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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

Ertrunkene im Mittelmeer: Hat die Küstenwache Boot aus dem Gleichgewicht gebracht + sich überlassen

Die Welt: Hunderte Tote im Mittelmeer: Augenzeugen belasten Griechenland. Überlebende und ihre Anwälte erheben nach einem tödlichen Schiffbruch vor der griechischen Küste schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Auch ein Frontex-Funktionär zeigt sich im Gespräch mit WELT AM SONNTAG irritiert über das Agieren Athens.


Schätzungen zufolge waren bis zu 750 Migranten an Bord. 104 Menschen wurden lebend geborgen. Es handelt sich damit um eines der tödlichsten Dramen an der EU-Außengrenze seit Jahren. Laut übereinstimmenden Zeugenaussagen habe die griechische Küstenwache in der Nacht des Schiffbruchs Seile an dem überladenen Fischerboot angebracht, dessen Motor Stunden zuvor ausgefallen war.

Bei dem Versuch, das Boot zu ziehen, sei dieses aus dem Gleichgewicht geraten und gekentert. „Als wir gesunken sind, haben sie das Seil durchgeschnitten und sind weggefahren“, sagte ein 30-jähriger Syrer; die Identität des Mannes ist dieser Zeitung bekannt. Seine Aussage deckt sich mit Schilderungen anderer Betroffener.

Die Anwältin Eleni Spathana, die Dutzende Überlebende vertritt, sagte: „Wir haben ernsthafte Anhaltspunkte, dass die griechische Küstenwache im Fall des gekenterten Fischkutters in mehreren Punkten nicht die nach internationalem Recht vorgeschriebenen Verhaltensregeln befolgt hat.“ Sie fordert die Offenlegung „aller Funksprüche und der Einträge in die Logbücher der alarmierten Besatzungen von Frachtschiffen und Yachten“ in der Nähe des Unglücks.


Frontex: „Es gab keine Reaktion“

Duccio Staderini, Landeskoordinator der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, hält das Argument für nichtig. Im Seerecht gebe es klare Regeln, sagte er. „Das Boot brauchte Hilfe. In so einem Moment ist es irrelevant, was die Menschen an Bord sagen, was sie wollen. Sie müssen gerettet werden, und auch für diesen Ablauf gibt es klare Standards“, sagte Staderini.

Auch ein Sprecher der EU-Grenzschutzagentur Frontex zeigte sich im Gespräch mit dieser Zeitung irritiert über den Ablauf des Rettungseinsatzes. Frontex habe Griechenland vor dem Schiffbruch zweimal angeboten, ein in Italien stationiertes Flugzeug sowie eine in der Ägäis stationierte Drohne einzusetzen. „Beide Male gab es keine Reaktion“, so der Sprecher. Stattdessen habe Athen darum gebeten, die Drohne zu einem anderen Rettungsfall nahe Kreta zu schicken.

Federico Soda, Direktor der Abteilung für Notfälle der UN-Organisation für Migration, fordert nach dem Drama vor Pylos die Rückkehr zur proaktiven staatlichen Seenotrettung. Die EU habe diese vor Jahren im zentralen Mittelmeer eingestellt. Dennoch werde die Route nach wie vor sehr stark genutzt, wobei die Zahl der Todesfälle und der Abfahrten in diesem Jahr gestiegen sei. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschenleben auf Zahlen reduziert werden. Ich fürchte, genau das geschieht derzeit im Mittelmeer“, sagte Soda.

Gerald Knaus, Vordenker des EU-Türkei-Deals, hat wenig Hoffnung, dass die aktuelle EU-Einigung zur Asylpolitik Abhilfe schaffen kann. Knaus sagte: „Das Boot, das mit Hunderten Migranten versank, kam aus Ostlibyen, kontrolliert von Chalifa Haftar, einem brutalen Warlord. Italien verhandelt mit ihm. Was schlägt Berlin stattdessen vor?“ Wolle man irreguläre Migration human reduzieren, brauche es „vor allem sichere Drittstaaten“.

Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, es müsse zunächst schnell untersucht werden, was die Ursachen für die Tragödie waren und welche Möglichkeiten es gab, diesen Schiffbruch zu verhindern. Die Bundesregierung setze sich für eine europäisch koordinierte, staatlich getragene Seenotrettung ein. Auch private Seenotrettungsschiffe dürften dabei nicht behindert werden.

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