Das globale Steuersystem ist gegen Afrika gerichtet. Für Afrika ist die Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten darin tätigen Konzerne haben ihren Sitz in den Industrieländern.
- Wolfgang Lieberknecht
- 21. Dez. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten multinationalen Konzerne auf dem Kontinent sind in diesem Sektor tätig. Aber ihre Hauptsitze befinden sich natürlich in den Industrieländern des Nordens. Dahinter steckt eine sehr komplizierte Geschichte, die weit in unsere Kolonialgeschichte zurückreicht: Vor ihrem Abzug bauten die Kolonialisten unsere Wirtschaft noch so um, dass sie auch nach der Unabhängigkeit noch deren größte Profiteure blieben. Anstatt beispielsweise die Ernährungs-sicherheit zu verbessern, wurden weiterhin überwiegend Kaffee, Tee, Feldfrüchte und andere Rohstoffe produziert. Also Luxusgüter, die vor allem in Industrieländern gefragt sind. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird außerhalb Afrikas abgeschöpft. Umgekehrt werden die Produkte, die im Norden auf der Grundlage unserer Rohstoffe hergestellt werden, dann wieder an uns verkauft. Wir profitieren von unseren eigenen Ressourcen nicht so, wie wir sollten.

Infosperber: Die Schweiz ist «aus gutem Grund berüchtigt»
Dominik Gross / 21.12.2024 Das globale Steuersystem ist gegen Afrika gerichtet. Das sagt die Juristin Everlyn Muendo aus Kenia und kritisiert die Schweiz.
Red. – Steuern sind in Afrika enorm wichtig für den Aufbau von Bildungssystemen für alle, für die Bekämpfung der Krise im Gesundheitswesen, für die Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen. Deshalb fordern insbesondere afrikanische Länder eine Steuerkonvention im Rahmen der UNO. Es geht um Steuertransparenz, die Besteuerung multinationaler Konzerne und von Offshore-Vermögen. Die kenianische Juristin Everlyn Muendo verfolgt für das «Tax Justice Network Africa» die Verhandlungen für eine Steuerkonvention am UNO-Hauptsitz in New York. Die Zeitschrift «global – Politik für eine gerechte Welt» hat mit ihr ein Interview geführt. Infosperber publiziert Auszüge aus dem Interview.
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Was gilt es zu tun in ressourcenreichen Ländern Afrikas, in denen die Rohstoffindustrie ein sehr wichtiger Wirtschaftszweig ist?
Für Afrika ist eine angemessene Besteuerung des Rohstoffsektors absolut zentral. Die meisten multinationalen Konzerne auf dem Kontinent sind in diesem Sektor tätig. Aber ihre Hauptsitze befinden sich natürlich in den Industrieländern des Nordens. Dahinter steckt eine sehr komplizierte Geschichte, die weit in unsere Kolonialgeschichte zurückreicht: Vor ihrem Abzug bauten die Kolonialisten unsere Wirtschaft noch so um, dass sie auch nach der Unabhängigkeit noch deren grösste Profiteure blieben. Anstatt beispielsweise die Ernährungssicherheit zu verbessern, wurden weiterhin überwiegend Kaffee, Tee, Feldfrüchte und andere Rohstoffe produziert. Also Luxusgüter, die vor allem in Industrieländern gefragt sind. Die Rohstoffe kommen von uns, aber ihr Wert wird ausserhalb Afrikas abgeschöpft. Umgekehrt werden die Produkte, die im Norden auf der Grundlage unserer Rohstoffe hergestellt werden, dann wieder an uns verkauft. Wir profitieren von unseren eigenen Ressourcen nicht so, wie wir sollten.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Welches Land ist für gute Schokolade bekannt? Es ist nicht Ghana.
Die Schweiz?
Sehen Sie! Das ist eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der in die Schweiz importierten Kakaobohnen aus Ghana stammt. Mit schädlicher Steuerpolitik verlagern Konzerne Gewinne in der Höhe Hunderter Milliarden US-Dollar in den Norden. Selbst aus den tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten der ausländischen Unternehmen in Afrika erhalten wir nicht unseren gerechten Anteil an Steuern. Das System ist wirklich gegen uns gerichtet.
Es wird noch dauern, bis neue UNO-Regeln Früchte tragen werden. Gibt es auch ausserhalb dieses Prozesses derzeit Möglichkeiten für Verbesserungen?
Wir kämpfen auch für mehr bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen auf der Grundlage des UNO-Modells, das viel besser ist als jenes der OECD. Aber damit waren wir bisher nicht sehr erfolgreich. Die Länder des Nordens sitzen in den Verhandlungen dank ihren Konzern-Hauptsitzen am viel längeren Hebel. Ausserdem sind einige dieser Länder richtige Rüpel! Selbst wenn Entwicklungsländer über viel Know-How verfügen, geben wir am Ende immer noch viele unserer Steuerrechte ab. Solange wir auf Direktinvestitionen aus diesen Ländern setzen, um unsere wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, können wir von ihnen steuerpolitisch unter Druck gesetzt werden. Dieser wirtschaftspolitische Ansatz führt in die Irre.
Die kenianische Regierung hat jüngst mit finanzpolitischen Reformen enorme politische Spannungen im Land ausgelöst. Weshalb?
Bei den Protesten gegen das Finanzgesetz vom Juni 2024 ging es um viel mehr. Sie waren Ausdruck der Frustration hart arbeitender Kenianer:innen über die zunehmenden wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten. Der Staat ist hoch verschuldet, und die Regierung muss dringend mehr Mittel für den Schuldendienst und die wirtschaftliche Entwicklung aufbringen. Dazu führt sie neue Steuern ein, mit denen die Lebenshaltungskosten stark steigen: eine Ökosteuer, eine Kraftfahrzeugsteuer, eine erhöhte Strassenunterhaltsabgabe und die Abschaffung der Mehrwertsteuerbefreiung für bestimmte wichtige Konsumgüter. Das belastet tiefe Einkommen viel stärker als hohe. Gleichzeitig ist der Service public schwach. Der Grossteil der Einnahmen wird für den Schuldendienst verwendet – dieser kann mehr als 50% der Einnahmen verschlingen – und für Korruption, die wichtige öffentliche Dienstleistungen verdrängt: So wurden die Gehälter von Assistenzärzt:innen stark gekürzt. Ein neues Finanzierungsmodell für Universitäten wurde eingeführt. Damit schossen die Studiengebühren in die Höhe. Kenia ist zu einem Experimentierfeld für Austeritäts-Massnahmen geworden – auch unter dem Einfluss des Internationalen Währungsfonds. Dabei zahlen einfache Kenianer:innen mehr und erhalten weniger!
Was sagen Sie zum in der Schweiz oft erhobenen Vorwurf, dass von zusätzlichen Steuereinnahmen in afrikanischen Ländern sowieso nur korrupte Politiker:innen profitieren würden?
Wie könnt Ihr in der Schweiz über Korruption in Afrika sprechen, ohne einzugestehen, dass Ihr die grössten Förderer von Intransparenz und unlauteren Finanzströmen seid! Im Ernst, es braucht immer zwei für einen Tango. Ja, den korrupten afrikanischen Beamten gibt es. Aber wer besticht ihn? Viele Konzerne, zum Beispiel Euer Glencore! Dessen Korruptionsfälle sind sehr aufschlussreich. Wieso wird die Verantwortung immer nur der einen Seite zugeschoben? Wir müssen anerkennen, dass undurchsichtige Finanzplätze wie die Schweiz korrupten Leuten aus unseren Ländern als sichere Verstecke dienen. Deshalb wird doch ein Grossteil der Vermögen im Ausland gehalten. Niemand sagt: «Oh, ich werde mein Geld in Kenia verstecken.» Nein! Es ist die Schweiz! Ihr seid aus gutem Grund berüchtigt!
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