"Das Gemetzel muss beendet werden." Günter Verheugen: Ukraine nicht mehr bedingungslos unterstützen
Zentrale Aussagen des Artikels im Weserkurier, vom 28.1.2023,
Die Ukraine ist ein Land mit ungeheurem Potenzial. Das zivile Engagement ist ungemein groß. Es gibt natürliche Reichtümer. Die Ukraine könnte ein glückliches stabiles Land sein. Aber die beiden Hauptprobleme des Landes sind seit dreißig Jahren ungelöst: endemische Korruption und Oligarchenherrschaft. Ja, und ihre Marionetten in der ukrainischen Politik.
Der Umsturz in der Ukraine wird bei uns dargestellt als eine demokratische Revolution von begeisterten Pro-Europäern. Das war eine fabelhafte PR-Nummer, denn es ist nur ein Ausschnitt der Wahrheit. Es war ein vorbereiteter Staatsstreich. Die ersten Maßnahmen der Übergangsregierung waren gegen die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine gerichtet. Dann begann der Krieg, 2014 mit der sogenannten Anti-Terror-Operation, und die russische Politik von Putin wurde dämonisiert.
Wenn das politische Ziel des Westens ein sogenannter Siegfrieden ist, bei dem der Westen Russland die Friedensbedingungen diktieren kann, dann sage ich: Dieses Ziel ist nicht erreichbar. Wenn das Ziel Regime Change heißt, einschließlich Putin loszuwerden, dann kann ich nur vor Träumereien warnen. Wenn das Ziel ist, Russland zu ruinieren, wie Annalena Baerbock es formulierte: Auch dieses Ziel ist nicht erreichbar. Wenn das Ziel ist, Russland zu isolieren: Auch das ist nicht geschehen.
Die Minsker Abkommen sollten eine Lösung für die inneren Konflikte in der Ukraine finden. Denn das Minsk-2-Abkommen sollte die Rechte der russischen Minderheit sicherstellen. Zur vollen Wahrheit gehört, dass die Verantwortlichen in der Ukraine nicht einen Tag lang ernsthaft daran gedacht haben, die im Abkommen vorgesehen Maßnahmen umzusetzen.
Die Welt ändert sich dramatisch. Die Botschaft der Brics-Staaten ist: Wir haben es satt, ständig von euch belehrt, geschurigelt und bevormundet zu werden. Unsere Welt ist so beschaffen, dass man nur mit Gesprächsbereitschaft und im Dialog unter Beachtung der gegenseitigen Interessen einen Weg findet, im Frieden miteinander zu leben.
Wenn wir die großen Aufgaben betrachten, die uns als Menschheit und Staatengemeinschaft gestellt sind, ist ein Krieg das letzte, was wir brauchen. Wir müssen unsere Kräfte konzentrieren, um die großen, lebensbedrohlichen Krisen zu bewältigen.
Rüstungsaufwendungen sind die unproduktivsten und umweltfeindlichsten Ausgaben, die man sich vorstellen kann. Wir finanzieren sie durch Kredite. Man könnte also von Kriegskrediten reden, und jedem Sozialdemokraten müssten sich dabei die Haare aufrichten. Der Rüstungswettlauf hat längst begonnen. Das wird nicht gut enden. Ich plädiere dafür, die Rüstungskontrollpolitik wieder aufzunehmen. Das ist die Überlebensfrage schlechthin.
Es ist doch offensichtlich, dass die Ukraine verzweifelt versucht, dass das Engagement des Westens und der Nato die Grenze zur direkten Intervention überschreitet. Das hätte die direkte Auseinandersetzung der beiden Super-Atommächte zur Folge und wäre der Schritt in den Abgrund. Wir müssen also unsere ganze Kraft einsetzen, um Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bekommen. Ich halte es für einen Fehler, die Strategie der Ukraine bedingungslos zu unterstützen, ohne Verhandlungsbereitschaft zu verlangen, und zwar ohne Vorbedingungen.
Ich habe den Eindruck, dass in allen europäischen Ländern die öffentliche Skepsis gegenüber der jetzigen Ukraine-Politik wächst. Ich habe sogar den Eindruck, dass die große Mehrheit der Deutschen zwar dafür ist, dass man der Ukraine beisteht, aber auch fordert, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet und in Friedensverhandlungen eingetreten wird. Das Gemetzel muss beendet werden. Das zu bewirken ist die wichtigste Aufgabe der deutschen und europäischen Politik.

Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) gehörte zu den Erstunterzeichnern des "Manifests für den Frieden".
Weserkurier, 28.1.2023, Auszüge:
SILKE HELLWIG
ZUR PERSON Günter Verheugen war viele Jahre Mitglied der FDP, unter anderem war er ihr Bundesgeschäftsführer und Generalsekretär. 1982 wechselte er in die SPD. Er war Bundesgeschäftsführer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion sowie Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von 2004 bis 2009 war er EU-Kommissar in Brüssel und Vizepräsident der Europäischen Kommission.
'Das Gemetzel muss beendet werden' (e-pages.dk)
Günter Verheugen: Ukraine nicht mehr bedingungslos unterstützen
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Angesichts der jüngsten Eskalation im Ukraine-Krieg hat der SPD-Außenpolitiker und ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen zu Frieden und Diplomatie aufgerufen. "Das Gemetzel muss beendet werden", sagte der 79-Jährige im Interview mit dem Weser Kurier:
auch: Günter Verheugen: Ukraine nicht mehr bedingungslos unterstützen (msn.com)