Nahrung, Medikamente für die Zivilbevölkerung bereitzustellen. Das wird auch in der amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend als verstörend empfunden.

Die deutsche Bundesregierung nutzt ihre Eingriffsmöglichkeiten ebenfalls nicht. Schon im November 2023 hieß es, man habe seine Rüstungsexporte dorthin gut verzehnfacht. Von etwaigen Bedingungen dafür oder bei folgenden Lieferungen wird nicht berichtet. Obwohl Deutschland hinter den USA Israels zweitwichtigster Waffenlieferant ist. Dafür beteiligt sich Deutschland jetzt an Luft- und Seebrücken, während Israels Regierung den viel besser geeigneten Landweg zur Versorgung des Gaza-Streifens größtenteils blockiert. Wie will man eine zukünftige Zwei-Staaten-Lösung befördern, wenn man nicht einmal die jetzigen Völkerrechtsverletzungen Israels verhindern kann oder will?

Auf Einsicht dort zu hoffen, ist wenig erfolgversprechend. Das liegt nicht nur an der sehr rechten Regierung Netanjahu, wie gerne zur eigenen Beruhigung unterstellt wird: immerhin 68 Prozent aller jüdischen Israelis finden es laut einer Umfrage richtig, der Zivilbevölkerung in Gaza jegliche humanitäre Hilfe zu verweigern.

Anderswo in Nordamerika und Europa ist man mit seinen allgemeinen Prinzipien in größerer Übereinstimmung als hierzulande. Das kanadische Parlament hat mit überwältigender Mehrheit für einen Stopp der Waffenexporte gestimmt und die dafür zuständige Regierung zugesagt, das auch umzusetzen. Auf Antrag von renommierten NGOs wie Oxfam entschied ein niederländisches Berufungsgericht, dass Ersatzteile für Kampfflugzeuge nicht mehr an Israel geliefert werden dürfen, wegen der hohen Wahrscheinlichkeit, dass damit Verstöße gegen das humanitäre Kriegsrecht unterstützt werden würden. Irland ist dem von Südafrika initiierten Verfahren vor dem ICJ zur Feststellung und Unterbindung israelischer Völkerrechtsverletzungen beigetreten.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel erklärt mit Verbitterung, dass vor dem Krieg Gaza das größte Freiluftgefängnis gewesen sein, nun aber der größte Freiluftfriedhof. Borrel hält Israel auch in der Zukunft für innenpolitisch unfähig, eine Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen. Er will deshalb diese notfalls gegen dessen Willen „von außen aufzuzwingen“. Und die Premierminister von Irland und Spanien haben dazu auch eine Umsetzungsidee. Sie verlangen von der EU eine Überprüfung der Handelsbeziehungen. Damit wird ein interessanter Hebel angesprochen, der hier im Folgenden diskutiert und wo auch eine mögliche Ausgestaltung vorgestellt werden soll.


Die wirtschaftlichen EU-Israel-Beziehungen

Die erste dabei zu stellende Frage ist, ob der Handel zwischen der EU und Israel ausreichend groß genug wäre, um über veränderte Bedingungen einen Einfluss ausüben zu können. Das ist zu bejahen. Aktuell hat die EU einen Anteil an den israelischen Ausfuhren von 24,8 Prozent. Sie ist damit Handelspartner Nummer eins, knapp vor den USA mit 24,6 Prozent. Würde die Europäische Union mit diesem Hebel tätig werden, wäre weiter zu erwarten, dass viele andere Länder – wenn auch vermutlich nicht die USA, zumindest nicht zunächst – nachziehen würden. Der Anteil von China ist zum Beispiel 6,1 Prozent, von Indien 4,4 Prozent, des Vereinigten Königreichs 4,1 Prozent, der Türkei 3,1 Prozent, von Brasilien 2,6 Prozent etc. Und das Level an Exporten aufrechtzuhalten, ist für Israel von hoher wirtschaftlicher Bedeutung, hat es doch heute schon ein erhebliches Außenhandelsdefizit aufzuweisen.

Die zweite Frage ist, auf welcher Basis finden die Handelsbeziehungen zwischen Israel und der EU heute statt? Rechtliche Grundlage ist das Assoziationsabkommen von 2000. Es sieht den Wegfall aller Zölle und Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung vor, mit den üblichen Sonderregelungen, wenn Teile oder Vorprodukte aus Drittländern darin mitenthalten sind. Eigenartigerweise findet sich in dem gesamten Dokument keine Erwähnung der besetzen Gebiete oder der Rechte der Palästinenser oder der Zwei-Staaten-Lösung. Erst langsam hat die EU wenigstens eine Position entwickelt, dass Produkte von Siedlern aus den besetzten Gebieten besonders gekennzeichnet werden müssen. Die Legitimität dieses Vorgehens wurde vom EuGh abschließend bestätigt.

Drittens wird in dem Abkommen neben den ökonomischen Regelungen auch der ‚politische Dialog‘ festgeschrieben. Deshalb findet sich darin dieser Artikel 2:

„Die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien ebenso wie alle Bestimmungen des Abkommens beruhen auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie, von denen die Vertragsparteien sich bei ihrer Innen- und Außenpolitik leiten lassen und die ein wesentliches Element dieses Abkommens sind.“  

Mit Bezugnahme darauf könnte das Assoziationsabkommen von Seiten der EU also problemlos ausgesetzt werden. Die Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten und ihr Recht auf politische Mitwirkung werden eklatant verletzt, bisher ohne Konsequenzen für den Verursacher.

Einer eventuellen Klage Israels vor dem Europäischen Gerichtshof gegen eine Aussetzung des Abkommens kann man dabei sehr gefasst entgegensehen. Denn es gibt bereits einen interessanten Präzedenzfall. Die Europäische Union wollte mit Marokko Verträge schließen, die die von dort gegen internationales Recht besetzte Westsahara miteinschließen sollte. Die Befreiungsbewegung Frente Polisario klagte dagegen und wurde vom EuGH mit der Begründung bestätigt: ‚Die Zustimmung der Bewohner der Westsahara sei zu Unrecht nicht eingeholt worden‘.



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