Warum sagte Amtsinhaber Johannis ursprünglich, es gebe keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl, nur um wenige Tage später das Gegenteil zu behaupten? Wie kann es sein, dass die Dienste Erkenntnisse zu offenbar gemeingefährlichen ausländischen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Wahlkampf hatten, den Nationalen Sicherheitsrat aber – zumindest offiziell – erst nach der Wahl informierten? Und wie belastbar sind die Hinweise auf eine entscheidende russische Rolle eigentlich? „Von Russland spricht im Prinzip nur der Auslandsgeheimdienst in ganz allgemeiner Form“, fasst Schmitt zusammen und vermutet: Ohne die Unterstützung von staatlichen Strukturen in Rumänien selbst wäre der plötzliche Höhenflug Georgescus schwer vorstellbar. Schmitt rät dazu, die Gründe für den Erfolg Georgescus nicht nur in Russland zu suchen – sondern auch in Rumänien.
FAZ: In diesem Frühjahr – ein genauer Termin steht noch nicht fest – wird in Rumänien ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Das Mandat des Amtsinhabers Klaus Johannis lief eigentlich schon Ende 2024 ab, doch als Folge der verkorksten rumänischen Präsidentenwahl im November, die schließlich vom Verfassungsgericht annulliert wurde, werden die Wahlberechtigten bald nochmals abstimmen müssen.
Am 24. November hatte vollkommen überraschend der zuvor in keiner Umfrage an führender Stelle aufgetauchte Călin Georgescu, ein rechtsradikaler Spintisierer und ausgewiesener Verschwörungstheoretiker mit Hang zu Geschichtsklitterung, die meisten Stimmen erhalten. Ihm folgte Elena Lasconi, Chefin der reformorientierten Antikorruptionspartei Union zur Rettung Rumäniens, kurz USR. Für die regierende Partidul Social Democrat (PSD), die nur dem Namen nach sozialdemokratisch ist, war mit Regierungschef Marcel Ciolacu ins Rennen gegangen. Doch die sieggewohnte PSD musste erleben, wie ihr Kandidat den Einzug in die Stichwahl verpasste.
Glaubt man Rumäniens Verfassungsgericht, dem Obersten Verteidigungsrat unter Leitung von Johannis und der PSD, dann ist die Lage eindeutig: Der krasse Außenseiter Georgescu hatte demnach nur aufgrund einer maßgeblich von Russland aus gesteuerten Kampagne auf der Plattform Tiktok gewonnen. Es gibt in Rumänien aber auch die Ansicht, das Ziel der PSD sei es von Anfang an gewesen, außer ihrem eigenen einen rechtsradikalen Präsidentschaftsbewerber in die Stichwahl zu hieven.
Ein Verdacht, der sich immer stärker aufdrängt
Die Logik dahinter: Der PSD-Mann werde in der zweiten Runde einen sicheren Sieg über den für eine Bevölkerungsmehrheit vermeintlich unwählbaren Rechtsradikalen einfahren können. Diese Rechnung sei dann aber nicht aufgegangen, da die wichtigste Regierungspartei die Wut der Bevölkerung auf die etablierten Kräfte unterschätzt habe. Die Parteistrategen der PSD hätten sich in ihrer Arroganz schlicht nicht vorstellen können, dass ihr eigener Kandidat bei der Bevölkerung durchfallen würde.
Das sind Eindrücke und Vermutungen, keine nachweisbaren Tatsachen. Doch in Rumänien drängt sich seit Wochen ein Verdacht mit jedem Tag deutlicher auf: Die regierende Klasse in Bukarest hat das russische Schreckgespenst nur an die Wand gemalt, um von ihrem eigenen Versagen und dem Misserfolg ihrer gescheiterten machttaktischen Spielchen abzulenken – und um einen Vorwand zur Annullierung einer Wahl zu haben, deren Ergebnis nicht nach dem Geschmack der Machthaber war.
Auffällig ist zunächst: Bei der Präsidentenwahl, wo die Kandidaten des Regierungslagers scheiterten, soll es massive russische Manipulationen gegeben haben. Bei der Parlamentswahl eine Woche später, wo die PSD stärkste Kraft wurde und mit dem Ergebnis zufrieden sein konnte, gab es dagegen angeblich keine Manipulationen. Sollte der Kreml seine Bots und Trolle also nur für die Präsidentschaftswahl in Marsch gesetzt haben, bei der Parlamentswahl sieben Tage später aber nicht?
Seltsam wäre das auch deshalb, weil die Parlamentswahl die wichtigere dieser Abstimmungen war. In Rumänien hat das Staatsoberhaupt zwar eine starke Stellung, doch eine Präsidialrepublik ist das Land nicht. Wer Einfluss in Bukarest nehmen will, täte besser daran, statt der Präsidentenwahl die Parlamentswahl zu manipulieren. Zumindest seltsam ist auch, dass die ominösen Tiktok-Algorithmen zwar die von der Opposition gewonnene Präsidentschaftswahl verzerrt haben sollen, nicht aber die Parlamentswahl, bei der sich die Regierungskräfte behaupten konnten. Ist das realistisch?
Die Rolle der wichtigsten staatlichen Institutionen bei der Annullierung der Wahl lässt solche Fragen noch drängender erscheinen. Der rumänische Rechtswissenschaftler Csongor Kuti schreibt in einem Aufsatz für das Portal „Verfassungsblog“ von einer „Reihe unglücklicher Entscheidungen“ der sechs Richter und drei Richterinnen des Verfassungsgerichts, die „im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung, zu den Prinzipien des Rechtsstaats oder zur Idee der Demokratie“ gestanden hätten.
Erklärungsbedürftig scheint das Handeln des Verfassungsgerichts tatsächlich. Nach Georgescus Wahltriumph ordnete es zunächst eine Neuauszählung aller abgegebenen Stimmen binnen 24 Stunden an. Diese Frist war mindestens unprofessionell, denn es erwies sich als logistisch völlig unmöglich, bei längst aufgelösten Wahllokalen innerhalb eines Tages mehr als neun Millionen Stimmen neu auszuzählen.
Nachdem es das eingesehen hatte, verlegte das Gericht die Frist um einige Tage. Nun gelang es zwar, die Resultate der inländischen Wahllokale neu auszuzählen, nicht indes die mehr als 600.000 Stimmen aus dem Ausland, wo die beiden Oppositionskandidaten Georgescu und Lasconi überdurchschnittlich gut abgeschnitten hatten. Vom Verfassungsgericht hieß es daraufhin kurzerhand, auf die Auslandsstimmen komme es ohnehin nicht an, da die gemeldeten Unregelmäßigkeiten, die den Anstoß zur Anordnung der Neuauszählung gegeben hatten, sich nur auf einige wenige Wahllokale im Inland bezogen hätten. Doch warum war dann überhaupt eine komplette Neuauszählung aller Stimmen angeordnet worden?
Das blieb unklar, doch am 2. Dezember bestätigte das Verfassungsgericht nach der partiellen Neuauszählung die Ergebnisse der ersten Wahlrunde schließlich doch – nur, um am 6. Dezember die gesamte Wahl zu annullieren. Zur Begründung wurde nun auf Informationen aus dem Innenministerium, von den Geheimdiensten und aus Johannis’ Präsidialamt verwiesen, laut denen der gesamte Wahlprozess von mangelnder Transparenz insbesondere bei der Wahlkampffinanzierung sowie von der Einmischung ausländischer „staatlicher Entitäten“ geprägt gewesen sei.
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