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Die Gurkas (nepalesische Soldaten) die verachteten Wächter des Westen (nicht nur) in Afghanistan


Als die Taliban am 15. August Kabul eroberten, schmiedeten 13 Männer im fünften Stock des Hotels Roshan Plaza im Stadtzentrum einen verwegenen Plan. Sie seien Touristen aus Nepal, würden sie den Taliban sagen, wenn diese das Hotel durchsuchten. Die 13 Nepalesen hatten Glück – die Taliban kamen nicht ins Hotel, auch nicht in den Tagen nach dem Umsturz. Und so sassen sie weiter da, wie sie schon Monate dagesessen hatten: zu viert in einem Zimmer, eingesperrt. Die Wachmänner im Hotel waren angewiesen, sie nicht auf die Strasse zu lassen, nicht einmal in der Lobby durften sie sich zeigen. Die Männer aus Nepal waren keine Touristen. Sie waren nach Afghanistan gekommen mitten im Krieg, weil man ihnen einen Job als Wachmann bei der deutschen Botschaft versprochen hatte.


Die Männer im fünften Stock sind Gurkhas – ein Sammelbegriff für nepalesische Soldaten. Als die Engländer im 19. Jahrhundert in Nepal einmarschieren wollten, leisteten diese Gurkhas so unerbittlichen Widerstand, dass die Briten nach dem Krieg eigene Gurkha-Regimente gründeten. Sie rekrutierten junge Männer in den Bergdörfern Nepals und schickten diese in Kriege, mit denen sie nichts zu tun hatten.


Fast eine halbe Million Gurkhas kämpften im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie kämpften und ertranken in den Schützengräben Frankreichs, die für grössere Männer gegraben waren. Sie halfen, Norditalien von den Nazis zu befreien, und die britische Armee zeichnete sie dafür mit Tapferkeitsmedaillen aus. Daheim erhielten sie nicht einmal eine Rente.


Die Gurkhas haben in Afghanistan mehrere westliche Botschaften und Einrichtungen bewacht. Laut Schätzungen arbeiteten in den vergangenen zwanzig Jahren über 35 000 Nepalesen als Wachleute in Afghanistan, die Zahl dürfte aber eher noch höher liegen. Viele von ihnen waren Opfer von Menschenhändlern. Als Kabul am 15. August fiel, wurden einige einfach zurückgelassen. Hier erzählen sie zum ersten Mal ihre Geschichte.


Einmal im Jahr rekrutiert die britische Armee in Pokhara, mehrere tausend Männer bewerben sich, 200 schaffen es – wer gedient hat, erhält eine Aufenthaltsbewilligung in Grossbritannien. Ajit versucht es bei der Singapurer Polizei, er hat nur eine Chance, dann ist er zu alt, um ausgehoben zu werden. Auch die Singapurer Polizei rekrutiert Gurkhas, ebenso die indische Armee. Wer es nicht zu den Briten schafft, schafft es vielleicht zu den Singapurern, die Inder nehmen am meisten Rekruten, zahlen aber weniger. Erst zuletzt bewerben sich die jungen Männer bei den nepalesischen Sicherheitskräften.

Viele der Jungen im Trainingszentrum erzählen, sie wollten Gurkhas werden, um Geld zu verdienen. Sie kommen aus Bauernfamilien oder Soldatenfamilien, schon der Vater oder der Onkel war Gurkha. Der Instruktor möchte, dass sie von Mut und Treue erzählen – lieber sterben als ein Feigling sein, das ist das Motto der Gurkhas.

Es gibt jedes Jahr Tausende von jungen Männern wie Ajit, die zu Gurkhas werden. Und Tausende scheiden jedes Jahr nach getanem Dienst aus der britischen, indischen oder nepalesischen Armee aus – das Soldatenleben ist alles, was sie kennen. Viele treiben die Hoffnungen und die Sorgen ihrer Familien am Ende nach Afghanistan.

Vor jeder internationalen Einrichtung in Afghanistan stehen bewaffnete Wachmänner. Kaum eine Botschaft will ihre eigenen Soldaten auf diesen Wachposten, es ist langweilig und gefährlich: Bei einem Attentat sind meist die Wächter die ersten Opfer. Also lagern sie die Aufgabe an private Sicherheitsfirmen aus.

Ian Douglas Gordon besitzt eine dieser Firmen, er hat sie nach seinen Initialen benannt: IDG. Er beschäftigt über 500 nepalesische Gurkhas in Afghanistan. Gordon gibt in Kathmandu einen seltenen Einblick in eine verschwiegene Welt, in der einzelne Männer kleine Privatarmeen befehligen. Und wer glaubt, in dieser Halbwelt tummelten sich nur tätowierte Rambos, sollte Gordon treffen, einen 72-jährigen Briten, Krawattenträger und nie um ein Zitat aus «Die Kunst des Krieges» verlegen. Das Buch hat der chinesische General Sun Tzu um 500 vor Christus geschrieben.

Seine Gurkhas bewachen Uno-Gebäude in ganz Afghanistan, sie blieben dort, als Kabul fiel. Die Taliban schickten Unterhändler an die Basis, es gab keine Gewalt, die Uno durfte in Kabul bleiben

Botschaften bewacht IDG in Afghanistan nicht. «Die Ausbeutung der Nepalesen geschieht durch manche dieser Botschaften», sagt Gordon. Braucht eine Botschaft Wachmänner, holt sie eine Offerte von privaten Sicherheitsfirmen ein. Viele Ausschreibungen verlangen heute von den Wachleuten Zwölf-Stunden-Schichten, IDG offeriert maximal zweimal vier Stunden täglich, ideal wären noch weniger.

Gordon fragt: «Wie viele Europäer würden zwölf Stunden am Tag dort stehen?» Meist gewinnt die billigste Offerte. Oft sind die Wachmänner dann nepalesische Gurkhas. Die Kunden scherten sich nicht darum, wie lange die Gurkhas bei Wetter und Schnee auf dem Posten seien, erzählt Gordon, es seien ja nur Asiaten. «Lassen Sie mich da ganz klar sein: Es ist rassistisch. Niemand würde einen Westler so behandeln und damit davonkommen. Aber es wird nicht darüber geschrieben im Westen, und niemanden interessiert es.»

Rund 1000 Dollar verdient ein Gurkha pro Monat in Afghanistan.

Unter all den Ex-Soldaten, die sich in Afghanistan tummelten, gab es eine klare Hierarchie. Am teuersten waren jene aus dem englischsprachigen Westen, den Five Eyes: USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Grossbritannien. Dann kamen die Osteuropäer und die Südamerikaner, sie verdienen immer noch etwa 3000 Dollar im Monat. Dann Afrikaner oder eben Nepalesen. Am billigsten waren die Afghanen. Aber denen hätte kaum einer vertraut, sagt einer, der die Wachen für die kanadische Botschaft befehligt hat: Einige hätten sich als Taliban-Schläfer entpuppt.

Rund 1500 Nepalesen verlassen das Land täglich. Ein Viertel der Nepalesen lebte 2010 unter der Armutsgrenze, das war die letzte Erhebung. Es gibt kaum Arbeitsmöglichkeiten. Die Gurkhas lassen sich nach ihrem Dienst in Armeen von Agenten anwerben.

In den vergangenen Jahren schafften Agenten einen steten Strom von Gurkhas nach Afghanistan. Jene, die nicht sofort verpflichtet wurden, landeten auf Wartelisten oder strandeten in Kabul. «Es ist ein moderner Sklavenhandel», sagt Gordon, denn das erste Jahr arbeiten die Gurkhas gratis: Ihr ganzer Lohn geht an die Agenten.

Er hat Angst, sein Gesicht zu verlieren, würden die Nachbarn erfahren, dass er mit leeren Händen heimkam, wo er doch Geld heimbringen sollte. «Mein Ruf ist wichtiger als das Geld», sagt er. Die Gurkhas sind Opfer und schämen sich doch.

Alles begann mit einem leeren Versprechen: «Mir wurde ein Job in der kanadischen, der britischen oder der deutschen Botschaft versprochen», sagt Dawa. Dawa und Kumar haben beide über 17 Jahre in der indischen Armee gedient, sie sind Ende dreissig und Anfang vierzig. Ein Agent versprach ihnen einen Job, beide hatten einen Bekannten, der bereits in der deutschen Botschaft untergekommen war mit demselben Agenten – der Bekannte bestätigt dies, auch er hatte Geld bezahlt und später die deutsche Botschaft in Kabul bewacht. Mehrere der 34 gaben in Interviews an, ihr Agent habe ihnen ausdrücklich versprochen, sie bekämen einen Job bei der deutschen Botschaft.

Dawa und Kumar glaubten dem Agenten und bezahlten ihn. Er schickte sie im März 2021 von Kathmandu nach Dubai. Dort mussten sie einen Monat warten, 1000 Dollar bezahlen, und in ihrem Pass tauchte ein Touristenvisum für Afghanistan auf. Im April flogen sie nach Kabul. Ein afghanischer Agent holte sie am Flughafen ab und brachte sie ins Hotel Roshan Plaza. Er sammelte ihre Pässe ein.

Sie hatten keine Pässe. Von März bis August waren sie im Hotel gefangen. Weil sie nicht arbeiteten, verlangte der afghanische Agent von ihren Familien daheim weiter Geld, mal 800 Dollar, mal 1500 Dollar. Ihre Frauen mussten sich Geld leihen. Sie waren jetzt Geiseln. Insgesamt haben beide über 10 000 Dollar für die Reise bezahlt, zusammengekratzt bei Verwandten – sie sind nun beide hoch verschuldet.

Kumar sagt, nur einer aus ihrer Gruppe habe einen Job bekommen. Als Wachmann beim UNHCR, dem Uno-Flüchtlingshilfswerk. Als Kabul fiel, die Botschaften ihr Personal und auch ihr Sicherheitspersonal evakuierten, blieben die Nepalesen ohne Job zurück. Ihr Agent blockierte sie auf Whatsapp und Facebook. Sie nahmen Kontakt auf zur nepalesischen Botschaft in Delhi, ein Evakuierungsversuch scheiterte, weil sie im Gedränge am Flughafen Kabul das Flugzeug nicht erreichten. Am Ende versteckten sie sich im Sikh-Tempel.

Ian Douglas Gordon von der Firma IDG sagt, es sei zu einfach, die skrupellosen Sicherheitsfirmen anzuprangern. Oder die korrupten Agenten in Nepal. «Die bösen Jungs sind die Kunden, die sich um nichts scheren. Die wegschauen, denen egal ist, wie ihr Personal rekrutiert wird.»

Kumar sagt, nur einer aus ihrer Gruppe habe einen Job bekommen. Als Wachmann beim UNHCR, dem Uno-Flüchtlingshilfswerk. Als Kabul fiel, die Botschaften ihr Personal und auch ihr Sicherheitspersonal evakuierten, blieben die Nepalesen ohne Job zurück. Ihr Agent blockierte sie auf Whatsapp und Facebook. Sie nahmen Kontakt auf zur nepalesischen Botschaft in Delhi, ein Evakuierungsversuch scheiterte, weil sie im Gedränge am Flughafen Kabul das Flugzeug nicht erreichten. Am Ende versteckten sie sich im Sikh-Tempel.

Ian Douglas Gordon von der Firma IDG sagt, es sei zu einfach, die skrupellosen Sicherheitsfirmen anzuprangern. Oder die korrupten Agenten in Nepal. «Die bösen Jungs sind die Kunden, die sich um nichts scheren. Die wegschauen, denen egal ist, wie ihr Personal rekrutiert wird.»

Es gibt keine Zahlen zu toten oder verletzten Gurkha-Wachen in Afghanistan. Man kann es sich nur aus Berichten zusammenstückeln. 2012, 2013 und 2019: Angriffe auf das Green Village fordern 9 tote oder verwundete Gurkhas. 2011: 4 Tote bei einem Angriff auf ein Uno-Gebäude. 13 Tote, als die Taliban 2016 einen Bus voller Wachen der kanadischen Botschaft attackieren. Oft bleiben die nepalesischen Opfer unerwähnt in Zeitungsberichten. Professor Coburn schätzt, es seien rund 50 umgekommen, er wäre aber auch nicht überrascht, wenn es über 200 gewesen wären.

Auszüge aus: Afghanistan: Wie westliche Botschaften Nepalesen ausbeuteten (nzz.ch)


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