Harald Kujat über die amerikanisch-russische Annäherung, die Konzeptionslosigkeit der Europäer angesichts einer grundlegenden Lageänderung und den Ruf nach deutschen Atomwaffen
- Wolfgang Lieberknecht
- 20. März
- 5 Min. Lesezeit
Preußische Allgemeine Zeitung Interview
„Trump hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeleitet“
Über die amerikanisch-russische Annäherung im Ukrainekrieg, die Konzeptionslosigkeit der Europäer angesichts einer grundlegenden Lageänderung und den Ruf nach deutschen Atomwaffen
Im Gespräch mit Harald Kujat
20.03.2025
Nachdem seit Ausbruch des Ukrainekriegs naturgemäß militärische Aspekte im Vordergrund standen, bestimmen derzeit vor allem Ereignisse auf dem diplomatischen Parkett das Geschehen. Zeit für eine vertiefte Einordnung der aktuellen Nachrichten.
Herr Kujat, welche Entwicklungen sind derzeit rund um den Ukrainekrieg zu beobachten?Die militärische Lage ist im Augenblick durch die Rückeroberung der russischen Region Kursk gekennzeichnet. Die ukrainische Führung glaubte, dieses Gebiet gegen russische Eroberungen ukrainischen Territoriums eintauschen zu können. Eine Entscheidung mit gravierenden strategischen Konsequenzen. Denn durch den Abzug kampfstarker Verbände wurden die ukrainischen Streitkräfte an der eigentlichen Verteidigungsfront so stark geschwächt, dass sie dort nur noch in der Lage sind, den russischen Vormarsch zu verzögern.
Sie und ich haben seit Beginn des Ukrainekriegs stets dafür plädiert, jedoch nicht nur auf die militärischen Aspekte zu schauen, sondern vor allem auch die politische Entwicklung zu bedenken. Nach drei Jahren Krieg hat die neue US-amerikanische Regierung erste Schritte zur Realisierung eines Friedensplans unternommen. Mit beiden Kriegsparteien wurden exploratorische Gespräche geführt, um deren Positionen besser zu verstehen und mögliche Kompromisse auszuloten. Ich halte es jedoch für einen Fehler, den ukrainisch-amerikanischen Vorschlag für einen dreißigtägigen Waffenstillstand öffentlich gemacht zu haben, ohne ihn zuvor diskret mit Russland abzustimmen. Die Russen haben deshalb einem Waffenstillstand unter der Bedingung zugestimmt, dass zuvor noch Fragen zur Durchführung geklärt werden. Man kann davon ausgehen, dass in dem für diese Woche angekündigten Gespräch zwischen den Präsidenten Trump und Putin Klarheit geschaffen wird.
Denn ein Waffenstillstand macht eigentlich erst Sinn, wenn Friedensverhandlungen einen positiven Verlauf nehmen und sich beide Seiten auf Rahmenbedingungen einigen, die eine sichere Durchführung garantieren. Es zeigt sich, wie schwierig es ist, Verhandlungen überhaupt zu beginnen. Zumal von den europäischen Verbündeten keine Unterstützung, sondern Störfeuer kommt.
Die Verantwortlichen des Westens haben in den vergangenen drei Jahren die Politik praktisch suspendiert. Selbst nur daran zu erinnern, dass man für einen Frieden mit der anderen Seite sprechen muss, war verpönt. Ich möchte nur an die Istanbul-Verhandlungen des Frühjahrs 2022 erinnern. Wäre es damals zu einem Friedensschluss gekommen, hätte die Ukraine heute noch einiges mehr von ihrem einstigen Territorium unter Kon-trolle und müsste weit weniger Tote und Schwerverletzte beklagen.
Damals hieß es unter anderem, mit dem russischen Präsidenten Putin könne man nicht sprechen, da dieser ein Kriegsverbrecher sei.Nun wird behauptet, Russland müsse an den Verhandlungstisch gezwungen werden, obwohl Russland nicht nur die Istanbul-Verhandlungen vorgeschlagen, sondern immer wieder Verhandlungen gefordert hat. Ich erinnere daran, dass Henry Kissinger 2014 angesichts der russischen Annexion der Krim darauf hingewiesen hat, dass die Dämonisierung Putins keine Politik, sondern ein Alibi für das Fehlen von Politik ist. Trump sucht dagegen das Gespräch mit Russland und verhilft der Politik somit wieder zu ihrem Recht. Das ist ein Gewinn für uns alle und umso wichtiger, da es die Möglichkeit eröffnet, eine militärische Niederlage der Ukraine zu verhindern.
Aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Trump hat mit seinem Telefonat mit Putin vom 12. Februar im Grunde eine neue Phase der Weltpolitik eingeleitet. Nach den bekanntgewordenen Inhalten befinden sich die beiden nuklearen Supermächte USA und Russland auf einem Weg der Kooperation, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Während wir in den vergangenen Jahren beobachten konnten, wie eine Weltordnung der rivalisierenden Mächte und der antagonistischen Blöcke entstand – China und Russland auf der einen Seite, die Vereinigten Staaten und Europa über die NATO auf der anderen Seite –, sehen wir jetzt, dass Trump das Verhältnis zu Russland wieder normalisiert und offenbar bereit ist, mit China – unabhängig von den wirtschaftlichen Problemen – eine politische Entspannung zu suchen.
Deshalb deute ich Trumps Ukraine-Politik als Bestreben, die Voraussetzungen für diese neue Phase der Weltpolitik zu schaffen. Und für Europa entsteht durch die Lösung des Ukrainekriegs die Möglichkeit, eine neue Sicherheits- und Friedensordnung auf unserem Kontinent aufzubauen.
Die Europäer vermitteln jedoch eher nicht den Eindruck, als ob sie in den jüngsten Entwicklungen große Chancen sehen. Vielmehr interpretieren sie neben Russlands Agieren nun auch das Handeln der Trump-Regierung als Bedrohung. Die neue schwarz-rote Koalition begründet damit sogar ihre Pläne für eine umstrittene Staatsverschuldung zur Ertüchtigung unserer Streitkräfte.Trump hat im Wahlkampf regelmäßig erklärt, dass er den Krieg und das Töten beenden will. Die Europäer müssen nun feststellen, dass sie im Hinblick auf eine Beendigung des Krieges mit leeren Händen dastehen, während Trump bereits einen fertigen Plan hat.
Der Grund dafür ist, dass sie weder den Willen noch die Kraft für eine Friedenspolitik zur Beendigung des Ukrainekrieges aufgebracht, sondern den Krieg durch finanzielle und materielle Unterstützung genährt haben. Die Europäer haben sich durch die Friedensinitiative Trumps überrumpeln lassen und sind nun unfähig, ihren Kurs zu ändern, Trump zu unterstützen und auf diese Weise einen großen europäischen Krieg zu verhindern. So konnte es auch geschehen, dass wir uns aus moralischer tagespolitischer Erregung nach einem öffentlichen Streit zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj reflexhaft auf die Seite der Ukrainer gestellt und dafür sogar eine Verschlechterung unseres Verhältnisses zu den USA in Kauf genommen haben.
Ein großes Problem der deutschen wie der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ist auch die Vermischung transatlantischer, europäischer und ukrainischer Belange. Das sehen Sie an den Entschlüssen, die jetzt in Deutschland im Rahmen der Regierungsbildung gefasst werden. Da wird nicht differenziert zwischen dem, was wir für unsere eigene Sicherheit – etwa für die Bundeswehr und die Erfüllung der Bündnisverpflichtungen – brauchen, und dem, was für die Ukraine aufgewendet werden soll.
Was treibt die Europäer an? Den verantwortlichen Akteuren muss doch klar sein, dass wir uns neben der bestehenden Zerstörung des Verhältnisses zu Russland nicht auch noch eine Beschädigung der Beziehungen zu den USA leisten können. Immerhin würden wir damit riskieren, als mehr oder weniger unbewaffnete Nationen allein zwischen zwei atomaren Supermächten zu stehen.Fakt ist, dass wir derzeit in beide Richtungen konfliktorientiert argumentieren. Russland werden Absichten auf einen Angriff gegen die NATO unterstellt, weshalb wir uns dringend auf einen Krieg vorbereiten müssten. Den Amerikanern unterstellen wir, dass sie nicht mehr zu ihrem Beistandsversprechen stehen würden und somit Europa und Amerika sicherheitspolitisch auseinanderdriften.
Worüber wir jedoch nicht reden, ist, warum das Verhältnis zu Amerika gestört ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Trump unser Feindbild „Russland und Putin“ nicht teilt. Und da der US-Präsident auch mit seinem innenpolitischen Kurs vielen europäischen Eliten ein Dorn im Auge ist, entwickeln die Europäer gerade das gemeinsame Feindbild „Putin und Trump“. Doch die verantwortlichen Politiker scheinen nicht zu bedenken, was es für Europa bedeutet, allein zwischen den beiden nuklearen Supermächten in diesem Spannungsfeld bestehen zu müssen.
Und so stehen wir heute – auch wenn ich nicht zu negativ klingen will – de facto vor einem Scherbenhaufen der europäischen Politik. Es gibt keinen konstruktiven Vorschlag, wie wir wieder eine stabile Friedens- und Sicherheitsordnung herstellen können – mit oder ohne die NATO, mit oder ohne die Vereinigten Staaten, mit oder gegen Russland.
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