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Ex-General Kujat: Europäische Mächte taumelten in den 1. Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts. Der Ukrainekrieg könnte in den 3. Weltkrieg führen, in die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts

Ex-Bundeswehr-General Kujat bezeichnet Forderungen, Russland zum direkten Gegner zu machen als Wahnsinn und fordert einen Verhandlungsfrieden

Hintergrund: Harald Kujat war Bundeswehr-General und saß dem NATO-Russland-Rat vor. Er plädiert seit Beginn des Ukraine-Krieges für einen Ausgleich mit Russland und für Verhandlungen. In dieser Woche hat er in Berlin gesprochen. Unser Autor war mit dabei. Ein Hintergrund-Ortstermin.

Der Ex-Bundeswehr-General, der unter anderem Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (2002 bis 2005) und anderer Gremien des westlichen Bündnisses war, kritisierte dabei deutlich vor allem die westliche Politik. Zu Beginn seines Vortrages sagte der heute 81-Jährige, dass die Verstrickungen vieler Staaten in den Konflikt in und um die Ukraine wie ein „unauflösbarer Gordischer Knoten“ erscheinen. Es gebe zwei Überlieferungen, wie Alexander der Große einst den „Gordischen Knoten“ auflöste: Der Überlieferung von Plutarch nach zerschlug er den Knoten, der den Streitwagen des phrygischen Königs Gordios mit den Zugsträngen der Pferde verband, mit dem Schwert. Der römische Historiker Lucius Flavius Arrianus habe dagegen überliefert, dass Alexander den Knoten „mit der Lebendigkeit seines Geistes“ aufgelöst habe: Er habe die Rolle des Deichselnagels für den Knoten an dem Streitwagen erkannt und ihn einfach herausgezogen.


Kujat verglich das mit der westlichen Politik, die „dem Weg des Schwertes folgt“. Ihr mangele es an dem, was Alexander den Großen ausgezeichnet habe: „an der Lebendigkeit des Geistes“. Im Fall des Ukraine-Krieges habe die Rolle des Deichselnagels ein Verhandlungsfrieden.

Bevor er weiter auf den Krieg in der Ukraine einging, verwies er auf die geopolitische Lage im 21. Jahrhundert. Diese sei vom Aufstieg Chinas als wirtschaftliche und militärische Weltmacht geprägt sowie von der Rivalität der Großmächte USA, Russland und China. Der Ukraine-Krieg habe diese Rivalität verändert und klargemacht, dass nur China und nicht Russland die USA als führende Weltmacht ablösen könne. Die USA würden Russland politisch, wirtschaftlich und militärisch so schwächen wollen, dass sie sich auf die Auseinandersetzung mit China konzentrieren können. Dabei würden sie einen engen Schulterschluss mit der EU suchen, wobei sie in der gegenwärtigen Bundesregierung einen „willigen Verbündeten“ gefunden hätten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei zudem offenbar bereit, im ukrainischen Stellvertreterkrieg eine Führungsrolle zu übernehmen.


Ukraine-Krieg als Menetekel für Europa

Der Ex-General warnte davor, dass die USA ihre Verbündeten in Europa auch in einen künftigen Konflikt mit China hineinziehen würden. Er bezeichnete den Krieg in der Ukraine als „Menetekel für Europa, den Weg zu geopolitischer Selbstbehauptung einzuschlagen, politisch, wirtschaftlich, technologisch und nicht zuletzt militärisch“. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sei Deutschland „auf dem geopolitischen Schachbrett der Vereinigten Staaten und insbesondere in deren Russlandstrategie eine besonders wichtige Figur“. Kujat verwies dabei auf Aussagen von George Friedman, wonach Russland und Deutschland vereint die einzige Macht wären, die die USA bedrohen könnte. Davor hätten die USA seit mehr als einhundert Jahren eine „Höllenangst“. Deshalb müsse laut Friedman sichergestellt werden, dass dieser Fall nicht eintrete.

Russland habe nach dem Untergang der Sowjetunion und des „Warschauer Vertrages“ die Nähe zur NATO gesucht, erinnerte der ehemalige General. Es sei um eine enge Abstimmung in Bezug auf die ehemaligen sozialistischen Staaten und die früheren Sowjetrepubliken gegangen. „Was Russland im Sinn hatte, war, Krisen und Konflikte gemeinsam mit der NATO zu lösen und dadurch eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland zu verhindern. Mit dem NATO-Russland-Grundlagenvertrag von 1997 und dem NATO-Russland-Rat wurde dafür eine gemeinsame Basis geschaffen.“ Damit sei eine Zeit der engen politischen Abstimmung und der „sehr engen militärischen Zusammenarbeit“ eingeleitet worden, erinnerte Kujat. Er war selbst einige Jahre Vorsitzender des NATO-Russland-Rates.

Der Ukraine-Krieg habe die Bildung konkurrierende geopolitischer Blöcke befördert, schätzte Kujat ein. Die USA, die Europäische Union (EU) und die NATO würden näher zusammenrücken. Um China und Russland herum sei ein zweiter geopolitischer Block entstanden, in dessen Kern sich die BRICS-Staaten befänden. Kujat beschrieb ebenso die weitere aktuelle Entwicklung, die sich in zunehmenden Absetzbewegungen weiterer Staaten von der bisherigen US-Dominanz zeigt. Angesichts dessen sei eine größere Bereitschaft der Europäer wichtig, die Fähigkeit zur Selbstbehauptung zu stärken und zu einem „unabhängigen Faktor in der internationalen Politik“ zu werden. Dazu gehöre die Fähigkeit zur Konfliktverhütung und Konflikteindämmung. Notwendig sei auch eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit.

„Historiker haben sich immer wieder die Frage gestellt, wie es geschehen konnte, dass die europäischen Mächte in den Ersten Weltkrieg, die ‚Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‘, taumelten. Hoffentlich müssen sich die Historiker in der Zukunft nicht fragen, wie der Ukrainekrieg zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts werden konnte.“




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