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Gebetsmühlenhaft wiederholte westliche Erzählung vom edlen Westen und dem bösen Russland und China..

Das falsche Narrativ des Westens über Russland und China – von Jeffrey Sachs: Es war die schrittweise Arroganz der USA, die dazu beigetragen hat, uns dahin zu bringen, wo wir heute sind.


Susanne Hofmann hat diesen Artikel – The west’s false narrative about Russia and China – für die NachDenkSeiten übersetzt. Der Hinweis darauf stammt von Willy Wimmer. Er hat dazu Folgendes geschrieben: „Dieser Text stammt von dem Mann, der der Sowjetunion den Rest gegeben hatte. Wir sind seit langem auf dem Holzweg. Alexander Sosnowski und ich haben dies in unserem Buch ‚Und immer wieder Versailles‘ 2019 beschrieben und schon Jahre zuvor öffentlich gemacht.“ Der Artikel von Jeffrey Sachs bringt in der Tat nichts vollkommen Neues. Er ist aber eine sehr gute Zusammenfassung und plädiert für eine friedliche Lösung. Albrecht Müller.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=87406


Das falsche Narrativ des Westens über Russland und China von Jeffrey Sachs

Die Welt steht nicht zuletzt deshalb am Rande einer nuklearen Katastrophe, weil westliche Politiker nicht imstande sind, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen zu benennen. Das gebetsmühlenhaft wiederholte westliche Narrativ vom edlen Westen und dem bösen Russland und China ist einfältig und außerordentlich gefährlich. Es ist ein Versuch, die öffentliche Meinung zu manipulieren und sich nicht sehr realer und dringend notwendiger Diplomatie zu widmen.


Das wesentliche Narrativ des Westens ist in die nationale Sicherheitsstrategie der USA verwoben. Der Kerngedanke der USA ist, dass China und Russland unerbittliche Feinde sind, die „versuchen, die amerikanische Sicherheit und den Wohlstand zu untergraben“. Diese Länder sind nach Ansicht der USA dazu entschlossen, ihre Wirtschaft weniger frei und weniger fair zu gestalten, ihr Militär auszubauen und Informationen und Daten zu kontrollieren, um ihre Gesellschaften zu unterdrücken und ihren Einfluss auszuweiten.


Die Ironie besteht darin, dass die USA seit 1980 in mindestens 15 Kriegen in Übersee involviert waren (Afghanistan, Irak, Libyen, Panama, Serbien, Syrien und Jemen, um nur einige zu nennen), während China an keinem einzigen und Russland nur an einem außerhalb der ehemaligen Sowjetunion beteiligt war, nämlich in Syrien.


Die USA haben in 85 Ländern Militärbasen, China in dreien und Russland in einem außerhalb der ehemaligen Sowjetunion, nämlich in Syrien. Präsident Joe Biden unterstützt dieses Narrativ und erklärt, dass die größte Herausforderung unserer Zeit der Wettbewerb mit den Autokratien sei, die „versuchen, ihre eigene Macht auszubauen, ihren Einfluss in die ganze Welt zu exportieren und auszuweiten und ihre repressive Politik und Praxis als effizienteren Weg zur Bewältigung der heutigen Herausforderungen zu rechtfertigen“. Die Sicherheitsstrategie der USA ist nicht das Werk eines einzelnen US-Präsidenten, sondern des weitgehend autonomen US-Sicherheitsapparats, der hinter einer Mauer der Geheimhaltung agiert.


Durch Manipulation der Fakten verkauft man der westlichen Öffentlichkeit die übersteigerte Angst vor China und Russland. Eine Generation zuvor verkaufte George W. Bush junior der Öffentlichkeit die Idee, Amerikas größte Bedrohung sei der islamische Fundamentalismus, ohne zu erwähnen, dass es die CIA war, die zusammen mit Saudi-Arabien und anderen Ländern die Dschihadisten in Afghanistan, Syrien und anderswo geschaffen, finanziert und eingesetzt hatte, um Amerikas Kriege zu führen.


Oder denken Sie an den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Jahr 1980, der in den westlichen Medien als ein unprovozierter Akt der Perfidie dargestellt wurde. Jahre später erfuhren wir, dass der sowjetischen Invasion in Wirklichkeit eine CIA-Operation vorausgegangen war, die die sowjetische Invasion provozieren sollte! Die gleiche Fehlinformation gab es auch in Bezug auf Syrien. Die westliche Presse ist voller Schuldzuweisungen gegen Putins militärische Unterstützung für Syriens Präsidenten Bashar al-Assad seit dem Jahr 2015, ohne zu erwähnen, dass die USA den Sturz von Assad seit 2011 unterstützten, wobei die CIA eine große Operation (Timber Sycamore) finanzierte, um Assad zu stürzen, Jahre bevor Russland kam.


Oder vor kurzem, als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Chinas Warnungen zum Trotz rücksichtslos nach Taiwan flog, kritisierte kein G7-Außenminister Pelosis Provokation, dagegen übten die G7-Minister gemeinsam scharfe Kritik an Chinas „Überreaktion” auf Pelosis Reise.

Das westliche Narrativ über den Ukraine-Krieg besagt, dass es sich um einen unprovozierten Angriff Putins handelt, der das russische Imperium wiederherstellen will. Die wahre Geschichte beginnt jedoch mit dem Versprechen des Westens an den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen, gefolgt von vier Wellen der NATO-Erweiterung: 1999 wurden drei mitteleuropäische Staaten aufgenommen, 2004 sieben weitere, darunter die Staaten am Schwarzen Meer und die baltischen Staaten, 2008 sagte die NATO die Erweiterung um die Ukraine und Georgien zu, und 2022 wurden vier asiatisch-pazifische Staatschefs von der NATO eingeladen, um China ins Visier zu nehmen.


Die westlichen Medien erwähnen auch nicht die Rolle der USA beim Sturz des pro-russischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014, das Versäumnis der Regierungen Frankreichs und Deutschlands, der Garanten des Minsk-II-Abkommens, die Ukraine zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bringen, die umfangreichen US-Waffenlieferungen an die Ukraine während der Regierungen Trump und Biden schon vor dem Krieg sowie die Weigerung der USA, mit Putin über die NATO-Erweiterung um die Ukraine zu verhandeln.

Natürlich behauptet die NATO, dieser Schritt sei rein defensiv, Putin habe also nichts zu befürchten. Putin sollte also mit anderen Worten über die CIA-Operationen in Afghanistan und Syrien hinwegsehen, ebenso wie über die NATO-Bombardierung Serbiens im Jahr 1999, den NATO-Sturz von Moammar Gaddafi im Jahr 2011, die 15-jährige NATO-Besetzung Afghanistans, Bidens “Fauxpas”, den Sturz Putins zu fordern – der natürlich überhaupt kein Fauxpas war – oder die Aussage von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, das Kriegsziel der USA in der Ukraine sei die Schwächung Russlands.


Im Kern all dessen steht der Versuch der USA, die Hegemonialmacht der Welt zu bleiben, indem sie ihre Militärbündnisse auf der ganzen Welt ausbauen, mit dem Ziel, China und Russland einzudämmen oder zu besiegen. Das ist eine gefährliche, wahnhafte und überholte Idee. Die USA haben nur 4,2 Prozent der Weltbevölkerung und nur 16 Prozent des Welt-Brutto-Inlandsprodukts, bezogen auf internationale Preise. Tatsächlich ist das gemeinsame BIP der G7 heute geringer als das der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, während die G7-Bevölkerung nur sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, verglichen mit 41 Prozent in den BRICS.


Es gibt nur ein Land, dessen selbsterklärte Fantasie es ist, die dominierende Macht der Welt zu sein: die USA. Es ist an der Zeit, dass die USA die wahren Quellen der Sicherheit erkennen: den inneren sozialen Zusammenhalt und die verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt, und nicht die Illusion der Hegemonie. Mit einer solchen neu konzipierten Außenpolitik würden die USA und ihre Verbündeten einen Krieg mit China und Russland vermeiden und die Welt in die Lage versetzen, ihre unzähligen Umwelt-, Energie-, Nahrungsmittel- und sozialen Krisen anzugehen.


Vor allem aber sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs in dieser extrem gefährlichen Zeit die wahre Quelle der europäischen Sicherheit in den Blick nehmen: Es ist nicht die Hegemonie der USA, sondern es sind europäische Sicherheitsvereinbarungen, die die legitimen Sicherheitsinteressen aller europäischen Staaten respektieren – sicherlich auch die der Ukraine, aber auch die Russlands, das sich weiterhin gegen die NATO-Erweiterung am Schwarzen Meer stemmt. Europa sollte sich darauf besinnen, dass die Nichterweiterung der NATO und die Umsetzung der Minsk-II-Vereinbarungen diesen schrecklichen Krieg in der Ukraine hätten verhindern können. In dieser Phase ist Diplomatie, nicht militärische Eskalation, der wahre Weg zu europäischer und globaler Sicherheit.

Wir diskutieren die westliche Hegemonie und die US-Politik in Russland, der Ukraine und China mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs von der Columbia University, dessen neuer Artikel die Überschrift "The West's False Narrative About Russia and China" trägt. Sachs hält den überparteilichen Ansatz der USA in der Außenpolitik für "unverantwortlich gefährlich und falsch" und warnt davor, dass die USA "ein Rezept für einen weiteren Krieg" in Ostasien schaffen.

Abschrift

Dies ist eine Eilabschrift. Der Text ist möglicherweise nicht in seiner endgültigen Form.


AMY GOODMAN: Politico berichtet, dass die Regierung Biden sich darauf vorbereitet, den Kongress zu bitten, einen neuen Waffenverkauf an Taiwan im Wert von 1,1 Milliarden Dollar zu genehmigen. Das Paket umfasst Berichten zufolge 60 Anti-Schiffs-Raketen und 100 Luft-Luft-Raketen. Dies geschieht, nachdem zwei US-Kriegsschiffe am Sonntag zum ersten Mal seit dem Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan durch die Straße von Taiwan gefahren sind. China verurteilte den Besuch und startete größere Militärübungen in der Nähe von Taiwan.


In der Zwischenzeit kündigte Präsident Biden letzte Woche weitere Militärhilfe in Höhe von 3 Milliarden Dollar für die Ukraine an, einschließlich Geld für Raketen, Artilleriegeschosse und Drohnen, um die ukrainischen Streitkräfte im Kampf gegen Russland zu unterstützen.


Wir beginnen die heutige Sendung mit einem Blick auf die Politik der USA gegenüber Russland und China. Zu Gast ist der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs, Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University. Er ist Präsident des U.N. Sustainable Development Solutions Network. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen. Sein neuester Artikel trägt die Überschrift "The West's False Narrative About Russia and China".


Er beginnt den Artikel mit den Worten: "Die Welt steht am Rande einer nuklearen Katastrophe, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass westliche Politiker es versäumt haben, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen zu benennen. Das unerbittliche westliche Narrativ, dass der Westen edel ist, während Russland und China böse sind, ist einfältig und außerordentlich gefährlich", schreibt Jeffrey Sachs.


Jeffrey Sachs, herzlich willkommen bei Democracy Now! Warum fangen Sie nicht von dort an?


JEFFREY SACHS: Ich danke Ihnen. Schön, bei Ihnen zu sein.


AMY GOODMAN: Was ist die Geschichte, die die Menschen im Westen und auf der ganzen Welt verstehen sollten über das, was gerade mit diesen Konflikten passiert, mit Russland, mit Russland und der Ukraine und mit China?


JEFFREY SACHS: Der wichtigste Punkt, Amy, ist, dass wir nicht auf Diplomatie setzen, sondern auf Waffengewalt. Der jetzt angekündigte Verkauf an Taiwan, über den Sie heute Morgen gesprochen haben, ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Das macht Taiwan nicht sicherer. Es macht die Welt nicht sicherer. Und die Vereinigten Staaten werden dadurch gewiss nicht sicherer.


Das hat eine lange Vorgeschichte. Ich denke, es ist sinnvoll, vor 30 Jahren zu beginnen. Die Sowjetunion ging zu Ende, und einige amerikanische Staatsoberhäupter setzten sich in den Kopf, dass es nun eine, wie sie es nannten, unipolare Welt gäbe, dass die USA die einzige Supermacht seien und wir die Show leiten könnten. Die Ergebnisse waren katastrophal. Wir haben nun drei Jahrzehnte der Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik hinter uns. Eine neue Datenbank, die Tufts unterhält, hat gerade gezeigt, dass es seit 1991 mehr als 100 militärische Interventionen der Vereinigten Staaten gegeben hat. Das ist wirklich unfassbar.


Und ich habe in den letzten 30 Jahren, in denen ich viel in Russland, in Mitteleuropa, in China und in anderen Teilen der Welt gearbeitet habe, selbst erlebt, wie die USA zuerst und oft auch nur militärisch vorgehen. Wir bewaffnen, wen wir wollen. Wir fordern die NATO-Erweiterung, egal was andere Länder sagen, was ihren Sicherheitsinteressen schaden könnte. Wir setzen uns über die Sicherheitsinteressen der anderen hinweg. Und wenn sie sich beschweren, liefern wir mehr Waffen an unsere Verbündeten in dieser Region. Wir ziehen in den Krieg, wann und wo wir wollen, sei es in Afghanistan oder im Irak oder im verdeckten Krieg gegen Assad in Syrien, der bis heute von der amerikanischen Bevölkerung nicht richtig verstanden wird, oder im Krieg in Libyen. Und wir sagen: "Wir sind friedliebend. Was ist denn mit Russland und China los? Sie sind so kriegslüstern. Sie sind darauf aus, die Welt zu untergraben." Und wir enden in schrecklichen Konfrontationen.


Der Krieg in der Ukraine - um die einleitende Betrachtung abzuschließen - hätte durch Diplomatie vermieden werden können und müssen. Der russische Präsident Putin hat jahrelang gesagt: "Die NATO darf sich nicht auf das Schwarze Meer ausdehnen, nicht auf die Ukraine und schon gar nicht auf Georgien", das, wenn man sich die Karte ansieht, direkt an den östlichen Rand des Schwarzen Meeres grenzt. Russland sagte: "Das wird uns umzingeln. Das wird unsere Sicherheit gefährden. Lasst uns diplomatisch vorgehen." Die Vereinigten Staaten lehnten jede Diplomatie ab. Ich habe Ende 2021 versucht, das Weiße Haus zu kontaktieren - tatsächlich habe ich das Weiße Haus kontaktiert und gesagt, dass es Krieg geben wird, wenn die USA nicht diplomatische Gespräche mit Präsident Putin über diese Frage der NATO-Erweiterung aufnehmen. Mir wurde gesagt, dass die USA das niemals tun werden. Das ist vom Tisch. Und es war vom Tisch. Jetzt haben wir einen Krieg, der außerordentlich gefährlich ist.


Und wir wenden in Ostasien genau die gleiche Taktik an, die zum Krieg in der Ukraine geführt hat. Wir organisieren Allianzen, bauen Waffen auf, beschimpfen China, lassen Sprecherin Pelosi nach Taiwan fliegen, als die chinesische Regierung sagt: "Bitte, senkt die Temperatur, senkt die Spannungen." Wir sagen: "Nein, wir machen, was wir wollen", und schicken jetzt mehr Waffen. Das ist ein Rezept für einen weiteren Krieg. Und das ist meiner Meinung nach erschreckend.


Wir befinden uns am 60. Jahrestag der Kubakrise, mit der ich mich mein ganzes Leben lang beschäftigt habe und über die ich ein Buch geschrieben habe. Wir fahren auf den Abgrund zu, und wir sind voller Enthusiasmus, während wir das tun. Und es ist einfach unerklärlich gefährlich und falsch, die ganze Herangehensweise der US-Außenpolitik. Und er ist überparteilich.


JUAN GONZÁLEZ: Jeffrey Sachs, ich wollte Sie fragen - eines der Dinge, die Sie in einem kürzlich in Consortium News veröffentlichten Artikel erwähnten, war das Beharren der Vereinigten Staaten, die auch Europa mitziehen, auf der Aufrechterhaltung der Hegemonie in der Welt zu einer Zeit, in der die wirtschaftliche Macht des Westens schwindet. Sie erwähnen zum Beispiel, dass die BRICS-Staaten - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - mehr als 40 % der Weltbevölkerung ausmachen und ein höheres BIP haben als die G7-Staaten, und dennoch werden ihre Interessen und Anliegen so gut wie abgetan oder, im Falle Russlands und Chinas, dem amerikanischen Volk als Aggressoren, als Autoritäre, als diejenigen, die für Unruhe in der Welt sorgen, dargestellt.


JEFFREY SACHS: Was Sie damit sagen wollen, ist -


JUAN GONZÁLEZ: Ich frage mich, ob Sie das näher erläutern könnten.


JEFFREY SACHS: Ja, absolut, und uns darauf hinzuweisen ist extrem wichtig. Die unverhältnismäßige Macht der westlichen Welt und insbesondere der angelsächsischen Welt, die mit dem britischen Empire und jetzt den Vereinigten Staaten begann, ist etwa 250 Jahre alt, also eine kurze Periode in der Weltgeschichte. Aus einer Reihe sehr interessanter Gründe kam die Industrielle Revolution zuerst in England an. Die Dampfmaschine wurde dort erfunden. Das ist wahrscheinlich die wichtigste Erfindung der modernen Geschichte. Großbritannien wurde im 19. Jahrhundert militärisch dominant, so wie es die Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Großbritannien hatte das Sagen. Großbritannien hatte das Imperium, über dem die Sonne nie unterging. Und der Westen, d.h. die Vereinigten Staaten und Westeuropa, d.h. die USA und die Europäische Union, Großbritannien, Kanada, Japan - mit anderen Worten, die G7, die Europäische Union zusammen - ist ein kleiner Teil der Weltbevölkerung, vielleicht 10 %, etwas mehr, vielleicht 12,5 %, wenn man Japan zu Westeuropa und den USA hinzufügt. Und so war es 200 Jahre lang in diesem Industriezeitalter.


Aber die Zeiten haben sich geändert. Seit den 1950er Jahren hat der Rest der Welt, als er seine Unabhängigkeit vom europäischen Imperialismus erlangte, damit begonnen, seine Bevölkerung auszubilden, Technologien zu übernehmen, anzupassen und zu erneuern. Und siehe da, ein kleiner Teil der Welt beherrschte nicht die Welt oder hatte kein Monopol auf Weisheit oder Wissen oder Wissenschaft oder Technologie. Und das ist wunderbar. Das Wissen und die Möglichkeit, ein anständiges Leben zu führen, verbreiten sich in der ganzen Welt.


Aber in den Vereinigten Staaten gibt es eine Abneigung gegen diese Entwicklung, eine tiefe Abneigung. Ich glaube, es gibt auch eine enorme historische Ignoranz, denn ich glaube, viele führende Politiker in den USA haben keine Ahnung von der modernen Geschichte. Aber sie nehmen Chinas Aufstieg übel. Das ist ein Affront gegenüber den Vereinigten Staaten. Wie kann China es wagen, aufzusteigen! Dies ist unsere Welt! Dies ist unser Jahrhundert! Und so habe ich ab etwa 2014 Schritt für Schritt gesehen - ich habe es sehr genau beobachtet, weil es meine tägliche Arbeit ist - wie die Vereinigten Staaten China nicht mehr als ein Land darstellten, das sich von anderthalb Jahrhunderten großer Schwierigkeiten erholte, sondern als einen Feind. Und wir begannen in der amerikanischen Außenpolitik bewusst zu sagen: "Wir müssen China eindämmen. Der Aufstieg Chinas liegt nicht mehr in unserem Interesse", als ob die Vereinigten Staaten darüber entscheiden sollten, ob China wohlhabend ist oder nicht. Die Chinesen sind nicht naiv, sie sind sogar außerordentlich klug. Sie haben das alles genau so beobachtet wie ich. Ich kenne die Autoren der amerikanischen Texte. Sie sind meine Kollegen, in Harvard oder anderswo. Ich war schockiert, als diese Art von Eindämmungsidee zur Anwendung kam.


Aber der springende Punkt ist, dass der Westen die Welt für eine kurze Zeitspanne von 250 Jahren angeführt hat, aber das Gefühl hat: "Das ist unser Recht. Dies ist eine westliche Welt. Wir sind die G7. Wir dürfen bestimmen, wer die Spielregeln schreibt." In der Tat hat Obama, ein guter Mann auf dem Spektrum unserer Außenpolitik, gesagt: "Lasst uns die Handelsregeln für Asien aufstellen, aber lasst China keine dieser Regeln aufstellen. Die USA werden die Regeln aufstellen." Das ist eine unglaublich naive und gefährliche und veraltete Art, die Welt zu verstehen. Wir in den Vereinigten Staaten machen 4,2 % der Weltbevölkerung aus. Wir regieren die Welt nicht. Wir sind nicht die Führer der Welt. Wir sind ein Land mit 4,2 % der Bevölkerung in einer großen, vielfältigen Welt, und wir sollten lernen, miteinander auszukommen, friedlich im Sandkasten zu spielen und nicht zu verlangen, dass wir alle Spielsachen im Sandkasten haben. Und über dieses Denken sind wir noch nicht hinweg. Und leider sind es beide politischen Parteien. Es ist das, was Sprecherin Pelosi dazu motiviert, mitten in all dem nach Taiwan zu reisen, als ob sie wirklich reisen müsste, um die Spannungen zu schüren. Aber es ist die Denkweise, dass die USA das Sagen haben.


JUAN GONZÁLEZ: Ich möchte ein wenig zurückgehen - zurück in die 1990er Jahre. Sie erinnern sich sicher an den enormen finanziellen Zusammenbruch in Mexiko in den 1990er Jahren, als die Clinton-Regierung eine Rettungsaktion für Mexiko in Höhe von 50 Milliarden Dollar genehmigte, die eigentlich an Wall-Street-Investoren ging. Zu dieser Zeit berieten Sie die postsowjetische russische Regierung, die damals ebenfalls mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen hatte, aber keine nennenswerte westliche Hilfe, nicht einmal vom Internationalen Währungsfonds, erhalten konnte. Und das haben Sie damals kritisiert. Ich frage mich, ob Sie über die Unterschiede zwischen der Reaktion der USA auf die Mexiko-Krise und auf die russische Finanzkrise sprechen könnten, und was die Wurzeln für die heutige Situation in Russland gewesen sein könnten.


JEFFREY SACHS: Auf jeden Fall. Und ich hatte ein kontrolliertes Experiment, denn ich war Wirtschaftsberater sowohl für Polen als auch für die Sowjetunion im letzten Jahr von Präsident Gorbatschow und für Präsident Jelzin in den ersten beiden Jahren der russischen Unabhängigkeit, 1992, '93. Meine Aufgabe war das Finanzwesen und die Unterstützung Russlands bei der Bewältigung einer massiven Finanzkrise, wie Sie sie beschrieben haben. Und meine grundlegende Empfehlung in Polen und dann in der Sowjetunion und in Russland lautete: Um eine gesellschaftliche und geopolitische Krise zu vermeiden, sollte die reiche westliche Welt dabei helfen, diese außergewöhnliche Finanzkrise, die mit dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion einherging, zu bewältigen.


Interessanterweise habe ich im Falle Polens eine Reihe sehr konkreter Empfehlungen gegeben, die alle von der US-Regierung akzeptiert wurden - die Schaffung eines Stabilisierungsfonds, der Erlass eines Teils der polnischen Schulden, die Ermöglichung zahlreicher finanzieller Manöver, um Polen aus den Schwierigkeiten herauszuhelfen. Und, wissen Sie, ich klopfte mir selbst auf die Schulter. "Oh, seht euch das an!" Ich machte eine Empfehlung, und eine davon, eine Milliarde Dollar für einen Stabilisierungsfonds, wurde innerhalb von acht Stunden vom Weißen Haus angenommen. Also dachte ich: "Ziemlich gut".


Dann kam der analoge Appell im Namen von Gorbatschow, in den letzten Tagen, und dann von Präsident Jelzin. Alles, was ich empfahl und was auf der gleichen Grundlage der wirtschaftlichen Dynamik beruhte, wurde vom Weißen Haus rundweg abgelehnt. Ich habe das damals nicht verstanden, das muss ich Ihnen sagen. Ich sagte: "Aber in Polen hat es funktioniert." Und sie starrten mich ausdruckslos an. Ein stellvertretender Außenminister sagte 1992: "Professor Sachs, es spielt keine Rolle, ob ich mit Ihnen übereinstimme oder nicht. Es wird nicht passieren."


Und ich brauchte tatsächlich eine ganze Weile, um die zugrunde liegende Geopolitik zu verstehen. Das waren genau die Tage von Cheney und Wolfowitz und Rumsfeld und dem, was zum Projekt für das neue amerikanische Jahrhundert wurde, also für die Fortsetzung der amerikanischen Hegemonie. Ich habe das damals nicht gesehen, weil ich als Wirtschaftswissenschaftler darüber nachdachte, wie man eine Finanzkrise überwinden könnte. Aber die unipolare Politik nahm Gestalt an, und sie war verheerend. Natürlich geriet Russland dadurch in eine massive Finanzkrise, die zu einer großen Instabilität führte, die in den kommenden Jahren ihre eigenen Auswirkungen hatte.




Aber mehr noch, was diese Leute trotz ausdrücklicher Versprechen an Gorbatschow und Jelzin schon früh planten, war die Erweiterung der NATO. Und Clinton begann die NATO-Erweiterung mit den drei Ländern Mitteleuropas - Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik - und dann fügte George W. Bush Jr. sieben Länder hinzu - Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und die drei baltischen Staaten - aber direkt gegen Russland. Und dann, 2008, kam der Gnadenstoß: Die USA bestanden darauf, gegen den privaten Widerstand der europäischen Staats- und Regierungschefs - und die europäischen Staats- und Regierungschefs sprachen damals privat mit mir darüber. Aber 2008 sagte Bush, die NATO werde sich auf die Ukraine und Georgien ausdehnen. Und noch einmal: Wenn man eine Karte herausnimmt und sich das Schwarze Meer ansieht, war es das ausdrückliche Ziel, Russland im Schwarzen Meer einzukreisen. Übrigens, das ist ein altes Spielbuch. Es ist dasselbe Drehbuch wie das von Palmerston 1853 bis 1856 im ersten Krimkrieg: Russland im Schwarzen Meer einkesseln, seine Fähigkeit, militärisch präsent zu sein und irgendeinen Einfluss auf das östliche Mittelmeer auszuüben, abschneiden. Brzezinski selbst sagte 1997, dass die Ukraine der geografische Dreh- und Angelpunkt für Eurasien sein würde.


Was diese Neocons also Anfang der 1990er Jahre taten, war der Aufbau der unipolaren Welt der USA. Und sie dachten bereits über viele Kriege nach, um die mit der Sowjetunion verbündeten Länder auszuschalten - Kriege zum Sturz von Saddam, Kriege zum Sturz von Assad, Kriege zum Sturz von Gaddafi. Diese Kriege wurden alle in den nächsten 20 Jahren geführt. Sie waren ein komplettes Desaster, ein Debakel für diese Länder, schrecklich für die Vereinigten Staaten, Billionen von Dollar wurden verschwendet. Aber es war ein Plan. Und dieser neokonservative Plan erlebt gerade jetzt an zwei Fronten seine Blütezeit: in der Ukraine und in der Straße von Taiwan. Und es ist außerordentlich gefährlich, was diese Leute mit der amerikanischen Außenpolitik anstellen, die ja kaum eine Politik der Demokratie ist. Es ist die Politik einer kleinen Gruppe, die der Meinung ist, dass eine unipolare Welt und die Hegemonie der USA der Weg ist, den wir gehen müssen.


AMY GOODMAN: Jeffrey Sachs, wir haben nicht viel Zeit, aber da dies ein so großes Thema war - Naomi Klein hat Sie mit der Schock-Doktrin scharf angegriffen, indem sie sagte, Sie hätten eine Schocktherapie empfohlen. Können Sie eine Linie ziehen zwischen dem, was passierte, als die russische Wirtschaft zusammenbrach, und den Bedingungen, die zur Invasion in der Ukraine führten? Ich meine, wie hat die wirtschaftliche Katastrophe, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgte, zum Aufstieg der oligarchischen Klasse und schließlich zur Präsidentschaft von Wladimir Putin geführt?


JEFFREY SACHS: Ja, ich habe Naomi, die ich sehr bewundere, jahrelang versucht zu erklären, dass das, was ich empfahl, finanzielle Hilfe für Polen, die Sowjetunion oder Russland war. Ich war absolut entsetzt über den Betrug und die Korruption und die Geschenke. Ich habe das damals sehr deutlich gesagt und bin deswegen zurückgetreten, sowohl weil ich mich vergeblich um westliche Hilfe bemüht habe, als auch weil mir das, was da vor sich ging, überhaupt nicht gefallen hat.


Und ich würde sagen, dass das Scheitern eines geordneten Vorgehens, das in Polen erreicht wurde, aber in der ehemaligen Sowjetunion scheiterte, weil es kein konstruktives Engagement des Westens gab, definitiv eine Rolle bei der Instabilität in den 1990er Jahren spielte, definitiv eine Rolle beim Aufstieg der Oligarchenklasse spielte. In der Tat habe ich den USA, dem IWF und der Weltbank 1994, '95 genau erklärt, was vor sich ging. Es war ihnen egal, denn sie dachten: "Nun, das ist schon in Ordnung. Das ist vielleicht für Jelzin", all diese Betrügereien bei dem Prozess "Aktien gegen Kredite". Trotz alledem war es ein -


AMY GOODMAN: Wir haben weniger als eine Minute.


JEFFREY SACHS: OK. Nachdem ich all das gesagt habe, denke ich, dass es wichtig ist, zu sagen, dass es keinen linearen Determinismus gibt, sogar von Ereignissen wie diesen, die destabilisierend und sehr unglücklich und unnötig waren, zu dem, was jetzt passiert, denn als Präsident Putin kam, war er nicht anti-europäisch, er war nicht anti-amerikanisch. Was er jedoch sah, war die unglaubliche Arroganz der Vereinigten Staaten, die Ausweitung der NATO, die Kriege im Irak, den verdeckten Krieg in Syrien, den Krieg in Libyen, entgegen der UN-Resolution. Wir haben also so viel von dem, was uns jetzt bevorsteht, durch unsere eigene Unfähigkeit und Arroganz geschaffen. Es gab keine lineare Entschlossenheit. Es war die schrittweise Arroganz der USA, die dazu beigetragen hat, uns dahin zu bringen, wo wir heute sind.


AMY GOODMAN: Jeffrey Sachs, Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, Präsident des U.N. Sustainable Development Solutions Network, war Berater von drei U.N.-Generalsekretären. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie bei uns sind und aus Österreich berichten, wo er an einer Konferenz teilnimmt.


Als Nächstes werden wir mit einem Reporter sprechen, der dokumentiert hat, dass die USA im letzten Jahr nur 123 Anträge auf humanitäre Begnadigung für Afghanen genehmigt haben. Zum Vergleich: In den letzten Monaten wurden 68.000 Anträge von Ukrainern genehmigt. Bleiben Sie bei uns.

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