Drei von vier Schulabgänger:innen sind ohne Job, jede/r Vierte ist extrem arm, jede/r Fünfte hungert
Hintergrund der schwersten Unruhen im Südafrika seit dem Ende der Apartheid. Laut der Weltbank gibt es kein Land auf der Welt, in dem der Graben zwischen Arm und Reich tiefer ist. Es geht dabei immer noch um die Hautfarbe, aber nicht nur: Zugenommen hat zuletzt insbesondere die Einkommensdifferenz zwischen jenem kleinen Teil der schwarzen Bevölkerung, die vom Ende der Apartheid wirtschaftlich profitierte, und dem grossen, weitgehend mittel- und hoffnungslosen Rest.

Nelson Mandela stand wie kein anderer weltweit wie kein für die Hoffnung: Die Dinge werden besser, wenn man sie entschieden anpackt.
Gut zwei Jahrzehnte später scheint Südafrika auf bestem Weg, die Vision seiner Freiheitsikone gänzlich aus dem Blick zu verlieren. Aus der inspirierenden «Regenbogennation», deren Geschichte zahllosen Menschen Hoffnung gab, ist ein Land geworden, das für viele vor allem für die Hoffnungslosigkeit steht.
Die schwersten Unruhen im Land seit dem Ende der Apartheid wurden vor zehn Tagen durch die Inhaftierung von Jacob Zuma ausgelöst, dem desolaten ehemaligen Präsidenten, der diesen Montag neuerlich vor Gericht stand – diesmal wegen Korruption und Erpressung.
Dass Zumas Vasallen zu Beginn der Proteste eine entscheidende Rolle spielten, scheint plausibel. Dass die Proteste derart rasch und stark anwuchsen, gewaltsamer wurden, über 200 Todesopfer forderten und letztlich die Mobilisierung von mehreren zehntausend Soldaten nötig machten, hat indes andere, tiefer liegende Gründe.
Dazu gehört, erstens, die desaströse Wirtschaftslage. Südafrika hatte sich bereits in der Rezession befunden, als die Pandemie begann. Seither ging es immer weiter bergab: Drei von vier Schulabgängerinnen finden heute keinen Job, einer von vier Südafrikanern lebt in extremer Armut, einer von fünf hat nicht genug zu essen. Unter jenen, die vergangene Woche in Durban und anderswo die Supermärkte plünderten, waren nicht wenige, die es vor allem deshalb taten, um sich wieder einmal den Magen zu füllen.
Zweitens gehört dazu ein Staat, der starke Zerfallserscheinungen zeigt. Jahre der ungesühnten Korruption, der Polizeigewalt und der oft ethnisch getriebenen Vetternwirtschaft haben Südafrikas staatliche Institutionen innerlich zerfressen. Viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner fühlen sich abgehängt, alleingelassen, ausgenutzt. Dass viele Ladenbesitzer während der jüngsten Plünderungen vergebens auf Schutz durch die Polizei warteten und deshalb selbst Bürgerwehren bildeten, ist ein Ausdruck davon.
Und drittens ist es die enorme Ungleichheit, die Wut und Verzweiflung nährt. Laut der Weltbank gibt es kein Land auf der Welt, in dem der Graben zwischen Arm und Reich tiefer ist. Es geht dabei immer noch um die Hautfarbe, aber nicht nur: Zugenommen hat zuletzt insbesondere die Einkommensdifferenz zwischen jenem kleinen Teil der schwarzen Bevölkerung, die vom Ende der Apartheid wirtschaftlich profitierte, und dem grossen, weitgehend mittel- und hoffnungslosen Rest.
Die Regierungspartei ANC, die bereits ein Vierteljahrhundert an der Macht ist, trägt die Hauptverantwortung für diese Missstände. Sie, die 1994 «ein besseres Leben für alle» versprochen hatte, hat den neuen, anfangs so gefeierten Gesellschaftsvertrag kaputt gemacht – oder zumindest kaputt gehen lassen. Die Ärmsten blieben arm, während einige wenige sich bereicherten.