US-Diplomat Kennans Warnung ist brutal wahr geworden: Die NATO-Osterweiterung ist verhängnisvoll
Es ist zu erwarten, dass ein solcher Beschluss die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit anheizen, sich negativ auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken, die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Ost-West-Beziehungen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken würde, die uns ganz und gar nicht zusagt.

George Frost Kennan (* 16. Februar 1904 in Milwaukee, Wisconsin; † 17. März 2005 in Princeton, New Jersey) war ein US-amerikanischer Historiker und Diplomat. Sein Name ist verbunden mit dem Marshallplan sowie der Containment-Politik in der Zeit des Kalten Krieges. Er wird zu den Vertretern des klassischen Realismus in den Internationalen Beziehungen gezählt.[1]
Er studierte an der Princeton University und später an der Universität Berlin. Zwischen 1926 und 1961 arbeitete er für das Außenministerium der Vereinigten Staaten, unter anderem in Moskau, Berlin, Prag, Lissabon und London. Von 1947 bis 1949 war George F. Kennan im US-Außenministerium als Planungschef tätig.
Im Jahr 1957 erhielt er den Pulitzer-Preis, 1976 den Pour le Mérite[2] und 1982 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
(...)
Osterweiterung der NATO
Am 5. Februar 1997 schrieb er zur NATO-Osterweiterung in einem Gastbeitrag für die New York Times, die Entscheidung der Regierung Clinton, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, sei der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg.[15] (siehe unten den Artikel)
„Es ist zu erwarten, dass eine solche Entscheidung die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit anheizen, sich negativ auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken, die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Ost-West-Beziehungen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken wird, die uns entschieden missfallen wird.“
– George F. Kennan[16]
Er sandte im April 1997 an Clintons Berater für Russlandfragen, Strobe Talbott, einen Brief, in dem er sich besorgt um die Aufnahme von Tschechien, Ungarn und Polen und um eine militärische Zusammenarbeit mit der Ukraine zeigte. Kennan warnte, die Entscheidung für die Osterweiterung der NATO würde sich nirgendwo so folgenreich und schicksalsträchtig zeigen wie im Fall der Ukraine.[17] Der in Moskau geborene Historiker Wladislaw Subok, Professor an der London School of Economics and Political Science, kommentierte, dass Kennan mit seinen Bedenken im Rückblick richtig lag.[18]

Stellungnahme
Ein verhängnisvoller Irrtum
Von George F. Kennan
5. Februar 1997,
Ende 1996 wurde der Eindruck zugelassen bzw. erweckt, es sei irgendwie und irgendwo beschlossen worden, die NATO bis an die Grenzen Russlands auszuweiten. Und dies, obwohl vor dem nächsten Gipfeltreffen des Bündnisses im Juni kein förmlicher Beschluß gefaßt werden kann.
Aber hier geht es um etwas von höchster Bedeutung. Und vielleicht ist es noch nicht zu spät, um eine Ansicht zu vertreten, die, wie ich glaube, nicht nur die meine ist, sondern von einer Reihe anderer mit umfangreichen und in den meisten Fällen neueren Erfahrungen in russischen Angelegenheiten geteilt wird. Die Ansicht ist, unverblümt gesagt, dass die Erweiterung der NATO der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Nachkriegszeit wäre.
Es ist zu erwarten, dass ein solcher Beschluss die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Öffentlichkeit anheizen, sich negativ auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken, die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Ost-West-Beziehungen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken würde, die uns ganz und gar nicht zusagt. Und nicht zuletzt könnte es dadurch sehr viel schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werden, die Ratifizierung des Start-II-Abkommens durch die russische Duma zu erreichen und weitere Reduzierungen der Atomwaffen zu erzielen.
Es ist natürlich bedauerlich, dass Russland zu einem Zeitpunkt mit einer solchen Herausforderung konfrontiert wird, zu dem sich seine Exekutive in einem Zustand großer Unsicherheit und Beinahe-Lähmung befindet. Und es ist doppelt bedauerlich, wenn man bedenkt, dass es für diesen Schritt überhaupt keine Notwendigkeit gibt. Warum sollten sich die Ost-West-Beziehungen bei all den hoffnungsvollen Möglichkeiten, die das Ende des Kalten Krieges mit sich bringt, auf die Frage konzentrieren, wer mit wem und damit gegen wen in irgendeinem phantastischen, völlig unvorhersehbaren und höchst unwahrscheinlichen künftigen militärischen Konflikt verbündet sein wird?
Ich bin mir natürlich bewusst, dass die NATO Gespräche mit den russischen Behörden führt, in der Hoffnung, Russland den Gedanken einer Erweiterung erträglich und schmackhaft zu machen. Unter den gegebenen Umständen kann man diesen Bemühungen nur Erfolg wünschen. Wer jedoch die russische Presse ernsthaft verfolgt, kann nicht umhin festzustellen, dass weder die Öffentlichkeit noch die Regierung die geplante Erweiterung abwarten, bevor sie darauf reagieren.
Die Russen sind wenig beeindruckt von amerikanischen Beteuerungen, dass sie keine feindlichen Absichten hegen. Sie sähen ihr Prestige (das für die Russen immer an erster Stelle steht) und ihre Sicherheitsinteressen beeinträchtigt. Natürlich hätten sie keine andere Wahl, als die Expansion als militärische Tatsache zu akzeptieren. Aber sie würden sie weiterhin als eine Abfuhr des Westens betrachten und wahrscheinlich anderswo nach Garantien für eine sichere und hoffnungsvolle Zukunft für sich selbst suchen.
Es wird natürlich nicht leicht sein, eine bereits getroffene oder von den 16 Mitgliedsländern der Allianz stillschweigend akzeptierte Entscheidung zu ändern. Vielleicht kann diese Zeit genutzt werden, um die vorgeschlagene Erweiterung so zu ändern, dass die unglücklichen Auswirkungen, die sie bereits auf die russische Meinung und Politik hat, abgeschwächt werden.
Opinion | A Fateful Error - The New York Times (nytimes.com)