| Oktober 2024 |
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Die Bundesregierung kündigt neue Waffenlieferungen an Israel an, verweigert deutliche Kritik an der israelischen Kriegführung und schweigt zu den Terroranschlägen im Libanon.
Die deutsche Politik gegenüber Israel ist inakzeptabel und muss radikal geändert werden. Sie ist inhuman, taub gegen das Leid der Menschen in Palästina und im Libanon, ignoriert das Völkerrecht und isoliert Deutschland in der Welt.
Während der französische Präsident Emmanuel Macron dazu aufrief, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz am 10. Oktober im Bundestag „demnächst weitere Lieferungen“ aus Deutschland an. Damit zerstörte er endgültig etwaige Hoffnungen, der Entscheid des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der die Völkermordvorwürfe gegen Israel für begründet und plausibel erklärte, würde zu einer anhaltenden Zurückhaltung führen. Schließlich verpflichtet die IGH-Entscheidung auch Israels Verbündete, alles zu tun, um schon die bloße Möglichkeit eines Völkermords auszuschließen. Lieferungen von Waffen und anderen Rüstungsgütern müssen daher an sich als Beihilfe gewertet werden.
Doch die Ampelregierung will sich offensichtlich von rechtlichen und moralischen Einwänden so wenig bremsen lassen, wie von Mehrheiten in der UNO. Ungeachtet der weltweiten massiven und einhelligen Verurteilung des israelischen Vorgehens in Gaza, im Westjordanland und im Libanon, sowie auch der Angriffe gegen Syrien, Jemen und Iran hält sie an der nahezu vorbehaltlosen Unterstützung des Kriegskurses der israelischen Führung fest. Dessen Rechtfertigung als Selbstverteidigung ist absolut zynisch und zeugt von Völkerrechts-Nihilismus.
Obwohl er offen vor den Augen der Welt geschieht und von UN-Organisationen gut dokumentiert ist, nimmt Berlin die israelische Regierung und Armee vor dem Vorwurf des Völkermords in Schutz und verteidigt so ‒ trotz gelegentlicher Mahnungen nach Zurückhaltung ‒ letztlich die Massaker und die Verwüstungen in Gaza, sowie die Hungerblockade gegen die Enklave.
Je mehr sie international Deutschlands Ansehen ruiniert, desto verbissener bemüht sich die deutsche Politik im Inneren darum, die zur „Staatsräson“ erklärte vorbehaltlose Unterstützung vor Kritik zu schützen. Der Staat gebärdet sich dabei immer autoritärer: mit Demo-Verboten, Auflösung von Kongressen und Protestcamps an Universitäten, Verweigerung von Veranstaltungsräume, Strafverfahren und Kündigungen wegen israel-kritischen oder pro-palästinensischen Parolen.
Es ist vor allem die Rückendeckung aus Deutschland und den USA, die dem Netanjahu-Regime Angriffe auf Syrien, auf den Jemen und auf den Iran erlauben. Mit dieser Rückendeckung begann es am 23. September 2024 den Krieg gegen den Libanon, den vierten nach 1978, 1982 und 2006. Auch er wird als „Selbstverteidigung“ oder als Feldzug gegen eine „Terrororganisation“, nun die Hisbollah, verharmlost, trifft aber die gesamte Bevölkerung des Libanons. Die libanesische Regierung wirft Israel daher „einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes« vor1
Die Ausweitung der Angriffe auf den Libanon leitete Israel mit besonders perfidem Terror ein: mit tausendfachen Bombenanschlägen per Pager und Walkie-Talkies, die in Krankenhäusern und Läden, auf Gemüsemärkten, im Straßenverkehr und anderswo explodierten. Die Explosionen trafen willkürlich über 3000 Menschen, neben militärischen oder zivilen Mitgliedern der Hisbollah-Partei auch sehr viele andere, darunter auch Kinder. „Tausende Personen gleichzeitig anzugreifen, ohne zu wissen, wer gerade im Besitz der ins Visier genommenen Geräte ist, wo sie sich befinden und was sie zum Zeitpunkt des Anschlags umgibt“, ist, so u.a. der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, „ein Kriegsverbrechen“.
Die Ampelregierung schwieg dennoch dazu und deutsche Medien haben die Anschläge teilweise sogar zynisch bejubelt.2
Noch breiter wurde die Ermordung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gefeiert. Dabei hatte die israelische Luftwaffe bei diesem beispiellosen Terroranschlag 80 US-amerikanische bunkerbrechende, 2000-Pfund schwere Bomben auf das Hisbollah-Hauptquartier abgeworfen, die mehrere Gebäudekomplexe und Wohnhäuser in Kraterlandschaften verwandelten, hunderte Unbeteiligte unter sich begrabend.
Auch wenn Attentate von Israel und den USA auf Gegner in anderen Ländern per Drohnen oder Bomben, sogenannte „gezielte Tötungen“ im Westen schon zur Normalität wurden, bleiben sie eklatante Verstöße gegen das Völkerrecht. Wenn dabei noch zahlreiche Unbeteiligte ermordet werden, so sind sie monströse Verbrechen.
Man stelle sich vor, Geheimdienste eines Staates, der nicht zum westlichen Bündnissystem zählt, würde einige tausend, in Alltagsgegenständen versteckte kleine Bomben im Umfeld einer gegnerischen Organisation verteilen und fernzünden, gar in einem Mitgliedsstaat der EU!. Und seine Luftwaffe würde in dessen Hauptstadt die Führung einer Organisation mit Kampfjets angreifen und ein Stadtviertel mit tonnenschweren Bomben verwüsten. Der Aufschrei über das Terrorregime wäre riesig und Sanktionen würden binnen Stunden folgen.
Was hierzulande als Schlag gegen eine Terrororganisation gefeiert wird, gilt im Land selbst und in der Region jedoch als verbrecherische Aggression gegen den Libanon und eine seiner zentralen politischen Parteien, die Minister in der Regierung und Abgeordnete im Parlament stellt. Hier gilt die Hisbollah als wichtigste Widerstandsorganisation gegen Israels Expansions- und Besatzungspolitik und ihr langjähriger Generalsekretär Hassan Nasrallah wurde weithin als einer der bedeutendsten arabischen Politiker und Führungsperson geachtet.3 Deutschland unterhält mit der libanesischen Regierung, an der die Hisbollah beteiligt ist, normale Beziehungen.
Wir müssen mit den Angriffen der Hisbollah nicht einverstanden sein. Doch der renommierte Völkerrechtler Norman Paech erinnerte unlängst aber daran, dass alle Befreiungs- und Widerstandsbewegungen vom ANC in Südafrika über die SWAPO in Südwestafrika bis zur algerischen FLN im Westen bis zum Ende der Kriege als Terrororganisationen galten.
Ignoriert wird hierzulande auch, dass Israel die Raketen aus dem Libanon auf andere Weise hätte stoppen können: Die Hisbollah hat stets betont ‒ wie auch die jemenitischen Huthis, dass sie ihr Feuer sofort einstellen werde, wenn Israel einem Waffenstillstand in Gaza zustimmt und einhält. Auch Nasrallah hat kurz vor seiner Ermordung einem dreiwöchigen Waffenstillstand im Libanon zugestimmt,4 den die USA und Frankreich zuvor bei der Uno vorgeschlagen hatten.
Krieg und Terror des Netanjahu-Regimes bringen nicht nur unvorstellbares Leid über die betroffenen Menschen in der Region, sie drohen, einen Flächenbrand anzufachen.
Die Rückendeckung aus Deutschland dafür muss beendet werden. Die Bundesregierung muss Waffenlieferungen einstellen und sich mit der Mehrheit der Staaten eindeutig gegen israelische Verstöße gegen Völkerrecht, Menschenrechte und die Völkermordkonvention stellen.
Sie muss mit ihren Partnern in der EU auch wirtschaftlichen Druck auf Israel aufbauen, seine Angriffe und Behinderung humanitärer Hilfe einzustellen, Waffenruhen zuzustimmen und keine weiteren Vertreibungen vorzunehmen. Das EU-Assozierungsabkommen muss solange ausgesetzt werden.
Fazit: Deutschland kann nicht dauerhaft und systematisch das Völkerrecht brechen und weiterhin den Anspruch erheben, konstruktiv an einer friedensorientierten Ordnung der Weltgemeinschaft mitzuarbeiten.
Fußnoten
1 https://www.spiegel.de/ausland/eskalation-im-nahen-osten-mehr-als-350-tote-nach-israelischen-angriffen-im-libanon-a-c88ceea7-8162-484d-a6d2-0ff46bae0034
2 s. Angriff auf die libanesische Gesellschaft als Ganze – Zusammenstellung einiger Beiträge zu Israels 4. Libanonkrieg, Nachgetragen, 24.9.2024
3 s. z.B. Karin Leukefeld, »Meister des Widerstandes«, Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah war lange Zeit einer der beliebtesten arabischen Politiker überhaupt. Ein Nachruf. junge Welt, 04.10.2024,
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